Jugenderziehung in der DDR: Zwischen Pionierstolz und staatlicher Lenkung

Sozialistischer Staat deutscher Nation, wie die DDR in den 1960er Jahren genannt wurde, war die staatliche Erziehung der Jugend ein umfassendes und tiefgreifendes System, das weit über den Schulunterricht hinausging. Es handelte sich um eine zentral organisierte und einheitlich ausgerichtete Betreuung, die den Alltag, die Schule und die Ferien der Kinder bestimmte. Ziel war es, die Jugend von heute auf ihre zukünftigen Aufgaben vorzubereiten und sie im Sinne der sozialistischen Weltanschauung zu formen.

Die Pionierorganisation – Das Fundament der Erziehung
Die „Pionierorganisation Ernst Thälmann“ spielte dabei eine zentrale Rolle. Ihr gehörten nahezu alle Kinder bis zum 14. Lebensjahr an. Sie war nicht nur für Paraden und Demonstrationen zuständig, sondern prägte das gesamte Leben der jungen Menschen. Die Losung „Uns gehört die Zukunft“ und die Forderung „Lernen, lernen und nochmals lernen“ waren dabei leitend.

Ein Paradebeispiel für die technische und ideologische Ausrichtung war das Kosmonautenzentrum in Karl-Marx-Stadt (ehemals Chemnitz). Hier wurden Weltraumflüge simuliert, und Jugendliche konnten in einem Kurzlehrgang die sowjetische Raumfahrt kennenlernen – amerikanische Erfolge wurden kaum erwähnt. Die jungen Pioniere mussten in diesem Zentrum mathematische Aufgaben lösen, Fragen zur Weltraumfahrt und Astronomie beantworten sowie physikalische Reaktions- und Leistungstests bestehen. Dies sollte nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch Teamfähigkeit und Belastbarkeit trainieren.

Ferienlager und Pionierhäuser: Lenkung auch in der Freizeit
Auch die Ferien waren fest in das System integriert. Pionierlager waren eine gängige Form der Erholung, deren Angebot im Gegensatz zur Bundesrepublik zentral organisiert und einheitlich ausgerichtet war. Obwohl deutsche Kommunisten mit praktisch kostenlosen Aufenthalten in internationalen Pionierlagern warben, waren diese im August ausschließlich mit mitteldeutschen Kindern belegt. Der finanzielle Beitrag der Eltern war minimal, für Kinder von Betriebsangehörigen der Patenschaftsbetriebe war der Aufenthalt sogar kostenlos. Die Lager wurden oft von Volkseigenen Betrieben als Paten unterstützt und von Altkommunisten als Parteibeauftragte betreut. Die Pionierleiter, die für das gesamte Lagerleben, Arbeitsgemeinschaften, Spiele, Disziplin und Weltanschauung verantwortlich waren, hatten eine spezielle pädagogische und ideologische Ausbildung in Pionierschulen absolviert.

In den Lagern ging es nicht nur um Erholung; politische Probleme wurden spielerisch dargestellt. So gab es Geländespiele wie „13. August“ zur Sicherstellung feindlicher Flugblätter oder „Vietnam“, bei dem es darum ging, versteckte Notlandestellen amerikanischer Flieger einzunehmen. Auch Nachrichten in der Lagerzeitung wurden „im Sinne der Parteilinie“ ausgewählt, und das Hauptthema war immer wieder Vietnam. Die Kinder wurden zum persönlichen Einsatz für die Sache der vietnamesischen Kommunisten angehalten, etwa durch Spenden oder Altpapiersammeln.

Die Pionierhäuser, von denen es 107 in Mitteldeutschland gab, waren weitere zentrale Orte für die Jugend. Hier kamen junge Pioniere zu naturwissenschaftlich-technischen Arbeitsgemeinschaften zusammen, zum Lesen und für Veranstaltungen. Das Eisenbahnzimmer im Pionierhaus Karl-Marx-Stadt diente beispielsweise dem Anschauungsunterricht und der Nachwuchswerbung für die Reichsbahn. Trotz aller Bemühungen der Pionierleiter, das politische Bewusstsein zu festigen, bevorzugten die Kinder in Lesecafés jedoch Kriminal- und Abenteuerromane gegenüber politischer Literatur oder Biografien großer Kommunisten.

Kaderbildung und der neue Mensch: Der Rechner statt des Denkers
Ein besonderes Augenmerk lag auf der Kaderbildung, also der Heranbildung einer Elite. Im Pionierlager Kalinin wurde eine „Mathematik-Kader“-Gruppe gebildet, deren Mitglieder nach Leistung aus ihren Schulen ausgewählt wurden. Diese Elite hatte während der Ferien zwei bis drei Stunden Unterricht am Tag und konnte bei guten Leistungen mit beruflicher Förderung rechnen. Es galt als Auszeichnung, diesem Kader anzugehören, und die Kinder waren stolz darauf.

Der Schulunterricht selbst unterschied sich formal kaum von dem in der Bundesrepublik, inhaltlich gab es jedoch erhebliche Unterschiede. Fortschrittliche Landschulen waren gut für den naturwissenschaftlichen Unterricht ausgestattet. Die Schulform der Zukunft sollten „Kombinate“ sein – eine Verbindung von polytechnischem Kabinett mit Schule und Betrieben. Schon in unteren Klassen wurde großer Wert auf die Einführung in die Arbeitswelt und Technik gelegt, beispielsweise durch den Bau elektrischer Schaltanlagen. Ziel war es, den Spieltrieb der Kinder planmäßig im Interesse der Arbeitserziehung einzusetzen. Im Gegensatz zur Bundesrepublik wurde der Werkunterricht nicht primär als Entwicklung eigener schöpferischer Fähigkeiten verstanden, sondern sollte „elementare Kenntnisse über wichtige Produktionsprozesse“ vermitteln. Auch der Schulgartenunterricht war fast überall regelmäßig und praxisnah durchgeführt, wodurch die Kinder eigene Verantwortungsbereiche und feste Aufgaben erhielten.

Tagesschulen und Sport: Kollektiv und Staatsstolz
Tagesschulen, in denen die Schüler von morgens bis abends unter Aufsicht waren, galten als die Schulform der Zukunft und waren ideal für berufstätige Eltern. Sie entsprachen auch der staatlichen Propaganda für die Berufstätigkeit der Frauen und das kollektive Aufwachsen der Kinder.

Auch der Sport spielte eine wichtige Rolle. Bei Großveranstaltungen wie der „Mammutsportschau“ in Ost-Berlin, an der zwei Millionen Kinder und Jugendliche teilgenommen hatten, wurden Rekorde aufgestellt und die Volksarmee warb auf „geschickte, ganz unpolitische Weise“ für sich. Solche Anlässe wurden auch genutzt, um die Eigenstaatlichkeit Mitteldeutschlands zu demonstrieren. Bemerkenswert war jedoch, dass trotz aller Erziehung zu einem separaten deutschen Nationalbewusstsein das Gefühl gesamtdeutscher Zusammengehörigkeit offenbar noch vorhanden war: Zuschauer bejubelten im Fernsehen Tore der westdeutschen Fußballmannschaft. Dennoch wurde betont, dass die mitteldeutsche Wirklichkeit den Kindern näher war.

Das Regime setzte alle Mittel der Propaganda und eine beeindruckende Organisation ein, um den jungen Sportlern „Anlass zum Stolz“ zu geben, in der Hoffnung, dass dieser Stolz auf die eigene Leistung ganz von selbst auch zum Stolz auf einen eigenen Staat werden würde. Obwohl von den Einzelheiten der ideologischen Erzählungen wenig haften blieb, sollten sich die ideologischen Parolen grundlegend im Unterbewusstsein festsetzen und das „Bild der Welt mit formen“, das später zur bewussten Weltanschauung werden sollte.

Die umfassende und gezielte Erziehung in der DDR kann man sich wie eine gigantische Kaderschmiede vorstellen: Jedes Zahnrad, von der Schulbank bis zum Ferienlager, war darauf ausgelegt, ein spezifisches, staatstreues Ergebnis zu produzieren – ein Volk von „Rechnern“ statt „Dichtern und Denkern“.

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