Wasser, Wirtschaft, Wandel: Leipzigs urbane Flussgeschichte

Leipzig. Wo einst uralte Auenlandschaften den Menschen prägten, untersucht heute ein interdisziplinäres Forscherteam, wie das Wasser die Stadtentwicklung in Leipzig von der Jahrtausendwende bis zur Frühen Neuzeit beeinflusst hat – und umgekehrt. Im DFG-­Schwerpunktprogramm „Auf dem Weg zur Fluvialen Anthroposphäre“ widmet sich das Teilprojekt „Leipzig, eine Stadt im Fluss“ unter der Leitung von Dr. Johannes Schmidt (Universität Leipzig) erstmals systematisch der langen Geschichte urbaner Flussbeziehungen.

„Leipzig ist mehr als nur eine Stadt am Wasser“, erklärt Dr. Schmidt, „es ist ein lebendiges Archiv von Nutzungen, Eingriffen und Spuren, die wir durch historische Quellen, archäologische Befunde und geowissenschaftliche Analysen entschlüsseln.“

Vier Module für ein komplexes Geflecht
Das Projekt gliedert sich in vier zentrale Forschungsstränge:

  • Hydrologische Dynamik und Stadtentwicklung
    Historische Quellen belegen, dass Leipzigs kleine Fließgewässer – Pleiße, Parthe und Weiße Elster – frühzeitig in Mühlgräben geleitet und kanalisiert wurden. Dr. Schmidt und sein Team rekonstruieren, ab wann und unter welchen Bedingungen die Stadt aktiv in den Wasserhaushalt eingegriffen hat, um Energie zu gewinnen und Abwässer zu leiten.
  • Ökonomische Nutzung der Aue
    Holzschlag, Schweinemast, Wiesenbewirtschaftung: Die Auen boten vielfältige Ressourcen. Gegengewichte lieferten Dürrephasen und Überschwemmungen, die immer wieder Infrastrukturen zerstörten und Nutzungskonzepte infrage stellten. Wie wirkten sich solche Extremereignisse auf die lokalen Ökonomien aus?
  • Extremereignisse: Flut und Dürre
    Durch Archivstudien und Sedimentanalysen wird sichtbar, mit welcher Häufigkeit und Intensität Überschwemmungen stattfanden. Welche gesellschaftlichen Reaktionen – From bau von Dämmen bis hin zu Umsiedlungen – waren die Folge?
  • Verschmutzung und Legacy-Effekte
    Gewerbliche Abwässer, vor allem aus der Gerberei, hinterließen toxische Stoffe in den Böden. Mit geochemischen Messungen spüren die Forschenden jahrhundertealte Schadstoffeinträge auf und beleuchten, wie solche “Legacy-Effekte” bis heute Stadtplanung und Ökologie prägen.

Lokales Engagement und interdisziplinäre Kraft
Ein Alleinstellungsmerkmal des Vorhabens ist die enge Verzahnung von Wissenschaft und Alltagswirklichkeit: „Alle Beteiligten – von den Doktorandinnen bis zu den Profis – leben in Leipzig“, sagt Dr. Schmidt, „wir gehen jeden Morgen durch die Aue spazieren und sehen direkt, wovon unsere Quellen berichten.“ Dieses unmittelbare Erleben fördert den persönlichen Bezug und lenkt den Blick nicht nur auf Sedimentkerne, sondern auf die aktuellen Herausforderungen des Leipziger Auwalds.

Bedeutung über Leipzig hinaus
Während die heutige Diskussion um Klimawandel und Biodiversität vor allem auf aktuelle Emissionen und Wetterereignisse schaut, ergänzt das Leipziger Forschungsteam diese Perspektive um historische Dimensionen. Indem es die Spuren menschlicher Eingriffe und natürlicher Dynamik aus dem Hochmittelalter bis zur Frühen Neuzeit sichtbar macht, liefert das Projekt wertvolle Hinweise dafür, wie Städte auch morgen resilienter und ökologisch verträglicher mit Wasser umgehen können.

„Nur wer die Vielschichtigkeit unserer fluvialen Vergangenheit kennt, kann angemessen auf zukünftige Herausforderungen reagieren“, fasst Dr. Schmidt zusammen. Leipzig dient damit nicht nur als historisches Fallbeispiel, sondern als Blaupause für eine nachhaltige Stadt-Fluss-Partnerschaft in Europa.



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