Das vergessene Grauen: Zwangsarbeit in den letzten Kriegstagen des NS-Regimes

Einige Jahrzehnte lang war es ein weitgehend ausgeblendetes Kapitel deutscher Geschichte: die Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs. Erst in den 1980er Jahren begann die systematische Forschung, die dieses riesige, heterogene Feld erschloss. Eine aktuelle Ausstellung in Berlin, „Vergessene Befreiung: Zwangsarbeiterinnen in Berlin 1945“, und die begleitende Veranstaltung „Zwangsarbeit in der letzten Kriegsphase. Verschärfung der Arbeits- und Lebensbedingungen“ werfen ein Schlaglicht auf die extremen Bedingungen und die entgrenzte Gewalt, die die Zwangsarbeiterinnen in den letzten Monaten des Krieges erlebten.

Das Ausmaß der Ausbeutung und die rassistische Hierarchie
Im Sommer 1944 wurden 7,7 Millionen ausländische Zivil- und Kriegsgefangene zur Arbeit in Deutschland eingesetzt. Schätzungen zufolge könnten insgesamt sogar bis zu 9,5 Millionen Menschen zwangsweise nach Deutschland gebracht worden sein, während die Gesamtzahl der Zwangsarbeiter, einschließlich der in Drittländern eingesetzten, sogar 12 bis 13 Millionen erreichen könnte. Diese Zahlen verdeutlichen die historische Dimension der Zwangsarbeit als größte Zwangsumsiedlung von Arbeitskräften in der Geschichte in so kurzer Zeit, vergleichbar mit dem atlantischen Sklavenhandel über 300 Jahre.

Die Zwangsarbeiter*innen waren eine extrem heterogene Gruppe, deren Behandlung von einer rassistischen Hierarchie bestimmt wurde. Während Dänen und Niederländer verhältnismäßig bessergestellt waren, befanden sich die Arbeiter aus der Sowjetunion am untersten Ende dieser Hierarchie. Diese rassistischen Bedingungen äußerten sich in allen Lebensbereichen: von der Ernährung über die Unterkunft bis hin zu Verboten des Kontakts mit deutschen Frauen. Ein Beispiel für die extreme Brutalität war der sogenannte „GV-Erlass“ (Geschlechtsverkehr-Erlass), der für Polen und sowjetische Zivilarbeiter galt: Wenn ein sowjetischer oder polnischer Mann sexuellen Kontakt mit einer deutschen Frau hatte, wurde die Frau öffentlich geschoren und der Mann meist vor Publikum aufgehängt.

Gegenläufige Tendenzen und Eskalation der Gewalt am Kriegsende
Die letzten Kriegsmonate waren von paradoxen Entwicklungen geprägt. Einerseits boten die zunehmenden alliierten Luftangriffe, die eine extreme Lebensbedrohung für die Zwangsarbeiter*innen darstellten, da sie nicht in Luftschutzbunker durften, gleichzeitig die Hoffnung, dass der Krieg bald vorbei sein würde und die Befreiung nahe war. Andererseits nahmen die Repressionen durch das NS-Regime, insbesondere durch die Polizei- und Sicherheitsorgane, erheblich zu.

Die Gewalt gegen ausländische Arbeitskräfte eskalierte aus mehreren spezifischen Faktoren:

• Äußere Bedrohung: Die immer wahrscheinlicher werdende militärische Niederlage und die Bombardierung deutscher Städte verstärkten die innere Spannung.
• Innere Bedrohung: Das Regime empfand die Millionen von „fremdvölkischen“ Menschen im Land als unkalkulierbares Sicherheitsrisiko. Diese Angst war zwar weitgehend irrational, spielte aber eine entscheidende Rolle für die entgrenzte Gewalt.
• Zuständigkeits-Transfer: Entscheidungskompetenzen wurden von den Zentralinstanzen auf regionale und lokale Behörden sowie Polizeiorgane übertragen. Dies führte dazu, dass Gewalt zunehmend außerhalb normativer Regularien praktiziert wurde. Todesstrafen konnten von der Gestapo vor Ort eigenverantwortlich verhängt werden, zunächst gegen Ostarbeiter, später auch gegen Westarbeiter.

Das NS-Regime reagierte auf diese Bedrohungen mit der Verbreitung von Furcht und Schrecken, eskaliertem polizeilichen und justiziellen Terror und entgrenzter Gewalt. Personelle Defizite und fachliches Unvermögen bei den Sicherheitsorganen wurden durch Terror und Brutalisierung kompensiert.

Alltägliches Leid und brutale Exzesse
Das Leben der Zwangsarbeiter*innen wurde durch die Bombenangriffe extrem schwierig. Unterkünfte und Arbeitsstätten wurden zerstört, die Lebensmittelversorgung brach zusammen. Dies führte zu einer existenziellen Notlage, die viele in die sogenannte „Beschaffungskriminalität“ trieb. Das Entwenden von Lebensmitteln oder Alltagsgegenständen wurde jedoch mit unerbittlicher Härte bestraft, oft mit dem Tod. Beispiele wie der Niederländer Albert Tamboer, der wegen gestohlener Fischkonserven hingerichtet wurde, oder Martinus van Deutekommen, der bei einer Plünderung von NSDAP-Mitgliedern erschossen wurde, zeugen von dieser Brutalität.

Besonders erschütternd sind Berichte über spontane Ermordungen und Lynchjustiz durch die deutsche Bevölkerung und NS-Funktionäre. Ein Telefonist der Grillo-Werke in Oberhausen verfolgte im April 1945 mit einer Gruppe Jugendlicher einen Ostarbeiter, der Kartoffeln gestohlen hatte. Der Ostarbeiter wurde schwer misshandelt, vom Telefonisten angeschossen und schließlich von der Menge zu Tode geprügelt und verscharrt. Solche Taten, oft aus einer Mischung aus Rache, „Ordnungsdenken“ und einem verzweifelten „Wir-Gefühl“, fanden selbst in den letzten Stunden vor der Befreiung statt, als die Alliierten bereits vorrückten.

Es gab jedoch auch gegenläufige Beispiele: Einige Deutsche wurden plötzlich nett zu Zwangsarbeitern, um Fürsprecher für die Nachkriegszeit zu finden. Trotz der offiziellen rassistischen Propaganda kam es an Arbeitsplätzen und im ländlichen Raum zu Kontakten und sogar Freundschaften zwischen Deutschen und Zwangsarbeitern.

Befreiung und die schwierige Aufarbeitung
Mit dem Einmarsch der Alliierten endete die Zwangsarbeit, aber nicht unbedingt die Gewalt. Filmaufnahmen zeigen, wie die Münchner Bevölkerung die amerikanischen Truppen begrüßte. Doch in vielen Regionen kam es zu Rachefeldzügen und Plünderungen durch die befreiten Zwangsarbeiter. Gleichzeitig setzte die SS und Polizei auf dem Rückzug ihre mörderischen Aktionen fort, ermordeten inhaftierte Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, oft noch Stunden vor der Ankunft der Alliierten.

Die juristische Aufarbeitung der Verbrechen gegen Zwangsarbeiterinnen gestaltete sich nach dem Krieg schwierig. Zunächst waren die Alliierten für solche Verfahren zuständig, und die deutsche Justiz konnte erst ab Ende der 1950er Jahre systematisch ermitteln. Viele Prozesse fanden erst in den 1970er und 80er Jahren statt, wobei die Ergebnisse oft als unbefriedigend empfunden wurden. Ein besonders tragisches Schicksal ereilte die sowjetischen Zwangsarbeiterinnen: Nach ihrer Repatriierung in die Sowjetunion wurden viele von ihnen unter Kollaborationsverdacht gestellt, in Lagern inhaftiert und erst 1985 unter Gorbatschow rehabilitiert.

Erinnerungskultur: Ein langer Weg
Das Thema Zwangsarbeit blieb lange im kollektiven Gedächtnis unbeachtet. Erst durch lokale Initiativen, Geschichtswerkstätten und sogenannte „Graswurzelhistoriker“ wurde die Erinnerung vor Ort lebendig. Obwohl es immer noch als unzureichend gilt, haben sich in Deutschland über 500 Broschüren und Bücher sowie zahlreiche Arbeitskreise und Initiativen gebildet, die sich dem Thema widmen. Auch Unternehmen wie BMW, Siemens und Mercedes, die von Zwangsarbeit profitierten, wurden erst spät, oft unter dem Druck von Sammelklagen und Reputationsschäden, zur finanziellen Entschädigung und zur Aufarbeitung ihrer Geschichte bewegt. Der „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ)-Fonds, der 5 Milliarden D-Mark von der deutschen Industrie und der Bundesregierung bereitstellte, war ein wichtiger Schritt, um Überlebende finanziell zu unterstützen, auch wenn die Summen oft gering waren.

Die Geschichte der Zwangsarbeit im NS-Regime, insbesondere in ihren letzten, chaotischen und brutalen Monaten, ist ein komplexes Geflecht aus Gewalt, Hoffnung, Widerstand und Anpassung. Sie zeigt die absolute Irrationalität eines sterbenden Regimes und die individuellen Schicksale von Millionen Menschen, deren Leid oft erst spät anerkannt wurde und dessen Erinnerung bis heute eine Herausforderung bleibt.