Der 1. Mai 1972 in Magdeburg stand, wie überall in der DDR, im Zeichen der Arbeiterbewegung und der sozialistischen Ideale. Der „Tag der Arbeit“ war in der DDR ein staatlicher Feiertag, der von der SED-Führung propagandistisch genutzt wurde, um die Errungenschaften des Sozialismus zu feiern und die Solidarität der Arbeiterklasse hervorzuheben. Die Feierlichkeiten begannen traditionell mit großen Demonstrationen, an denen Tausende von Menschen aus unterschiedlichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilnahmen. Arbeiter aus Fabriken, Lehrer, Schüler und Mitglieder der Jugendorganisation FDJ marschierten in geordneten Reihen durch die Straßen, geschmückt mit Fahnen, Transparenten und Porträts der sozialistischen Führer wie Erich Honecker und Walter Ulbricht.
In Magdeburg, einer der wichtigen Industriestädte der DDR, war der 1. Mai 1972 besonders von der Bedeutung der dort ansässigen Großbetriebe geprägt. Werke wie das Schwermaschinenbaukombinat „Ernst Thälmann“ (SKET) und das Elektromaschinenbauwerk „Karl Liebknecht“ waren zentral für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt und der gesamten DDR. Die Arbeiter dieser Betriebe spielten eine zentrale Rolle in den Feierlichkeiten. Sie wurden von der Staatsführung als „Helden der Arbeit“ gefeiert, und ihre Produktionsleistungen wurden in den Reden der Funktionäre besonders hervorgehoben.
Die Hauptkundgebung fand traditionell auf dem großen zentralen Platz der Stadt statt, wo Tausende von Magdeburgern zusammenkamen, um den Reden der Parteifunktionäre zu lauschen. Diese Reden folgten einem klaren Muster: Die Errungenschaften des sozialistischen Systems wurden gelobt, der „antifaschistische Schutzwall“ (die Berliner Mauer) als notwendiger Schutz gegen den Imperialismus dargestellt, und die Solidarität mit den kommunistischen Ländern, vor allem der Sowjetunion, betont. Die Stimmung auf den Veranstaltungen war offiziell immer optimistisch und von einer kollektivistischen Atmosphäre geprägt, obwohl es auch in Magdeburg Menschen gab, die das System kritisch sahen. Solche Stimmen wurden jedoch in der Öffentlichkeit nicht zugelassen.
Neben den politischen Kundgebungen gab es ein buntes Rahmenprogramm, das vor allem auf die Unterhaltung der Familien abzielte. Volksfeste mit Karussells, Musik- und Tanzdarbietungen sowie Essensstände sorgten dafür, dass der Tag für viele auch eine Gelegenheit zur Erholung und zum geselligen Beisammensein war. Die Teilnahme war in vielen Bereichen faktisch verpflichtend, besonders für die Mitglieder der SED und der Massenorganisationen wie der FDJ. Dennoch gab es auch eine echte Begeisterung für den 1. Mai, vor allem bei denen, die das Ideal einer klassenlosen Gesellschaft teilten.
Der 1. Mai 1972 in Magdeburg war somit eine Mischung aus politischem Ritual, Massenveranstaltung und sozialistischem Volksfest. Die Feierlichkeiten dienten nicht nur der Festigung der politischen Ordnung, sondern auch als Ausdruck der gesellschaftlichen Integration, in der die Arbeiterklasse als tragende Säule des Staates gefeiert wurde. In der Retrospektive kann dieser Tag als ein Beispiel für die Inszenierung von Macht und Gemeinschaft in der DDR gesehen werden, die in vielen Städten des Landes ähnliche Formen annahm.