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NVA-Panzer rollen durchs Wasser: Hightech-Training für das Gefecht in Mitteleuropa

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Potsdam, 1985 – Ein Ausbildungsfilm des Filmstudios der Nationalen Volksarmee (NVA) gewährt tiefe Einblicke in die hochkomplexe Ausbildung zum Überwinden von Wasserhindernissen mit Schützenpanzern (SPz). Unter dem Titel „Wasserfahrt mit SPz – Ausbildungsfilm der NVA“ wird die akribische Vorbereitung und Durchführung dieser Manöver gezeigt, die für die geografischen Gegebenheiten Mitteleuropas als entscheidend für die militärische Meisterschaft galten.

Der Film, der die Ausbildung einer Kompanie bei der Überwindung von Wasserhindernissen in Kolonnenform dokumentiert, verdeutlicht die Ernsthaftigkeit und Präzision, mit der die NVA ihre Besatzungen schulte. Das Ziel: Jedes Besatzungsmitglied sollte seine Kenntnisse der Vorbereitungsarbeiten an Land vertiefen, im kollektiven Handeln die erforderlichen Fertigkeiten erwerben und Erfahrungen sammeln. Jede Arbeit musste exakt durchgeführt werden, denn diese Ausbildung war eine direkte Vorbereitung auf das Gefecht.

Der Weg zum Wasser: Akribische Planung und Vorbereitung
Der Ausbildungsprozess begann lange vor dem eigentlichen Eintauchen ins Wasser. Pioniere klärten im Vorfeld die Strömungsgeschwindigkeit auf, und die Strecke wurde in mehrere Abschnitte unterteilt:

Vorbereitungsraum: Dieser musste so weit vom Wasserhindernis entfernt liegen, dass Schutz vor gegnerischer Sicht und Waffenwirkung gewährleistet war. Hier wurde auch das gesamte Material (z.B. Ballast) bereitgestellt.

Ablauflinie und Kontrolldurchlassstelle: Auch dieser Bereich durfte vom Wasserhindernis nicht einsehbar sein.

Kontrollstelle: Direkt vor oder unmittelbar am Wasserhindernis eingerichtet.

Übersetzstelle: Der eigentliche Punkt der Wasserüberquerung.

Die Vorbereitung war in zwei Etappen gegliedert. Die erste umfasste die Arbeiten im Vorbereitungsraum und die Überprüfung in der Kontrolldurchlassstelle. Die zweite Etappe beinhaltete abschließende Vorbereitungen und die Endkontrolle unmittelbar vor der Wasserfahrt. Der Stellvertreter des Kompaniechefs für Technik und Bewaffnung war verantwortlich für die Einweisung der Besatzungen und die Vorbereitung der Fahrzeuge.

Perfektion bis ins Detail: Die Aufgaben der Besatzung
Die Verantwortung für die sachgemäße und exakte Vorbereitung der Kampftechnik lag bei jedem Besatzungsmitglied, wobei der Kommandant die Gesamtverantwortung trug. Die Checks waren umfassend:

Flüssigkeitskontrolle: Der Fahrer prüfte Ölstände im Motor und Getriebe sowie die Kraftstoff-, Schmier- und Kühlanlage.

Dichtheitsprüfung: Der Kommandant kontrollierte die Luftzufuhr- und Auspuffanlage auf Undichtigkeiten bei der Hauptnutzungsdrehzahl von 2000 bis 2600 Umdrehungen pro Minute. Besonders kritisch war der feste Sitz aller Lukendeckel und Verschlüsse im Wannenboden, wie des Lukendeckels unter dem Motor, der Vorwärmerluke und der Ablassschraube für den Kraftstoff. Undichte Stellen hätten den sofortigen Ausfall des Fahrzeugs bedeutet.

Sicherungen: Abschleppseile mussten korrekt ausgelegt und mit speziellen Bolzen gesichert sein, um eine schnelle Bergung im Havariefall zu garantieren. Holzkeile dienten als zusätzliche Sicherung gegen das unbeabsichtigte Lösen der Seile am Abschlepphaken.

Funktionstests: Die Funktion der Motorschutzventile, die das Eindringen von Wasser bei Motorstillstand verhindern, wurde ebenso geprüft wie die Dichtungen der Hecktüren und das ordnungsgemäße Verschließen von Kampf- und Paradeluken. Ein funktionstüchtiger Wellenabweiser und das ausgefahrene Luftansaugrohr waren essenziell, um ein Überspülen oder Ansaugen von Wasser durch den Motor zu verhindern. Wichtige Ventile, wie zum Wasserablassen aus dem Ejektor und die Lenzpumpenventile, wurden auf Sauberkeit und Gängigkeit überprüft.

Rettungsvorkehrungen: Im Havariefall musste eine Boje aufschwimmen, um Rettungskräften den Ort eines gesunkenen Fahrzeugs anzuzeigen. Auch die Einsatzbereitschaft der Lenzpumpen und des Gebläses war von großer Bedeutung, um geringe Wassermengen im Fahrzeug zu beherrschen.
Während der Ausbildung wurde zur Simulation des Gefechtsgewichts Ballast in Form von Sandsäcken geladen, da im Ernstfall die Mot-Schützen an Bord säßen.

Probebergungen und Dichtproben: Garant für Sicherheit
Vor jeder Wasserfahrausbildung war eine Probebergung obligatorisch, bei der Rettungs- und Bergungskräfte ihre Einsatzbereitschaft und ihr Können unter Beweis stellten. Dies sollte den Besatzungen die Sicherheit geben, dass für ihre Sicherheit gesorgt war.

Ein weiterer entscheidender Sicherheitsaspekt war die Dichtprobe, die in der Ausbildung bei jedem Fahrzeug durchgeführt wurde. Sie erfolgte in zwei Phasen: Zuerst bei Grundberührung und laufendem Motor, dann in der Schwimmlage. Ein Schützenpanzer galt als ausreichend dicht, wenn in zwölf Minuten nicht mehr als 20 Liter Wasser eindrangen. Im Gefecht hingegen entfiel diese Dichtprobe – hier lag es allein an der Besatzung, durch exakteste Arbeit vermeidbare Havarien zu verhindern.

Die Wasserfahrt: Fahren mit Gefühl und Technik
Beim eigentlichen Überwinden des Wasserhindernisses kam es darauf an, theoretisches Wissen mit der Praxis zu vereinen. Der Stellvertreter des Kompaniechefs für Technik und Bewaffnung leitete die Kontrolle in der Kontrolldurchlassstelle, während das Überwinden selbst vom Kommandanten der Übersetzstelle geführt wurde. Zu dessen Sicherungseinrichtungen gehörten Rettungs- und Sicherungsboot, Bergefahrzeug, Panzerzugmaschine und ein Sanitätsfahrzeug.

Die Fahrtechnik war genau festgelegt: Mit dem zweiten Gang und leicht schrägem Anstellwinkel sowie einer Motordrehzahl zwischen 1000 und 1200 Umdrehungen pro Minute wurde ins Wasser gefahren. In der Mitte des Flusses musste das Fahrzeug entgegen der Stromrichtung positioniert werden, um eine gerade Ausfahrt zu ermöglichen. Auf dem Wasser erfolgte die Fahrt im dritten Gang bei etwa 2400 Umdrehungen pro Minute, wobei sich der Fahrer am linken Winkelspiegel und einem Orientierungspunkt am jenseitigen Ufer orientierte.

Besondere Aufmerksamkeit galt den Wasserleiteinrichtungen. Bei intakten Einrichtungen waren die Strömungsverhältnisse über den Ketten normal, was gutes Manövrieren und eine Geschwindigkeit von etwa 7 km/h gewährleistete. Ohne diese Einrichtungen reduzierte sich die Geschwindigkeit auf nur 3 km/h und die Lenkbarkeit war stark eingeschränkt.

Nach dem Passieren des Wasserhindernisses wurden der Wellenabweiser gesenkt und der Luftansaugstützen eingefahren, bevor beschleunigt und hochgeschaltet wurde.

Gefechtsmäßiges Überwinden: Schnelligkeit und Überraschung
Das ultimative Ziel dieser Ausbildung war das schnelle und für den Gegner überraschende Forcieren eines Wasserhindernisses im Gefecht. Auch hier wurde ein Vorbereitungsraum bezogen. War ausreichend Zeit vorhanden, konnte eine Überdruckdichtprobe durchgeführt werden: Am hermetisierten Fahrzeug wurde ein U-Rohr-Manometer angeschlossen, und das Gebläse eingeschaltet. Ein Überdruck von etwa 30 mm Wassersäule zeigte an, dass der Schützenpanzer ausreichend dicht war.

Die Kontrolldurchlassstelle wurde auch im Gefecht analog zur Fahrübung eingerichtet und schnell, aber besonders gründlich kontrolliert. Ein nochmaliger Halt entfiel jedoch, da es später keine Möglichkeit gab, Versäumtes nachzuholen. Beim Forcieren führte der Kompaniechef seine Kompanie über das Wasserhindernis, wobei die Besatzungen die unmittelbaren Vorbereitungen in eigener Verantwortung durchführten.

Die Ausbildung der NVA verdeutlichte, dass von der Einsatzbereitschaft und der Exaktheit jedes Einzelnen – selbst bei den kleinsten Handgriffen – der Sieg im Gefecht abhing. Es war ein umfassendes Training, das die Bedeutung von Präzision, Teamarbeit und technischem Verständnis im Umgang mit anspruchsvollen geografischen Herausforderungen betonte.

Cottbus im Frühjahr 1945: Eine Stadt im Bombenhagel und die Ankunft der Roten Armee

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Cottbus, die über 1000 Jahre alte Stadt in der Niederlausitz, erlebte in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs eine tragische Zerstörung und stand im Fokus militärischer Operationen. Ein verheerender Luftangriff im Februar 1945 und die darauffolgende Einnahme durch die Rote Armee prägten die Schicksalstage einer Stadt, deren Geschichte im Schatten von Propaganda und historischen Ungenauigkeiten lange Zeit verblieb.

Die heute rund 100.000 Einwohner zählende Stadt, die 1156 erstmals urkundlich erwähnt wurde, hatte bereits vor 1945 eine wechselvolle Geschichte hinter sich, geprägt von Bränden (1600, 1671, 1857) und der Entwicklung zu einem wichtigen Zentrum der Textilindustrie und ab dem 19. Jahrhundert zu einem Eisenbahnknotenpunkt und Garnisonsstandort. Im Zweiten Weltkrieg wurde Cottbus zu einem wichtigen Produktionsstandort für Kampfflugzeuge, darunter die Focke-Wulf 190 und die viermotorige Focke-Wulf 200, wofür Teile der Textilindustrie weichen mussten. Diese Rüstungsproduktion machte die Stadt zu einem Ziel alliierter Luftangriffe.

Der verheerende 15. Februar 1945: Ein Bombenhagel trifft Cottbus
Obwohl Cottbus bereits 1940 und 1944 Ziel amerikanischer Luftangriffe war, die vor allem die Focke-Wulf-Werke trafen, ereignete sich der verheerendste Angriff am 15. Februar 1945. Ein amerikanischer Bomberpulk von 459 schweren B17 Bombern hatte sich über der Nordsee versammelt, um ursprünglich Hydrierwerke bei Magdeburg, Böhlen und Ruh Schwarzheide anzugreifen. Da das Hydrierwerk Ruh Schwarzheide jedoch unter einer dichten Wolkendecke lag, flogen die Bomber ihr Ausweichziel Cottbus an.

Um 11:51 Uhr trafen die ersten Maschinen über Cottbus ein. Die sogenannten „Pfadfinder“ hatten den Bahnhof jedoch zu kurz anvisiert, wodurch der insgesamt 1000 Tonnen schwere Bombenteppich hauptsächlich auf den Bahnhof sowie in die östlichen und südlichen Stadtgebiete fiel. Zunächst brannten Häuser am Lutherplatz und die Lutherkirche, Minuten später der Industriehof, die Kaffeefabrik und die Möbelfabrik Örtling. Wohnhäuser in der Rechnerstraße, Leipzigerstraße und Finsterwalderstraße wurden von Volltreffern getroffen. Besonders tragisch: Im Operationssaal eines Krankenhauses starben alle Ärzte und Krankenschwestern, und im Frauenzuchthaus in der Bautzener Straße kamen 39 inhaftierte Frauen ums Leben. Eine gewaltige Detonation eines auf dem Bahnhof abgestellten Munitionszuges tötete um 12:08 Uhr zudem zahlreiche Menschen, darunter Verwundete in Lazarett- und Flüchtlingszügen.

Nach nur 29 Minuten, um 12:25 Uhr, war der Angriff beendet, doch Blindgänger und Munition detonierten noch Stunden später. Die Bilanz war erschütternd: Mindestens 1000 Menschen kamen ums Leben, darunter Cottbuser und Flüchtlinge aus Schlesien, angeblich auch 400 Kinder. Mehr als 2500 Menschen wurden verletzt, und über 13.000 Einwohner wurden in den rund 3600 zerstörten oder beschädigten Häusern und Wohnungen obdachlos. Cottbus war zu 60% zerstört.

Die Festung Cottbus und der Vormarsch der Roten Armee
Nachdem die Ostfront im März 1945 die Neisse erreicht hatte, wurde Cottbus strategisch noch wichtiger. Der Flugplatz wurde erneut von der sowjetischen Luftwaffe bombardiert, die längst die Lufthoheit erlangt hatte. Vom 16. bis 28. April 1945 folgte die sowjetische Cottbus-Potsdamer Operation, ein Teil der Berliner Operation zur Einnahme der Reichshauptstadt.

Cottbus war im Februar 1945 zur Festung erklärt worden. Als Kommandant wurde der 65-jährige Generalleutnant Rolf Sodan ernannt, der ohne jegliche Kampferfahrung an der Ostfront war und im November 1943 aus der Wehrmacht verabschiedet worden war. Die deutschen Verteidigungsstellungen entlang der Neisse, des Dransitzfließes und der Spree waren jedoch nur schwach besetzt, hauptsächlich von völlig kampfunerfahrenen und schlecht ausgerüsteten Volkssturm-Bataillonen, darunter zahlreiche Jugendliche der Hitlerjugend, Verwundete und alte Männer. Sogar Sodan selbst hatte am 19. April eine Meldung an das V. Armeekorps abgesetzt, dass eine Verteidigung der Stadt ohne aktive Kampftruppen unmöglich sei, ließ aber vorsorglich alle Spreebrücken sprengen.

Die Einnahme der Stadt: Wenig Gegenwehr
Der Umfassungsangriff auf Cottbus begann am Nachmittag des 19. April durch Brigaden der Dritten Gardepanzerarmee, unterstützt von Schlachtfliegerverbänden. Die schlecht ausgebildeten Volkssturmkompanien ergaben sich häufig ohne große Gegenwehr, wodurch die Rote Armee Ortschaft um Ortschaft einnehmen konnte. Am 20. April wurde der Kessel um Cottbus und den Spreewald geschlossen.

Am 21. April konnte das 120. Schützenkorps der Dritten Gardearmee den ostwärtigen Teil von Cottbus einnehmen. In den frühen Morgenstunden des 22. April ging das hauptsächlich aus mongolischen Soldaten bestehende 21. Schützenkorps von Süden her gegen das so gut wie nicht verteidigte Cottbus vor. Um 13:00 Uhr stand Cottbus unter der Kontrolle der sowjetischen Armee, wobei nur am Flugplatz und im Norden noch einzelne Gefechte mit sich absetzenden deutschen Truppen stattfanden.

Nachkriegswirren und historische Herausforderungen
Die ersten Besatzungswochen waren für die geschlagenen Deutschen traumatisch. Berichte über Vergewaltigungen und Plünderungen durch sowjetische Soldaten kursierten, deren Erwähnung in der sowjetisch besetzten Zone und später in der DDR jedoch tabu war.
Die historische Aufarbeitung der Ereignisse ist komplex und von Propaganda und Ungenauigkeiten geprägt. Sowjetische Nachkriegsliteratur schilderte die Dinge oft aus propagandistischer Sicht, und es gab widersprüchliche Darstellungen der Marschälle Schukow und Konjew, die beide die entscheidende Rolle bei der Eroberung Berlins für sich beanspruchten. Auch Berichte von „dreitägigen verlustreichen Kämpfen“ um Cottbus sind Übertreibungen, da in der zur Festung erklärten Stadt selbst kaum gekämpft wurde. Der ehemalige Ordonnanzoffizier von Sodan, Klaus-Jürgen Meisner, erinnerte sich Jahre später, dass die Stadt bis auf wenige Ausnahmen nicht verteidigt wurde. Sogar ein 1985 im Spiegel erschienener Artikel des Redakteurs Jörg Mettke enthielt übertriebene Opferzahlen (3000 bis 7000 statt der tatsächlichen ca. 1000 Toten) und falsche Behauptungen.

Die einzigen gesicherten Fakten sind die Einnahme der Stadt am 22. April und der Suizid des Kampfkommandanten Generalleutnant Sodan am 23. April. Auch der für die Eroberung von Cottbus verantwortliche Oberbefehlshaber der Dritten Panzerarmee, Generalleutnant Wassili Gordow, überlebte den Krieg nicht lange: Er wurde 1950 wegen versuchten Terroranschlags gegen Stalin zum Tode verurteilt und hingerichtet, aber 1956 rehabilitiert.

Nach dem Krieg wurde Cottbus Teil der sowjetischen Besatzungszone, ab 1949 der DDR, und 1952 zur Hauptstadt des neu gegründeten Bezirks Cottbus. Nach der Wiedervereinigung entwickelte sich die Stadt an der mittleren Spree zu einem wichtigen Dienstleistungs-, Wissenschafts- und Verwaltungszentrum, das nach dem Ende des Braunkohleabbaus mit dem Bau des Cottbuser Ostsees (Deutschlands größtem künstlichen See) eine neue Ära einläutete. Die Schicksalstage von 1945 bleiben jedoch ein mahnendes Kapitel in der langen Geschichte der Stadt.

Als die Mauer fiel – Herleshausen im November ’89

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Herleshausen, November 1989 – Die kleine Grenzgemeinde, die sich in diesen historischen Tagen „wie eine Stadt gebärdet“, wurde nach einer bewegenden ökumenischen Kundgebung in Fulda zum emotionalen Epizentrum des wiedervereinigten Deutschlands. Hunderte von Trabanten und Wartburgs quälten sich mühsam durch die engen Gassen, gefüllt mit DDR-Bürgern, die zwischen ungläubigem Staunen über eine Welt voller Waren und der überwältigenden Freude langerwarteter Wiedersehen pendelten.

Das Bild, das sich den Bundesbürgern in Herleshausen bot, war in seiner Form paradox: Lange Warteschlangen vor den Geschäften – ein Anblick, den Westdeutsche bislang nur aus der DDR kannten, dort allerdings als Zeichen der Mangelwirtschaft. Hier jedoch standen die Menschen Schlange, um Einlass in die kleinen Verkaufsräume zu erhalten, die dem riesigen Ansturm kaum gewachsen waren. Die lokalen Händler, die sich auf den großen Zustrom vorbereitet hatten, erlebten einen wahren Hochkonjunktur und freuten sich über die zahlreichen Besucher aus dem Osten.

Das „Warenwunder“ – Eine Flut der Sinne
Für viele DDR-Bürger war die Konfrontation mit dem Warenangebot eine überwältigende Erfahrung. Eine Besucherin aus Dresden beschrieb es als „etwas ohne Worte“. Besonders Obstlieferungen wie Weintrauben, die 40 Jahre lang im Osten nicht zu sehen waren, lösten Staunen aus. „Dies haben wir nicht eine Weintraue zu sehen gekriegt. Keine keine fürs nichts. Es ist ja traurig 40 Jahre nach dem Quiek“, klagte ein anderer Besucher, dessen Worte die tiefe Verbitterung über die wirtschaftliche Situation in der DDR spürbar machten. Er kritisierte, dass die Mächtigen alles beiseite geschafft hätten, während die Bevölkerung „nur gearbeitet für die DDR“ habe, ohne dass der Staat etwas für sie getan habe.

In den Geschäften selbst herrschte nach dem Staunen oft Verwirrung. „Im Moment geht alles so durcheinander. Wir wissen ja gar nicht, was wir kaufen sollen“, gestand die Besucherin aus Dresden. Trotz der lang ersehnten Möglichkeit, Waren aus nächster Nähe zu sehen und anzufassen, von denen viele bisher nur aus dem Westfernsehen wussten, verließ so mancher Besucher die Geschäfte in Herleshausen ohne etwas gekauft zu haben. Dennoch stimmte die Kasse für den örtlichen Einzelhandel, der angesichts der bisherigen Randlage des Ortes nicht gerade auf Rosen gebettet war.

Tränen der Freude: Das Ende einer erzwungenen Trennung
Doch Herleshausen war mehr als nur ein Shopping-Erlebnis. Auf den Straßen spielten sich unzählige Szenen der Wiedersehensfreude ab. Umarmungen waren allgegenwärtig, wenn sich Freunde und Verwandte aus Ost und West nach langer Zeit wieder in die Arme schließen konnten. Eine Mutter aus Eisenach traf zufällig ihren Sohn, den sie über ein Jahr nicht gesehen hatte, auf der Straße wieder. „Ich freue mich sehr, dass ich wiedersehe heute“, sagte sie sichtlich bewegt. Das Gefühl sei „gar nicht zu beschreiben“, betonten beide. „Wir haben so lange auf den Tag gewartet“, fügte der Sohn hinzu.

Die Freundlichkeit der Westdeutschen wurde von den Besuchern aus der DDR besonders hervorgehoben. „Die Menschen sind Freunde. Alles hat uns begrüßt trotz Nebel heute früh. Alles hat gewinkt. Keiner kannte uns und war freundlich zu uns“, erzählte die Dresdnerin.

Das „Begrüßungsgeld“: Ein erster Schritt zur Freiheit
Ein zentraler Anlaufpunkt waren die langen Warteschlangen vor der Gemeindeverwaltung, der Sparkasse und der Post. Hier erhielten die Besucher das sogenannte Begrüßungsgeld – 100 D-Mark aus Bundesmitteln, die jedem DDR-Bürger zustanden. Auch wenn das Geld zeitweise nicht ausreichte, wartete die Menge geduldig auf Nachschub. Für viele war dies die erste Möglichkeit, Dinge zu kaufen, die lange Zeit unerreichbar waren.

Das Geschenk des Weststaates war zwar bescheiden, doch es symbolisierte einen Neuanfang. Viele äußerten den Wunsch, beim nächsten Besuch am liebsten mit „eigenem Geld“ wiederzukommen. Herleshausen wurde so zu einem Mikrokosmos des Wandels – einem Ort, an dem sich die Sehnsüchte nach Konsum und Freiheit, die Wut über das Vergangene und die überwältigende Freude über die wiedergewonnene menschliche Nähe auf eindringliche Weise mischten.

Sahra Wagenknecht: Die unbequeme Stimme – Eine Dissidentin im Wandel der deutschen Politik

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Sahra Wagenknecht, geboren 1969 in Jena (damals DDR), ist seit Langem eine der umstrittensten Figuren in der deutschen Politik. Als führendes Mitglied der Kommunistischen Plattform innerhalb der PDS (heute Die Linke) und mit einer intellektuellen Schärfe, die sie von vielen ihrer Kollegen abhebt, hat sie sich immer wieder als Stimme des Widerspruchs positioniert. In einem tiefgehenden Interview mit Günter Gaus aus dem Jahr 2004 gewährte sie Einblicke in ihre politische Philosophie, ihre Kritik an der Gesellschaft und ihre persönliche Rolle als „Dissidentin“.

Wagenknecht, die im Frühjahr 1989 in die SED eintrat und später in den Vorstand der PDS gewählt wurde, wurde oft als „Dissidentin“ innerhalb ihrer eigenen Partei und der breiteren deutschen Politiklandschaft beschrieben. Ein Attribut, mit dem sie leben kann, da sie das Gefühl hat, nicht nur eine winzige Minderheit zu repräsentieren. „Ich habe sowohl von dem was ich an Post bekomme als auch an ganz direkten Reaktionen tagsüber in der S-Bahn […] das Gefühl, dass eigentlich gar nicht so wenige Leute ähnlich denken“, so Wagenknecht. Besonders in den letzten Jahren vor dem Interview, so beobachtete sie, habe sich die Resonanz verstärkt, insbesondere von jungen Leuten und Schülern. Diese jungen Menschen suchten nicht nach kleinen Steuerkorrekturen, sondern nach „grundsätzlich andere[n] Visionen, andere[n] Alternativen, andere[n] Gesellschaftsvorstellungen“. Ein ungewöhnliches Terrain für die PDS, wie ihre Einladung an ein katholisches Mädchengymnasium in Hessen zeigte, wo sie trotz anfänglicher Skepsis eine gemeinsame Basis im Gefühl fand, „dass es so wie es jetzt läuft nicht weitergeht“.

Die Notwendigkeit des Widerspruchs und die Lehren der Geschichte
Für Wagenknecht nimmt eine Gesellschaft Schaden, wenn sie zu wenig Dissidenten hat. Während die Wirtschaftselite und Lobbys zufrieden sein mögen, dass sie wenig Widerspruch erfahren, so Maaz, leide die große Mehrheit materiell und geistig. „Wenn ich mir die gängigen politischen Diskussionen angucke, es ist ja nicht nur, dass ich die Ansicht nicht teile, sondern es ist ja einfach auch vom Niveau unsäglich“, beklagt sie und sieht darin eine „Leere“ und „Ödnis“.

Sie selbst sieht sich nicht als „geborene Dissidentin“, wünscht sich sogar, in einer Gesellschaft zu leben, in der sie keine sein müsste. Doch betont sie: „ich würde mich nie verbiegen“. Ihre Einschätzung der DDR-Geschichte ist nuanciert. Sie sieht den Prager Frühling als Versuch einer ökonomischen Reform innerhalb eines sozialistischen Rahmens. Sie kritisiert die DDR, da sie mit Kritikern nicht umgehen konnte, was sie als „Zeichen von Schwäche“ und „Angst, nicht mehr argumentieren zu können“ deutet. Im Gegensatz zu vielen sieht sie den DDR-Staatschef Walter Ulbricht als den weitaus bedeutenderen Anführer im Vergleich zu Erich Honecker. Ulbricht habe frühzeitig die Notwendigkeit von Veränderungen im Wirtschaftssystem erkannt, etwa durch das Neue Ökonomische System und die Einbeziehung der Menschen, was später leider abgewürgt wurde.

Jenseits des Profits: Ein anderes Menschenbild und Wirtschaftsmodell
Wagenknecht glaubt nicht an einen „neuen Menschen“, sondern daran, dass der Mensch „immer sehr sehr unterschiedlich [war], je nachdem auch wie Verhältnisse waren“. Die heutige Gesellschaft fördere durch ihre Struktur das Egoistische und Ignorante im Menschen, weil der Einzelne ums Überleben kämpfen müsse. Sie lehnt die Vorstellung ab, dass Profit der einzige oder wichtigste Motor für Motivation sei, kritisiert den Shareholder Value, der zu kurzfristiger Renditemaximierung und Entlassungen führt. Ein sozialistisches Wirtschaftssystem müsse Anreize schaffen, um Menschen zu belohnen, die sich engagieren, ohne sie den „Wolfsgesetzen“ eines entfesselten Kapitalismus auszusetzen, der viele Menschen „kaputt macht“.

Ein ungelöstes Problem der sozialistischen Idee war für Gaus die Kontrolle und Ablösung von Macht. Wagenknecht entgegnet, Macht müsse so strukturiert sein, dass sie „immer von Basisbewegung von von direkten demokratischen Institutionen kontrollierbar bleibt“. Sie verweist auf Venezuela, wo starke basisdemokratische Elemente neben dem Parlament die alte Oligarchie erfolgreich ausgebremst hätten. Sie stimmt Rudi Dutschke zu, dass es langfristig um die Schwächung der Parteiapparate zugunsten von Basisdemokratie gehen müsse und Parteien selbst demokratischer kontrollierbar sein müssen.

Die PDS in der Zerreißprobe und die Zukunft der Gesellschaft
Für Wagenknecht ist die wesentliche Funktion der PDS „Fundamentalopposition“, die in den sozialen Auseinandersetzungen auf der richtigen Seite steht und eine Perspektive jenseits des Kapitalismus vertritt. Kompromissfähigkeit gehöre zur Politik, doch müsse man in den Grundsätzen erkennbar bleiben. Die Beteiligung der PDS an der Berliner Regierungskoalition mit der SPD sieht sie kritisch. Sie war nicht überzeugt, dass die SPD wirklich eine sozialere Politik umsetzen wollte, sondern eher, „eine Partei die im Ostteil Berlins fast 50% hatte dadurch dass man sie in die Regierung hineinnimmt im Grunde als Opposition als Protest Partei als auch mobilisierungsfaktor von Protest auszuschalten“. Dies habe der PDS in ihrer Glaubwürdigkeit zutiefst geschadet.

Die deutsche Gesellschaft stehe an einem Scheideweg, so ihre Prognose. Es gäbe zwei Wege: Entweder ein „viel stärker repressives System“, ein „amerikanisierter entfesselter Kapitalismus“, der Demokratie abbaut und rechte Populisten fördert. Oder, die von ihr erhoffte Variante, in der „starke Gegenbewegungen entwickeln auf der linken“, soziale Rechte erkämpft werden durch Straßenproteste, kämpfende Gewerkschaften und europaweite Bewegungen. Sie glaubt, dass linke Parteien hier eine entscheidende Rolle spielen müssen, und die PDS müsse sich entscheiden, ob sie beides sein wolle: in außerparlamentarischen Bewegungen aktiv und gleichzeitig in einer Regierung, die ihre Glaubwürdigkeit beschädigt.

Trotz aller politischen Kämpfe findet Sahra Wagenknecht Entspannung und Abstand beim Wandern und Lesen. Sie liebt es, Shakespeare oder Goethe zu lesen, da dies hilft, „mit all dem gelassener um[zugehen], weil man weiß natürlich auch, dass es nicht so ganz neu, solche Auseinandersetzung zu führen“. Eine Haltung, die vielleicht auch ihre Fähigkeit erklärt, über Jahrzehnte hinweg eine der lautesten und intellektuell schärfsten Kritikerinnen der herrschenden Verhältnisse in Deutschland zu bleiben.

Pastor Uwe Holmer: Glaube, Widerstand und die Kraft der Vergebung in der DDR

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Ein bewegendes Interview mit dem 96-jährigen Pastor Uwe Holmer auf dem YouTube-Kanal „Markus Ermert“ gewährt tiefe Einblicke in das Leben eines Pfarrers in der DDR, den Kampf um Glaubensfreiheit und die außergewöhnliche Entscheidung, Erich und Margot Honecker nach der Wende Obdach zu gewähren. Holmer, der seine Arbeit trotz staatlicher Repressionen als frei empfand, teilt seine Perspektive auf Freiheit, Vergebung und die befreiende Wirkung christlicher Werte.

Markus Ermert, der Interviewer, betont zu Beginn, dass Uwe Holmer mit 96 Jahren fast doppelt so alt ist wie er selbst und erinnert an die lange Zeit Holmers als Pastor in der DDR. Die Kirchenarbeit unter dem SED-Staat war bekanntermaßen nicht einfach, doch Holmer erzählt von einer besonderen Situation: Die Kirche erhielt aufgrund ihrer Geschichte als „Bekennende Kirche“ das Recht, in allen vier Sektoren zu arbeiten und ihr Eigentum zu behalten.

Der Kampf um den öffentlichen Raum und freie Glaubensausübung
Dennoch gab es ständige Auseinandersetzungen mit den Behörden, die der Kirche vorschrieben, ihre Arbeit auf den Kirchenraum zu beschränken. Holmer und seine Gemeinden ließen sich davon nicht beirren: „Wir wollten natürlich gerade raus“, erinnert er sich. So stellten sie missionarische Schaukästen an Bushaltestellen auf, verteilten Autogramme in Gärten und führten Hausbesuche sowie Bibelwochen durch. Als die Räumlichkeiten für Bibelwochen zu klein wurden und der Konsum die Nutzung verweigerte, weil „Kirche nicht rein darf“, nutzten sie einfach Scheunen von Bauern.

Holmer betont, dass sie ihre Arbeit als Pfarrer im Großen und Ganzen frei ausüben konnten, da ihr Fokus nicht auf Politik, sondern auf der Verkündigung des Evangeliums lag. Dieses Evangelium, so seine Überzeugung, verändere Menschen zum Guten und sei somit eine Form von „Politik“, die dem Staat dienlich war, indem sie „Ordnung schaffte“. Gleichzeitig gab es Spannungen, wo der Staat „atheistische Dinge“ verhängte, etwa bei der Jugendweihe, einem atheistisch geprägten Übergangsritus für Jugendliche.

Persönliche Opfer und Bildungshürden
Diese Spannungen hatten auch konkrete Auswirkungen auf Holmers zehn Kinder. Trotz guter und sehr guter Schulleistungen wurde keinem seiner Kinder der Besuch der oberen Schulstufe (Abitur) gestattet, weil sie nicht an der Jugendweihe teilgenommen hatten. „Das wollte die SED und zur Jugendweihe nicht zur Kooperation“, erklärt Holmer. Dies schränkte die freie Berufswahl erheblich ein. Holmers Kinder besuchten stattdessen eine Bibelschule, wo sie Sprachen wie Griechisch und Hebräisch lernen konnten. Zwei Jahre dieser Bibelschule wurden später von der Kirchlichen Hochschule in Leipzig für das Theologiestudium anerkannt.

Holmer beschreibt die Atmosphäre in der DDR als eine Mischung aus Vorsicht – man legte zum Beispiel Telefone in den Schrank, um Gespräche nicht abhören zu lassen – und der normalen Ausführung der eigenen Arbeit. Reisebeschränkungen waren eine Realität, doch Holmer und seine Familie blieben oft zu Hause und lernten, „dass man auch in der eigenen Schönheit leben kann“.

Die Aufnahme der Honeckers: Ein Akt der Vergebung
Nach dem Fall der Mauer leitete Holmer die Bodelschwinghschen Anstalten in Lobetal, eine Einrichtung für Obdachlose und Menschen in Not. Eine Anfrage aus Berlin im Januar 1990 sollte sein Leben und das seiner Einrichtung auf eine außergewöhnliche Probe stellen: Die Kirchenleitung fragte, ob er Erich und Margot Honecker aufnehmen könne.

Die Anfrage war eine Überraschung, zumal die Honeckers nach der Auflösung ihrer Funktionärssiedlung in Wandlitz keine andere Unterkunft fanden, da Erich Honecker fürchtete, seine Wohnung könnte von „aufgebrachten Bürgern gestürmt“ werden. Die Idee, die Honeckers in einer christlichen Siedlung mit Altenheimen unterzubringen, schien als Schutz vor dem öffentlichen Hass sinnvoll.

Holmer diskutierte drei Stunden lang mit seinen Mitarbeitern. Es gab Bedenken wegen der fragilen Bewohner (Kranke, geistig Behinderte, psychisch Schwache) und der erwarteten Proteste. Doch dann erinnerte sich das Team an das sonntägliche Gebet: „Vergeben uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern“. Diese Frage – können wir das weiterhin beten, wenn wir es nicht tun? – überzeugte schließlich alle neun Direktionsmitglieder. Trotz Raummangels – es gab 60 Vorausanmeldungen für Altenheimplätze – fand Holmers Frau eine Lösung, indem sie zwei Zimmer im eigenen Haus freimachten.

Die Kinder Holmers, die selbst unter dem Regime gelitten hatten, reagierten erstaunlich. Statt Rebellion herrschte in der Familie eine „Grundstimmung der Dankbarkeit“ und Freude über die Wende und den Mauerfall, was die Vergebung erleichterte. Holmer selbst empfand keinen inneren Groll.

Die befreiende Kraft der Vergebung
Holmer erläutert seine Motivation zur Vergebung: „Wer selbst aus Gottes Vergebung gelebt hat, der kann vergeben und der muss vergeben“. Diese Überzeugung teilte er auch einem Fernsehteam mit. Daraufhin stürmte ein Mann voller Wut auf ihn zu und behauptete, Holmer habe kein Recht zur Vergebung, da er selbst nichts durchgemacht habe. Der Mann, der in Bautzen, einem der schlimmsten DDR-Gefängnisse, inhaftiert gewesen war, war zutiefst verbittert.

Holmer konfrontierte ihn mit seinen eigenen Erfahrungen: die verwehrte Oberschulausbildung seiner Kinder, Behinderungen im Kirchendienst und sogar Gefängnisandrohungen. Doch seine wichtigste Botschaft war: „Wenn Sie nicht vergeben, frisst Ihre Bitterkeit Sie auf“. Die Verbitterung würde ihn innerlich zerstören und ihm den Schlaf rauben. Diese Worte ließen den Mann nachdenken, bis er schließlich sagte: „Sie haben Recht, ich muss vergeben und ich will vergeben“.

Für Holmer ist dies der Kern der „Freiheit eines Christenmenschen“: die eigene Schuld zu erkennen und zu vergeben sowie anderen zu vergeben. Er praktiziert dies auch in seiner Ehe, indem er Ärger nicht über Nacht stehen lässt, sondern Konflikte „gleich vor der Sonne“ klärt, um das Herz nicht zu verhärten.

Erich Honecker selbst zeigte keine Dankbarkeit oder eine innere Wandlung. Er blieb ein überzeugter Marxist. Margot Honecker hingegen war überrascht und vielleicht auch nachdenklich, als Holmers Frau erwähnte, dass ihre Kinder wegen der Jugendweihe nicht auf die Oberschule durften – eine Anordnung, die Margot Honecker selbst zu verantworten hatte. Holmer betont, dass sie ihre Entscheidung zur Aufnahme der Honeckers nicht aus politischer oder geistlicher Übereinstimmung, sondern aus dem Willen zur Vergebung trafen.

Die bewusste Entscheidung „Ich vergebe“ ist laut Holmer eine Tat, die befreit. Vergebung ist nicht nur ein Wunsch, sondern ein aktiver Akt des Loslassens, der das eigene Herz von Bitterkeit befreit und zu wahrer Freiheit führt.

Greifswalds verlorene Schönheit: Ein fotografisches Vermächtnis des Abrisses

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Greifswald in den 1980er Jahren war Schauplatz einer radikalen Umgestaltung, die das mittelalterliche Antlitz der Hansestadt für immer veränderte. Während die DDR mit dem größten Kernkraftwerk des Landes auf Modernität setzte, zerfiel die Altstadt unter den Augen ihrer Bewohner und wurde schließlich systematisch abgerissen. Der Fotograf Robert Konrad hielt das „Sterben der Altstadt“ mit seiner Kamera fest und wurde dafür von der Stasi verfolgt.

Die Altstadt von Greifswald sah in den frühen 80er Jahren aus „wie nach dem Krieg, verkommen in der Mangelwirtschaft“. Paradoxerweise war Greifswald 1945 unversehrt geblieben, da Stadtkommandant Petershagen die Stadt kampflos an die Sowjets übergeben und sie somit vor der Zerstörung gerettet hatte. Doch der anschließende Zerfall während der DDR-Zeit war für viele nicht minder tragisch. Petershagens Witwe warnte 1980 in einem Brief an Erich Honecker vor dem „endgültigen Untergang der alten Stadt“ und einer „nicht wiedergutzumachenden Zerstörung“.

Greifswald wurde neben Gotha und Bernau zur „Teststadt für die sozialistische Umgestaltung von Altstädten“. Über 300 historische Gebäude, darunter viele denkmalgeschützte, wurden abgerissen. An die Stelle von Patrizierhäusern trat die moderne Platte. Dabei wurde keine einzige archäologische Grabung durchgeführt; stattdessen erfolgte der Abriss im Akkord.

Die Beweggründe waren vielfältig. Es herrschte großer Wohnungsmangel, und die alten Häuser waren oft in einem erbärmlichen Zustand: „feuchte Wohnungen, kaputte Dächer, Kachelöfen, Außentoiletten“ – ein Bild von „grau in grau“. Sabine Rotcher und Petra Prei, die seit 1956 in Greifswald lebten, erlebten den Abriss bewusst und empfinden heute noch eine gewisse Traurigkeit, können ihn aber auch verstehen. Sie erinnern sich an den Ausspruch „Ruinen schaffen ohne Waffen“.

Die Lebensbedingungen waren schwierig. Ganze Viertel waren „total von Ratten besetzt“, was zu Geschichten führte, bei denen selbst Kinder die Gefahren erkannten. Aus reinem Selbstschutz nahmen die Bewohner ihre sterbende Stadt im Alltag kaum noch wahr. Doch bei Besuch, insbesondere aus der Bundesrepublik, wurde ihnen schmerzlich bewusst, wie die Stadt aussah, und sie empfanden Scham.

Der Abriss zog sich sieben Jahre lang hin. Mitten in diesem Klima des Untergangs versuchten Studenten, die alten Gebäude zu retten, indem sie einfach einzogen. Robert Konrad, der ebenfalls dort lebte, konnte nur dokumentieren. Die Ideologie der DDR, die Privateigentum ablehnte, und der chronische Mangel an Baumaterial erschwerten jegliche Rettungsversuche zusätzlich. Immerhin konstruierte die DDR-Bauakademie eine spezielle Platte mit Backsteinelementen, eine „hilflose Hommage an die Hansestadt“.

Ursprünglich sollten bis auf wenige alte Häuser und die Kirchen fast alle Gebäude abgerissen werden. Doch kurz vor dem Mauerfall ging der DDR das Geld aus, und so blieb es bei einem Teil dieses Viertels im Plattenbau-Stil. Die beiden Greifswalderinnen haben sich an das Verschwinden der alten Häuser gewöhnt.

Für Robert Konrad leben die alten Häuser nur noch auf seinen Fotos weiter. Er ist heute als Architekturfotograf weltweit unterwegs, doch die Wehmut bleibt. An den „tragischen Abriss“ wird er sich wohl nie gewöhnen. Seine Ausstellung wird als umso wichtiger erachtet, da sie das festgehalten hat, was sonst in Vergessenheit geraten würde. Die Fotos sind ein unschätzbares historisches Dokument einer verlorenen Zeit und einer radikal veränderten Stadt.

Magdeburgs 800. Stolperstein: Ein Denkmal gegen das Vergessen

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Magdeburg setzt ein weiteres Zeichen gegen das Vergessen: In diesen Tagen wird der 800. Stolperstein in der Stadt verlegt. Diese kleinen, glänzenden Gedenksteine, die vor den letzten selbstgewählten Wohnorten der Opfer des Nationalsozialismus in das Pflaster eingelassen werden, erinnern an Schicksale, die niemals in Vergessenheit geraten dürfen. Das Netzwerk der „Stolpersteinpaten“ wächst stetig und sorgt dafür, dass die Erinnerung an die Namen auf den mittlerweile 16 Jahre lang verlegten Stolpersteinen lebendig bleibt.

Wilhelm Kronheim: Ein angesehener Kaufmann und sein tragisches Ende
Der 800. Stolperstein, der am 3. April um 10:30 Uhr in der Sternstraße 22 verlegt wird, erinnert an Wilhelm Kronheim, einen angesehenen und für die Magdeburger Wirtschaft wichtigen jüdischen Kaufmann. Wilhelm Kronheim, geboren 1875, heiratete am 7. Oktober 1908 Anna Stern aus Paderborn. Seine Hochzeit war auch der Anlass für seinen Einstieg in den Getreidehandel, zunächst in der Firma seines Schwagers Julius Hesse.

Schon bald wollte er sich selbstständig machen und gründete eine Getreideagentur, bevor er am 27. Juni 1913 seine eigene Firma „Willem Kronheim für Getreide, Futtermittel und Sämereien“ in der Otto-von-Guericke-Straße gründete. Dies war auch das Jahr, in dem sein Sohn Heinz geboren wurde.

Die Familie Kronheim lebte in einem repräsentativen Wohnhaus in der Otto-von-Guericke-Straße 65, was zeigte, dass man mit dem Getreidehandel durchaus erfolgreich sein konnte. Wilhelm Kronheim engagierte sich auch in der jüdischen Gemeinde als Repräsentant der Synagogengemeinde und Vorsitzender der Ortsgruppe der Vereinigung für das liberale Judentum. Eine prägende Rolle spielte er im Oktober 1929, als er als einziger Magdeburger die „Erklärung deutscher Juden“ unterzeichnete. Diese Erklärung war eine Reaktion auf ein Massaker an der jüdischen Gemeinde in Hebron, bei dem 60 Menschen ums Leben kamen. Kronheim rief zur Mäßigung auf und vertrat die Ansicht, dass die Stabilisierung jüdischen Lebens in Deutschland Vorrang haben sollte, anstatt Palästina als jüdische Heimstätte zu betrachten.

Doch seine Hoffnungen erwiesen sich als trügerisch. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 wurde das Geschäft seines Vaters in Guben von SA-Angehörigen überfallen und schwer beschädigt. Die Familie Kronheim verließ Magdeburg und zog 1936 zunächst nach Miran, 1938 dann weiter nach Amsterdam in der Hoffnung auf Sicherheit. Doch die Nazis überfielen im Mai 1940 auch Holland. Wilhelm Kronheim wurde festgesetzt und sollte deportiert werden. Ihm wurde vorgeworfen, 97.101 Reichsmark Reichsfluchtsteuer hinterzogen zu haben, wofür er 1937 vom Landgericht Berlin zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus und einer Geldstrafe von 30.000 Reichsmark verurteilt worden war. Auf dem Transport in ein Konzentrationslager nahm sich Wilhelm Kronheim in Kleve im Gefängnis das Leben, um der Deportation zu entgehen. Sein Sohn Heinz konnte nach Australien gebracht werden und überlebte, ebenso wie seine Frau Anna, die später in Australien verstarb.

Herz Baruch und Gertrud Beibus: Zwischen Deportation und stiller Güte
Ein weiteres Schicksal, an das die Stolpersteine erinnern, ist das von Herz Baruch und Gertrud Beibus. Gertrud Beibus, geborene Ebe, wurde 1892 in Magdeburg geboren und war Schneiderin. Sie heiratete 1919 Herz Baruch, der aus Polen stammte. Das Ehepaar eröffnete 1921 in der Bahnhofstraße 49a ein Geschäft für Imkereibedarfsartikel unter dem Namen „Grete Ebe“, dem Mädchennamen von Gertrud. Diese Namenswahl erwies sich als Schutz, da der Name Beibus in den von den Nazis angelegten Listen jüdischer Geschäfte nicht auftauchte und sie so einiges an Verleumdung erspart blieb.

Herz Baruch wurde jedoch Ende Oktober 1938 im Rahmen der sogenannten „Polenaktion“ verhaftet und nach Polen abgeschoben. Es gelang ihm unter dramatischen, unbekannten Umständen, nach Magdeburg zurückzukehren. Auf der Volkszählungsliste vom 17. Mai 1939 findet sich sein Name wieder an der Adresse Bahnhofstraße 49a. Doch kurz nach Kriegsbeginn, am 9. September 1939, wurde er erneut als „feindlicher Ausländer“ verhaftet und am 3. Oktober 1939 in das Konzentrationslager Buchenwald eingeliefert. Nur zehn Tage später, am 13. Oktober 1939, wurde Herz Baruch dort ermordet.

Seine Frau Gertrud überlebte die NS-Zeit und verstarb am 12. November 1973 in Magdeburg. Sie war zeitlebens von den Erlebnissen traumatisiert, wie ihre Angst vor dem Knallen und Blitzen von Silvesterfeuerwerk zeigte, das sie an den Krieg erinnerte. Trotz ihres eigenen Leidens zeigte sie eine bemerkenswerte Güte: Sie verschenkte Wechselgeld vom Einkauf und sorgte dafür, dass Kinder in ihrem Haus zu Ostern und Weihnachten Schokolade oder Geschenke bekamen.

Die Familie Koh: Ein Textilhandel und vielfältige Verfolgung
Auch die Geschwister Koh – Jenny, Max, Alfred, Willi und Meta – lebten in Magdeburg, an der ehemaligen Adresse Stefansbrücke 24-25. Ihr Haus hatte sogar einen Namen: „Zu den zwei Tauben“, dessen Gedenkstein bis heute erhalten und im Museum aufbewahrt wird. Der Vater, Louis Koh, war zunächst Klempnermeister, wechselte dann aber zum Kohlenhandel, indem er als Vertreter für die günstigen, wenn auch qualitativ minderwertigen Maria-Schin-Kohlen tätig wurde. Später begründete die Familie einen Textilhandel in der Stefansbrücke, einer Straße, die für ihre Kleidermacher bekannt war.

Die Verfolgung traf auch die Familie Koh auf unterschiedliche Weise. Alfred Koh und Willi Koh wurden 1938 bei der „Polenaktion“ nach Buchenwald verschleppt, dort gequält und misshandelt. Man nahm ihnen das Versprechen ab, Deutschland so schnell wie möglich zu verlassen. Alfred und seine Frau Friede Rapsch wanderten daraufhin nach Shanghai aus, wo sie unter schwierigen Bedingungen in einem Ghetto leben mussten.

Alfred verstarb dort am 4. August 1945. Friede konnte sich retten und kehrte nach Deutschland zurück, wo sie 1961 in Berlin verstarb. Über das Schicksal von Willi und Elise Koh, die ebenfalls nach Shanghai gingen, ist leider nichts bekannt.

Meta Koh, die ledig geblieben war, blieb in Magdeburg. Sie wurde in eines der Judenhäuser in der Westendstraße gebracht und von dort am 18. November 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert, bevor sie in Auschwitz ermordet wurde. Max Koh wurde von Berlin aus nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Jenny Koh und ihr Mann Heinrich Boldes entzogen sich der Verfolgung, indem sie sich am 10. März 1943 gemeinsam in ihrer Wohnung in Berlin das Leben nahmen.

Diese Geschichten, die durch die Stolpersteine und die Erinnerungsarbeit erzählt werden, sind ein wichtiger Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Nachfahren von Überlebenden aus den USA und Israel werden am 4. April erneut die Gelegenheit nutzen, über die Lebenswege ihrer Angehörigen zu berichten und so die lebenslangen Schmerzen, die durch die Naziverbrechen zugefügt wurden, ins Bewusstsein zu rufen. Die Verlegung jedes einzelnen Stolpersteins ist ein Akt der Erinnerung und des Gedenkens, der sicherstellt, dass die Opfer des NS-Regimes nicht vergessen werden.

Das tragische Schicksal der DDR-Ikonen nach dem Mauerfall

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Es sind Geschichten, die wie ein unsichtbarer Schatten über unserer gemeinsamen Vergangenheit liegen. Geschichten von Menschen, die einst Millionen zum Lachen brachten, gefeierte Helden auf Leinwand und Bühne, die die Herzen in festlichen Fernsehabenden berührten. Sie waren das Gesicht der Deutschen Demokratischen Republik, Ikonen einer Epoche. Doch nach dem Fall der Berliner Mauer verloren sie alles, was ihr Leben getragen hatte: das Publikum, die Anerkennung, die Sicherheit. Was blieb, war oft die bittere Realität von Vergessenheit, Armut und Einsamkeit.

Dieses Phänomen betraf nicht nur Künstler, sondern auch politische Persönlichkeiten, die vom Umbruch gnadenlos erfasst wurden. Die Geschichten dieser einst gefeierten Stars und wichtigen Persönlichkeiten der DDR mahnen uns, wie unbarmherzig die Geschichte sein kann.

Vom Rampenlicht in die Isolation: Einzelne Schicksale
Ein prominentes Beispiel ist Eberhard Esche (geb. 1933), einer der markantesten Schauspieler des Berliner Ensembles. Mit seiner eindringlichen Stimme und seinem unverwechselbaren Spiel verkörperte er die großen Heldenfiguren der DDR-Bühne. Doch nach der Wende zeigten die westdeutschen Bühnen wenig Interesse an den Stars des Ostens. Esche fand sich in einer Welt wieder, die seine Vergangenheit kaum noch gelten ließ, spielte nur noch kleinere Rollen und starb 2006 an Krebs, in materieller Unsicherheit und mit dem Gefühl, dass seine Kunst im vereinten Deutschland keinen Platz mehr hatte.

Auch der leidenschaftliche Regisseur und Intendant Hannes Fischer (geb. 1925), der in Dresden das Theater prägte, erlebte einen dramatischen Absturz. Mit dem Fall der Mauer zerbrach sein Lebenswerk, seine künstlerische Stimme galt plötzlich als überholt. Fischer starb noch im Dezember 1989, einsam, erschöpft und gebrochen, kaum beachtet von der westdeutschen Presse.

Die visionäre Regisseurin Ruth Berghaus (geb. 1927), bekannt für ihre avantgardistischen Inszenierungen, sah ihre Ästhetik im Westen als „überholt“ und „politisch belastet“ bezeichnet. Aus der gefeierten Künstlerin wurde eine Randfigur, und sie starb 1996 fast vergessen.

Ein besonders tragisches Ende fand Margo Ebert (geb. 1926), über Jahrzehnte das vertraute Gesicht des DDR-Fernsehens und ein Star der Weihnachtsprogramme. Nach der Wiedervereinigung verschwanden ihre Sendungen, und ihre Popularität fand im Westen keinen Wiederhall. Ebert lebte zurückgezogen, die Einsamkeit lastete schwer auf ihr, und sie setzte 2009 ihrem Leben selbst ein Ende – ein tragisches Finale, das zeigt, wie gnadenlos Ruhm vergehen kann.

Selbst mächtige Persönlichkeiten wie Peter Sindermann (geb. 1915), einst Vorsitzender des Ministerrates der DDR, verloren nach der Wende alles. Entkleidet seiner Macht, verfolgt von Vorwürfen und Ermittlungen, starb er 1990 in tiefer Isolation in Ostberlin, begleitet von keinen großen Nachrufen.

Der Glanz erlosch: Schauspieler im Abseits
Viele Schauspieler, die einst im Rampenlicht standen, mussten ebenfalls einen bitteren Preis zahlen. Hans-Peter Minetti (geb. 1926), ein prägender Schauspieler der DDR-Kinowelt und Darsteller idealistischer Helden, fand nach 1990 kaum noch Rollenangebote. Er lebte zurückgezogen in Berlin und starb 2006 nahezu unbeachtet in bedrückender Stille.

Der beliebte Nebendarsteller Fred Delmare (geb. 1922), bekannt für sein schelmisches Lächeln in unzähligen Komödien, erlebte ein ähnliches Schicksal. Für Schauspieler, die eng mit dem System verbunden waren, gab es plötzlich keinen Platz mehr. Delmare lebte von einer bescheidenen Rente und starb 2009 in einem Pflegeheim, ohne große Schlagzeilen.

Doris Abeser (geb. 1935), eine populäre Fernsehschauspielerin der 60er und 70er Jahre, geriet wie viele Kollegen ins Abseits. Von Ruhm und Anerkennung blieb kaum mehr als eine ferne Erinnerung, und sie starb 2016 nach langen Jahren der Vergessenheit.

Selbst der renommierte Charakterdarsteller Erwin Geschonek (geb. 1906), mehrfach ausgezeichnet und verehrt, verlor im vereinten Deutschland an Bedeutung. Trotz seiner Lebensleistung zählte seine Größe in der neuen Gesellschaft kaum noch, und er starb 2008 hochbetagt, aber einsam und weitgehend vergessen.

Ein weiteres tragisches Beispiel ist Günther Simon (geb. 1925), das Gesicht des DDR-Kinos der 50er und 60er Jahre, der als Ernst Thälmann zum Staatshelden wurde. Hinter der glänzenden Fassade litt er unter enormem Druck, stürzte in eine tiefe persönliche Krise und starb 1972 mit nur 47 Jahren, ausgelaugt und vergessen.

Ein Vermächtnis, das nicht verstummen darf
Die Geschichten dieser Persönlichkeiten offenbaren eine bittere Wahrheit: Sie waren einst gefeierte Stars, Helden der DDR-Kultur, verehrt von Millionen. Doch mit dem Fall der Mauer zerbrach ihr Fundament. Aus Idolen wurden Menschen, die in der neuen Gesellschaft keinen Platz mehr fanden. Ruhm verwandelte sich in Vergessenheit, Anerkennung in Spott, Sicherheit in Armut.

Die Frage bleibt: Hätte man ihre Lebensleistung stärker würdigen müssen? Ihr Ende mahnt uns, wie gnadenlos Geschichte sein kann. Doch die Erinnerung darf nicht verstummen. Indem wir ihre Schicksale erzählen, geben wir ihnen ein Stück Würde zurück und bewahren ihr Vermächtnis als Teil unserer gemeinsamen Vergangenheit.

Der Ruf nach Freiheit: Wie die DDR am eigenen Anspruch zerbrach

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Berlin, Deutschland – Das Ende der Deutschen Demokratischen Republik im Spätherbst 1989 wird von vielen als „Wunder“ empfunden. Es war das Ergebnis eines langen politischen Prozesses, der nicht vom Westen initiiert oder unterstützt wurde, sondern allein von den Menschen der ehemaligen DDR getragen wurde. Dieses Wunder hatte jedoch eine lange Vorgeschichte, geprägt von einem unlösbaren Konflikt zwischen dem Versprechen von Sicherheit und der Unterdrückung von Freiheit.

Helsinki 1975: Hoffnung und Keim des Zerfalls
Die Teilnahme an der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki 1975 wurde von der DDR-Führung als Höhepunkt ihrer Außenpolitik betrachtet. Man hoffte, damit die Spaltung Europas und Deutschlands zu überwinden. Für andere war die Schlussakte von Helsinki der Anfang vom Ende der DDR. Denn mit ihr wurden erstmals die Werte von Freiheit, Demokratie und Menschenwürde auch für den sowjetischen Machtbereich zum Gegenstand internationaler Verhandlungen. Erich Honecker garantierte seinen Bürgern die Reisefreiheit, die Familienzusammenführung und den Austausch von Kultur und Informationen. Als die Parteizeitung die Schlussakte veröffentlichte, war sie sofort ausverkauft. Viele erkannten: „wenn das verwirklicht wird, was in Korb 3 steht, dann bekommen wir einen ganz anderen Staat, ein ganz anderes Land“.

Die Führung der DDR erkannte zwar, dass viele Menschen das Recht auf Ausreise für sich einfordern würden. Doch die Hoffnung einiger, das Land von innen zu verändern, war ebenfalls groß.

Zwischen Zufriedenheit und Zensur: Die innere Zerrissenheit
1976 erhielten westliche Journalisten erstmals die Möglichkeit, „Man-on-the-Street-Opinion“ in der DDR einzufangen. Während einige Bürger angaben, „sehr zufrieden“ mit ihrem Staat zu sein, weil dieser eine „Friedenspolitik“ betreibe und für die Werktätigen alles tue, äußerten andere den Wunsch nach „Klamotten“ und Reisen in die Bundesrepublik. Manch einer konnte sich bereits damals eine Wiedervereinigung vorstellen: „Das sind alle deutsche Menschen. Warum sollte das nicht anders sein?“.

Doch die Hoffnung auf Reform und Pluralismus wurde schnell zerschlagen. Der SED-Parteitag 1976 verkündete, die „Diktatur des Proletariats ist die höchste Form der Demokratie“. Alternative Ideen, besonders innerhalb der Partei, wurden nicht toleriert. Regimekritiker wie Robert Havemann wurden unter Hausarrest gestellt, und der Ökonom Rudolf Bahro wurde nach der Veröffentlichung seines Buches „Die Alternative“ im Westen zu acht Jahren Haft verurteilt und später ausgewiesen. Auch Künstler wie Wolf Biermann wurden nach Konzerten ausgewiesen, da sie mit ihren Liedern das Regime herausforderten und dessen Schwäche und Angst vor dem eigenen Volk entlarvten. In den ersten drei Jahren nach den Helsinki-Verträgen verließen über 80.000 Menschen die DDR, legal und illegal.

Polnische Solidarität und die Geburt der Friedensbewegung
Die „Panik“ brach 1980 aus, als in Polen die unabhängige Gewerkschaft Solidarność gegründet wurde. Honecker trug sich mit dem Gedanken einer militärischen Intervention, erhielt jedoch keine Unterstützung, da die sowjetische Führung jede militärische Einmischung ausschloss.
Die polnischen Ereignisse inspirierten auch Bürger in der DDR zu zivilem Ungehorsam. Ein Mann befestigte eine polnische Fahne mit der Aufschrift „Solidarität mit dem polnischen Volk“ an seinem Fahrrad, was zu seiner Verhaftung und Verurteilung führte. Während in Westdeutschland Menschen offen ihre Angst vor einem Krieg auf die Straßen trugen, waren in der DDR nur offizielle Proteste erlaubt, die die staatlich verordnete Friedenspolitik unterstützten. Doch die SED fürchtete Ideen, die ihre eigene Definition von Frieden in Frage stellten.

Die Friedensbewegung der DDR forderte ab Anfang der 80er Jahre nicht nur nukleare Abrüstung, sondern klagte auch „innenpolitisch“ fehlende „Freiräume“ ein, was vom Staat „scharf bekämpft“ wurde. Die Jena-Friedensinitiative von 1980 war eine der ersten, die das Prinzip der Öffentlichkeit nutzte, um sich nicht „in kleinen Gruppen zu Hause oder in der Kirche“ zurückzuziehen. Sie arbeiteten eng mit Freunden in West-Berlin zusammen, um über westliche Medien die „Öffentlichkeit“ zu erreichen. Dies führte zu Verhaftungen und Ausweisungen, doch eine „ganz starke Welle von Solidarität im eigenen Land“, besonders aus den Kirchen und Frauengruppen, und auch aus Westdeutschland (z.B. Petra Kelly), trug die Bewegung. Trotz der Angst vor beruflichen Konsequenzen oder der Diskriminierung ihrer Kinder sahen viele den Kampf um Veränderungen als „wichtig“ an.

Wirtschaftlicher Kollaps und Gorbatschows Schatten
Die DDR-Wirtschaft wurde nicht nur durch hohe Militärausgaben, sondern auch durch die Abhängigkeit von sowjetischen Rohstoffen, eine ineffiziente Subventionspolitik und den Verkauf von Qualitätsprodukten zu Schleuderpreisen an den Westen geschädigt. In den frühen 1980er Jahren stand das Land „auf der Brücke der finanziellen Ruine“. Westliche Kredite halfen kurzfristig, doch eine dauerhafte Stabilisierung war nicht mehr möglich. Diese Kredite waren aus westdeutscher Sicht „der erste Schritt, die Abhängigkeit der DDR politisch zur Bundesrepublik bedeutend zu erheben“.

Die wachsende Kluft zwischen der privilegierten Führung und der Bevölkerung zeigte sich immer deutlicher. Massenveranstaltungen wie die Mai-Parade konnten den „riesigen Wandel zwischen den oberen und den unteren nicht verstecken“. In diesem Klima trat Michail Gorbatschow auf die weltpolitische Bühne, um den ökonomischen Verfall im Ostblock durch „Perestroika“ (Umgestaltung) zu reorganisieren. Seine Forderung nach Selbstkritik löste im Politbüro Verwirrung und Unmut aus. Während die SED „Sozialismus in DDR-Farben“ als Antwort propagierte, verdächtigten sie Gorbatschows reformfreudigere Politik. Westliche Staatsmänner wie Helmut Kohl erkannten jedoch die „historische Chance“ in Gorbatschows Politik zur Überwindung der Teilung Europas und Deutschlands.

Im Hintergrund begannen bereits die Vorbereitungen für eine Ära nach Honecker, wobei Moskau mögliche Nachfolger sondierte. Der spätere Putschist Krutschkow, damals stellvertretender Vorsitzender des KGB in der DDR, traf sich mit Hans Modrow, der von Stasi-General Markus Wolf als Gesprächspartner empfohlen wurde.

Der verzweifelte Ruf nach Veränderung
Trotz Honeckers extensiver Auslandsreisen und seines Besuchs in der Bundesrepublik 1987 wuchs der Druck im eigenen Land. Bei Rockkonzerten in West-Berlin, die von Fans im Osten besucht wurden, reagierte die Polizei aggressiv. Die jungen Leute antworteten mit „Gorbi“-Rufen. Die Versuche, der „schmerzhaften Präsenz der Allmächtigen SED zu fliehen“, wurden „immer desperater“.

Etwa 500 Rechtsgruppen veröffentlichten trotz staatlicher Repression ihre Meinungen und schufen eine „Gegenöffentlichkeit“ mit „bescheidenen Mitteln und kleinen Auflagen“, die „von Hand zu Hand“ ging und „Ermutigung“ spendete. Die Entscheidung, das sowjetische Magazin „Sputnik“ zu verbieten, das kritische Debatten über den Stalinismus führte, stieß selbst in SED-Gruppen auf Unverständnis.

Die Idee eines „demokratischen Aufbruchs“ gewann an Fahrt, inspiriert von Polen. Bürgerrechtler forderten geheime Wahlen, um das „von unten“ zu probieren. Bei den Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 wurden die Ergebnisse massiv gefälscht. Viele Bürger, die „auf keinen Fall mit Ja gestimmt“ hatten, wussten: „das wusste jeder, dass das gefälscht sein musste. Da war es dann schon explosiv“.

Tausende flohen über Ungarn und Österreich in den Westen. Das Gefühl, „der Letzte“ zu sein, der in der DDR geblieben war, breitete sich aus.

Die Revolution der Kerzen und der Fall der Mauer
In Leipzig wurde die Nikolaikirche ab 1988 zu einem entscheidenden Treffpunkt für Bürgerrechtler und Ausreisewillige. Jeden Montag um 17 Uhr versammelten sich die Menschen zum Friedensgebet. Trotz der Kenntnis des Massakers auf dem Tiananmen-Platz in China, das die Brutalität staatlicher Gewalt demonstrierte und die Volkskammer als „Bereitschaft zur Gewalt“ interpretierte, ließen sich die Demonstranten nicht einschüchtern. Viele junge Menschen hielten Woche für Woche „ihren Rücken“ hin, wurden verhaftet und gaben nicht auf. Die Informationen über die steigende Zahl der Demonstranten wurden über Westmedien verbreitet und wirkten „ermutigend“. Das „Licht der Kerzen“ wurde zu einem Symbol des Widerstands.

Bürgerrechtsbewegungen wie das Neue Forum und Demokratie Jetzt! entstanden, und in Schwante wurde eine SDP (Sozialdemokratische Partei) gegründet. Im September 1989 einigten sich die beiden deutschen Staaten auf die Ausreise der Flüchtlinge aus den Botschaften in Prag und Warschau. Als die Züge durch die DDR fuhren, versuchten Tausende an den Bahnhöfen aufzuspringen, und in Dresden kam es zu Straßenschlachten.

Am 9. Oktober 1989 fand in Leipzig die größte Demonstration in der Geschichte der DDR statt. Trotz der Angst vor Gewalt, die so groß war, dass manche „eine Beruhigungstablette“ nahmen, zeigten die Menschen „großen Mut“. Es gab keine Befehle, die Truppen des Warschauer Paktes einzusetzen, da dieser „nicht mehr als Mechanismus existierte“. Die Rufe „Wir sind das Volk!“ hallten durch die Straßen.

Die Ereignisse überschlugen sich. Erich Honecker wurde aus gesundheitlichen Gründen von seinen Funktionen entbunden. Am 4. November 1989 konfrontierten Hunderttausende bei der größten Demonstration in der Geschichte der DDR auf dem Berliner Alexanderplatz die „diejenigen oben“. Die Menschen waren sich ihrer eigenen Stärke bewusst: „Wir finden zu uns selbst. Wir werden aus Objekten zu Subjekten des politischen Handelns“.

Die entscheidende Wende kam am 9. November 1989. Das Politbüro entschloss sich, eine Reiseregelung zu treffen, die es „jedem Bürger der DDR möglich macht, über Grenzübergangspunkte der DDR auszureisen“. Als ein Journalist fragte, ob dies auch für West-Berlin gelte, zögerte Günter Schabowski einen Augenblick, sagte dann aber: „Also Ohren angelegt und durch“. Dieser Moment öffnete die Grenzen und löste eine unvergleichliche Welle der Freude und des Zusammenkommens aus.

Das Erbe: Ein „schizophrener Staat der blanken Gegensätze“
Die Revolution, oft als „Revolution der 20-Jährigen“ bezeichnet, führte zur Wiedervereinigung, bei der das westdeutsche System teilweise unhinterfragt übernommen wurde. Für viele blieb die DDR „mein Vaterland“, ein „schizophrener Staat der blanken Gegensätze“. Doch auch in diesem „Gebilde“ war „menschliches Miteinander möglich“. Die DDR war eine „Reibefläche“ für die Identität vieler und bleibt „meine Geschichte“.

Die DDR war der Versuch der Alliierten, Deutschland durch Teilung zu bändigen, und ein stalinistischer Versuch, die sozialistische Idee in die Realität umzusetzen. Sie zerbrach jedoch an ihrer eigenen „Lüge über sich selbst“ (aus vorheriger Konversation) und der Unfähigkeit, den Ruf nach Freiheit und Demokratie zu ignorieren.

Die Stasi als „Schild und Schwert“ der SED-Diktatur

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Berlin, Deutschland – Als die Deutsche Demokratische Republik vor fast 35 Jahren kollabierte, offenbarte sich das volle Ausmaß eines der furchteinflößendsten Instrumente ihrer Herrschaft: das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), bekannt als Stasi. Als „Schild und Schwert der Partei“ konzipiert, verkörperte die Stasi die „irre Sicherheitsdoktrin eines totalitären Staates“, in der „Sicherheit vor Recht“ ging und jeder Bürger als „potenzielles Sicherheitsrisiko“ galt. Ihre Geschichte ist ein dunkles Kapitel der Überwachung, Repression und psychologischen Kriegsführung, das bis heute nachwirkt.

Geburt und Entwicklung eines Überwachungsstaates
Die Wurzeln der Stasi reichen bis in die frühen Jahre der DDR zurück. Bereits 1950 wurde Wilhelm Zeisser zum ersten Staatssekretär ernannt. Die Partei hatte ihn beauftragt, eine politische Geheimpolizei aufzubauen. Doch erst der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 markierte eine dramatische Zäsur. Zeisser wurde entfernt, weil seine Agenten die Rebellion nicht schnell genug unterdrücken konnten. Der Aufstand bestärkte die Führung in der Notwendigkeit einer umfassenden Polizeigewalt.

Unter Erich Mielke, der 1957 an die Spitze des MfS trat, und mit der Hilfe von Markus Wolf, entwickelte sich die Stasi zu einer „perfekten Überwachungskraft“. Sie war nach dem Vorbild des sowjetischen KGB aufgebaut, wobei sowjetische Instruktoren bei wichtigen Entscheidungen das letzte Wort hatten. Mielkes Mantra lautete: „Wir müssen alles erfahren. Es darf nichts an uns vorbeigehen“. Bis Mitte der 1950er Jahre beschäftigte die Stasi bereits über 9.000 Mitarbeiter und wurde 1967 nach Felix Dzerzhinsky, dem Gründer der bolschewistischen Geheimpolizei (Tscheka), benannt.

Ein Netz aus Angst und Kontrolle: Die Methoden der Stasi
Die Stasi bündelte ihre Kompetenzen als politische Geheimpolizei, Untersuchungsorgan in politischen Strafsachen und geheimer Nachrichtendienst. Ihre Methoden, die als „klassenneutral“ und vergleichbar mit denen des BND oder der CIA beschrieben wurden, zielten darauf ab, jede Form von Opposition zu unterdrücken:

Geheime Informanten (IMs): Eine „ganze Armee geheimer Informanten“ wurde rekrutiert, die bis in den kreativen Sektor, in kirchliche Organisationen und sogar in die engsten Familienkreise reichte. So berichtete etwa der Autor Sascha Anderson regelmäßig an seinen Stasi-Führer.

Totalüberwachung: Die Stasi lauschte an Telefonen – allein in der Berliner Zentrale in Johannesthal konnten 400 bis 600 Anrufe gleichzeitig abgehört und von bis zu 200 Mitarbeitern ausgewertet werden. Rund 5.000 Abhörzentren waren republikweit in Betrieb. Wohnungen wurden mit Glasfasertechnik überwacht, Straßen und Häuser fotografiert und skizziert. Sogar die täglichen Fahrten Honeckers und anderer Politbüro-Mitglieder von Wandlitz nach Berlin wurden von 2.000 Mitarbeitern überwacht.

Zersetzung – Psychologische Kriegsführung: Eine der perfidesten Methoden war die „Zersetzung“, die auf die psychische Zerstörung politischer Gegner abzielte. Der Stasi verbreitete Gerüchte, um Menschen zu diffamieren, wie im Fall von Manfred Leistikow, der fälschlicherweise als Faschist und Verantwortlicher für Nazi-Graffiti dargestellt wurde. Andere Betroffene erhielten anonym pornografische Post oder erlebten, wie ungebeten Schädlingsbekämpfer oder Abschleppdienste vor ihrer Tür standen. Bei Verhören wechselten die Vernehmer zwischen „freundlich, nicht freundlich, drohend, schreiend, leise, kumpelhaft“, um die Psyche der Gefangenen zu manipulieren.

Verhaftungen und Einzelhaft: Wer ins Visier der Stasi geriet, riskierte lange Haftstrafen unter menschenunwürdigen Bedingungen. Das Schicksal von Captain Trehner, der 1962 in Österreich entführt und nach Prag verschleppt wurde, ist ein Beispiel für die Reichweite der Stasi. In den Untersuchungsgefängnissen, die der Stasi unterstanden und nicht kontrollierbar waren, wurden Untersuchungsergebnisse manipuliert und Urteile oft vorweggenommen. Ein Häftling verbrachte 10,5 Jahre in Einzelhaft, isoliert und regelmäßig in dunkle Arrestzellen („U-Boot“) gesperrt. Nach der Entlassung wurden Schweigeerklärungen erzwungen.

Gegner und Opfer: Von Intellektuellen bis zu Demonstranten
Das allsehende Auge der Stasi richtete sich gegen jeden, der das System in Frage stellte. Dazu gehörten:

Intellektuelle und Künstler: Wolf Biermann und Robert Havemann standen unter ständiger Beobachtung, Biermanns Ausbürgerung 1976 war ein klares Signal. Gegen den Autor Jürgen Fuchs, der die Konformität und den Militarismus der DDR kritisierte, wurde eine Verleumdungskampagne orchestriert.

Kirchen und Bürgerrechtler: Die Stasi verfolgte ideologische Unterdrückung in Kirchenorganisationen. In der Berliner Zionskirche, einem Symbol der politischen Opposition, wurde 1987 eine Bibliothek für Umweltprobleme gestürmt und Bürgerrechtler wie Wolfgang Templin verhaftet. Templin bemerkte später, die Stasi habe sie „völlig richtig eingeschätzt“, da sie mit der Frage nach Demokratie und Menschenrechten das Herrschaftsmonopol infrage stellten.

Demonstranten: Bei den lokalen Wahlen am 7. Mai 1989 sammelten Bürgerrechtler Beweise für Wahlmanipulationen. Die folgenden Montagsdemonstrationen, wie am 7. September 1989 auf dem Alexanderplatz, wurden brutal unterdrückt. Stasi-Mitarbeiter gingen aggressiv gegen Demonstranten vor, zerrten sie aus einem Springbrunnen und brachen einem Freund von Evelin Zupka den Arm. Solche Aktionen wurden von Stasi-Kameras gefilmt und direkt an das Ministerium übermittelt.

Der Fall und das Vermächtnis der Akten
Als die DDR im Herbst 1989 dem Ende zuging, versuchte die Stasi, ihre Spuren zu verwischen. Es gab systematische Täuschungen, bei denen Eigentum und Ausrüstung über dubiose Kanäle verkauft wurden. LKWs voller Akten wurden zum KGB oder westlichen Geheimdiensten gebracht, andere wurden geschreddert. Die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), der Auslandsgeheimdienst der Stasi, löste sich auf und überzeugte den Runden Tisch, dass Material vernichtet werden müsse, um Agenten im Ausland zu schützen – ein „schwerer Fehler“, wie nachträglich festgestellt wurde.

Bürgerrechtler kämpften verzweifelt um den Erhalt der Dokumente und besetzten die Stasi-Archive. Joachim Gauck, der den parlamentarischen Ausschuss zur Auflösung der Stasi leitete, spielte eine entscheidende Rolle. Das Ergebnis war ein riesiges Vermächtnis: „über 100 Meilen von Denunziationen“, darunter vier Millionen Berichte über DDR-Bürger und zwei Millionen über Westdeutsche. Diese Akten sind heute ein Zeugnis menschlicher Tragödien und der „Sammelwut einer außer Kontrolle geratenen Bürokratie“.

Die Stasi konnte den „Marsch der Geschichte nicht aufhalten“. Ihr Erbe bleibt eine mahnende Erinnerung an die Gefahren eines Staates, der die Freiheit seiner Bürger opferte, um die Macht einer Partei zu sichern. Das „Grüne Haus“ der sozialen Sicherheit, das die DDR zu sein vorgab (aus vorheriger Konversation), war in Wahrheit unterminiert von den dunklen Kellern der Stasi-Zellen und dem allgegenwärtigen Gefühl der Überwachung.