Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff im Interview

Reiner Haseloff, Deutschlands dienstältester Ministerpräsident, hat in einem ausführlichen Interview mit BILD seine deutlichen Positionen zu zentralen gesellschaftlichen und politischen Fragen dargelegt. Von der Alltagstauglichkeit des Bürgergelds über die umstrittene „Brandmauer“ bis hin zu seiner persönlichen Zukunft im Falle einer Regierungsbeteiligung der AfD – Haseloff spart nicht mit klaren Worten und historischen Verweisen.

Bürgergeld und die Würde der Arbeit Haseloff, der sich selbst als „geborener DDR’ler“ beschreibt, betont, dass eine gesunde Ernährung in Deutschland auch für Bürgergeldempfänger gewährleistet ist. Er argumentiert, dies sei „auf jeden Fall möglich“, wenn man „ganz bewusst einkauft und natürlich mit seinen Budgets entsprechend auch arbeitet“. Damit widerspricht er der Forderung der Sozialverbandchefin Bentele nach einer „Erdbeerpauschale“ auf den Normalsatz. Die Grundsicherung sei stets darauf ausgelegt gewesen, den Lebensunterhalt voll zu gewährleisten.

Der Ministerpräsident befürwortet zudem eine Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger. Er stellt klar, dass das Sozialgesetzbuch II (SGB2) bereits vorschreibt, dass jeder Arbeitsfähige „jede auch gemeinnützige Arbeit anzutreten hat“, andernfalls drohen Sperrzeiten oder Leistungskürzungen. Haseloff, der aus seiner Zeit als Arbeitsamtsdirektor berichtet, erinnert an die Einführung der „Bürgerarbeit“, die damals zu vielen Abmeldungen und zur Legalisierung von Schwarzarbeit führte. Für ihn ist es von größter Bedeutung, dass arbeitsfähige Menschen nicht nur „alimentiert und damit abgeschrieben werden“, sondern „Bestandteil des sozialen Systems dieser Gesellschaft bleiben und sein müssen“, um ihre Würde zu respektieren und sicherzustellen. Er wünscht sich flächendeckendere Maßnahmen, auch für Migranten mit ähnlichem Status wie Asylbewerber.

Unverrückbare Brandmauer gegen Rechts und Links Ein wiederkehrendes Thema war die „Brandmauer“ der CDU zu anderen Parteien. Haseloff lehnt eine Zusammenarbeit mit der AfD strikt ab und betont, dass die CDU „sich Mehrheiten in der demokratischen Mitte verschaffen kann“. Auch das Angebot der Linken-Chefin Reicheneck, eine CDU-Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt zu tolerieren, lehnt er entschieden ab. Haseloff sieht in der Linken „antisemitische Tendenzen“ und ein „gezielt geplantes Systemwechsel weg von dieser Bundesrepublik“, der er einst mitgestaltet hat. Er zieht eine klare Trennlinie: Die Grundlage der „demokratischen Mitte“ sei nicht nur das Grundgesetz, sondern auch das „Bekenntnis zu dieser freiheitlich demokratischen Grundordnung“, die neben bürgerlichen Freiheiten auch die Marktwirtschaft und Wirtschaftsfreiheit umfasse, im Gegensatz zur Staatswirtschaft. Er betont die Bedeutung von Eigentum als „Stück Freiheit“ und erinnert an seine eigene Erfahrung, „mit null“ in die Wiedervereinigung gegangen zu sein. Er sieht Reichenecks Einfluss als ein „Umsortieren am linksextremen Flügel“, das vom „Zusammenbruch der Wagenknecht-Gruppe“ profitiere und keinen programmatischen Aufschwung darstelle.

Die persönliche rote Linie: Auswanderung bei AfD-Regierung Reiner Haseloff macht eine bemerkenswerte und sehr persönliche Aussage zu seiner Zukunft: Sollte die AfD in Sachsen-Anhalt an die Macht kommen, würde er eine „Grundsatzüberlegung“ anstellen, ob er „nach 72 Jahren meine Heimat verlassen würde“ und möglicherweise „auswandern“ würde. Er präzisiert, dass dies ein Verlassen Sachsen-Anhalts bedeuten könnte, da er auch Familie in ganz Deutschland habe. Er zieht eine deutliche Parallele zur Machtergreifung der NSDAP 1932 durch freie Wahlen und die Schließung des Bauhauses, ein Thema, das in jüngster Zeit auch von AfD-Abgeordneten im Landtag aufgegriffen worden sei. Eine AfD-Regierung wäre für ihn eine „unerträgliche Atmosphäre“, und das „Gebrülle“ sowie die „bewusst kopierte Artikulieren“ aus der AfD-Fraktion erinnere ihn manchmal beängstigend an die „letzte Phase der Weimarer Republik“ oder den „Sportpalast“. Er sei entschlossen, zu verhindern, dass die AfD auf den Regierungsbänken sitzt und ihre Programmatik Realität wird.

Migration und die fehlende Mehrheit der Mitte Die Stärke der AfD wird im Interview auch auf das aus Haseloffs Sicht noch ungelöste Migrationsproblem zurückgeführt. Er bekräftigt, dass es immer „geltendes Recht“ gewesen sei, „die Integrität der eigenen Staatsgrenze“ zu sichern, auch gegen Gerichtsentscheidungen, wenn Verträge nicht greifen. Er beklagt, dass die „Mitte keine Mehrheit mehr“ habe und warnt davor, dass „diese Demokratie auf ganz natürlichem Wege rechtsstaatlich zu Ende gebracht wird“.

Magdeburger Anschlag und Verantwortlichkeit Zum Attentat auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt und der beklagten mangelnden Verantwortungsübernahme betont Haseloff die „hochkomplexe“ Natur der Vorgänge. Er verweist auf die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und warnt vor einer vorschnellen „Schafrichter“-Rolle. Er sieht eine „gesamtgesellschaftliche Schuld“ und ein „gewisses Behördenversagen“ in einer Kette, die sich über viele Jahre erstrecke. Haseloff habe sich im Bundesrat für eine bessere Zusammenführung von Daten eingesetzt, um Bürger besser schützen zu können. Entscheidungen über personelle Konsequenzen würden erst nach Abschluss der Untersuchungen und Vorlage eines Schlussberichts der Generalstaatsanwältin getroffen.

Wirtschaft und das Intel-Projekt: Komplexität als Gefahr Zur Wirtschaftslage und Inflation lobt Haseloff die „wirtschaftspolitische Schwerpunktsetzung und Orientierung der jetzigen Bundesregierung“, die Deutschland wieder zu einem „Kapitalzuflussgebiet“ gemacht habe. Er räumt ein, dass manche Branchen wie die Chemie Deutschland verlassen, weil die Rahmenbedingungen nicht mehr wettbewerbsfähig seien.

Das Intel-Projekt in Magdeburg, das wegen seiner Verzögerung als Negativbeispiel für Investitionserleichterung galt, verteidigt Haseloff umfassend. Er stellt klar, dass die Verzögerung nichts mit den deutschen oder europäischen Rahmenbedingungen zu tun habe, sondern mit internen Problemen Intels und der weltweiten Nachfrage. Er betont die existenzielle Bedeutung der Chipproduktion für Europa, auch unter dem Aspekt militärischer und verteidigungstechnischer Souveränität. Die Investitionsentscheidung Intels sei primär auf Ebene der EU-Kommission und des Bundeskanzlers getroffen worden, wobei der Bund 10 Milliarden Euro zugesagt habe. Sachsen-Anhalt habe lediglich die Erschließung des Industriegebiets übernommen, die unabhängig von Intel benötigt worden wäre, und dafür „keinen 1 Euro ausgegeben, der Intel-bezogen war“. Die Bauanträge seien alle von Intel bezahlt worden. Die Sonnenblumen auf dem Gelände dienten dem Hamsterschutz, um die Fläche für eine schnelle Bebauung bereitzuhalten. Haseloff kritisiert die Komplexität solcher Auflagen in Deutschland, die einen Wettbewerbsnachteil darstellen. Er glaubt weiterhin an das Projekt, da die Technologie für Europa „existenziell wichtig“ sei.

Lehren aus dem politischen Leben Auf die Frage nach Kollegen wie Annalena Baerbock und Robert Habeck, die sich aus der aktiven Politik zurückziehen, merkt Haseloff an, sie hätten sich „aus dem Spannungsfeld der gesellschaftlichen Situation persönlich herausgenommen und entfernt – also geflohen“. Er respektiert ihre Entscheidungen, würde es aber persönlich nicht tun. Statt in Berkley zu unterrichten, würde er lieber „für 6 Stunden in einem Gymnasium geben“, um junge Menschen für MINT-Fächer wie Mathematik und Physik zu begeistern, da dort ein Mangel an Nachwuchs bestehe und dies für die Zukunft entscheidend sei. Haseloff selbst zeigt sich bereit, weiterhin politische Verantwortung zu übernehmen, solange die Legislaturperiode läuft.