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Heftige Debatten im sächsischen Corona-Ausschuss

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Dresden – Der Corona-Untersuchungsausschuss im sächsischen Landtag wurde kürzlich erneut zum Schauplatz einer intensiven Auseinandersetzung über die deutsche Pandemiestrategie. Im Fokus standen der Virologe Christian Drosten, der in der Vergangenheit die Maßnahmen der Bundesregierung verteidigte und als Architekt der Coronabekämpfungsstrategie gilt, sowie der Datenanalyst Tom Lausen. Während Drosten Falschbehauptungen vehement zurückwies und seine wissenschaftlichen Einschätzungen verteidigte, warf Lausen gravierende Mängel in der Datenerhebung vor und zog die Wirksamkeit vieler Maßnahmen in Zweifel.

Drosten: Impfung verhinderte Tote, Schwedens Weg „grundlegend falsch“
Christian Drosten nutzte seine Befragung, um aus seiner Sicht „Falschbehauptungen“ klarzustellen. Er betonte, dass ein PCR-Test sehr wohl eine Infektion nachweisen könne und dass über die Unterbrechung der Übertragung durch die Impfung nicht diskutiert werden müsse, da die Datenlage hier eindeutig sei. Infektionen seien durch die Impfung zurückgegangen, zumindest bis zur Delta-Variante, und die Impfung habe garantiert Coronatote verhindert.

Die in Schweden verfolgte Pandemiestrategie bezeichnete Drosten als „grundlegend falsch“ und Vergleiche mit diesem Land als unzulässig. Er kritisierte zudem offen die Medien, die ihn seiner Meinung nach „angegriffen“ und „zerstören“ wollten, betonte jedoch, sich nicht kleinkriegen zu lassen und weiterhin zu seinen wissenschaftlichen Einschätzungen zu stehen. Drosten hob hervor, dass Kinder die gleiche Menge Viren ausscheiden könnten wie Erwachsene und jeder positive Coronatest eine Infektion bedeute. Überraschend war jedoch, dass er sich im Untersuchungsausschuss von der Maskenpflicht im öffentlichen Raum distanzierte und angab, eine symptomfreie Testung nie empfohlen zu haben. Zudem kritisierte er Wissenschaftskollegen, die seiner Ansicht nach „unwissenschaftliche Aussagen“ gemacht hätten.

Lausen: Fehlende Impfdaten und „hinterer Platz“ für Deutschland bei Übersterblichkeit
Der Datenanalyst Tom Lausen sah hingegen erhebliche Widersprüche und eine mangelhafte Datengrundlage. Er warf Drosten vor, nicht alles ergebnisoffen zu prüfen. Insbesondere bemängelte Lausen die unzureichende Erfassung von Impfdaten. Obwohl die Kassenärztliche Vereinigung gesetzlich verpflichtet war, Impfdaten – nicht nur zu Schäden, sondern alle relevanten Informationen – an das Paul-Ehrlich-Institut weiterzuleiten, sei dies nicht geschehen. In Sachsen sei der Impfstatus von bis zu 90% der wegen Covid ins Krankenhaus gekommenen Patienten in den Jahren 2021 und 2022 nicht abgefragt worden. Noch gravierender: Eine Anfrage der BSW-Abgeordneten zum Impfstatus bei Coronatoten in Sachsen ergab, dass bei 92,2% der Verstorbenen keinerlei Daten zum Impfstatus vorlagen. Laut Lausen wurden die vorgesehenen Bußgelder für die Nichtmeldung nie erhoben, was die Aussagekraft der Daten erheblich einschränkt. Diese fehlende Datenlage sei in seinen Augen für ein so wichtiges Thema wie eine Pandemie unzureichend gewesen.

Lausen stellte auch die schwedische Strategie in einen anderen Kontext: Während Drosten Vergleiche ablehnte, bemerkte Lausen, dass Deutschland, ein großes Land mit vielen Einwohnern, am Ende bei der Übersterblichkeit auf einem „ziemlich hinteren Platz“ gelandet sei. Er visualisierte, dass viele Länder mit weniger Impfungen am Ende mit weniger Übersterblichkeit davongekommen seien als Deutschland. Dies führte Lausen zu dem Gefühl, dass Deutschland langsam aufwache und merke, dass die Maßnahmen „eher schlecht gewesen“ seien.

Krankenhausüberlastung, Kinder als Pandemietreiber und die Rolle des RKI
Weitere strittige Punkte waren die Behauptung einer drohenden Krankenhausüberlastung und die Rolle von Kindern in der Pandemie:

• Krankenhausüberlastung: Drosten sah 2021 die sächsischen Intensivstationen überfüllt und brachte dies mit einer geringen Impfquote in Verbindung. Andere Sachverständige widersprachen, dass Patientenverlegungen in andere Kliniken und Bundesländer eine Überlastung belegen würden. Zudem kam zutage, dass die Krankenhäuser insgesamt nicht überlastet gewesen seien.

• Kinder als Pandemietreiber: Laut Drosten wurden hierüber „Scheindiskussionen“ in den Medien geführt. Im sächsischen Landtag hatten jedoch bereits andere Sachverständige entgegengesetzte Meinungen geäußert, nämlich dass Kinder und Jugendliche keine Pandemietreiber waren und Kita- sowie Schulschließungen nicht notwendig gewesen wären.

• Robert Koch-Institut (RKI): Verschiedene Sachverständige kritisierten, das RKI habe nicht auf eine breite Basis unterschiedlicher Meinungen gesetzt, sondern ausschließlich ausgesuchte Meinungen abgewogen, was Fragen nach der Steuerung der Pandemiebekämpfung aufwirft.

Die Befragung wurde als sehr intensiv empfunden, wobei insbesondere bei den Datenanalysen die Interpretationsfähigkeit der Daten erklärungsbedürftig sei. Lausen warf Drosten vor, Aussagen anderer Wissenschaftler, die nicht mit seinen Erkenntnissen übereinstimmten, schlichtweg „negiert“ zu haben, was als sehr überraschend empfunden wurde, da den anderen Sachverständigen nicht unterstellt werde, weniger Ahnung von ihren Fachgebieten zu haben.

Die AfD, die den Antrag auf den Corona-Untersuchungsausschuss stellte, pocht auf die Veröffentlichung der Zeugenprotokolle und fragt, was es angesichts öffentlicher Anhörungen zu verbergen gäbe. Für dieses Jahr sind noch zwei weitere Sitzungen in Sachsen geplant, zu denen auch Christian Drosten erneut geladen werden soll, ebenso wie weitere Sachverständige. Damit dürfte die Debatte um die deutsche Corona-Strategie und ihre Folgen noch lange nicht abgeschlossen sein.

Rügen: Wo kaiserlicher Glanz auf mahnende Geschichte trifft

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Von den eleganten Seebrücken der Bäderarchitektur über den monumentalen „Koloss von Prora“ bis hin zu leuchtenden Rapsfeldern – eine Reise über Deutschlands größte Insel offenbart ein Reiseziel voller faszinierender Kontraste und unvergesslicher Eindrücke.

Aus der Vogelperspektive entfaltet sich die Ostseeinsel Rügen wie eine Landkarte der Gegensätze. Türkisblaues Wasser umspült strahlend weiße Kreidefelsen, mondäne Villen säumen Promenaden, während nur wenige Kilometer entfernt ein gigantisches Bauwerk aus der NS-Zeit als stummer Zeuge der Geschichte in den Himmel ragt. Rügen ist weit mehr als nur ein Idyll – es ist ein Ort, der Geschichten von Glanz, Naturwundern und tiefgreifenden historischen Umbrüchen erzählt.

Die Eleganz der Küste: Ein Hauch von Kaiserzeit in Sellin
Das Herz der historischen Bäderkultur schlägt unübersehbar in Sellin. Die fast 400 Meter lange Seebrücke ist nicht nur ein Steg ins Meer, sondern ein architektonisches Juwel. Mit ihrem prachtvollen Brückenhaus, den verspielten Türmchen und dem Restaurant über den Wellen versetzt sie Besucher zurück in eine Zeit, als der Adel und das gehobene Bürgertum hier ihre Sommerfrische verbrachten. Von der prächtigen Wilhelmstraße, gesäumt von sorgfältig restaurierten Villen im Stil der Bäderarchitektur, führt eine steile Treppe – die sogenannte Himmelsleiter – oder ein moderner Panorama-Aufzug hinab zum Strand und diesem Wahrzeichen zeitloser Eleganz.

Zeitreise auf Schienen und aus Stein
Kontrastprogramm zur mondänen Ruhe bietet eine Fahrt mit dem „Rasenden Roland“. Die historische Dampflok-betriebene Schmalspurbahn schnauft seit über 125 Jahren gemächlich durch die Landschaft und verbindet die bekanntesten Seebäder miteinander. Es ist eine entschleunigte Reise in die Vergangenheit, vorbei an dichten Buchenwäldern und leuchtend gelben Rapsfeldern, die im Frühling das Inselinnere in ein goldenes Meer verwandeln.

Einen weitaus ernsteren Einblick in die deutsche Geschichte gewährt der „Koloss von Prora“. Der über 4,5 Kilometer lange Gebäudekomplex wurde von den Nationalsozialisten als gigantisches „Kraft durch Freude“-Seebad geplant, aber nie vollendet. Nach Jahrzehnten als militärisches Sperrgebiet der NVA wird das monumentale Bauwerk heute schrittweise umgestaltet. Neben einem Dokumentationszentrum und Museen entstehen moderne Ferienwohnungen – ein umstrittenes, aber beeindruckendes Beispiel für die Transformation eines Ortes mit schwerem Erbe.

Naturschauspiele und maritimes Flair
Ganz im Norden, am Kap Arkona, zeigt sich Rügen von seiner rauen Seite. Die 43 Meter hohe Steilküste, gekrönt von zwei markanten Leuchttürmen, bietet einen atemberaubenden Ausblick über die Weite der Ostsee. Der ältere, von Karl Friedrich Schinkel entworfene Backsteinturm und sein jüngerer, noch aktiver Nachbar sind ikonische Symbole für die Seefahrt und die ungezähmte Natur an der Nordspitze der Insel.

Das maritime Zentrum Rügens ist die Hafenstadt Sassnitz. Hier treffen Fischkutter auf Segelyachten und Ausflugsschiffe, die zu den berühmten Kreidefelsen des Nationalparks Jasmund aufbrechen. Ein Spaziergang auf der über 1,4 Kilometer langen Außenmole bis zum grün-weißen Leuchtturm ist ein Muss für jeden Besucher. Abends, wenn sich die Lichter im Hafenbecken spiegeln und das Riesenrad seine Runden dreht, entfaltet die Stadt eine ganz besondere, fast magische Atmosphäre.

Rügen ist somit ein Reiseziel, das seine Besucher auf mehreren Ebenen fesselt. Es ist die perfekte Symbiose aus erholsamem Strandurlaub, aktiver Naturerkundung und einer tiefgehenden Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte, die diese Insel so einzigartig und unvergesslich macht.

Die faszinierende und zwiespältige Reise eines Westdeutschen in die DDR

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1976 reist Zeitzeuge Herr Dörfler (*1959) zum ersten Mal in die DDR, dem früheren Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone. Er ist 17 Jahre jung. Gemeinsam mit seiner Mutter besucht er einen Teil seiner Familie in Dresden. Er ist fasziniert von der Stadt und von Ostdeutschland – von den Menschen, der Landschaft und der Kultur – und beginnt, regelmäßig in den Osten zu reisen.

Herr Dörfler unternahm als 16-Jähriger seine erste Reise in die Deutsche Demokratische Republik (DDR), eine Erfahrung, die sich über Jahrzehnte hinzog und sein Bild vom „anderen Deutschland“ maßgeblich prägte. Was als Besuch bei Verwandten begann, entwickelte sich zu einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit einem politisch und wirtschaftlich völlig unterschiedlichen System, das ihn zugleich anzog und herausforderte.

Das Exotische am Osten und der erste Grenzübertritt
Für Herrn Dörfler lag das „Exotische am Osten“ im Vergleich zweier unterschiedlicher Systeme innerhalb eines geteilten Landes. Trotz der politischen Trennung gab es eine gemeinsame Sprache, Mentalität und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, das ihm entgegengebracht wurde. Dieses Gefühl wuchs mit jeder seiner zahlreichen Besuche, bei denen er sowohl „überwältigend viele schöne“ als auch „zwiespältige, zweifelhafte und problematische Eindrücke“ sammelte.

Sein erster Kontakt mit der DDR, etwa 30 Jahre vor dem Interview, führte ihn als 16-Jährigen mit dem Interzug von Frankfurt am Main nach Dresden-Neustadt. Die Grenzüberquerung im Bereich Bebra, Gerstungen, Eisenach war für ihn „sehr beeindruckend“. Er sah Sperranlagen und unfertige Sandsteinbrückenpfeiler, die „optisch sehr herausstachen“. Am Grenzbahnhof Gerstungen traf er erstmals auf offizielle Vertreter des anderen deutschen Staates. Die Kontrolle durch Angehörige der Grenztruppe der DDR und die Zollorgane – Pass-, Visum- und Gepäckkontrolle – war „kühl, nüchtern, nicht unfreundlich, aber unterschwellig hat man das auch als 16-Jähriger gemerkt, diese Herrschaften […] können sehr unangenehm werden“.

Die Motivation für wiederkehrende Besuche
Herr Dörfler entwickelte ein starkes Interesse daran, „sehr viel über dieses andere deutsche System erfahren“ zu wollen, sei es das politisch-ideologische oder das wirtschaftliche. Er wollte als Teenager einen Beitrag zum Gefühl der Zusammengehörigkeit leisten. Seine Reisen führten ihn nicht nur zu Verwandten, sondern er lernte auch immer wieder neue Menschen kennen, was zusätzliche Gründe für weitere Reisen schuf. Besondere Anziehungspunkte waren auch die landschaftliche Schönheit und kulturelle Highlights, wie Ausflüge ins Elbsandsteingebirge mit Besuchen der Bastei und der Festung Königstein sowie mehrmalige Besuche der Porzellanmanufaktur Meißen. Die gesamte Landschaft um Dresden faszinierte ihn sehr.

Herzliche Gastfreundschaft und unerfreuliche Begegnungen
Einer der schönsten Eindrücke war die große Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft, die er von vielen Bürgern Mitteldeutschlands erfuhr, oft sogar von Fremden. Ob es die Frage nach einer Sehenswürdigkeit, einer Straße oder der richtigen Straßenbahn war – er wurde nie unfreundlich behandelt, was sein Gefühl der Zusammengehörigkeit bestärkte.

Dem standen allerdings zwiespältige Erfahrungen mit offiziellen Vertretern des Staates gegenüber. Er störte sich oft am „rüden Ton“ und empfand diesen als „unpassend und auch als sehr unhöflich“, was dem Staat die Möglichkeit nahm, Sympathien zu erwerben. Konkrete Erlebnisse waren beispielsweise Begegnungen auf den sogenannten Volkspolizeikreisämtern, wo man sich anmelden musste. Dort herrschte ein „bellernder Umgangston“ mit Fragen wie: „Geben Sie mal Ihren Reisepass her. Wie lange wollen Sie bleiben? Da haben Sie das Feld nicht ausgefüllt!“.

Solch ein Verhalten schürte Aversionen und war den meisten DDR-Bürgern, die hilflos zuschauen mussten, selbst unangenehm und peinlich.

In seltenen Fällen erfuhr Herr Dörfler auch Ablehnung von Personen, etwa von einem FDJ-Gruppenleiter, der ihn als „unerwünschte Person“ oder „Gegner aus dem kapitalistischen Ausland“ ansah. Er bemerkte, dass mit diesen Menschen, die eine „vorgefertigte Meinung“ hatten, nicht zu reden oder zu diskutieren war. Er bedauerte, dass diese Personen eine Gelegenheit verpassten, etwas über das andere Deutschland aus der Sicht eines jungen Mannes zu erfahren, was zur „gegenseitigen Horizonterweiterung“ beigetragen hätte. Solche Begegnungen, wie eine kurze am Esstisch in einer Lokalität in Gera, waren jedoch selten. Letztlich respektierte er die damals geltenden Vorschriften, die „ungesetzliche Kontaktaufnahme“ seitens der Staatsbediensteten untersagten und Konflikte vermieden.

Das Erbe des Mauerfalls: Die Kinder, die zurückblieben

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Der Fall der Berliner Mauer im November 1989 war für viele ein Moment der Freude und des Aufbruchs. Doch für Hunderte Kinder in der ehemaligen DDR bedeutete er den Beginn eines Traumas, das bis heute nachwirkt: Ihre Eltern nutzten die neu gewonnene Freiheit zur Flucht in den Westen und ließen ihre Kinder zurück. Eine offizielle Statistik über diese „verlassenen Kinder der DDR“ gibt es nicht, doch schon einen Monat nach der Wende gab es allein in Berlin 50 solcher Fälle.

Katharina Ferner war zweieinhalb Jahre alt, als ihre Mutter in den Westen verschwand und sie zurückließ. „Man kann es gar nicht wirklich sagen, wie man sein muss, um so zu sein. Einfach nur kalt, abgeklärt und egoistisch“, reflektiert die heute 31-jährige Katharina. Ihr Leben begann im Kinderheim Makarenko in Berlin-Treptow-Köpenick, dem größten Kinderheim der untergegangenen DDR. Bei den Aufnahmen des Spiegel TV-Teams am Nikolaustag 1989 war Katharina eines der Heimkinder.

Lisa Hübner, Leiterin der Säuglingsstation, kümmerte sich damals auch um Katharinas neun Monate alten Bruder Steffen. Die Großmutter der Kinder informierte sie, dass die Mutter in der Bundesrepublik sei und ihre Kinder allein gelassen hatte. Da die Großeltern zu alt waren, um die Kinder aufzunehmen, blieben Katharina und Steffen vorerst im Heim. Die Mutter meldete sich nie wieder.

Die kleine Katharina war zu diesem Zeitpunkt „schwer traumatisiert“ und „sehr verstört“. Sie litt besonders unter der Abwesenheit der Mutter und verlangte immer wieder nach ihr. Die Heimleitung sprach von einem „verwaisten Kind, dessen Mutter nicht tot, sondern abgegangen ist“. Das Schlimmste für Katharina war der Verlust des Urvertrauens, dass Mütter nur das Beste für ihr Kind wollen.

Ein Leben gezeichnet von Misstrauen und dem Wunsch nach Kontrolle
Katharina wuchs später mit ihrem Bruder bei einer Adoptivfamilie auf, doch auch dort ging sie irgendwann auf Distanz, und der Kontakt brach ab. Von ihrer leiblichen Mutter weiß sie heute nicht viel, nur dass sie angeblich in Bayern auf einer Kinderstation gearbeitet haben soll. Gesucht hat Katharina sie nie.

Heute, 31 Jahre später, sieht Katharina Ferner die einzigen Kinderbilder aus jener Zeit zum ersten Mal. Ihre Reaktion ist geprägt von Unverständnis: „Wie kann man das ein Kind einfach [verlassen]? Ich verstehe es nicht“. Die Erfahrung der frühen Verlassenheit prägt ihr gesamtes Leben: „Ich kann also keine Nähe zulassen, ich kann sie nicht geben. Ich kann auch keinen an mich ranlassen, ich vertraue niemandem“. Besonders in Beziehungen fällt es ihr schwer, die Kontrolle abzugeben: „Ich brauche die Kontrolle, dass ich die Kontrolle nicht verliere, weil natürlich immer die Angst für mich da ist, dass, wenn ich mich nicht drum kümmere, dass es keiner macht“.

Weitere Schicksale und ein Appell an die Politik
Katharinas Geschichte ist kein Einzelfall. Im ehemaligen Kinderheim Fritz Weineck in Berlin-Friedrichsfelde landeten drei weitere Geschwister, die ebenfalls von einer Mutter zurückgelassen wurden, die den Westen spannender fand als ihren Nachwuchs. Fünf Tage nach der Maueröffnung hatte die Volkspolizei die Kinder in einer verlassenen Wohnung im Prenzlauer Berg entdeckt. Wie lange sie dort allein waren, konnte nicht mehr festgestellt werden. Der achtjährige Mag fühlte sich verantwortlich für seine jüngeren Brüder Steve (5) und Martin (3). Martin litt am meisten unter der Abwesenheit der Mutter und sprach kaum noch.

Christine Brand, ehemalige Leiterin eines Säuglingsheims in Erfurt, erinnert sich, wie auch ihre Einrichtung nach dem Exodus der Eltern Zulauf bekam – allein zwölf Kinder waren es bei ihr. Sie hat viel über die Ursachen nachgedacht: „Ursache war damals das, ja, die Grenzen offen waren, ein freudiges Ereignis für alle DDR-Bürger, und mancher waren dann so überschwänglich und sind verschwunden, haben aber das Beste, was sie hatten, hier gelassen“. Sie betont die Hilflosigkeit und Fassungslosigkeit der Kinder, für die „eine Welt zusammengebrochen“ sei.

Schon damals richtete die Leiterin eines Säuglingsheims einen dringenden Appell an die Politik: „Ich bitte deswegen dringend einmal unsere beiden Staaten gegenseitig aufeinander zuzugehen, um mit den örtlichen Organen der Jugendhilfe ein Rechtshilfeabkommen abzuschließen, um für diese Kinder eine Lösung zu finden“.

Ein Trauma, das bis heute nachwirkt
Katharina Ferner lebt heute selbst in Bayern und hat fünf Kinder. Das erste kam, als sie 18 war. Sie kümmert sich pflichtbewusst, fragt sich aber immer wieder: „Warum setzt man ein Kind in die Welt, wenn man es nicht will? Wenn man nicht mit allen Konsequenzen sich um dieses Kind kümmern möchte?“. Sie arbeitet hart an sich, um eine liebevolle Mutter sein zu können, die sie selbst nie hatte. Doch emotionale Nähe zu zeigen, fällt ihr schwer: „Ich unterdrücke ihre eigentlichen Gefühle unterdrückt und das ist halt ein auch manchmal ein Problem“. Sie bedauert, dass sie in manchen Situationen „kalt“ oder „abweisend“ reagiert, obwohl sie gerne anders handeln würde, aber nicht kann.
Die verlassenen Kinder der DDR – eine Geschichte, die auch 31 Jahre später noch nachwirkt und fassungslos macht.

Die vergessenen Kinder der Wende: Ein Mauerfall mit bitterem Nachgeschmack

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Der Fall der Berliner Mauer im November 1989 wird oft als ein Moment überschwänglicher Freude und Wiedervereinigung gefeiert. Doch für Tausende von Kindern in der DDR bedeutete er etwas ganz anderes: Trennung, Verlassenheit und eine Kindheit im Heim. Während Familien im Westen willkommen geheißen wurden, nutzten manche Eltern die Öffnung der Grenzen, um ihre „ungeliebten Kinder“ einfach zurückzulassen. Zwei dieser Kinder, Andreas und Thomas, erzählen ihre bewegenden Geschichten.

Andreas‘ Suche nach Halt und Familie
Für Andreas, der 1989 zwölf Jahre alt war, brachte der Mauerfall das Schlimmste, was einem Kind passieren kann. Seine Mutter, die ihn als Baby adoptiert hatte, ging in den Westen und ließ ihn in einem Erfurter Kinderheim zurück. Auch sein Vater wollte nichts mehr von ihm wissen. Andreas wünschte sich sogar, die Mauer wäre nie gefallen, denn dann hätte seine Mutter nicht gehen und er seinen Bruder behalten können, und es wäre nicht zu den späteren Streitigkeiten gekommen.

Die Zeit im Heim beschreibt Andreas als „beschissen“: Er wurde gehänselt und hatte anfangs keine Freunde. Er versuchte verzweifelt, den Kontakt zu seiner Mutter wieder aufzunehmen, schrieb Briefe und Karten, erhielt aber nie eine Antwort. Ihre Rechtfertigung, er sei schon im Kindergarten bockig gewesen und hätte in der Schule seine Hausaufgaben nicht gemacht, kann Andreas auch nach zehn Jahren nicht verstehen. Die Abwesenheit seines Bruders Christian schmerzte ihn besonders.

Mit 16 Jahren zog Andreas in ein Jugendheim in Hermannsburg bei Celle, wo er endlich Freunde fand. Er begann erfolgreich eine Lehre zum Tischler, kämpft jedoch seit drei Jahren vergeblich mit der Arbeitsplatzsuche. Ohne Arbeit und Kollegen fühlt er sich oft allein und seelisch nicht gut. Das Vertrauen zu anderen Menschen fällt ihm bis heute schwer.

Trotz allem hat Andreas den Mut gefunden, sich seiner Mutter erneut zu stellen. Er reiste nach Nordhausen in Thüringen, wo sie inzwischen wieder lebt. Die Angst vor dem Wiedersehen war groß – würde sie ihn annehmen oder die Tür vor der Nase zuschlagen? Nach jahrelanger Trennung war das Gespräch zunächst schwer, doch sein kleiner Bruder Christian freute sich riesig, Andreas endlich wieder umarmen zu können. Andreas hofft, dass sie den Streit vergessen und über alles reden können und dass es „nur besser werden kann“.

Thomas‘ Neuanfang und innere Stärke
Auch Thomas erlebte die Wende als schreckliches Ereignis. Wenige Monate nach dem Mauerfall ließen seine Eltern den damals fünfjährigen Jungen in einem Erfurter Kinderheim zurück. Er erinnert sich, wie er eines Freitags nicht mehr vom Kindergarten abgeholt wurde. Im Heim fehlte die direkte, individuelle Betreuung, und man wurde oft „in der großen Gruppe behandelt“.

Thomas hatte jedoch Glück: Eine Erzieherin namens Frau Werner hatte Mitleid mit ihm und nahm ihn als Pflegesohn auf. Für Thomas ist seine Pflegemutter „klasse“, weil sie ihn aus dem Heim holte, liebevoll und respektvoll ist und ihm Freiheiten lässt. Er empfindet, dass sie „beides“ für ihn ist – Mutter und Vater. Frau Werner, die selbst nicht verstehen kann, wie Mütter ihre Kinder wie Müll wegwerfen konnten, empfindet für Thomas die gleiche tiefe Liebe wie eine leibliche Mutter.

Von seiner leiblichen Mutter will Thomas heute nichts mehr wissen. Er empfindet „Abscheu“ und würde ihr „die Meinung sagen“. Seine Mutter hat sich bis heute kein einziges Mal bei ihm gemeldet. Jugendämter schätzen, dass einige Tausend Kinder nach dem Mauerfall von ihren Eltern einfach in Heimen „entsorgt“ wurden, viele von ihnen mussten bis zur Volljährigkeit dort ausharren.

Trotz seiner schwierigen Vergangenheit und einer körperlichen Behinderung – er musste neu laufen lernen und hatte keine Muskulatur auf dem rechten Bein – hat Thomas eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht. Er spielt Basketball, fährt Fahrrad und kann mit seinen Freunden mithalten. Der heute 15-Jährige ist ein selbstbewusster junger Mann, der stolz auf seine Leistungen ist. Er weiß, dass er Glück gehabt hat und was es bedeutet, geliebt zu werden.

Die Geschichten von Andreas und Thomas sind Mahnungen, dass der Mauerfall für viele Menschen auch eine dunkle Seite hatte und die Wunden der Vergangenheit oft noch lange nachwirken. Sie zeigen aber auch die immense Widerstandsfähigkeit von Kindern und die Bedeutung von bedingungsloser Liebe und Unterstützung.

Dessau fordert sofortige Vernichtung von Kampfgruppenwaffen unter Bürgerkontrolle

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Dessau – In einer hitzigen Debatte fordert die Bevölkerung Dessaus, vertreten durch den lokalen Runden Tisch, die sofortige und transparente Vernichtung der Waffen der Kampfgruppen. Die Stimmung ist angespannt, da die lokalen Akteure, gestärkt durch regelmäßige Demonstrationen tausender Bürger, eine Gefahr unbedachter Handlungen sehen, falls die Vernichtung weiterhin verzögert wird. Während Dessau entschlossen vorangeht, werden Verzögerungen und Untätigkeit seitens des Rates des Bezirkes Halle und der Berliner Regierung kritisiert.

Die Bürger in Dessau betonen, dass die Bevölkerung die Waffen vernichtet sehen will. Diese seien „ausgesonderte Armeewaffen“ und nur noch der Verschrottung zuzuführen. Es handelt sich in Dessau um 1538 Handfeuerwaffen, darunter Maschinenpistolen, leichte Maschinengewehre, Pistolen und Panzerfäuste. DDR-weit werden die Bestände der Kampfgruppen auf 400.000 bis 500.000 Waffen geschätzt, zuzüglich der Waffen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit.

Zentrale Forderungen und Kritik aus Dessau:

• Dezentrale Aufbereitung: Die Bürger schlagen vor, die Waffen dezentral in einem kostenlosen Arbeitseinsatz unbrauchbar zu machen, um dem Staat erhebliche finanzielle Mittel und Arbeitszeit zu sparen.

• Trennung von Waffen und Munition: Dies sei bisher nur in Dessau geschehen und müsse sofort in allen VPKA’s (Volkspolizeikreisämtern) der DDR angeordnet werden, um eine große Gefahrenquelle zu eliminieren.

• Irreversible Unbrauchbarmachung: Die Kreise sollen die Aufgabe erhalten, die Waffen dezentral und unwiderruflich unbrauchbar zu machen, bevor sie zentral zur Verschrottung abgeführt werden.

• Ablehnung der „Kampftruppen der Arbeiterklasse“: Die Bezeichnung wird als irreführend abgelehnt; es seien „Kampftruppen der SED“ gewesen, da der Arbeiter von Hause aus ein friedliebender Mensch sei.

• Historische Belastung: Viele junge Menschen wurden in der Vergangenheit gezwungen, mit solchen Waffen auf Menschenscheiben zu schießen, was ihre Zukunft verbaut habe. Diese Waffen waren dazu gedacht, auf Menschenmassen gerichtet zu werden.

Die lokale Seite sieht die zögerliche Auflösung des MfS und die verschleppende Haltung der Regierung bei den Kampfgruppen als Vertrauensbruch. Die „Tiefgruppe der Magnetbandfabrik“ hatte diese Angelegenheit überhaupt erst ins Rollen gebracht.

Herausforderungen und Entscheidungen der zentralen Organe:
Ein Vertreter des Ministeriums für Innere Angelegenheiten, Generalmajor Simon, wurde beauftragt, gemeinsam mit dem Runden Tisch in Dessau eine Lösung zu finden. Die Regierung betonte zunächst, dass die Waffen zentralen Objekten zur Vernichtung zugeführt werden sollen. Es wurde auch der Bedarf für eine landesweite „Signallösung“ diskutiert, die alle Waffen unbrauchbar machen würde, wobei jedoch Unsicherheit bestand, ob dies von der Regierung und dem Zentralen Runden Tisch in Berlin gewünscht sei.

Die Sorge der zentralen Stellen galt auch der Möglichkeit, dass Teile der Waffen möglicherweise von der NVA und Volkspolizei benötigt werden könnten, weshalb ein symbolischer Beginn der Vernichtung vorgeschlagen wurde, anstatt alle Waffen sofort zu zerstören.

Kompromiss und Einigung in Dessau:

Nach intensiven Beratungen, an denen auch Vertreter des Ministeriums für Innere Angelegenheiten und der Arbeitsgruppe Sicherheit des Runden Tisches in Berlin (SPD) teilnahmen, konnte eine Einigung erzielt werden. Es wurde festgehalten:

• Sofortiger Abtransport: Die Waffen werden sofort unter Aufsicht des Runden Tisches nach Dessau-Altenburg abtransportiert.

• Unschädlichmachung aller Kampfgruppenwaffen: Es wurde die Zustimmung eingeholt, dass alle Waffen der Kampfgruppen unschädlich gemacht werden. Dabei handelt es sich ausdrücklich um die Kampfgruppenwaffen, nicht um die Bewaffnung der Volkspolizei.

• Präzisierung des Vernichtungsbeginns: Der genaue Zeitpunkt des Beginns der Vernichtung soll noch präzisiert werden, um Sicherheit zu gewährleisten.

Der Runde Tisch in Dessau hatte zuvor den Beschluss gefasst, die Waffen unter Bürgerkontrolle in einem NVA-Objekt in Altenburg unbrauchbar zu machen. Diese nun getroffene Übereinkunft spiegelt den dringlichen Wunsch der Bevölkerung nach Handeln und Transparenz wider. Es ist ein wichtiger Schritt zur Wahrung der Gewaltfreiheit und zur Beendigung eines Kapitels, in dem Waffen auf Menschenmassen gerichtet waren.

Adrenalin und Natur pur: Die Sommerrodelbahn in der Erlebniswelt Seiffen

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Die Sommerrodelbahn in der Erlebniswelt Seiffen im Herzen des Erzgebirges ist weit mehr als nur eine gewöhnliche Freizeitattraktion. Sie ist ein perfektes Ausflugsziel für die ganze Familie, das puren Nervenkitzel und das beeindruckende Naturerlebnis der Region auf einzigartige Weise miteinander verbindet. Für Einheimische und Touristen gleichermaßen stellt sie ein absolutes Highlight dar, das den unverwechselbaren Charme der erzgebirgischen Landschaft widerspiegelt.

Einmal im Bob Platz genommen, beginnt eine rasante Talfahrt, die Jung und Alt gleichermaßen begeistert. Die Strecke wurde mit viel Fingerspitzengefühl in die natürliche Topographie des Geländes integriert und erstreckt sich über beeindruckende 913 Meter. Dabei erwarten die Fahrer 15 Kurven, ein aufregender Riesenjump und diverse Schikanen, die für rasanten Spaß und puren Nervenkitzel sorgen. Es ist diese sorgfältige Streckenführung, die die Fahrt so dynamisch und abwechslungsreich gestaltet.

Doch der wahre Reiz der Fahrt liegt nicht allein in der Geschwindigkeit. Während man den Berg hinuntersaust, eröffnet sich ein atemberaubender Panoramablick auf die dichten Wälder, die saftigen Wiesen und die idyllischen kleinen Ortschaften, die typisch für das Erzgebirge sind. Es ist diese einzigartige Kombination aus sportlicher Aktivität und dem ungestörten Genuss der Natur, die die Abfahrt zu einem unvergesslichen Erlebnis macht und die Bahn von ähnlichen Attraktionen abhebt.

Ein wichtiger Aspekt, der den Erfolg der Bahn ausmacht, ist das hohe Maß an Sicherheit und Komfort. Die Betreiber haben modernste Technik installiert, die jederzeit einen kontrollierten Ablauf der Fahrt gewährleistet. Ein automatisiertes Bremssystem und gut gesicherte Schienen sorgen dafür, dass sich die Besucher voll und ganz auf den Spaß konzentrieren können. Zusätzlich steht geschultes Personal bereit, um bei Fragen oder Unsicherheiten zu helfen. So können auch Familien mit kleinen Kindern das Vergnügen ohne Bedenken genießen, was die Bahn zu einem beliebten Ausflugsziel für alle Generationen macht.

Doch die Sommerrodelbahn ist nur ein Teil eines umfassenden Freizeitangebots, das in Seiffen auf die Besucher wartet. In unmittelbarer Nähe der Bahn befinden sich weitere Attraktionen wie ein Kinderspielplatz und eine Gaststätte, die zum Verweilen einlädt. Die Region ist zudem ein Paradies für Wanderer und Naturliebhaber, die die gut ausgebauten Wege nutzen können, um die Schönheit des Erzgebirges zu Fuß zu erkunden. Der Kurort Seiffen selbst, weltweit bekannt als das „Spielzeugdorf“, ist ohnehin ein lohnendes Ausflugsziel. Hier kann man in zahlreichen Schauwerkstätten das traditionelle Handwerk der Holzdrechslerei und -schnitzerei bewundern. Die Kombination aus gelebter Tradition, regionaler Kultur und modernen Freizeitangeboten macht die Erlebniswelt Seiffen zu einem attraktiven Reiseziel, das weit über die Grenzen Sachsens hinaus bekannt ist.

In einer Zeit, in der viele Freizeitaktivitäten von Technologie und virtuellen Welten dominiert werden, bietet die Sommerrodelbahn in der Erlebniswelt Seiffen eine willkommene Abwechslung. Sie steht für die Rückkehr zum einfachen, authentischen Vergnügen, das im Einklang mit der Natur steht. Sie ist ein lebendiger Beweis dafür, dass auch klassische Attraktionen nichts von ihrem Reiz verloren haben, wenn sie mit Leidenschaft, Sorgfalt und modernster Technik betrieben werden. Ein Besuch in Seiffen ist daher nicht nur eine einfache Fahrt auf einer Rodelbahn, sondern eine kleine Auszeit vom Alltag, die man mit allen Sinnen genießen kann. Die frische Bergluft, das Rauschen des Windes und das Kribbeln im Bauch machen den Tag zu einem unvergesslichen Erlebnis.

Der Streit um Deutschlands Strompreiszonen: Eine „Kriegserklärung“ an den Süden?

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Deutschland steht vor einem tiefgreifenden Dilemma in seiner Energiepolitik: Obwohl Norddeutschland bereits heute mit Wind- und Solarkraft enorme Mengen an günstigem Strom produziert, ist dieser im Süden oft nicht verfügbar. Der Grund dafür ist die bundesweit einheitliche Strompreisgebotszone, die eine virtuelle Realität schafft, die von der physischen Kapazität des Stromnetzes entkoppelt ist. Eine Forderung nach mehreren Strompreiszonen, um die Realität des Netzes abzubilden, stößt auf massiven Widerstand, insbesondere aus dem Süden Deutschlands, wo bereits von einer „Kriegserklärung“ die Rede ist.

Das unrealistische Versprechen des Marktes und seine kostspieligen Folgen
Am 11. April zeigte sich das Problem deutlich: Wind- und Photovoltaikanlagen im Norden produzierten so viel Strom, dass die gesamte deutsche Nachfrage gedeckt werden konnte und der Börsenstrompreis bei null oder sogar im negativen Bereich lag. Doch diese niedrigen Preise sind eine Illusion, denn das Netz kann den im Norden produzierten Windstrom physisch oft nicht in den Süden transportieren, da die Leitungen überlastet sind.

Abgeschaltete Windräder: Weil die Strommengen nicht transportiert werden können, müssen Windräder im Norden oft abgeschaltet werden.

Teure Neuporduktion im Süden: Gleichzeitig müssen im Süden Kraftwerke angeworfen werden, um den eigentlich aus dem Norden bestellten, aber nicht gelieferten Strom neu zu produzieren.

Milliardenkosten für alle: Die Kosten für diese Mehraufwendungen beliefen sich allein 2024 auf 2,7 Milliarden Euro, die von allen Verbrauchern über Netzentgelte bezahlt werden.

Gefährliche Systemrisiken: Energieökonom Lion Hirth warnt zudem davor, dass das System zunehmend gefährlich wird, da die Steuerung des Netzes immer schwieriger wird und im schlimmsten Fall zu einem ernsthaften Zwischenfall führen könnte.

Die Forderung nach regionalen Preisen: Vorteile im Norden, Sorgen im Süden
Lion Hirth fordert daher mehrere Strompreiszonen, in denen der Strom den Preis hätte, zu dem er real verfügbar ist. Eine von EU-Netzbetreibern erstellte Studie empfiehlt sogar fünf Preiszonen für Deutschland als effizienteste Lösung.

Profiteure im Norden: In den Regionen mit viel erneuerbarer Stromproduktion, wie Norddeutschland, würde der Strompreis tendenziell sinken. Unternehmen wie Worlee Chemie, die Rohstoffe für die Lack- und Kosmetikindustrie herstellen und viel Strom benötigen, würden davon profitieren. Reinhold von Eben-Worlee, Chef von Worlee Chemie, sieht in mehreren Stromgebotszonen keinen Weg vorbei.

Investitionsanreize: Schleswig-Holsteins Energieminister Tobias Goldschmidt betont, dass höhere Preise im Süden ein Investitionsanreiz für Windkraftanlagen und Kraftwerkskapazitäten vor Ort wären und somit zu einem gerechten Ausgleich führen könnten.

Doch die Bundesregierung möchte eine Aufteilung der Strompreiszonen möglichst verhindern, da massive Interessen der Industrie in Süddeutschland dagegenstehen. Jan Stefan Roell, Präsident des Industrie- und Handelskammertags Baden-Württemberg, befürchtet bei verschiedenen Strompreiszonen im Süden noch höhere Strompreise und damit einen Wettbewerbsnachteil, der Investitionen ins Ausland verlagern könnte. Er und viele Verbände sehen darin ein „Aufkündigen einer gemeinsamen Politik“ und plädieren stattdessen für einen Ausbau des Netzes.

Skepsis, Hürden und internationale Perspektiven
Energieökonomen bezweifeln jedoch, dass der Netzausbau, der zudem kostspielig und zeitaufwendig ist, schnell genug erfolgen kann, um das Problem zu lösen. Selbst Projekte wie SuedLink dürften bei weiterem Ausbau der Erneuerbaren Energien wieder an Engpässe stoßen.

Werner Götz, Leiter des Netzbetreibers TransnetBW, sieht die Umsetzung mehrerer Strompreiszonen als „durchaus komplex“ an und rechnet mit einem Zeitbedarf von drei bis fünf Jahren. Er warnt zudem vor Akzeptanzproblemen und der Belastung der Energiewende-Diskussion durch die Schaffung von Gewinnern und Verlierern. Die Empfehlung zur Zonentrennung basiere zudem auf alten Zahlen und weise Mängel auf.

Auch Nachbarländer wie Schweden sind von der deutschen Energiepolitik betroffen. Schweden, das selbst mehrere Preiszonen hat, würde eine Teilung der deutschen Strompreiszone begrüßen, da es dann viel mehr billigen Strom aus Norddeutschland importieren könnte. Die schwedische Regierung hat aufgrund der deutschen Politik sogar den Bau eines neuen Kabels nach Deutschland gestoppt. Schwedens Erfahrungen zeigen jedoch auch, dass es ähnliche Konflikte zwischen Nord- und Südschweden gibt, wo die Preise im Norden niedriger sind als im vom deutschen Strompreis beeinflussten Süden.

Trotz der komplexen Herausforderungen ist Tobias Goldschmidt überzeugt, dass eine Preiszonentrennung der volkswirtschaftlich günstigste und beste Weg wäre, um den Strom in Deutschland dauerhaft günstig zu halten. Momentan deutet jedoch alles darauf hin, dass sich die Bundesregierung von anderen Interessen leiten lässt und eine solche Trennung möglichst vermeiden möchte.

Die Seele der Demokratie steht auf dem Spiel

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Ich bin 1989 auf die Straße gegangen. Für mich war das Entscheidende nicht, dass es freie Wahlen geben sollte, nicht, dass man endlich reisen durfte. Der eigentliche Durchbruch war die Meinungsfreiheit. Der Moment, in dem man seine Meinung sagen konnte, ohne Angst vor Repressionen haben zu müssen. Und jetzt, 35 Jahre später, stehen wir wieder an demselben Punkt. Mit einem bitteren Unterschied: Heute haben wir die Gesetze, die uns Meinungsfreiheit nach Grundgesetz zusichern – und doch müssen wir wieder darum kämpfen. Denn was nützen die schönsten Verfassungsartikel, wenn das Klima so ist, dass man für das Äußern einer abweichenden Meinung mit Konsequenzen rechnen muss? Ich weiß, wovon ich rede. Und genau darin liegt das eigentliche Problem.

Der Hauptgrund sind die Medien. In jeder Gesellschaftsordnung ist Macht gefährlich, auch in der Demokratie. Denn auch demokratisch verliehene Macht verformt den Charakter: Sie macht überheblich, sie weckt den Größenwahn, sie lässt Menschen glauben, über anderen zu stehen. Macht ist nur dann konstruktiv, wenn sie kontrolliert wird.

Die wahre Stärke der Demokratie liegt nicht allein in der Gewaltenteilung, sondern in Artikel 5: freie Medien, freie Meinungsäußerung, die Kraft des Widerstreits. Genau darin liegt das Korrektiv. Doch wenn diese Stärke erodiert – und das geschieht heute, weil viele Journalisten lieber Teil der Macht sind, statt sie zu kontrollieren – verliert die Demokratie ihre schärfste Waffe. Dann endet die konstruktive Macht.

Wenn wir die Meinungsfreiheit verlieren, verlieren wir nicht nur ein Recht – wir verlieren die Seele der Demokratie. Doch noch haben wir die Chance, sie zu bewahren. Meinungsfreiheit ist kein Geschenk, das man einmal bekommt. Sie ist ein Schatz, den jede Generation neu verteidigen muss – und sie ist es wert, ihn zu verteidigen.

Gigantisches Puzzle in der Lausitz: Schipkau baut das höchste Windrad der Welt

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zum Video einfach auf das Bild klickenInmitten der brandenburgischen Gemeinde Schipkau, im Herzen des Lausitzer Reviers, entsteht derzeit eines der ehrgeizigsten Windenergie-Projekte Deutschlands: das höchste Windrad der Welt. Auf einer Baustelle von der Größe zweieinhalb Fußballfeldern wächst eine Anlage heran, die mit einer Nabenhöhe von 300 Metern und einer Gesamthöhe von 365 Metern alle bisherigen Dimensionen sprengt. Damit wird es das zweithöchste Bauwerk Deutschlands sein, fast so hoch wie der Berliner Fernsehturm und mehr als doppelt so hoch wie der Kölner Dom.

Ein Ingenieurtechnisches Meisterwerk mit Herausforderungen
Die Ingenieure sprechen von einem „gewaltigen Puzzle“ aus Hunderten von Teilen, die präzise zusammenpassen müssen. Anders als herkömmliche Anlagen, die üblicherweise eine Höhe von etwa 200 Metern erreichen, wird der Höhenwindturm als Gittermast aus Stahl konstruiert, um hohe Stabilität bei gleichzeitig geringem Gewicht zu gewährleisten. Ein Spezialtrupp aus der Türkei ist für die Montage der Hunderten von Schrauben zuständig, deren Anzugsmoment und Drehwinkel genau protokolliert werden, um höchste Sicherheit zu gewährleisten.

Finanziert wird das Pilotprojekt mit geschätzten Kosten von rund 25 Millionen Euro aus Fördermitteln des Bundes. Realisiert wird es von der Dresdner GICON-Gruppe unter der Leitung von Jochen Großmann, der seit über 20 Jahren Windkraftanlagen plant. Eine der größten Herausforderungen ist die Montage selbst: Da kein Kran eine Höhe von über 300 Metern erreicht, wird der Turm aus zwei Teilen bestehen – einem festen Außenturm und einem verschiebbaren Innenturm. Der Einsatz eines 1.000-Tonnen-Spezialkrans, einer der größten in Deutschland, erfordert zudem eine aufwendige Untergrundvorbereitung mit Spezialmatten, um die enorme Last homogen zu verteilen. Trotz ambitionierter Pläne für eine frühere Inbetriebnahme gab es bereits Verzögerungen, wie der Abtransport eines gelieferten Stahlträgers zur Umarbeitung zeigt. Die Inbetriebnahme ist nun für Sommer 2026 geplant, mit einer geplanten Laufzeit von 20 Jahren.

Warum so hoch? Das Potenzial des Höhenwindes
Die treibende Kraft hinter diesem ambitionierten Projekt ist die Erkenntnis, dass der Wind in großer Höhe nicht nur stetiger, sondern auch stärker weht. Seit 2020 laufen die Planungen für das Projekt in Schipkau, und ein eigens errichteter 300 Meter hoher Messturm hat detaillierte Daten zu den Windverhältnissen geliefert. Diese Daten bestätigen: In der Höhe lässt sich ein deutlich höherer Windenergie-Ertrag erzielen als bei klassischen Windenergieanlagen, was den Bau dieser Anlagen per se attraktiv macht. Das erklärte Ziel des Projektes ist die marktfähige Serienproduktion von sehr hohen Windkraftanlagen.

Lehren aus der Vergangenheit und Blick in die Zukunft
Die Geschichte der Windenergie ist auch eine Geschichte gescheiterter Höhenwindprojekte. In den 1980er Jahren wurde in Schleswig-Holstein die Forschungsanlage Growian (Groß-Windenergieanlage) mit einer Gesamthöhe von 150 Metern gebaut, die aber wegen technischer Probleme die meiste Zeit stillstand und nach acht Jahren abgerissen wurde. Auch Growian 2 auf Helgoland scheiterte 1990 an Blitzschlägen. Diese Rückschläge gelten als größte Fehlschläge der Windenergiegeschichte.

Heute hat sich die Technik entscheidend weiterentwickelt, doch die Ingenieure betonen den Forschungscharakter des Vorhabens und plädieren für eine „Fehlerkultur“ in Deutschland, um Innovationen voranzutreiben. „Wenn wir das schaffen, ist das eine Innovation,“ so ein Projektbeteiligter, angesichts der Tatsache, dass seit 2010 weltweite Versuche im Höhenwindbereich gescheitert sind.

Wirtschaftlichkeit im Fokus: Skepsis trifft auf Optimismus
Die Frage nach der Wirtschaftlichkeit ist zentral. Dirk Sudhaus von der Fachagentur „Wind und Solar“ äußert sich skeptisch. Er weist darauf hin, dass die Stromerzeugungskosten eines solchen Turmes einen bedeutenden Anteil am Preis einer Kilowattstunde Strom haben und geht davon aus, dass die Wirtschaftlichkeit für diese Anlage ein Problem darstellt.

Die Ingenieure von GICON hingegen sehen großes wirtschaftliches Potenzial. Projektleiter Adam argumentiert, dass die Höhenwindräder das Netz besser auslasten können und durch den Mehrertrag eine konstantere Einspeisung ins Netz ermöglichen, wodurch sich der Aufwand rechnet. Man bereite bereits die Serienproduktion von Höhenwindrädern vor.

Für die Gemeinde Schipkau, die sich als innovativer Energieort versteht und konsequent auf den Ausbau Erneuerbarer Energien setzt, ist das Projekt ein weiterer Schritt auf einem vielversprechenden Weg. Der Bürgermeister hofft auf weiter steigende Akzeptanz und eine Beteiligung der Bürger an der Windkraftanlage, was den Bau weiterer Höhenwindtürme nur noch zu einer Frage der Zeit machen würde. Der Höhenwindturm wird die bereits vorhandenen Windräder am Ortsrand von Schipkau bei weitem überragen und das Landschaftsbild prägen.