Handwerk in Ostdeutschland: Traditionen zwischen Generationenwandel und Fachkräftemangel

Chemnitz/Zwickau – Ein traditionsreiches Handwerk kämpft mit den Herausforderungen des demografischen Wandels, veränderten Lebensentwürfen und wirtschaftlichen Umbrüchen. In Ostdeutschland, wo über 200.000 Handwerksbetriebe ansässig sind, zeigt sich zunehmend, dass der Generationenwechsel in vielen Familienunternehmen ins Stocken gerät.

Seit Jahrzehnten galt das Handwerk in der Region als ein stabiler Pfeiler der Wirtschaft – von Elektrikern und Friseuren bis hin zu Bäckern und Gastwirten. Doch die Realität sieht heute anders aus: Viele Betriebe stehen vor der Frage, wer den Betrieb übernimmt, wenn die Gründer in den Ruhestand gehen. „Früher war es selbstverständlich, dass der Nachwuchs in den Familienbetrieb einsteigt“, erinnert sich Friseurmeister Joachim Wagner aus Zwickau. „Heute haben viele junge Menschen andere berufliche Träume oder scheuen das Risiko der Selbstständigkeit.“

Tradition und Wandel: Ein Blick in drei Betriebe
In Chemnitz betreibt die Familie Noack seit 80 Jahren die Konditorei Gränitz – ein Betrieb, der in der DDR- und Wendezeit überlebt hat und heute für seine Torten und Pralinen bekannt ist. Doch auch hier steht die Frage der Nachfolge im Raum. Christine Noack, die den Betrieb von ihren Eltern übernommen hatte, sieht sich aufgrund gesundheitlicher Probleme gezwungen, eine Lösung zu finden. Letztlich erfolgte der Verkauf an die Bäckereikette Vogt, sodass das Erbe der traditionsreichen Konditorei weitergeführt werden kann – wenn auch in veränderter Form.

Nicht weniger dramatisch ist die Situation im Friseursalon Wagner in Zwickau. Joachim Wagner, mittlerweile 71 Jahre alt und seit fünf Jahren über seine offizielle Rentenzeit hinaus tätig, hat trotz intensiver Suche und moderner Marketingmaßnahmen keinen geeigneten Nachfolger gefunden. „Mein Salon ist eine Institution“, sagt Wagner, „aber die jungen Generationen haben heute andere Vorstellungen von Beruf und Lebensgestaltung.“ Auch hier zeigt sich, dass der Fachkräftemangel und die veränderten Arbeitspräferenzen den Fortbestand eines traditionsreichen Familienbetriebs bedrohen.

Ein weiteres Beispiel liefert der Landgasthof der Familie Lanto am Rande des Spreewaldes in Brandenburg. Über Jahrhunderte hinweg war das Gasthaus ein gesellschaftlicher Mittelpunkt. Heute hingegen kämpft der Betrieb mit sinkenden Besucherzahlen und dem Fehlen eines familiären Nachfolgers. Die Tochter, die einst als potenzielle Nachfolgerin gehandelt wurde, entschied sich bewusst gegen die Übernahme – ein Trend, der sich in vielen traditionellen Gaststätten abzeichnet.

Neue Modelle als Chance?
Während einige Betriebe ihre Türen schließen müssen, gibt es auch positive Beispiele gelungener Übergaben. Die Privatbrauerei Fiedler in Oberscheibe etwa, die seit 1934 heimisches Bier produziert, zeigt, dass ein gelungener Generationenwechsel möglich ist. Vater und Sohn führen den Betrieb heute gemeinsam – trotz des anhaltenden Fachkräftemangels in der Region. Auch der Familienbetrieb der Künasts in Dermbach, der sich von einem kleinen Handwerksbetrieb zu einem mittelständischen Unternehmen für Elektroanlagen entwickelt hat, gilt als Erfolgsmodell. Hier sorgt eine enge Verzahnung von Tradition und moderner Ausbildung dafür, dass das Erbe der Vergangenheit nicht verloren geht.

Experten sehen in neuen Übernahme- und Kooperationsmodellen wie Genossenschaften oder strategischen Zusammenschlüssen mögliche Lösungsansätze, um den Fortbestand des Handwerks in Ostdeutschland zu sichern. „Es braucht innovative Ansätze, die es jungen Unternehmern erleichtern, in das Handwerk einzusteigen und gleichzeitig die Traditionen zu bewahren“, so ein Sprecher der Handwerkskammer Chemnitz.

Der Blick in die Zukunft
Der strukturelle Wandel im Handwerk ist mehr als nur ein wirtschaftliches Phänomen – er ist Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels. Junge Menschen streben heute nach einer ausgewogeneren Work-Life-Balance, während die Anforderungen in einem traditionellen Familienbetrieb häufig mit langen Arbeitszeiten und hoher Verantwortung einhergehen. Diese Entwicklungen führen dazu, dass der Fortbestand von Unternehmen, die über Generationen hinweg geführt wurden, immer häufiger in Frage gestellt wird.

Ob alternative Modelle wie Genossenschaften oder Kooperationen den Abwärtstrend stoppen können, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch, dass die Politik, die Handwerkskammern und die Betriebe selbst gefordert sind, innovative Wege zu finden, um den Strukturwandel aktiv zu gestalten. Nur so lässt sich das Erbe eines Handwerks bewahren, das tief in der ostdeutschen Kultur verwurzelt ist.

Tips, Hinweise oder Anregungen an Arne Petrich

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