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Erich Honecker: Der Diktator, seine Geheimnisse und der Untergang einer Nation

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Achtzehn Jahre lang stand Erich Honecker an der Spitze der Deutschen Demokratischen Republik – unscheinbar, unnahbar, undurchschaubar. Doch hinter der Fassade des Staatschefs verbarg sich ein Machtmensch, dessen Innerstes nur wenige kannten und der viel zu verbergen hatte. Nach der Wende wurde in den Tresoren der Stasi ein geheimnisvoller roter Koffer entdeckt, der brisante Details aus Honeckers Privat- und Berufsleben enthielt – Informationen, die seine Biografie „ein paar Kratzer abbekommen hätte“, wären sie früher an die Öffentlichkeit gelangt.

Frühe Jahre und umstrittener Widerstand
Honeckers revolutionäre Träume schienen bereits im Dezember 1935 zu scheitern, als der damals 23-Jährige in Berlin von der Gestapo verhaftet wurde. Als Mitglied der verbotenen KPD leistete er unter dem Decknamen Martin Thiaden Widerstand gegen Hitler. Obwohl er zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt wurde und sich später als unbeugsamer Kämpfer stilisierte, war seine Haftzeit offenbar nicht so heldenhaft. Er gestand einem Vertrauten, korrekt behandelt worden zu sein, nie geschlagen oder gefoltert.

Spätere Stasi-Gutachten im roten Koffer beleuchten diese Zeit kritisch: Während ein Gutachten ihn vollkommen entlastete, stellte ein anderes „sehr präzise fest“, dass einzelne Aussagen Honeckers in den ersten Gestapo-Verhören „durchaus geeignet waren, andere zu belasten“. Dieser Vorwurf hätte Honecker stark geschadet. Die Existenz zweier widersprüchlicher Gutachten war Teil einer Sicherungsstrategie des SED-Machtapparates, um Biografien führender Kader zu schützen oder Druckmittel in der Hand zu halten.

Eine weitere heikle Episode aus Honeckers Kriegszeit betrifft seine Flucht aus dem Frauengefängnis in der Berliner Barnimstraße, wo er Bombenschäden reparieren sollte. In seiner Not fand er Unterschlupf bei einer neun Jahre älteren Gefängniswärterin, Charlotte Chanuel, mit der er eine Affäre hatte. Dank ihrer Kontakte zur NS-Partei konnte Honecker straflos ins Gefängnis zurückkehren. Er heiratete Charlotte Chanuel nach Kriegsende, eine Tatsache, die er selbst Freunden gegenüber verschwieg und die als sein „größtes Geheimnis“ galt. Diese Ehe war aus vielerlei Gründen erstaunlich, da Charlotte „ein Rädchen im Nationalsozialistischen Repressionsapparat“ war und die Heirat erst 1946 stattfand, als Honecker bereits Vorsitzender der FDJ war.

Aufstieg zur Macht und private Turbulenzen
Nach dem Krieg ging es für Honecker steil bergauf. 1946 wurde er Vorsitzender der FDJ, der Jugendorganisation der Partei. Er war rhetorisch gewandt, durchsetzungsfähig und „außerordentlich charmant“. Doch sein Privatleben war turbulent. Vermutlich noch während seine erste Frau lebte, begann er eine Affäre mit Edith Baumann, seiner Stellvertreterin bei der FDJ. Obwohl er sie im Dezember 1949 heiratete, während sie schwanger war, kam er kurz darauf von einer Moskau-Reise mit einer neuen Geliebten zurück: Margot Feist, einer attraktiven, 15 Jahre jüngeren FDJ-Funktionärin.

Margot Feist, eine „unheimlich kluge Taktikerin“, hatte Honecker „voll im Griff“. Die Affäre sorgte für Unruhe in höchsten Kreisen. Edith Baumann kämpfte um ihren Mann und schrieb einen Brief an Honeckers Mentor Walter Ulbricht, um Margot kaltzustellen. Dieser Brief landete später in Mielkes rotem Koffer. Doch Honecker verließ Edith und heiratete Margot – die jugendliche Rivalin hatte gesiegt.

Honeckers Karriere schritt voran. Er war ehrgeizig und kampfbereit, was sich unter anderem bei den Weltfestspielen der Jugend 1951 zeigte, als er FDJler zu einem umstrittenen Marsch nach Westberlin anstachelte. Er hatte ein „sehr, sehr gutes Gefühl dafür, wo ist die Macht und wo kann ich für mich persönlich das Beste herausholen“. 1958 machte Ulbricht ihn zum Vollmitglied des Politbüros.

Honecker erwies sich als Ulbrichts loyaler Ziehsohn, der ihm 1961 „die Drecksarbeit abnehmen“ wollte, indem er den Bau der Berliner Mauer „logistisch, methodisch, organisatorisch durchgeführt“ hat. Das Leid der Menschen nahm er dafür in Kauf, denn die „Stabilisierung der DDR und die eigene Macht gehen vor“.

Der Sturz Ulbrichts und das Leben in der „Scheinwelt“
Als Ulbricht 1970 mit Reformforderungen irritierte und die Sympathien Leonid Breschnews verlor, nutzte Honecker die Gunst der Stunde. Er suchte den Kontakt zum Sowjetführer und bekam dessen Zustimmung für einen kalten Putsch. Im Mai 1971 zwang er Ulbricht zum Rücktritt als SED-Chef. Honecker war nun ganz oben, Staats- und Parteichef der DDR. Für ihn als „überzeugter Stalinist“ und „reiner Machtmensch“ bedeuteten alte Loyalitäten nichts mehr; er ging „kompromisslos“ und „über Leichen“.

Privat schottete sich Honecker zunehmend ab. In Wandlitz, der Wohnsiedlung des Politbüros, lebte er in einem Luxus, der in der DDR „echter Luxus“ war. Er hatte Diener, Köche und ließ sich sogar Brötchen täglich 300 Kilometer weit aus Wandlitz in den Urlaubsort liefern. Seine Frau Margot zeigte eine erschreckende Realitätsferne, als sie sich über lange Schlangen in Kaufhallen wunderte und die „Idiots im Handel“ schalt, weil sie die Leute nicht „ordentlich“ versorgten.

Die Ehe der Honeckers galt ab 1981 als zerrüttet. Der BND erfuhr von Affären Honeckers, und Stasi-Chef Mielke informierte Honecker sogar darüber, dass Margot „jahrelang ein Doppelleben geführt“ und „intime Beziehungen zu allen möglichen Leuten“ gehabt hatte. Trotz aller Krisen blieb das Paar zusammen, verbunden durch ihr „gemeinsames Lebenswerk“ und die Tochter Sonja. Honecker fand Ruhe bei seinen Enkelkindern Roberto und Mariana und erfüllte ihnen alle Wünsche, wie Spielzeug aus dem Westen.

Macht, Gewalt und der Höhepunkt seiner Karriere
Honecker setzte in der Politik auf Macht und notfalls Gewalt. Als 1980 in Polen die Solidarność gegründet wurde, ließ er geheime Pläne für eine Militärintervention ausarbeiten und probte im März 1981 mit dem Warschauer Pakt den Ernstfall – zur „Sicherung seiner Macht“ war er bereit, „bewaffnete Gewalt“ einzusetzen. Sein Auftreten nach außen war jedoch sorgfältig inszeniert. Bei Besuchen, wie dem von Helmut Schmidt 1981, präsentierte er sich „aufgekratzt“ und „berechnet“, um Normalität und Nettigkeit vorzutäuschen. Die Anerkennung durch das Westfernsehen war ihm besonders wichtig.

Der Höhepunkt seiner Macht schien 1987 erreicht, als er zum Staatsbesuch in die Bundesrepublik Deutschland reiste und von Bundeskanzler Kohl „mit allen Ehren“ empfangen wurde. In seinem saarländischen Elternhaus zeigte sich der „kühle Funktionär“ sentimental. Doch dort, in Wibelskirchen, unterlief ihm ein folgenschwerer Leichtsinnsfehler: Er sprach davon, dass Grenzen eines Tages „uns nicht mehr trennen, sondern Grenzen uns vereinen“. Diese Äußerung irritierte Genossen in Ostberlin und Moskau und markierte den Anfang vom Ende seiner Herrschaft.

Abstieg und uneinsichtiger Abschied
Ab 1988 ging es für Honecker bergab. Ein persönlicher Schicksalsschlag traf ihn im Januar 1988, als seine zweijährige Lieblingsenkelin Mariana an einer Virusinfektion starb, die durch Luftverschmutzung und verzögerte medizinische Hilfe verstärkt wurde. Dieser Verlust erschütterte ihn zutiefst und machte ihn „richtig, ganz stark behindert“. Auch seine Gesundheit verschlechterte sich, er wurde müde und starr, seine „sportliche Vitalität und fehlende Elastizität“ ließen nach.

Als 1989 die ungarischen Kommunisten die Grenze zum Westen öffneten, blendete Honecker die Realität aus und bezeichnete es als „grenzkosmetische Maßnahme“. Wenige Monate später brach er mit Gallenkoliken zusammen und musste operiert werden. Während er verwirrt und desorientiert im Krankenhaus lag, wurde eine Nachrichtensperre verhängt, und er bekam von den Demonstrationen im Land „nicht viel mit“. An Rücktritt dachte er nicht, es widersprach seinem Selbstverständnis als „KP-Chef eines kommunistischen Landes“.

Am 17. Oktober 1989, kurz nach den Feierlichkeiten zum 40. Geburtstag der DDR, wurde Honeckers Sturz im Politbüro beschlossene Sache. Stasi-Chef Mielke drohte ihm mit dem Auspacken, möglicherweise im Hinblick auf den roten Koffer. Honecker gab auf; sein „Kronprinz“ Egon Krenz wurde sein Nachfolger. Es war „der Fluch der bösen Tat“ – Honecker ereilte das gleiche Schicksal, das er einst Ulbricht bereitet hatte.

Schwerkrank an einem bösartigen Nierentumor, musste Honecker 1993 nach Chile ausreisen, wo seine Frau Margot auf ihn wartete. Bis an sein Lebensende im Mai 1994 hielt er starrsinnig an seiner Sicht der Dinge fest. Er zeigte bis zum Schluss „weder Reue noch Einsicht“ für die Toten an der Mauer oder das Leid, das er angerichtet hatte. In Deutschland blieb der rote Koffer zurück, der Gnadengesuche seines Vaters enthielt, die mit der Begründung abgelehnt wurden, Honecker sei ein „unbelehrbarer Anhänger des Kommunismus“ – darauf war er zeitlebens stolz.

Honecker war „ein Machtmensch, ein Diktator, der zuweilen joviale menschliche Züge zeigte“, sich aber „in eine Scheinwelt des erfolgreichen Sozialismus einspinnen“ ließ, die nichts mit der Realität zu tun hatte. Diese Realität sollte er bis zu seinem Tod nie begreifen.

Historiker entlarvt Mythen über Stasi und polnischen Geheimdienst

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Berlin/Gorzów Wielkopolski (Landkreis) – Viele Annahmen und Spurensuchen, aber nur wenige umfassende Studien gab es bislang zum Binnenverhältnis der Geheimpolizeien Osteuropas. Diese Forschungslücke schließt nun eine wegweisende Studie: Dr. Tytus Jaskułowski hat in seiner Habilitationsschrift das Verhältnis zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit (MFS) der DDR und dem polnischen Innenministerium (MSW) – dem dort beheimateten polnischen Sicherheitsdienst – untersucht. Seine Arbeit, die auf jahrelanger Archivrecherche in Deutschland und Polen basiert, trägt den vielsagenden Titel „Eine Freundschaft, die es nicht gab“.

Jaskułowski, Professor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Gorzów Wielkopolski und Herausgeber der wissenschaftlichen Reihe über Polen-bezogene Stasi-Dokumente, bringt eine einzigartige deutsch-polnische Perspektive in seine Forschung ein. Für ihn ist das Thema nicht nur akademisch, sondern auch persönlich verwurzelt, da er als Jugendlicher durch polnische Presseberichte über die Stasi auf das Thema stieß. Seine Studie konzentriert sich auf die letzten 15 Jahre dieser Kooperation, eine Zeit der Öffnung des Ostblocks nach Westen, geprägt von der Gründung der Gewerkschaft Solidarność in Polen und der sowjetischen Politik von Glasnost und Perestroika.

In seiner Arbeit entkräftet Jaskułowski drei zentrale Mythen, die das Bild dieser Geheimdienstbeziehung prägten:
Mythos 1: Die operative Arbeit des MFS in Polen war super intensiv. Oft kursierten Zahlen von bis zu 1.500 Stasi-Agenten in Polen. Jaskułowski korrigiert diese Zahl drastisch. Nach seiner gründlichen Analyse waren es maximal 100 Personen, die tatsächlich verlässliche Informationen lieferten. Dabei unterscheidet er zwischen:
◦ Ad-hoc-Agenten: Personen, die nur gelegentlich bei Urlaubs- oder Familienbesuchen in Polen für die Stasi tätig waren und beispielsweise Flyer sammelten.
◦ Residenten: DDR-Bürger wie Studenten, Diplomaten oder Gastwissenschaftler, die sich länger in Polen aufhielten und Tendenzen analysieren sollten.
◦ Operatives: Eine sehr kleine Gruppe von Personen, die aktiv im Feld unterwegs waren, darunter auch Doppelagenten oder Anwerbeversuche, die die Stasi zu schützen versuchte. Die Qualität der gesammelten Informationen war dabei entscheidend, nicht die bloße formelle Registrierung als „inoffizieller Mitarbeiter“. Viele vermeintliche „Agenten“ waren eher oberflächliche Beobachter, deren Berichte wenig über die wirkliche Lage Polens aussagten.

Mythos 2: Das polnische Innenministerium (MSW) war schwach organisiert und in Bezug auf die Aufklärung der DDR ineffizient. Dieser Mythos wird durch Jaskułowskis Quellenanalyse ebenfalls entkräftet. Obwohl das MSW mit etwa 24.000 Mitarbeitern Ende der 1980er Jahre personell deutlich kleiner war als die Stasi mit über 90.000 Hauptamtlichen, war es keineswegs ineffizient. Die polnische Geheimpolizei war durchaus in der Lage, ihre Arbeit zu erledigen und besaß ein großes Interesse an der „deutschen Dimension“, sowohl aus historischen Gründen (Zweiter Weltkrieg) als auch wegen der direkten Grenzkonflikte mit der DDR. Jaskułowski konnte nachweisen, dass das MSW über viele Stasi-Aktivitäten in Polen sehr schnell Bescheid wusste. Ein Beispiel ist der Anwerbeversuch eines polnischen Bürgers durch die Stasi, dessen Information bereits 84 Stunden später dem polnischen Innenminister Czesław Kiszczak vorlag. Die Stasi war sich dieser Umstände bewusst und behandelte die polnische Seite mit Misstrauen, um eigene Quellen zu schützen, wie der Fall eines Doppelagenten beim Bundesamt für Verfassungsschutz zeigt, dessen Informationen nicht an die polnische Seite weitergegeben wurden.

Mythos 3: Die Kooperation zwischen MFS und MSW war relativ harmonisch. „Es gibt keine Freundschaft in dieser Welt“ – dieser Grundsatz der Nachrichtendiensttheorie trifft auch auf die Beziehungen innerhalb des Warschauer Paktes zu. Jaskułowski beschreibt die Beziehungen als „schizophrenisch“, da Polen gleichzeitig Freund und potenzielle Gefahr für die DDR war. Mehrere Faktoren untergruben jede Vorstellung von Harmonie:
◦ Grenzkonflikte: Insbesondere um die Seegrenze in der Pommerschen Bucht, die mit erheblichen wirtschaftlichen Interessen verbunden war.
◦ Parteipolitische Dimension: Aus Sicht der SED stellte jede „friedliche Revolution“ im Warschauer Pakt, wie die Solidarność-Bewegung, eine Gefahr dar, die auf die DDR übergreifen könnte.
◦ Wirtschaftlicher Wettbewerb: Die DDR wollte immer „Startnummer 1“ im Warschauer Pakt nach der Sowjetunion sein, während Polen ebenfalls diesen Status beanspruchte. Ein anschauliches Beispiel für das disharmonische Verhältnis liefert die Geschichte einer Prostituierten auf der Leipziger Messe, die vom MFS angeworben werden sollte. Die Stasi-Mitarbeiter wussten jedoch nicht, dass diese Frau bereits einen Betreuer beim polnischen Innenministerium hatte. Als sie zurück in Polen war, informierte sie ihren Betreuer, was zu einer förmlichen Entschuldigung der DDR-Seite gegenüber Polen führte – ein alltäglicher Vorgang, der das tatsächliche Kräftemessen unter der Oberfläche aufzeigt.

Jaskułowskis Forschung ist nur durch den Zugang zu umfassenden Archivbeständen möglich gewesen. Er recherchierte intensiv im Stasi-Unterlagen-Archiv (BSTU) in Deutschland und im Institut des Nationalen Gedenkens (IPN) in Polen. Während der Zugang zu Stasi-Akten in Deutschland relativ schnell und umfassend war, gestaltete sich die Forschung im polnischen Parallelarchiv schwieriger, da bestimmte Akten bis 2015 in einer „gesperrten Ablage“ lagen und spezielle Genehmigungen erforderten.

Neben seiner Habilitationsschrift hat Titus Jaskułowski auch ein weiteres Buch mit dem Titel „Spione wie ihr“ veröffentlicht, das 150 „absurde, plakative Kurzepisoden aus dem deutsch-polnischen Geheimdienstalltag“ versammelt. Dieses Bonusbuch bietet einen leichteren Zugang zu den oft skurrilen Seiten der Geheimdienstarbeit und ist laut Jaskułowski auch eine Form der „psychischen Hygiene“ angesichts der grausamen Realität, die er erforscht.

Die Studie von Titus Jaskułowski ist ein wesentlicher Beitrag zum Verständnis der komplexen und oft widersprüchlichen Beziehungen zwischen den Geheimdiensten des Warschauer Paktes und widerlegt nachhaltig vereinfachende Narrative von Freundschaft oder Schwäche.

Erich Mielke: Die Spinne im Netz der Angst

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Sein Name hallt noch heute durch die Annalen der DDR-Geschichte: Erich Mielke, der unumschränkte Chef des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), bekannt als Stasi. Ein Mann, der von vielen gefürchtet und gehasst wurde, dessen Machtfülle unkontrolliert und unbeschränkt war. Er regierte über Zehntausende Mitarbeiter und Spitzel und prägte das Leben in der Deutschen Demokratischen Republik wie kaum ein anderer.

Ein junger Hitzkopf wird zum Stalinisten
Geboren 1907 in Berlin, schloss sich der Arbeitersohn Mielke in den Wirren der Weimarer Republik den Kommunisten an. Als entschiedener Gegner der Nazis war er ein „junger Hitzkopf, zu allem bereit“. Seine blutige Vergangenheit begann 1931 mit der Erschießung zweier Polizisten am Bülowplatz, was ihn zur Flucht nach Moskau zwang. In Moskau studierte Mielke an der Parteischule und wurde Berufsrevolutionär. Sein großes Vorbild war Josef Stalin, dem er zeitlebens treu blieb. Er strebte danach, wie Stalin alle Verräter zu entlarven und Feinde zu vernichten.

Der Aufstieg zum Überwachungs-Imperator
1957 begann Mielkes Karriere als Chef des Ministeriums für Staatssicherheit. Seine Mission war es, die Macht der Partei im zweiten deutschen Staat zu sichern. Sein Credo: „Vertrauen in das Volk ist gut, Kontrolle ist besser.“ Das MfS beschäftigte sich zunehmend mit der Bespitzelung der eigenen Bevölkerung, denn Hunderttausende DDR-Bürger zog es in den „Goldenen Westen“. Jeder Flüchtling war ein Versagen für die Stasi und ihren Chef.

Der Mauerbau: Ein Pyrrhussieg für Mielke?
Die DDR befand sich aufgrund des Verlusts ihrer „wertvollsten“ Bevölkerungsteile am Rande einer Katastrophe. Die Antwort kam am 13. August 1961: Der Mauerbau. Für Mielke war dies ein historischer Sieg, der „Watzillus Freiheit“ schien erfolgreich bekämpft, die Macht und Mielkes Karriere gerettet. Das Volk wurde „eingemauert, als Staatseigentum konserviert“, um es „reif zu machen für den Sozialismus“. Mitte der 60er Jahre schien das Konzept aufzugehen, die DDR stabilisierte sich, und Mielke sah sich in seiner Annahme bestätigt, dass der Überwachungsapparat der DDR unverzichtbar sei.

Ein Charakter zwischen Brutalität und Sentimentalität
Mielke war nicht nur ein Mann mit bizarrem Charakter, sondern ein extroverierter Typ, der zwischen Brutalität, Pedanterie und Sentimentalität schwankte. Er sah sich als jemand, der Großes zu leisten hatte, konnte aber auch „sehr primitiv, sehr beleidigend, sehr kulturlos reagieren“.

Machtrausch und Furcht: Sein Rausch war die Macht über andere. Er verbreitete Furcht und Schrecken, selbst innerhalb des MfS. Höhere Offiziere hatten enorme Angst davor, von ihm zitiert zu werden, und er sprach offen Morddrohungen aus.

Akribie und Kontrolle: Mielke war ein „fleißiger, intensiver, qualifizierter Handwerker“, bei dem „jedes Schräubchen zusammenpassen musste“. Er forderte die konstante Überwachung der Menschen von 0 bis 24 Uhr, um ihre Gedanken aus ihren Handlungen abzuleiten. Seine Lebensweise war zackig, gründlich, exakt und auf die Minute genau.

Widersprüchliche Auftritte: Bei Besuchen in Betrieben gab sich der meistgefürchtete Mann der DDR kumpelhaft, um von den Arbeitern geliebt zu werden. Doch die Arbeiter sahen in ihm den „Apparatschick“ und „Bonzen“ und wichen ihm aus. Bei Geburtstagen konnte er ausgelassen sein und sang sein Lied „Prost, Prost, Prösterchen“.

Der unerbittliche Jäger der Republikflüchtlinge
Mielkes größter Feind war der Freiheitswille der Menschen. Jede Flucht sollte vereitelt, jeder Verräter aufgespürt werden. Der geflohene Grenzpolizist Rudi Thurow, der zum Fluchthelfer wurde, war in Mielkes Augen ein gefährlicher Staatsfeind. Mielke befahl sogar dessen „Liquidierung“ mit einem Hammer, ein Plan, der trotz minutiöser Vorbereitung scheiterte.

Auch das Transitabkommen in den 70er Jahren, das Hunderttausende Westwagen in die DDR brachte, war ein „Horrorszenario“ für Mielke. Fluchthelfer nutzten umgebaute Autos, um Menschen zu verstecken. Ellen Thiemanns Versuch, ihren Sohn in einem umgebauten Tankraum zu verstecken, scheiterte durch Verrat. Sie landete im Stasi-Gefängnis, wo sie unter menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert war. Mielkes „großes Ohr“ war überall, seine Männer kannten die Tricks der Fluchthelfer und waren dem Gegner stets einen Schritt voraus. Die Grenzüberwachung war so engmaschig, dass auf einen Stasimann 180 Bürger kamen, deutlich mehr als in anderen sozialistischen Staaten.
Das Grenzgesetz der DDR sah bei Grenzverletzungen „gezielte Schüsse“ vor. Fast 1000 Menschen starben an der Grenze, weil sie den Weg in die Freiheit suchten. Mielke nahm jeden Toten für den Machterhalt in Kauf und setzte auf rigorose Abschreckung.

Der Fall einer Ikone der Macht
Mitte der 80er Jahre bröckelte die Fassade der DDR. Hunderttausende stellten Ausreiseanträge, und Mielkes Angst vor dem Klassenfeind wurde zum Wahn. Er plante, das Volk zu internieren, und hatte Listen für Festnahmen im Ernstfall vorbereitet. Noch fünf vor zwölf versuchte er, Panik zu verbreiten und den Menschen einzureden, dass Krieg vor der Tür stehe.

Doch der „Bacillus Freiheit“ erfasste das ganze Volk. Die sowjetischen Panzer blieben in den Kasernen. Wenige Tage nach dem Mauerfall sprach Mielke zum ersten Mal in der Volkskammer. Er überraschte seine Zuhörer mit dem unerwarteten Geständnis: „Ich liebe doch alle, alle Menschen. Ich liebe doch, ich setze mich doch dafür ein.“. Dieses bizarre Eingeständnis, das als Gipfel der Realitätsverweigerung empfunden wurde, zeigte einen alten Mann, der „sich immer noch als der Gewinner“ sah.

Nach der Wende wurde Mielke wegen der Polizistenmorde von 1931 verurteilt, jedoch bald darauf wegen Haftunfähigkeit entlassen. Bis zu seinem Tod lebte Erich Mielke als Rentner in einem Plattenbau – „Ohne Reue. Ohne jedes Schuldgefühl.“.

Walter Ulbricht: Aufstieg und Fall des Architekten der DDR

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Walter Ulbricht, geboren am 30. Juni 1893 in Leipzig, war zweifellos einer der einflussreichsten, wenn nicht sogar der einflussreichste Politiker der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Seine Eltern und Großeltern waren Arbeiter und Handwerker, und seine soziale Herkunft prägte seinen Weg in sozialistische und Arbeiterbewegungen, die seine politischen Überzeugungen formten.

Frühe Jahre und Aufstieg in der KPD
Ulbricht begann 1907 eine Lehre als Zimmermann und trat mit 20 Jahren der Sozialistischen Partei Deutschlands (SPD) bei. Seine politischen Aktivitäten wurden durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen, wo er als Infanterist kämpfte. Nach dem Krieg wurde er 1920 Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und stieg langsam in höhere Positionen auf. Er verbrachte mehrere Jahre in Moskau, wo er für die Kommunistische Internationale (Komintern) arbeitete, einer sowjetischen Organisation zur Förderung des Weltkommunismus. Ulbricht war bekannt für seine Hartnäckigkeit und seine introvertierte Art; er rauchte oder trank nicht und hatte keine Freunde. Eine seiner Taktiken, um voranzukommen, war es, Fehler anderer zu melden, was ihm 1937 zur Position des Leiters des Sekretariats des Zentralkomitees der KPD verhalf.
Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, floh Ulbricht wie viele andere Kommunisten in die Sowjetunion, wo er den Großteil der Zeit des Dritten Reiches verbrachte.

Rückkehr nach Deutschland und Machtübernahme
Im Mai 1945 kehrte Ulbricht als Anführer der „Gruppe Ulbricht“ nach Deutschland zurück – der ersten Gruppe von zehn deutschen KPD-Mitgliedern aus Moskau. Die Wiederbelebung der KPD war schwierig, da die Mitglieder in drei Lager gespalten waren: die in Deutschland Verbliebenen, die in den Westen Emigrierten und die in Moskau Verbrachten. Angesichts eines Wahldebakels der Kommunisten in Österreich befahl Stalin, die Vereinigung von Kommunisten und Sozialdemokraten zu beschleunigen, um seinen Einfluss in Deutschland zu sichern. Ulbricht setzte dies um, und im April 1946 wurde die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) gegründet. Obwohl offiziell eine Fusion, wurde die SED in Wirklichkeit von den Kommunisten geführt.

Im Mai 1949 wurde die Bundesrepublik Deutschland gegründet, was zur Gründung der DDR führte. Ulbricht wurde zum Generalsekretär des Zentralkomitees der SED ernannt und damit zum mächtigsten Mann der DDR.

Ulbrichts Führungsstil und Konsolidierung der Macht
Ulbricht war bekannt für seine Eigenmächtigkeit. Er traf regelmäßig individuelle Entscheidungen, informierte das Politbüro oft nicht und zwang seine Kollegen, Entscheidungen ohne Vorbereitungszeit zu treffen. Er zeigte keinen Respekt und behandelte sie unhöflich. Trotz seiner schlechten Redefähigkeit – er sprach mit hoher Stimme und sächsischem Dialekt, schaute meist auf seinen Text und machte viele Fehler – hielt er sich an der Macht. Gründe hierfür waren die fehlende Entschlossenheit seiner Gegner und die Unterstützung Moskaus, da er sich als loyaler Kommunist erwiesen hatte und über gute Kontakte nach Russland verfügte. Ulbricht war ein besessener Arbeiter, immer im Dienst, interessierte sich für jedes Thema und las stapelweise Dokumente, um stets besser informiert zu sein als seine Genossen.

Krisen und politische Manöver
Der „Aufbau des Sozialismus“: 1952, als eine Wiedervereinigung mit Westdeutschland unwahrscheinlich schien, befahl Stalin der DDR, eine Armee aufzubauen und die Grenze zu Westdeutschland zu einer „gefährlichen“ zu machen. Obwohl Stalin das Wort „Sozialismus“ nicht explizit erwähnt sehen wollte, entschied Ulbricht, den Slogan „Vorwärts mit Frieden, Einheit, Demokratie und Sozialismus“ für die bevorstehende Zweite SED-Parteikonferenz auszugeben. Dort hielt er eine lange Rede, in der er den Aufbau des Sozialismus nach Plan verkündete, was mit langem Applaus und stehenden Ovationen honoriert wurde.

Stalins Tod und der Volksaufstand vom 17. Juni 1953: Der Tod Stalins am 5. März 1953 war ein tiefer Schock für Ulbricht und die SED-Führung. Ulbricht teilte viele Eigenschaften mit Stalin: rhetorisch schwach, aber kühn, in Krisen sogar kaltschnäuzig, niemandem vertrauend, Gegner eliminierend, anspruchslos im Lebensstil und mit großem Organisationstalent sowie absolutem Machtwillen. Im Juni 1953 geriet Ulbrichts Position ins Wanken. Restriktionen der Freiheit, Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft, Reisebeschränkungen und vor allem die Erhöhung der Arbeitsnormen bei gleichzeitig steigenden Preisen sorgten für Unmut in der Bevölkerung. Die Sowjets waren besorgt, und Lawrenti Beria, ein vehementer Gegner Ulbrichts, forderte einen Kurswechsel. Das Politbüro kritisierte Ulbrichts „Diktatur“. Obwohl ein „Neuer Kurs“ mit Reiseerleichterungen und einer Aussetzung der Zwangskollektivierung angekündigt wurde, blieben die Arbeitsnormen unerwähnt – ein Fehler Ulbrichts. Dies führte am 16. Juni zu einem großen Streik in Berlin. Ulbricht ignorierte die Demonstranten und ihre Forderungen nach seinem Rücktritt. Am 17. Juni eskalierte die Situation zum Volksaufstand, der von den Sowjets blutig niedergeschlagen wurde. Ulbricht überlebte, da seine Gegner nicht entschlossen genug waren, ihn zu stürzen, und Beria in Moskau entmachtet und hingerichtet wurde.

Rache und Entstalinisierung: Nach dem Aufstand rächte sich Ulbricht an seinen Kritikern im Politbüro. Rudolf Herrnstadt und Wilhelm Zaisser wurden aus der Partei ausgeschlossen. 1956 hielt Nikita Chruschtschow seine Geheimrede, in der er Stalin vom Podest stieß. Ulbricht, der Stalin bis dahin in jeder Rede geehrt hatte, reagierte pragmatisch. Er musste Reformen zulassen, rehabilitierte 73 SED-Mitglieder und entfernte Stalindenkmäler.

Eliminierung letzter Feinde: Bis 1958 hatte Ulbricht alle verbliebenen Gegner im Zentralkomitee ausgeschaltet. Ein entscheidender Moment war der Selbstmord von Gustav Justa Silla nach einer Auseinandersetzung mit Ulbricht und die darauffolgende Entmachtung von Karl Schirdewan. Nun war Ulbricht bis zu seiner Ablösung 1971 der absolute Herrscher.

Der Bau der Berliner Mauer und internationale Beziehungen
Die offene Grenze um West-Berlin war Ulbricht ein Dorn im Auge. Im März 1961 schlug er bei einem Treffen der Warschauer-Pakt-Staaten vor, die Grenze zu schließen, stieß aber auf Ablehnung. Dennoch befahl er Erich Honecker, die Schließung vorzubereiten. Am 15. Juni 1961 erklärte er auf einer Pressekonferenz, dass „Niemand die Absicht hat, eine Mauer zu bauen“. Doch am 13. August 1961 geschah genau das. Die Schließung der letzten Schlupflöcher führte zu einem positiven Impuls für die ostdeutsche Wirtschaft, und der Lebensstandard erreichte in den Folgejahren den höchsten aller kommunistischen Staaten. Gleichzeitig verloren Dutzende Menschen bei Fluchtversuchen ihr Leben.

Mitte der 1960er Jahre setzte sich Ulbricht intensiv für die internationale Anerkennung der DDR ein. 1969 nahm der Irak als erstes nicht-kommunistisches Land diplomatische Beziehungen zur DDR auf, gefolgt von weiteren Staaten. Ulbricht verfolgte auch weiterhin die Vision eines geeinten, sozialistischen Deutschlands und integrierte dies 1968 sogar in die neue DDR-Verfassung.

Niedergang und Sturz
Gegen Ende der 1960er Jahre wurde Walter Ulbricht zu einem „lebenden Denkmal des Weltkommunismus“. Sein Charakter entwickelte sich zu einem Punkt, den viele als unerträglich beschrieben, geprägt von Bossiness und Ego-Problemen. Er sah sich auf einer Stufe mit Lenin und Stalin und belehrte sogar die Sowjets, einschließlich Leonid Breschnew, über die Erfolge der DDR-Wirtschaft. Gleichzeitig verschlechterte sich Ulbrichts Gesundheit, und die DDR geriet in eine Finanzkrise, begleitet von Unzufriedenheit über Wohnverhältnisse, Kinderbetreuung und Infrastruktur.

Im Jahr 1970 kam es zu innerdeutschen Verhandlungen, die Ulbricht gegen den Willen der Sowjetunion weiterführen wollte. Dies führte zu einer wachsenden Distanz zwischen Ulbricht und Breschnew. Erich Honecker, Ulbrichts ehemaliger Mentor, nutzte diese Situation aus. Im Juli 1970 wurde Honecker kurzzeitig von seinem Posten entfernt, aber auf Anweisung Breschnews sofort wieder eingesetzt.

Anfang 1971 schickte Honecker einen Brief an die sowjetische Kommunistische Partei, unterzeichnet von 13 der 21 Politbüro-Mitglieder, in dem er Ulbrichts Rücktritt forderte, um „irreparable Schäden an der Partei zu vermeiden“. Drei Monate später erhielt Honecker grünes Licht aus Moskau. Nach einer 90-minütigen Auseinandersetzung auf Ulbrichts Landsitz gab dieser auf und unterzeichnete sein Rücktrittsgesuch. Ulbricht wurde Ehrenpräsident der SED und blieb Vorsitzender des Staatsrates, während Honecker Erster Sekretär der SED wurde.

Die letzten Jahre und sein Vermächtnis
Nach seinem Rücktritt verschlechterte sich Ulbrichts Gesundheit rapide. Er litt unter Kreislaufkollapsen und Herzinfarkten, vermutete aber, dass die Ärzte ihn bewusst von der Politik fernhalten wollten. Er sandte weiterhin Beschwerdebriefe an Breschnew, der jedoch nicht intervenierte. Sein letzter öffentlicher Auftritt war an seinem 80. Geburtstag am 30. Juni 1973. Einen Monat später, am 1. August 1973, starb Walter Ulbricht an Herzversagen.

Entgegen der Annahme, dass seine Beerdigung klein ausfallen würde, wurde sie auf sowjetische Anweisung zu einem Staatsbegräbnis. Delegationen der Warschauer-Pakt-Staaten nahmen teil, und Honecker hielt eine Gedenkrede. Sechs Wochen später wurde Ulbricht auf der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin neben Wilhelm Pieck beigesetzt.

Walter Ulbricht ist untrennbar mit der Geschichte des Kommunismus in Deutschland und der Gründung sowie Entwicklung der DDR verbunden. Sein Vermächtnis war die Deutsche Demokratische Republik.

Egon Krenz: Eine Nachlese zum Leben des letzten SED-Chefs

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Egon Krenz, geboren 1937 im heutigen Kolberg in Polen, war eine Schlüsselfigur der Deutschen Demokratischen Republik und ihr letzter Staatsratsvorsitzender. In einem Interview von 2017 blickt er auf sein Leben, seine Karriere und die turbulenten Ereignisse der Wendezeit zurück. Er lebt heute, wo andere Urlaub machen, „am Rande des Paradieses“ an der Ostsee, in einem kleinen Häuschen hinterm Deich.

Frühe Prägung und politischer Aufstieg
Krenz wuchs als Sohn eines Schneiders auf, den er nie kennenlernte, da sein Vater im Zweiten Weltkrieg fiel. Seine Mutter, die zwei Weltkriege erlebt und in jedem den Vater ihrer Kinder verloren hatte, war ursprünglich unpolitisch, wurde jedoch durch diese Erfahrungen politisiert und warnte ihren Sohn eindringlich vor der Politik.

Seine Kindheit war geprägt von den Schrecken des Krieges: Er erinnert sich an Luftschutzkeller, in denen Kinderstimmen und Stöhnen Älterer zu hören waren – Erlebnisse, die ihn bis ins Alter verfolgten. Vor der Flucht aus Kolberg wurde ihm durch Propaganda eingetrichtert, die Russen seien „die Bösen“; eine Vorstellung, die später durch seine Begegnung mit einem freundlichen russischen Dolmetscher korrigiert wurde, der ihm Essen brachte.

Krenz’ politischer Weg begann ungewöhnlich: Zuerst war er als „Laufbursche“ für die CDU in Damgarten tätig, wo er für fünf Mark Plakate austrug und Stühle rückte. Später wurde er jedoch vom Parteisekretär der SED rekrutiert, nachdem er beim Überkleben von SED-Plakaten mit CDU-Werbung erwischt wurde. Dieser Mann erklärte ihm die SED-Ideologie und gab ihm Schulungshefte, unter anderem von Wolfgang Leonhard, zu lesen.

Obwohl Krenz ursprünglich Lehrer werden wollte, wurde ihm dies aufgrund seiner „sozialen Herkunft“ als Rentnerkind verwehrt; er wurde stattdessen zur Arbeiter-und-Bauern-Fakultät geleitet. Ein prägender Moment war 1956, als er als Student Walter Ulbricht kritisierte, weil dieser die Jugend für ihre anhaltende Verehrung Stalins verantwortlich machte, obwohl Ulbricht selbst Stalins Kult gefördert hatte. Diese Episode führte dazu, dass er von Georg Ewald, dem damaligen Ersten Kreissekretär der SED auf Rügen, gefördert und schließlich Funktionär der Freien Deutschen Jugend (FDJ) wurde, der er 1953 beigetreten war. Krenz sah die FDJ als anti-faschistische Organisation und nicht vergleichbar mit der Hitlerjugend.

Im Zentrum der Macht – und in Wandlitz
Krenz’ Karriere in der DDR war steil: Er studierte an der Parteihochschule der KPdSU in Moskau, wurde Sekretär der FDJ, 1983 Mitglied des Politbüros und 1984 stellvertretender Staatsratsvorsitzender unter Erich Honecker, dessen Nachfolger er im Oktober 1989 wurde.

Sein Leben in Wandlitz, der abgeschotteten Siedlung der DDR-Führung, beschreibt er als wenig luxuriös. Er war dort selten zu Hause und empfand die Mauer um die Siedlung als politisch problematisch, da sie die Führung von der Bevölkerung abschottete. Das Fahren eines Volvos, während es auch DDR-Autos gab, wurde als Zeichen von Privilegien wahrgenommen – eine Entscheidung, die Krenz selbst im Nachhinein nicht getroffen hätte.

Krenz beschreibt Erich Honecker als einen widersprüchlichen Mann mit hohen Idealen, der einen großen antifaschistischen Hintergrund hatte. Er war ein beliebter FDJ-Funktionär und wurde von westdeutschen Politikern wie Helmut Schmidt und Franz Josef Strauß respektiert. Für Krenz war Honecker aufgrund des Altersunterschieds eher eine Vaterfigur.

Das Verhältnis zu Michail Gorbatschow war komplex. Anfangs unterstützte Krenz Gorbatschows Reformen und versuchte Honecker zu überzeugen, einen ähnlichen Kurs zu fahren. Später jedoch empfand er Gorbatschows Haltung als Heuchelei und Verrat an der DDR, insbesondere als dieser angeblich seine Verantwortung für die Zerschlagung des Kommunismus einräumte.

Die Wendejahre 1989
• Kommunalwahlen Mai 1989: Als Leiter der Wahlkommission verkündete Krenz ein Ergebnis von 98,95 % Zustimmung, obwohl er wusste, dass es nicht der Realität entsprach. Er sah sich zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht in der Lage, das Ergebnis zu korrigieren, um eine Staatskrise zu vermeiden.

Tian’anmen-Massaker Juni 1989: Krenz verteidigte die Niederschlagung der Proteste in China als Akt zur Wiederherstellung der Ordnung, was ihm in Ost und West viel Kritik einbrachte. Er betonte jedoch, seine Äußerungen seien von den Medien falsch dargestellt worden.

Leipzig, 9. Oktober 1989: Krenz beansprucht eine entscheidende Rolle bei der Verhinderung von Gewalt gegen die Demonstranten. Bereits am 8. Oktober wurde in Honeckers Arbeitszimmer die Entscheidung getroffen, keine Gewalt anzuwenden. Krenz koordinierte dies mit den Sicherheitsorganen und sprach am 9. Oktober morgens erneut mit den Ministern, um sicherzustellen, dass kein Blut fließen würde. Später trug er maßgeblich zur Deeskalation bei, was ihm sogar vom Gericht in seinem späteren Prozess zugesprochen wurde.

Mauerfall 9. November 1989: Am 13. Oktober unterzeichnete Krenz den Befehl 9/89, der den Schusswaffengebrauch bei Demonstrationen untersagte, und später Befehl 11/89, der den Schusswaffengebrauch an der Grenze verbot. Er befürchtete Zwischenfälle am 4. November bei der Demonstration am Alexanderplatz und behauptet, er und andere hätten dafür gesorgt, dass sowjetische Panzer in den Kasernen blieben, entgegen der späteren Darstellung, Gorbatschow hätte dies alleine entschieden.

Nach nur 49 Tagen als Staatsratsvorsitzender trat Krenz im Dezember 1989 zurück. Er glaubte damals noch, die DDR retten zu können und unterschätzte den Zusammenbruch der SED.

Nach der Wende: Prozess und Reflexion
Im Januar 1990 wurde Krenz aus der SED-Nachfolgepartei ausgeschlossen, was er als persönliches Drama empfand.

Die Prozesse gegen ihn und andere DDR-Verantwortliche, die er als „Siegerjustiz“ bezeichnete, kritisiert Krenz scharf. Er argumentiert, dass die Bundesrepublik Deutschland ihr eigenes Rückwirkungsverbot verletzt habe, um DDR-Bürger zu verurteilen. Krenz bestreitet, dass die Grenze zur Bundesrepublik eine rein innerdeutsche Grenze war, sondern vielmehr die Außengrenze des Warschauer Paktes und eine Systemgrenze, deren Entstehung von internationalen Zwängen geprägt war. Er betont, dass jeder Tote an der Grenze „einer zu viel“ war.

Krenz wurde zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt und verbrachte vier Jahre im Gefängnis. Die Zeit der Haft hat er abgehakt und verwehrt sich dagegen, sich als Märtyrer darzustellen. Nach der Haftentlassung arbeitete er unter anderem als Übersetzer für technische Texte aus dem Russischen und versuchte, in der kapitalistischen Wirtschaft Fuß zu fassen.

Die Wiedervereinigung bezeichnet er als „Gewissensfrage“. Einerseits schätzt er, dass Deutsche nicht mehr aufeinander schießen können, andererseits ist er enttäuscht, dass deutsche Soldaten nun im Ausland eingesetzt werden – etwas, das die DDR-Armee, die Krenz als einzige deutsche Armee bezeichnet, die keinen Krieg geführt hat, nicht getan hat.

Krenz sieht sich weiterhin als Kommunist im Sinne von Marx und Engels, lehnt aber den Stalinismus ab. Er ist kein Mitglied der Linkspartei, wählt sie aber. Die pauschale Verurteilung der DDR als „Unrechtsstaat“ empfindet er als Beleidigung für viele, die dort gelebt und gearbeitet haben. Den Untergang der DDR führt er auf einen komplexen historischen Prozess zurück, in dem sie „zerrieben worden am Kampf der Systeme“, dem Wettrüsten und eigenen Fehlern. Er bestreitet, dass die DDR bankrott war.

Krenz hofft, dass künftige Generationen die „gute Spur“ der DDR in der Geschichte besser erkennen können, nämlich „dass ein Leben ohne Kapitalisten möglich ist“.

25 Jahre Berliner Mauer: Eine bittere Bilanz menschlichen Leids und ungenutzter Potenziale

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Berlin, 1986 – Fünfundzwanzig Jahre ist es her, dass Stacheldraht und Beton die Stadt teilten und „fliehende Menschen zurückgehalten werden sollten“. Die Berliner Mauer, von ihren Erbauern als „antifaschistischer Schutzwall“ bezeichnet, wurde zu einem Symbol deutscher Teilung, das bis heute tiefe Spuren in den Biografien und der Gefühlswelt der Menschen hinterlassen hat. Doch nach einem Vierteljahrhundert stellt sich nicht nur die Frage nach ihrem Leid, sondern auch nach ihrer zukünftigen Durchlässigkeit und den immensen Kosten, die sie für die deutsche Gesellschaft bedeutet.

Die physische und psychische Barriere
Seit dem Bau der Mauer im August 1961 haben bundesdeutsche Behörden 184 Menschen registriert, die auf der Flucht von Ost- nach West-Berlin ihr Leben verloren. Die tatsächliche Zahl der Todesopfer lässt sich bis heute nicht ermitteln. Was einst als undurchdringliche Barriere galt, vor allem für jene, die von Ost nach West wollten, scheint sich in den Augen mancher paradoxerweise zu wandeln: Neuerdings sei sie „für einen breiten Asylantenstrom aus der dritten Welt durchlässig wie nie zuvor“.

Doch über die physische Sperre hinaus hat sich die Mauer tief in das kollektive und individuelle Bewusstsein eingebrannt. Menschen empfanden stets eine „Sehnsucht“, diese Mauer zu überschreiten oder zu überfliegen – sei es aus „platten ökonomischen Sachen“, dem Wunsch, im Fernsehen Gesehenes live zu erleben, „kulturellen Sehnsüchten“ oder dem einfachen Recht, einmal den Eiffelturm zu sehen. Die Hoffnung darauf, dass dies eines Tages möglich sein wird, „hört nicht auf“.

Verinnerlichung und die „Mauer im Hirn“
Nach 25 Jahren hat sich eine tiefgreifende Gewöhnung oder vielmehr Verinnerlichung eingestellt. Die anfängliche Empörung über das „Faktum“ der Mauer sei kaum noch spürbar, stattdessen sei es „verinnerlicht“ worden. Beobachtungen bei S-Bahn-Fahrten durch die Mauer zeugen von einer „gespannten, kritischen, traurigen Reaktion“ der Reisenden, die sich von vor zehn Jahren unterscheidet – weniger Empörung, mehr Akzeptanz der Realität. Dies führt zu der Besorgnis, dass eine solche „Einmauerung nicht zur Mauer im Hirn wird für die Leute in der DDR“.

Die Mauer hat sich „unserem ganzen Leben stark mitgeteilt“, auch wenn der Verstand weiß, dass bei Fahrten durch die DDR nichts passieren kann, so kann der Magen dennoch mit „wüsten Magenschmerzen“ reagieren. Es ist eine tiefe emotionale Verankerung, die oft stärker ist als das rationale Denken.

Ein „notwendiges Übel“ wird „überfällig“
Die Mauer wurde von manchen als „notwendiges Übel“ empfunden, im Sinne, dass sie sein musste. Doch inzwischen sei sie „fast ein überfälliges Übel“, da die DDR sich „etabliert“ und „durchgesetzt“ habe. Der Schriftsteller Graham Green soll die Mauer einst für „orthodoxe Kommunisten“ mit der „unbefleckten Empfängnis“ für Katholiken verglichen haben – ein Thema, über das nicht diskutiert werden könne. Doch gerade das sei notwendig.

Verschwendung von Potenzial und die Frage der Durchlässigkeit
Die Existenz der Mauer stellt auch eine enorme „Verschwendung von Menschen und von Arbeitskraft und Material“ dar. Tausende von Menschen, die Dienst an der Mauer tun, könnten „vernünftige Arbeit tun“, und „wie viel weiter wir gekommen wären“, wenn dieses Potenzial genutzt würde.

Die Frage nach einer durchlässigeren Mauer ist zentral. Die Befürchtung, dass zu viele Menschen „abhauen“ würden, wird relativiert: Wenn die Möglichkeit bestünde, zurückzukommen und man nicht als „Verräter“ oder „Geächteter“ gälte, dann würde dies vermutlich nicht in dem Maße geschehen. Eine wirklich durchlässige Mauer würde „sicherlich recht aufregend für beide Teile Deutschland“ sein, mit Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und den Kunsthandel. Doch gleichzeitig würde sich „viel von alleine regeln“.

Die persönliche Bilanz einer Berlinerin, die ihr Leben lang in der geteilten Stadt verbracht hat, fasst das Dilemma zusammen: Einst freiwillig hinter die Mauer zurückgekehrt und traurig, nicht mehr darüber zu können, ist sie nun traurig, nicht dahinter zu können – „wenigstens besuchsweise“. Die Mauer, so scheint es, hat in 25 Jahren vor allem eines gebracht: „nie viel Glück“.

Der Fall des „Ewigen“ – Erich Honecker und das Ende der DDR

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Am 7. Oktober 1989 feierte Erich Honecker, umgeben von einem Fackelzug der FDJ, den 40. Geburtstag der Deutschen Demokratischen Republik. Es war ein „Staatsschauspiel mit herbeibefohlenen Darstellern unter Bewachung“. Doch hinter der glänzenden Fassade brodelte es gewaltig: „Hochmut vor dem Fall“ – die DDR war in Aufruhr, und selbst viele der Gratulanten jubelten nicht Honecker zu, sondern ihrem Hoffnungsträger Gorbatschow. Die Menschen sehnten sich nach „Reisen, Freiheit, raus aus [den] Grenzen“. Dies war das Ende einer Geschichte, die genau 40 Jahre zuvor begonnen hatte.

Vom FDJ-Chef zum Architekten der Mauer
Erich Honecker, Sohn eines Bergarbeiters aus dem Saarland, war ein eifriger Funktionär und der Organisator des Fackelzugs zur Gründung der DDR. Als Ziehsohn Walter Ulbrichts machte er unaufhaltsam Karriere und wurde 1958 zum Sekretär für Sicherheitsfragen ernannt, zuständig für Militär, Polizei und Stasi. Praktisch war er „faktisch der zweite Mann in der Partei“.

Seine „Feuerprobe“ kam im Sommer 1961, als täglich Hunderte den Ostteil Berlins verließen und die DDR „ausblutete“. Unter höchster Konspiration beauftragte Ulbricht seinen Sicherheitssekretär Honecker heimlich mit den Vorbereitungen zur Sperrung der Sektorengrenze in Berlin. Am Abend des 12. August 1961 wurde bekannt, dass ein Stab unter Erich Honeckers Leitung die Grenzschließung um Mitternacht vollziehen würde. Die DDR-Staatsmacht marschierte auf. Für Bürger wie Doris Mondstein, die kurz zuvor noch aus dem Osten zurückgekehrt war, war nichts Ungewöhnliches zu bemerken. Doch die Kampfgruppen der Arbeiterklasse wurden mobilisiert, um die Schließung der Grenze gemeinsam mit der Polizei durchzuführen.

Die Mauer war Honeckers „Gesellenstück“. Sie wurde „praktisch gebaut für die Ewigkeit“ und markierte für viele Jahre die Trennung von Familien. Doris Mondstein konnte ihre Mutter und Schwester nur aus der Ferne sehen, ein kurzer Blick, oft unter Tränen und mit Angst vor der Polizei.

Honeckers Reich und die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“
Ab 1971 war die DDR „Honeckers Reich“, nachdem er seinen Ziehvater Ulbricht beiseitegeschoben hatte. Er galt als Politiker „erheblichen Kalibers“, der im kleinen Kreis die Zügel fest in der Hand hatte. In den 70er Jahren startete er eine Charmeoffensive im Westen, die zur internationalen Anerkennung der DDR führte. Er glaubte, Politik für das arbeitende Volk zu machen: eine sichere Wohnung, Arbeit, Kleidung und Essen – das war für ihn Sozialismus. Sein Credo war die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“: Wohltaten für das arbeitende Volk, vor allem neue Wohnungen, die bis 1990 das „drückende Wohnungsproblem“ lösen sollten. Der Slogan lautete: „Ich leiste was, ich leiste mir was“.

Doch diese scheinbare Öffnung und der „Hauch von Freiheit“ waren nur ein „schöner Schein von Liberalität“, der keine wirkliche demokratische Öffnung zuließ.

Widerstand und Repression
Trotz der Wohltaten stießen viele Bürger an die Grenzen des Staates. In Jena entstand in den 70ern ein Freundeskreis unter dem Dach der Kirche, der ein freies Leben wollte und sich dem „Gängelband der Staatsführung“ entzog. Roland Jahn, der wegen seiner Meinung von der Universität geflogen war, begann mit politischen Aktionen. Das Regime reagierte mit „massiven Zugriffen der Polizei“ und Stasi-Überwachungen.

Ein tragisches Beispiel war der Freund Jahns, Matthias Domaschk, der 1981 unter ungeklärten Umständen in Stasi-Haft ums Leben kam. Angeblich war es Selbstmord durch Erhängen, aber für seine Freunde war es ein Schock, der zeigte, dass es um „Leben oder Tod“ ging. Jahn selbst wurde zum Staatsfeind und 1983 gewaltsam aus seiner Heimat vertrieben.

Die Grenze zur BRD blieb ein tödliches Risiko. Silvio Proksch, ein Ost-Berliner, wagte 1983 die Flucht und wurde von sieben Schüssen in den Unterleib getroffen. Seine Familie wurde verhört und belogen; erst nach der Wende erfuhren sie von seinem Tod. Der Tod Silvios war ein Trauma, das seine Mutter und seinen Bruder Carlo nie verkrafteten. Die deutsch-deutsche Grenze forderte fast 1.000 Opfer.

Die Krise verschärft sich
Honeckers Sozialpolitik war zu teuer. Mieten waren extrem niedrig, Südfrüchte wurden gegen Devisen eingeführt, und Brot war so billig, dass es als Tierfutter genutzt wurde. Die Bausubstanz verfiel, da die Mieten die Kosten nicht deckten. Trotzdem hielt Honecker an seinem Kurs fest. Kritiker wie Planungschef Gerhard Schürer, die die Überforderung der Wirtschaft anmahnten, wurden bedroht und zum Schweigen gebracht. Honecker glaubte an den Sieg des Sozialismus und an eine endlose Kreditaufnahme: „Schulden, Schulden, Schulden… das Kapital finanziert mit seinen Anleihen unser Wirtschafts- und Sozialpolitik“.

1983 half ausgerechnet der antikommunistische bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß der DDR mit einem Milliardenkredit aus der Bredouille. Im Gegenzug wurden die Selbstschussanlagen an der Mauer abmontiert, doch Honeckers Befehl, rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, blieb in Kraft.

Die letzten Zuckungen des Regimes
Im Jahr 1987, während Honeckers offiziellem Besuch in der Bundesrepublik, erließ er eine Amnestie für politische Häftlinge, um „gutes Wetter zu machen“. Gleichzeitig wurde in Dresden der „Olof-Palme-Friedensmarsch“ von Bürgerrechtlern genutzt, um unter staatlicher Duldung Forderungen nach Freiheit zu stellen. Doch die Staatssicherheit nutzte diese Ereignisse, um einen „Enthauptungsschlag“ gegen die Bürgerrechtsbewegung zu planen.

Im November 1987 überfiel die Stasi die Umweltbibliothek in der Zionskirche, ein „Nest mit ungeahntem Zuspruch“, in dem sonst geheime Umweltdaten verbreitet wurden. Doch im Gegensatz zu ihren Erwartungen führte die Verhaftung zu Mahnwachen und internationaler Aufmerksamkeit, auch dank der Unterstützung von Roland Jahn aus West-Berlin, der Bücher, Druckmaschinen und Kameras in den Osten schickte, um die Opposition zu unterstützen und sie in den westlichen Medien sichtbar zu machen. Die Staatsmacht musste nach wenigen Tagen einlenken und die Verhafteten freilassen.

Die katastrophale Umweltsituation, etwa in Espenhain bei Leipzig, wo die Lebenserwartung deutlich unter dem Durchschnitt lag und Kinder krank waren, zeigte den Verfall des Landes. Doch Honecker verschloss die Augen vor der Realität, auch als sich in Moskau unter Gorbatschow der Wind drehte. Für Honecker war die DDR sein Lebenswerk, und er lehnte Gorbatschows Reformen ab.

Der Damm bricht
Im Sommer 1989 öffnete Ungarn seine Grenzen und ließ DDR-Bürger ziehen, der „Damm [war] gebrochen“. Tausende flüchteten in die bundesdeutsche Botschaft in Prag. Honeckers Entscheidung, die Züge mit den Flüchtlingen durch die DDR nach Westen fahren zu lassen, verschärfte die Lage dramatisch. Am 4. Oktober 1989 kam es zu dramatischen Szenen am Dresdner Hauptbahnhof, wo Tausende ausreisen wollten. Die Polizei ging rücksichtslos vor, und viele Demonstranten verschwanden in Polizeikasernen und Gefängnissen. Ein Zeuge berichtete, wie er in ein Spalier von Wachorganen laufen und von allen Seiten geschlagen wurde.

Doch die Bewegung ließ sich nicht aufhalten. Am 9. Oktober 1989 war in Leipzig wieder eine Montagsdemonstration angekündigt. Die Stadt war voll von Militär und Polizei, die Angst vor einem Blutbad war allgegenwärtig. Siegbert Schefke, der mit seiner Kamera vor Ort war, betete, dass keine Schüsse fallen würden. 70.000 Leipziger gingen auf die Straße – und die Staatsmacht schoss nicht. Dieser Moment, diese „gespenstische Ruhe“, war ein Wendepunkt. Die geplante „große Abrechnung des Staates mit seinen Bürgern“ blieb aus. Die Bilder aus Leipzig gingen um die Welt.

Nur eine Woche später drängten Honeckers eigene Genossen ihn zum Rücktritt. „Er hat die Realität verleugnet, hat nicht begriffen, dass die Zeichen der Zeit anders stehen“, so ein Beobachter.

Die Mauer überdauerte seine Herrschaft nur um wenige Tage. Als sie fiel, war es eine „Euphorie“, ein „Befreiungsschlag“, ein „Taumel“, ein Gefühl, das „einfach wunderbar“ war.

Joachim Gauck: Ein Präsident im Spannungsfeld von Verantwortung und Versöhnung

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Fünf Jahre lang prägte Joachim Gauck das Amt des deutschen Bundespräsidenten und sah sich dabei oft im Zentrum leidenschaftlicher Debatten. Seine Präsidentschaft, die er im Juni 2016 nach nur einer Amtszeit beendete, war geprägt von dem Bestreben, Deutschland zu einer „erwachsenen Nation“ zu formen, die Verantwortung in der Welt übernimmt und gleichzeitig interne Gräben überwindet.

Ein „Lehrjahr in Demut“ und die Suche nach der Rolle Der Anfang von Gaucks Amtszeit im Schloss Bellevue war für den ehemaligen protestantischen Pfarrer alles andere als leicht. Er beschrieb seine erste Zeit als ein „Lehrjahr in Demut“, in dem er lernen musste, seine Rolle als Bundespräsident zu finden, ohne in Konkurrenz zu anderen Verfassungsorganen wie Parlament und Regierung zu treten. Mit der Zeit sei er jedoch im Amt angekommen, und das Amt sei zu ihm gekommen, was ihm ein wohleres Gefühl gab.

Verantwortung in der Welt: Zwischen Militäreinsätzen und Diplomatie Ein zentrales Thema seiner Präsidentschaft war die Forderung nach einer größeren Verantwortungsübernahme Deutschlands in der Welt. Bereits 2014 formulierte er auf der Münchner Sicherheitskonferenz den Grundsatz, dass Deutschland mehr tun müsse, notfalls auch militärisch. Er betonte, dass es nicht darum gehe, „wieder Schlachtschiffe“ zu haben, sondern als „Ultima Ratio“ mit anderen zusammen und von der UNO mandatiert Menschen zu retten, wie etwa in Ruanda. Dieses „Schuldigwerden durch Zusehen“ sei politisches Versagen und moralische Schuld zugleich. Diese Haltung brachte ihm den Vorwurf ein, ein „Kriegsbefürworter“ zu sein und stieß auf Kritik von links, insbesondere angesichts der deutschen Geschichte und Erfahrungen mit Militäreinsätzen. Dennoch bereitete seine Rede den Boden für die Debatten über Deutschlands Rolle, die mit der Annexion der Krim durch Russland und dem Erstarken des IS im Irak an Bedeutung gewannen.

Ein weiteres wichtiges Anliegen war die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit des Westens angesichts der Bedrohung durch Russland, ein Thema, das ihn durch seine gesamte Amtszeit begleitete. Bei einer seiner letzten Reisen besuchte er das Multinationale Korps in Stettin, eine Führungsstelle für die verstärkte NATO-Präsenz in Osteuropa, um die Botschaft der gemeinsamen Verteidigung gegen Wladimir Putin zu unterstreichen.

Versöhnung und Anerkennung der Schuld Joachim Gauck spielte eine entscheidende Rolle bei der Aufarbeitung schwieriger Kapitel der deutschen Vergangenheit. Er war der erste Bundespräsident, der Oradour-sur-Glane in Frankreich besuchte, den Schauplatz eines deutschen Kriegsverbrechens, bei dem 1944 die Waffen-SS hunderte Frauen und Kinder ermordete. Sein Treffen mit einem Überlebenden, Robert Ebrard, und seine Dankbarkeit für den „Willen zur Versöhnung“ im Namen aller Deutschen waren eine bewegende Geste.

Ein prägender Moment war auch sein Eintreten in der Debatte um den Völkermord an den Armeniern. Während die Regierung zögerte, das Massaker als Völkermord zu bezeichnen, positionierte sich Gauck vor einer Bundestagsdebatte in einem Gottesdienst im Berliner Dom klar. Er sprach vom „Schicksal der Armenier“ als „beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde“. Diese klare Haltung beeinflusste die Tagespolitik, da die Regierungsfraktionen und der Bundestagspräsident diese Passage daraufhin in ihren Antrag übernahmen, um eine Blamage abzuwenden und sich auf das Staatsoberhaupt berufen zu können.

Migration, Integration und das „neue deutsche Wir“ Im Inland musste Gauck, der aus Mecklenburg und der ehemaligen DDR stammt, sich an die Vielfalt einer Metropole und die Komplexität der Integrationsdebatte gewöhnen. Anfänglich zögerte er, den berühmten Satz seines Vorgängers Christian Wulff „Der Islam gehört zu Deutschland“ zu unterschreiben, und formulierte stattdessen, dass die Muslime zu Deutschland gehörten. Er gab zu, dass er sich an diese Erkenntnis gewöhnen und lernen musste. Später sprach er auf einer Einbürgerungsfeier ganz bewusst vom „neuen deutschen Wir“ und betonte, dass er persönlich diesen Lernprozess als Bereicherung erlebt habe.

In der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 zeigte Gauck eine nuancierte Position. Während er die freiwilligen Helfer lobte, die ein „helles Deutschland“ repräsentierten, benannte er auch die Probleme, den Notstand und die Überforderung der Behörden. Er machte deutlich, dass „unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten, sie sind endlich“. Diese Äußerung wurde in der Öffentlichkeit oft als Gegenposition zur optimistischen Aussage der Kanzlerin „Wir schaffen das“ interpretiert.

Gaucks Äußerungen führten zu Kritik, insbesondere aus dem Kreis der Pegida-Demonstranten, die ihn als „abgehobenen Mann der Elite“ und „Landesspalter“ empfanden. Er wiederum sah in dieser „Unzufriedenheit“ im Osten eine Gruppe der Bevölkerung, die die Möglichkeiten der offenen Gesellschaft „oftmals nicht kennt“ und nach der Wende nicht vollständig in der Demokratie angekommen sei. Er forderte die Bürger auf, sich einzumischen und zur Wahl zu gehen, auch wenn die „Nächstenliebe Grenzen“ habe.

Trost und deutliche Worte gegenüber Autokraten Gauck zeigte sich auch als Seelsorger, etwa nach dem Germanwings-Flugzeugabsturz in den französischen Alpen, bei dem viele Menschen ums Leben kamen. Er brach seine Südamerika-Reise ab, fand tröstende Worte für die Hinterbliebenen und nahm an einem Gedenkgottesdienst teil, wo er das Schluchzen der Trauernden hörte und mit ihnen trauerte. Seine Fähigkeit, „im Mittel dieser ganzen großen Aufgaben […] den einzelnen Menschen zu sehen und zu spüren, wie es ihm geht,“ wurde von Mitarbeitern besonders hervorgehoben.

Ebenso wichtig war sein Engagement für Freiheit und Menschenrechte. Bei einem Besuch in der Türkei 2014, einem Land, in dem die Freiheit zunehmend eingeschränkt wurde, lobte Gauck zwar Fortschritte, aber sparte nicht mit ungewohnt deutlicher Kritik am Führungsstil von Präsident Erdogan. Er sprach von „Enttäuschung“, „Verbitterung“ und „Empörung“ über einen Führungsstil, der als „Gefährdung der Demokratie“ erscheine. Erdogan warf ihm daraufhin Einmischung in innere Angelegenheiten vor. Gauck sah es als seine Pflicht, sich mit der Wirklichkeit und den Konflikten auseinanderzusetzen und die Stimmen der Unterdrückten zu vertreten. Später unterstützte er den ins Exil geflohenen türkischen Chefredakteur Can Dündar, der wegen kritischer Recherchen von Erdogan persönlich angezeigt worden war, mit einer Einladung ins Schloss Bellevue.

Daniela Schadt: Eine First Lady als wichtige Stütze An Gaucks Seite stand seine Lebensgefährtin Daniela Schadt, die als ehemalige leitende Redakteurin selbst eine politische Person war. Sie wurde zu einer aktiven und engagierten First Lady, die das Amt nicht nur protokollarisch ausfüllte. Während Gauck politische Termine wahrnahm, widmete sie sich in ihrem „Sonderprogramm“ sozialen Projekten, wie dem Besuch eines Kinderheims oder eines Hilfsprojekts für misshandelte Frauen in Indien. Ihr Engagement trug dazu bei, wichtige Anlaufstationen für unbegleitete Kinder in Indien zu erhalten. Gauck selbst bezeichnete sie als seine „wichtigste Beraterin“ und eine „starke Stütze“.

Abschied und Ungewisse Zukunft Im Juni 2016 gab Joachim Gauck bekannt, auf eine zweite Amtszeit zu verzichten. Er begründete dies mit seinem Alter und der Erkenntnis, dass das Amt „wahnsinnig viel Energie“ erfordere. Er betonte, dass eine zweite Amtszeit in der deutschen Geschichte eher die Ausnahme gewesen sei. Später räumte er jedoch ein, dass er sich in einer Phase „innerer Unruhe“ im Land möglicherweise doch zu einer zweiten Amtszeit hätte bewegen lassen, um die Fragen „Wer sind wir, wer sind wir in Europa, wo gehen wir hin?“ zu begleiten. Dennoch blieb er bei seiner Entscheidung, das Amt in diesem Alter nicht fortzuführen.

Was er nach seiner Präsidentschaft tun werde, wusste er kurz vor seinem Abschied noch nicht genau, freute sich aber auf eine Phase der Erholung, in der er nicht „aufpassen muss, ob ich ein falsches Wort sage, falsch gucke“. Bei einem Besuch in der Berliner Bahnhofsmission, wo er Obdachlose traf, versprach er, als Pensionär ehrenamtlich an der Geschirrspülmaschine zu helfen – eine Geste, die seine bürgernahe Art auch am Ende seiner Amtszeit unterstrich.

Egon Krenz: Die 50 Tage, die die DDR unwiderruflich veränderten

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Ost-Berlin, Herbst 1989. Die DDR steht am Abgrund, Hunderttausende Bürger begehren auf und fliehen gen Westen. In dieser tiefgreifenden Krise tritt ein Mann ins Rampenlicht, dessen Name für 50 entscheidende Tage untrennbar mit dem Schicksal des deutschen Arbeiter- und Bauernstaates verbunden sein wird: Egon Krenz. Er wollte den Kommunismus retten und die DDR erhalten, doch am Ende stand er vor den Trümmern eines Systems, das er zu bewahren suchte. Seine Amtszeit endete mit dem Fall der Berliner Mauer und dem unwiderruflichen Zerfall der SED.

Palastrevolution und ein schwieriger Start
Am 18. Oktober 1989 vollzieht sich in der Zentrale der Staatspartei SED eine Palastrevolution. Ministerpräsident Willi Stoph fordert in einer Politbürositzung den Rücktritt des langjährigen Generalsekretärs Erich Honecker. Auch enge Weggefährten wie Stasi-Chef Erich Mielke und Wirtschaftslenker Günter Mittag lassen Honecker fallen. Honecker nimmt seine Absetzung „sehr sachlich“ an, warnt jedoch prophetisch: „Mit meiner Absetzung löst ihr kein Problem. Ihr schafft euch neue. Heute werde ich abgesetzt, morgen seid ihr es.“.

Egon Krenz, der Jüngste im Kreis und zuvor engster Vertrauter Honeckers, wird auserkoren, das Ruder herumzureißen. Seine Prämisse: „Du musst aufpassen, dass du die DDR erhältst und du musst aufpassen, dass es keine Gewalt gibt.“. Doch der Start ist holprig. Seine Wahl durch das Zentralkomitee, bei der Honecker ihn selbst als Nachfolger benennt, wirkt wie die Einsetzung eines „Kronprinzen“ und spielt dem Volk eine negative Rolle zu.

Krenz verpasst es in seiner ersten Fernsehansprache an die Bürger, sich glaubwürdig von der alten Garde loszusagen und eine echte Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Er verliest dieselbe Rede wie vor den Parteikadern, mit der Anrede „Liebe Genossinnen und Genossen“, was bei den Bürgern der DDR, die nicht der Partei angehörten, Empörung auslöst. Viele Menschen, darunter Kabarettisten, erwarteten einen „wirklich neuen Mann“, doch Krenz‘ Auftreten verstärkt den Eindruck, dass „alles beim Alten bleiben soll“.

Zwischen allen Stühlen: Krenz‘ Dilemma
Die Herausforderungen für Krenz sind immens. Die DDR steht vor dem Staatsbankrott, die Wirtschaft kann ihren Bürgern kein konkurrenzfähiges Angebot bieten, und die Massenflucht der Bevölkerung hält an. Krenz fordert einen „ungeschminkten Bericht der ökonomischen Lage“ und erhält alarmierende Zahlen: Die Auslandsverschuldung ist eine „Existenzfrage der DDR“.

Seine Hoffnungen ruhen auf Moskau. Krenz sieht sich selbst als „Gorbatschow der DDR“ und hofft auf Unterstützung vom „großen Bruder“. Bei seinem Besuch in Moskau bittet er Gorbatschow um Hilfe, doch dieser erwidert klipp und klar, „sie können nicht mehr machen, als sie schon machen“. Gorbatschow versichert Krenz zwar, die deutsche Frage stehe nicht auf der Tagesordnung und das Volk der DDR sei das Liebste nach den Völkern der Sowjetunion, doch die finanzielle Unterstützung bleibt aus. Krenz‘ Überzeugung, es werde keine deutsche Einheit geben, bezeichnet seine eigene Frau später als „Illusion“.

Grenz‘ Position zwischen den Stühlen wird auch in den Beziehungen zur Bundesrepublik deutlich. Bundeskanzler Kohl und seine Regierung begegnen Krenz mit Skepsis, da er als „Apparatschik“ alle alten Entscheidungen mitgetragen hatte. Zwar sucht Kohl das Gespräch, spielt aber auf Zeit und bietet keine sofortigen „großen Geschenke“ an.

Der Fall der Mauer: Ein unbeabsichtigtes Vermächtnis
Ein neues Reisegesetz soll die Massenflucht stoppen und den Bürgern mehr Freiheit geben. Doch der Entwurf enttäuscht die Erwartungen auf ganzer Linie: Reisezeiten sind begrenzt, Genehmigungen notwendig, und Devisen fehlen. Die Empörung im Volk ist groß. Um dem Druck nachzugeben, beschließt das Politbüro eine Regierungsverordnung, die diesen Entwurf korrigieren soll.

Am Abend des 9. November 1989 soll Günter Schabowski diese Verordnung auf einer Pressekonferenz vorstellen. Ein Missverständnis wird zur Weltsensation. Schabowski ist nicht bewusst, dass die Verordnung erst am nächsten Morgen gelten soll, und verkündet auf Nachfrage: „Das tritt nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich.“. Diese Worte führen noch am selben Abend zum Sturm auf die Grenzübergänge nach West-Berlin. Die Berliner Mauer fällt, „ohne einen Schuss“.

Krenz hatte diese „Nacht der Nächte“ nicht gewollt. Doch dass sie gewaltlos blieb, ist auch sein Verdienst. Er erkannte die Gefahr eines Blutvergießens: „auch nur ein Toter in dieser Situation. Das hätte uns jeden Weg zur Reformierung der DDR versperrt.“.

Der unvermeidliche Untergang
Nach dem Fall der Mauer ist Krenz‘ Autorität endgültig geschwunden. Das Volk fordert nicht nur eine andere DDR, sondern auch die Wiedervereinigung. Die SED-Basis fordert einen Sonderparteitag zur Abrechnung, doch Krenz will nur eine kleinere Parteikonferenz. Der neue Ministerpräsident Hans Modrow drängt auf Eigenständigkeit und bietet der Bundesrepublik eine Vertragsgemeinschaft an, die bis zur Konföderation reichen soll – ein Vorschlag, der Krenz zu weit geht.

Krenz versucht, mit „Basisnähe“ zu punkten, verlässt Wandlitz und zieht nach Berlin-Pankow, doch diese neue Offenheit nimmt ihm kaum jemand ab. Am 1. Dezember streicht die Volkskammer den Führungsanspruch der SED aus der Verfassung. Krenz, körperlich erschöpft und von tiefen Augenrändern gezeichnet, ist „verbrannt“ und hat keinen Rückhalt mehr in der Bevölkerung oder gar in seiner eigenen Partei.

Die SED-Basis fordert seinen sofortigen Rücktritt. Im Zentralkomitee, das ihn nur sechs Wochen zuvor einstimmig gewählt hatte, entlädt sich ein „Unwetter“. Am 6. Dezember 1989 tritt das ZK geschlossen zurück und wirft zuvor Honecker aus der Partei. Krenz selbst, nur noch Parteichef auf Abruf, überbringt Honecker die Nachricht vom Parteiausschluss persönlich – es ist ihre letzte Begegnung.

Zwei Tage später tritt Krenz auch als Vorsitzender des Staatsrats und des Nationalen Verteidigungsrats der DDR zurück. Er hofft noch immer, dass sein Rücktritt „den Kräften den Weg bereiten kann, die für die Weiterexistenz der DDR sind“. Doch seine Genossen werfen auch ihn kurz darauf aus der Partei.

Nach 50 Tagen an der Macht steht Egon Krenz politisch wie persönlich vor dem Nichts. Sein Fazit über den Herbst 1989: „der Sozialismus in der DDR ist … verloren worden. Aber ohne, dass er blutbefleckt ist.“ Dass kein Schuss gefallen ist, bleibt sein Verdienst.

DDR erlebt in wenigen Wochen das Ende einer Ära

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Berlin, November/Dezember 1989 – In einem atemberaubenden Tempo haben sich in den vergangenen Wochen in der Deutschen Demokratischen Republik Ereignisse überschlagen, die das Land für immer verändern. Von den zelebrierten 40-Jahr-Feierlichkeiten, die noch von staatlicher Inszenierung und scharfer Kritik an der Bundesrepublik geprägt waren, bis zur spektakulären Öffnung der Berliner Mauer und dem Rücktritt der gesamten DDR-Regierung, befindet sich die Republik im Strudel einer historischen Wende.

Die Jubelfeiern und Gorbatschows mahnende Worte Am 7. Oktober feierte die DDR ihren 40. Geburtstag mit einem Fackelzug auf der Prachtstraße Unter den Linden, einem historischen Bekenntnis der DDR-Führung zur Einheit mit dem Volk – doch die Realität sah anders aus. Die Feierlichkeiten, die dem Anschein nach Stärke demonstrieren sollten, konnten die tiefgreifenden Probleme des Landes nicht länger überdecken. Michail Gorbatschow, der wichtigste Ehrengast, wurde bei seiner Ankunft in Ost-Berlin unter strenger Kontrolle empfangen; nur ein ausgewähltes Publikum durfte den sowjetischen Staatschef bejubeln, während die Sicherheitsorgane weite Teile der Innenstadt abriegelten.

Gorbatschow selbst, dessen Land in einer Krise steckte, gab sich vorsichtig, aber seine Worte waren von großer Tragweite. Er betonte, dass jedes Volk selbst bestimmen müsse, was in seinem Land notwendig sei, und warnte davor, gesellschaftliche Anstöße zu ignorieren. Obwohl er die DDR-Führung nicht vor den Kopf stoßen wollte und die Beziehungen zur Sowjetunion lobte, unterstrich er indirekt die Notwendigkeit von Umgestaltung und Demokratisierung. Die DDR-Führung unter Erich Honecker reagierte auf diese Anregungen jedoch mit einer klaren Absage an weitreichende Reformen und beharrte auf dem bewährten Kurs.

Honeckers Fall und Krenz‘ schwieriger Start Zehn Tage nach den aufwendigen Jubiläumsfeierlichkeiten, am 18. Oktober, verlor Erich Honecker unter dem Druck der jüngsten Massenproteste und einer anhaltenden Ausreisewelle überraschend alle seine Ämter. Offiziell wurden Gesundheitsgründe genannt, und Honecker selbst schlug Egon Krenz als seinen Nachfolger vor. Krenz, der zum neuen Generalsekretär der SED, Staatsratsvorsitzenden und Oberbefehlshaber der Streitkräfte ernannt wurde, trat sein Amt in einer äußerst angespannten Lage an.

Doch die Bevölkerung zeigte sich von dem Wechsel an der Spitze unbeeindruckt. Hunderttausende demonstrierten bereits am Vorabend gegen die Machtfülle von Krenz, und Tausende protestierten in Ost-Berlin gegen seine Wahl zum Staatsratsvorsitzenden, forderten freie Wahlen sowie Presse- und Meinungsfreiheit. Selbst in der Volkskammer gab es bei seiner Wahl 26 Gegenstimmen – ein deutliches Zeichen des Misstrauens. Krenz appellierte an die Bürger, im Land zu bleiben, denn „jeder der uns verlässt ist einer zu viel“.

Massenproteste und die Fluchtwelle Die Proteste nahmen weiter zu. Eine genehmigte Großdemonstration am Berliner Alexanderplatz, zu der Künstlerverbände aufgerufen hatten und die vom DDR-Fernsehen live übertragen wurde, sammelte zehntausende Menschen, die Pluralismus statt Parteimonarchie forderten und das „Neue Forum“ unterstützten. Die Volkspolizei griff nicht ein, und brennende Kerzen am Volkskammergebäude symbolisierten den Wunsch nach einem Neuanfang.

Parallel dazu setzte sich die massive Fluchtwelle über die Tschechoslowakei fort. Nachdem die DDR-Führung die Grenze zur Tschechoslowakei freigegeben hatte, reisten zehntausende Bürger mit nur ihrem Personalausweis in die Bundesrepublik aus. Empfangslager in Bayern waren überfüllt, und der Bundesgrenzschutz musste tausende von Trabis und Wartburgs koordinieren. Einige Bürger kehrten nach einem Kurzbesuch in Westdeutschland sogar wieder in die DDR zurück, mit der Hoffnung auf Veränderungen.

Die Mauer fällt: Ein unvergesslicher Abend Am Abend des 9. November verkündete SED-Politbüromitglied Günter Schabowski bei einer Pressekonferenz eine neue Reiseregelung: Visum zur ständigen Ausreise würden „unverzüglich“ erteilt, und Privatreisen ins Ausland könnten ohne besondere Begründung beantragt werden. Auf Nachfrage bestätigte er, dass dies auch für die Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD und nach Berlin-West gelte – die Mauer sollte über Nacht durchlässig werden.

Die Nachricht löste in beiden Teilen Berlins Jubel und eine unbeschreibliche Volksfeststimmung aus. Zehntausende DDR-Bürger strömten zu den Grenzübergängen, kletterten auf die Mauer, und feierten mit West-Berlinern das Wiedersehen. Das Brandenburger Tor wurde zum Symbol der Einheit, und der Kurfürstendamm verwandelte sich in eine riesige Partyzone. Die Grenzkontrollen brachen unter dem Ansturm zusammen; vielerorts reichte der Personalausweis, oder es wurden überhaupt keine Papiere mehr verlangt. Die DDR begann umgehend mit dem Abbau von Grenzbefestigungen und der Einrichtung neuer Übergänge.

Nach der Maueröffnung: Euphorie und Herausforderungen In den Tagen nach der Maueröffnung wurden zahlreiche neue Grenzübergänge in Berlin und entlang der innerdeutschen Grenze eröffnet, wodurch zuvor gesperrte Zonen und Ortschaften wieder zugänglich wurden. Politiker wie Bundeskanzler Kohl begrüßten die Entwicklung als Beweis für die Durchsetzung der Freiheit und forderten weitere Reformen in der DDR. Das „Begrüßungsgeld“ von 100 D-Mark lockte viele Besucher nach West-Berlin, doch die Infrastruktur der Bundesrepublik war durch den massiven Zustrom an Übersiedlern stark gefordert.

Die politische Lage in der DDR blieb dynamisch: Am 13. November trat die gesamte Regierung unter Ministerpräsident Willi Stoph geschlossen zurück. Wenige Tage später wurde das alte Politbüro erneuert, prominente Vertreter der alten Garde wie Stoph und Mielke waren nicht mehr dabei. Das neue Politbüro stellte freie Wahlen in Aussicht, mit der SED als vermeintlich stärkster Kraft.

Silvester am Brandenburger Tor: Ein tragischer Ausklang Die Euphorie erreichte ihren Höhepunkt an Silvester 1989. Hunderttausende Menschen aus Ost- und West-Berlin sowie aus ganz Deutschland und dem Ausland versammelten sich am Brandenburger Tor, um das Ende der Teilung zu feiern. Trotz ausgelassener Stimmung kam es jedoch zu tragischen Zwischenfällen: Ein Leichtmetallgerüst mit einer Videowand brach unter der Last von Menschen zusammen, die darauf geklettert waren, was über 135 Verletzte forderte. Zudem wurde ein 24-jähriger West-Berliner in der Nähe des Brandenburger Tors tot aufgefunden. Feuerwehr, Polizei und Rotes Kreuz aus beiden Teilen der Stadt arbeiteten Hand in Hand, um die Verletzten zu versorgen.

Die Geschehnisse der letzten Wochen haben die DDR in eine völlig neue Ära katapultiert, deren Ausgang noch ungewiss ist. Die Bevölkerung hat ihre Stimme erhoben, die Grenzen sind gefallen, und ein neues Kapitel deutscher Geschichte hat begonnen.