Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) war ein Staat, der seine Bürger scharf kontrollierte und jegliche Abweichung von der offiziellen Linie streng verfolgte. Vier persönliche Berichte – von Erich Loest, Ulrich Schacht, Simone Langrock und Jürgen Fuchs – zeichnen ein tiefgreifendes Bild vom politischen Konflikt mit dem DDR-Regime und den traumatischen Erfahrungen von Verhaftung, Haft und Freilassung. Ihre Geschichten beleuchten die Härte des Systems, aber auch die Widerstandsfähigkeit des menschlichen Geistes.
Die Verhaftung: Ein plötzliches Ende der Normalität
Für Erich Loest, 1926 in Mittweida/Sachsen geboren, kam die Verhaftung am 14. November 1957 am Abend, während er bei seinem Vater war. Drei Männer des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) erschienen und nahmen ihn fest. Die Begründung: Mitgliedschaft in einer „staatsfeindlichen Gruppe“, die den Sturz der DDR-Regierung zum Ziel hatte. Loest, der sich als Kommunist verstand und sich für Demokratie innerhalb der Bewegung einsetzte, war drei Tage zuvor aus der SED ausgeschlossen worden.
Ulrich Schacht, 1951 im Frauengefängnis Hoheneck geboren, wurde am Morgen des 29. März 1973 in Wismar von zwei MfS-Beamten festgenommen. Ihm wurde am nächsten Tag „staatsfeindliche Hetze“ (§106 StGB DDR) und „Hetze gegen das sozialistische Ausland“ (§108 StGB DDR) vorgeworfen. Diese Anklage bezog sich auf Gedichte, Kurzgeschichten und Aufsätze, die in seinem Freundeskreis zirkulierten und Themen wie die innerdeutsche Grenze oder die Ereignisse von 1968 in der Tschechoslowakei behandelten. Auch die Verbreitung westlicher Bücher und Rundfunksendungen wurde ihm angelastet. Schacht verstand sich als „demokratischer Sozialist“.
Simone Langrock, 1957 in Leipzig geboren, erlebte ihre Verhaftung am 22. April 1980 um acht Uhr morgens in ihrer Wohnung durch vier Stasi-Mitarbeiter. Ihr wurde lediglich der Haftbefehl des Staatsanwalts vorgelegt, eine detaillierte Begründung erhielt sie nicht.
Jürgen Fuchs, 1950 in Reichenbach/Thüringen geboren, wurde am 19. November 1976 – drei Tage nach der Ausbürgerung seines Freundes Wolf Biermann – in Grünheide bei Berlin aus einem Personenwagen geholt. Die Begründung bezog sich auf seine Schriften, seine Haltung und seine Freundschaften zu Dissidenten wie Biermann und Robert Havemann. Fuchs sah sich als kritischer Marxist, der die Wahrheit sagen und Zensur bekämpfen wollte, überzeugt davon, dass „wo Unrecht alltäglich wird, dann wird Widerstand zur Pflicht“.
Die Haft: Isolation, Demütigung und Zwangsarbeit
Der erste Tag im Gefängnis war für alle Betroffenen von Schock und Isolation geprägt. Erich Loest beschreibt das „Nacktmachen“, das „Betatschen“ bei der Leibesvisitation als Prinzipien der Demütigung, die die Selbstachtung senken sollten. Das Zuschließen der Zellentür und das Geräusch des Riegels waren eine „große, lange nachwirkende traumatische Situation“. Er fühlte sich über Wochen und Monate allein und isoliert, ohne Zeitung oder Buch. Loest verbrachte von 1957 bis 1964 politische Haft.
Ulrich Schacht saß im berüchtigten Zuchthaus Brandenburg. Das Gefängnis, ursprünglich für 900 Insassen konzipiert, beherbergte zu seiner Zeit dreieinhalbtausend. Einzelhaft war dort unüblich, da Zellen durchbrochen wurden und bis zu 17 Häftlinge auf 25 Quadratmetern leben mussten. Schacht erlebte jedoch drei Wochen „Einzelhaft“ im unterirdischen Arrestblock auf einem Steinbett, weil er versuchte, mit westdeutschen Häftlingen Nachrichten über Haftbedingungen auszutauschen. Körperliche Misshandlungen erlebte er nicht, hörte aber Schreie und Zeugenaussagen über Brutalität.
Simone Langrock wurde nach monatelangen Vernehmungen von 1980 bis 1982 inhaftiert. Sie kam in das Frauengefängnis Hoheneck, wo die Bedingungen als „miserabel“ beschrieben werden. Auch hier gab es Arreststrafen, die Wochen des Kontaktabbruchs zu anderen Häftlingen und Angehörigen bedeuteten.
Die Vernehmungen waren für alle eine Tortur. Loests Vernehmer versuchten, ihm eine „staatsfeindliche Gruppe“ und den Sturz der Regierung anzulasten. Sie übten psychologischen Druck aus, indem sie drohten, seine Frau festzunehmen, wenn er nicht „die Wahrheit“ sage. Schacht berichtet, dass seine Vernehmer „außerordentliche Geduld und Langsamkeit“ zeigten und über umfangreiches Material gegen ihn verfügten. Simone Langrock wurde kurz nach der Geburt ihres Kindes vernommen, leugnete zunächst alles und weigerte sich, andere zu belasten. Sie stellte fest: „jedes Wort, was man bei der Staatssicherheit sagt, sich immer gegen einrichtet“. Jürgen Fuchs’ Vernehmer galten als „unheimlich gut geschult“ und „sehr standfest“. Er glaubte, dass sie wirklich an das glaubten, wofür sie standen.
Zwangsarbeit war ein fester Bestandteil des Haftalltags. Loest musste in den letzten zwei Haftjahren bei zwei Betrieben arbeiten, die Niederlassungen im Gefängnis hatten: Fernsehgeräte zusammenstecken und Elektromotoren bauen. Er erhielt nur eine Mark pro Motor, während die Anstalt 52 Mark pro Häftling vom Betrieb kassierte – eine Ausbeutungsrate, die er nicht ausrechnen konnte. Schacht arbeitete in einer Schneiderei, die Strahlenanzüge für Soldaten produzierte. Er beklagte den Einsatz hochgiftiger Klebstoffe ohne Schutzmaske und Frischluft; er bezeichnete es als „Sklavenarbeit“. Langrock produzierte in Hoheneck Bettwäsche, die auch in die Bundesrepublik verkauft wurde. Sie empfand, dass Häftlinge als „billigste Arbeitskraft“ ausgenutzt wurden, da der Großteil ihres Verdienstes in die Staatskasse floss.
Der Prozess und die Rechtsbeugung
Die Gerichtsverfahren waren oft eine Farce. Ulrich Schachts Prozess im November 1973 vor dem Bezirksgericht Schwerin fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Der Richter, Bassong, war als „härtester Bursche“ bekannt. Schachts Verteidigerin konnte faktisch nichts am Urteil ändern, bot aber „menschliche Sympathie“ und unterstützte den Kontakt zur Familie.
Jürgen Fuchs’ Verteidiger, Dr. Kolbe, belog ihn über den Anklageparagraphen. Er nannte ihm den §19 (staatsfeindliche Hetze) anstatt des viel schwerwiegenderen §15 (Staatsverrat), der Haftstrafen von nicht unter fünf Jahren vorsah. Fuchs bezeichnete das Verhalten seines Verteidigers als „Schweinerei, ein Betrug“, da dieser „kampflos, schnell und ohne Aufheben“ das Verfahren abwickeln wollte. Es gab keine Zeugen der Verteidigung, nur Zeugen der Anklage.
Die Urteile waren oft hoch und niederschmetternd. Schacht, der sieben Jahre und fünf Jahre Aberkennung der staatsbürgerlichen Rechte erhielt, hatte fünf Jahre erwartet. Simone Langrock, verurteilt zu siebeneinhalb Jahren Zuchthaus und Entzug der Bürgerrechte, war schockiert, da sie durch ihren Anwalt mit zwei bis drei Jahren gerechnet hatte.
Die Trennung von den Liebsten
Eine der größten Qualen war die Trennung von den Familien. Simone Langrock war zweieinhalb Jahre von ihrem Kind getrennt, das bei ihrer Verhaftung sieben Monate alt war. Ihr Sohn war zu jung, um es zu verstehen, aber er entwickelte später Trennungsängste. Besuche waren streng reglementiert, fanden unter Aufsicht statt, und es durfte nicht über die Gründe der Verhaftung oder den Strafvollzug gesprochen werden. Kinder unter 14 Jahren durften nicht zu den Besuchen mitgebracht werden. Simone empfand diese Besuche als „qualvolle Situationen“, die sie emotional mehr belasteten, als dass sie eine Gnade gewesen wären.
Die Entlassung und das Leben danach
Die Entlassung, oft nach Jahren der Ungewissheit, war für die Betroffenen ein zwiespältiges Erlebnis. Erich Loest, nach über sieben Jahren freigelassen, benötigte fast 15 Jahre, um über seine Erlebnisse zu schreiben, und weitere sieben Jahre, um etwas zu verfassen, das er als substanziell empfand. Er verließ die DDR im März 1981 und lebt seither als freier Schriftsteller in Osnabrück. Loest bedauerte im Nachhinein, nicht mit seiner Familie ausgereist zu sein, wenn er die Folgen gekannt hätte.
Ulrich Schacht wurde am 17. November 1976 mit einem Bus in den Westen gebracht. Er beschreibt diesen Moment als unwirklich und emotional überwältigend, ähnlich der Verhaftung. Die Möglichkeit, in den Westen auszureisen, sah er als „erpresserisch“ an, da damit angedeutet wurde, dass andere Freunde in Haft bleiben würden, wenn er sich weigerte. Schacht ist auch heute noch ein „demokratischer Sozialist“, der sich den sozialdemokratischen Ideen zugewandt hat.
Jürgen Fuchs wurde nach neun Monaten Untersuchungshaft ohne Prozess nach Westberlin abgeschoben. Sein Tag der Entlassung, der 8. September 1982, war „sehr widersprüchlich“. Er empfand Freude über die Freiheit, aber auch die „Belastung, dass man Menschen zurücklässt, mit dem man zweieinhalb Jahre zusammen war“. Sein Verhältnis zum DDR-System ist gebrochen, nicht aber zu den Menschen dort. Er stärkte seine sozialkritische und kritisch-kommunistische Haltung.
Simone Langrock sah ihr Kind im Dezember 1982 in der Bundesrepublik wieder. Sie kann nicht und will nicht vergessen, was sie in der DDR erlebt hat, fühlt sich aber auch nach zwei Jahren in der Bundesrepublik politisch noch nicht angekommen.
Die Geschichten dieser vier Menschen sind wie die Fragmente eines Mosaiks, das die Schrecken der politischen Haft in der DDR zusammenfügt. Sie sind ein Mahnmal dafür, wie ein Staat seine Bürger zu unterdrücken versuchte, und ein Zeugnis für den unerschütterlichen Wunsch nach Freiheit und Wahrheit, der selbst hinter den dicksten Mauern nicht zerbricht.