Am 16. Dezember 2024 fand in der Kunsthalle Rostock das Abschlussforum der Gläsernen Werkstatt „Tram West“ statt. Diese Veranstaltung markierte den Schlusspunkt eines fünftägigen Beteiligungsprozesses, der darauf abzielte, die Stadtgesellschaft in die Planungen für eine neue Straßenbahnstrecke im Stadtteil Reutershagen einzubeziehen. Mit über 850 Teilnehmern, die in den verschiedenen Foren und Werkstätten ihre Ideen, Fragen und Kritik einbrachten, wurde ein beachtliches Engagement der Bürgerinnen und Bürger erzielt. Organisiert und moderiert wurde der Prozess von der Agentur IFOG in Zusammenarbeit mit der Rostocker Straßenbahn AG (RSAG), dem Planungsbüro VCDB und Vertretern der Rostocker Verwaltung.
Bereits in seiner Eröffnungsrede betonte der Präsident der Bürgerschaft und hauptamtliche Arzt Dr. Heinrich Profeth die Bedeutung des Projekts für die Stadt. Er verglich die Erweiterung des Straßenbahnnetzes poetisch mit einem Musical und sprach von einer Vision, die das Stadtleben inspirieren und aufwerten könne. Unter dem Titel „Westram Express“ forderte er die Rostocker Gesellschaft dazu auf, die geplante Strecke nicht nur als Verkehrsmittel, sondern auch als Symbol für Zusammenhalt, Vielfalt und Fortschritt zu begreifen. Diese Vision fand Widerhall bei den Teilnehmenden und wurde in den Diskussionen immer wieder aufgegriffen.
Beteiligung der Stadtgesellschaft
Der Beteiligungsprozess umfasste eine Vielzahl von Formaten, darunter offene Foren, Mitmachstationen und Fokusgruppen. Diese boten den Bürgern die Gelegenheit, ihre Ansichten zu den geplanten Streckenführungen, Haltestellenstandorten und weiteren infrastrukturellen Fragen einzubringen. Besonders kontrovers wurde die geplante Trassenführung durch Kleingartenanlagen diskutiert. Hier zeigte sich die emotionale Bindung vieler Rostocker an die Grünflächen der Stadt. Auch ökologische Fragen, wie der Erhalt von Bäumen und die Schaffung von Ausgleichsflächen, standen im Fokus der Gespräche.
Die Gläserne Werkstatt war jedoch nicht nur ein Forum für Kritik, sondern auch für konstruktive Anregungen. Viele Bürger brachten innovative Ideen ein, etwa zur barrierefreien Gestaltung der Haltestellen und Bahnen. Die Hinweise wurden von Mitarbeitern der IFOG digitalisiert, kategorisiert und an die Planer weitergeleitet. Ziel ist es, diese Inputs in den weiteren Planungsprozess einfließen zu lassen, um eine möglichst bürgernahe Umsetzung zu gewährleisten.
Ein zentraler Punkt der Diskussion war die Einbindung von Schulen in die Streckenplanung. Besonders das Christophorus-Gymnasium wurde als wichtiger Ankerpunkt identifiziert. Eltern begrüßen die geplante Anbindung, da sie eine Entlastung des Individualverkehrs vor der Schule erwarten. Gleichzeitig wurden Bedenken über die Verlagerung von Haltestellen laut, insbesondere im Hinblick auf ältere Menschen, die nun längere Wege in Kauf nehmen müssten.
Kritik und Kontroversen
Obwohl die Erweiterung des Straßenbahnnetzes bereits im Klimaschutzkonzept der Stadt verankert ist, stieß das Projekt auch auf Widerstand. Kritische Stimmen bezweifelten, dass die neue Strecke die prognostizierten Fahrgastzahlen erreichen werde. Einige Kleingärtner äußerten Unverständnis darüber, warum ihre Parzellen der neuen Trasse weichen müssten. „Wenn der Kleingarten weg ist, brauchen die alten Leute nicht mehr hinzufahren,“ erklärte ein Teilnehmer, der sich für den Erhalt der Gartenanlagen einsetzte. Die Stadtverwaltung versprach, Ersatzflächen in der Nähe zu schaffen und ein umfassendes Kleingartenentwicklungskonzept umzusetzen. Dennoch bleibt die Frage, wie der Verlust von Grünflächen in einer wachsenden Stadt kompensiert werden kann, ein zentraler Streitpunkt.
Auch die wirtschaftlichen Aspekte des Projekts wurden hinterfragt. Einige Teilnehmer zweifelten an der Kosteneffizienz der neuen Strecke und forderten mehr Transparenz in der Finanzplanung. Vertreter der RSAG zeigten sich jedoch zuversichtlich, dass das Projekt langfristig sowohl ökologische als auch ökonomische Vorteile bringen werde.
Umwelt- und Verkehrsplanung
Die neue Straßenbahnstrecke ist ein zentraler Baustein in Rostocks Bemühungen, den Verkehr nachhaltiger zu gestalten. Die Entlastung des Straßennetzes und die Reduzierung des CO2-Ausstoßes sind Hauptziele des Projekts. Antje Angele, Direktorin des Rostocker Zoos, unterstrich die Bedeutung des ÖPNV für touristische Attraktionen und sprach sich für eine starke Anbindung des Zoos aus. Gleichzeitig forderte sie, die Parkplatzsituation für Autofahrer nicht zu vernachlässigen.
Neben der Integration von Grün- und Naherholungsflächen spielt auch die Barrierefreiheit eine entscheidende Rolle. Alle Haltestellen sollen so gestaltet werden, dass sie für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen problemlos zugänglich sind. Vertreter des Planungsamts betonten, dass diese Aspekte bereits in frühen Planungsphasen berücksichtigt wurden und weiter verfeinert werden sollen.
Der Weg nach vorne
Die Ergebnisse der Gläsernen Werkstatt werden nun ausgewertet und dokumentiert. Die Agentur IFOG wird diese Informationen an die RSAG und die Planer übermitteln, die darauf aufbauend konkrete Lösungsvorschläge entwickeln werden. In den kommenden Monaten sind weitere Planungswerkstätten vorgesehen, in denen die Bürger erneut eingebunden werden. Ziel ist es, eine Vorzugsvariante zu erarbeiten, die möglichst vielen Interessen gerecht wird.
Thorsten Fischer, seit August Leiter des Rostocker Planungsamts, hob in seinem Schlusswort die überregionale Bedeutung des Projekts hervor. Ein modernes Straßenbahnnetz stärke nicht nur die Attraktivität Rostocks, sondern könne auch anderen Städten als Vorbild dienen. „Das ist ein absolutes Vorzeigeprojekt, das eine Strahlkraft über die Stadt hinaus haben wird,“ erklärte Fischer.
Die Gläserne Werkstatt „Tram West“ war ein Erfolg, der zeigt, wie effektiv Bürgerbeteiligung in der Stadtplanung sein kann. Der offene Dialog zwischen Verwaltung, Planern und Stadtgesellschaft ermöglichte es, unterschiedliche Perspektiven einzubringen und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Trotz der Kontroversen bleibt die Erweiterung des Straßenbahnnetzes ein wichtiger Schritt für ein klimafreundliches und zukunftsorientiertes Rostock. Die kommenden Monate werden zeigen, wie die Ergebnisse des Beteiligungsprozesses in die Praxis umgesetzt werden und welche langfristigen Auswirkungen dieses Projekt auf die Stadt haben wird.