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Gödelitz: Ein Erbe des Friedens – Wie Gorbatschows Geist in Sachsen weiterlebt

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In der idyllischen Landschaft Sachsens, nur 9 Kilometer von Döbeln entfernt, liegt Gut Gödelitz – ein Ort, der sich nicht nur als kulturelles Zentrum, sondern auch als geistig-politisches Forum für den Dialog zwischen Ost und West, für Frieden und Verständigung etabliert hat. Die Geschichte des Gutes und der Familie, die es wieder aufbaute, ist eng mit den Idealen und dem Vermächtnis des ehemaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow verwoben, dem kürzlich eine Veranstaltung zu seinen Ehren gewidmet wurde.

Gorbatschows Prägung und sein Kampf für den Frieden
Michail Gorbatschows entschiedene Ablehnung des Krieges wurde tief durch persönliche Erfahrungen geprägt. Als Teenager erlebte er die deutsche Besatzung, Hunger und Demütigung in seinem Dorf. Die Fahrt durch das verwüstete Stalingrad nach dem Krieg, auf dem Weg zum Studium an der Lomonossow-Universität in Moskau, hinterließ bei ihm grauenhafte Bilder der Zerstörung, die sich in sein Gedächtnis einbrannten. Mitte der 1950er-Jahre, als er bereits der Führung des Komsomol in Stawropol angehörte, sah er eine geheime Dokumentation über die Folgen einer Atomexplosion, die ihn zutiefst verstörte. Der Gedanke, „So etwas darf niemals Realität werden“, wurde zu seiner Lebensmaxime. Er war überzeugt: „Wir, ich, wir alle, müssen für den Frieden kämpfen, ernsthaft und mit vollem Einsatz“.

Diese Überzeugung führte ihn später dazu, als Generalsekretär der KPdSU einen Kurs der Perestroika (Umgestaltung) und Glasnost (Offenheit) einzuschlagen. Sein Ziel war die Realisierung politischer Freiheit, Dezentralisierung und, am bedeutsamsten, die Entwicklung des „neuen Denkens“ mit dem Primat der allgemeinmenschlichen Werte. Er strebte die vollständige Vernichtung aller Atomwaffen bis zum Jahr 2000 an und befreite die Welt vor der akuten Atomkriegsgefahr. Für ihn ging es Russland immer um einen angemessenen Platz in einer neuen Sicherheitsarchitektur, nicht um die Wiederherstellung eines sowjetischen Imperiums, eine Behauptung, die er als „dummes Zeug“ abtat.

Herausforderungen im Umgang mit Gorbatschow
Gorbatschows Vision stieß jedoch nicht immer auf uneingeschränkte Unterstützung. So wurde Bundeskanzler Kohl für seine Äußerung in einem US-Magazin, Gorbatschow betreibe nur PR und sei mit Goebbels vergleichbar, kritisiert. Dies empfand Gorbatschow als Beleidigung für sich und sein Land. Die bilateralen Beziehungen auf höchster Ebene wurden daraufhin eingefroren. Hans-Dietrich Genscher spielte eine Schlüsselrolle dabei, die Beziehungen wieder aufzutauen, indem er dafür plädierte, Gorbatschows Perestroika ernst zu nehmen. Genscher wurde dafür mit Kritik überzogen; es entstand sogar der Begriff „Genscherismus“, der Wachsamkeitsverlust angesichts eines „tückischen Gegners“ bedeutete.

Auch Franz Josef Strauß, ursprünglich skeptisch gegenüber Gorbatschow, entwickelte sich nach mehreren Interviews zu einem „Gorbatschow-Fan“. Der Besuch Gorbatschows in Deutschland im Juni 1989 war ein Schlüsselerlebnis für ihn, da er tief beeindruckt von der Infrastruktur und der warmen Aufnahme durch die Bevölkerung war. Dies trug dazu bei, dass Gorbatschow Deutschland als wichtigsten Partner für seine Reformen ansah.

Das persönliche Vertrauen spielte eine große Rolle. So erinnerte sich Lothar de Maizière, der erste und letzte frei gewählte Ministerpräsident der DDR, an sein erstes Treffen mit Gorbatschow im Kreml. De Maizière überreichte ihm ein Stück Berliner Mauer als Dank für Gorbatschows Worte „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“. Gorbatschow nahm es und fragte: „Sind wir nicht alle zu spät gekommen?“. De Maizière widersprach Gorbatschow auch energisch, als dieser ihn „voll dröhnte“, mit dem Hinweis, die Zeit des „Befehlsempfangs“ sei vorbei, was Gorbatschow anscheinend beeindruckte.

Das Erbe Gorbatschows: Anerkennung und Enttäuschung
Trotz seiner enormen Leistungen, wie der friedlichen Beendigung des Kalten Krieges und der Freilassung ganzer Staaten, erfuhr Gorbatschow besonders in seinen letzten Lebensjahren wenig Anerkennung in Russland. Dort sah man ihn oft als jemanden, der dem Land mehr genommen als gegeben hatte. Auch die deutsche Regierung und Würdenträger zeigten laut einigen Zeitzeugen ein „Armutszeugnis“ im Umgang mit ihm, beispielsweise indem er zu einer Feier zur Deutschen Einheit zunächst eingeladen und dann wieder ausgeladen wurde. Die Chronologie der westlichen Politik, so die Einschätzung, habe maßgeblich den heutigen Putin geschaffen, da man die Jahrhundertgelegenheit einer konstruktiven Einbettung Russlands verpasste.

Gorbatschows persönliche Seite, seine innige Verbindung zu seiner Frau Raisa und seine Fähigkeit, Menschen ernst zu nehmen, selbst ein neunjähriges Mädchen wie Sonja Eichwede, machten ihn zu einer außergewöhnlichen Persönlichkeit. Er setzte sich kämpferisch für den deutsch-russischen Jugendaustausch ein, da er glaubte, dass sich junge Leute durch persönliches Kennenlernen gegen „dummes Geschwätz“ immunisieren können – ein essenzieller Bestandteil der Friedenspolitik.

Gut Gödelitz: Ein Ort des Dialogs und der Verantwortung
Die Familie Schmidt-Gödelitz, deren Vorfahren 1945 aus Gödelitz fliehen mussten, kehrte nach der Wende zurück und erwarb das Gut. Die Mutter krempelte die Ärmel hoch, während der Vater den Verlust des Gutes nie überwand. Der Wiederaufbau, in den die gesamte Familie ihr Erspartes steckte, war eine große Anstrengung.

Axel Schmidt-Gödelitz gründete 1999 das Ost-West-Forum. Zusammen mit seiner Frau Katrin, die nach der Wende ihren leiblichen algerischen Vater fand und später durch die Heirat nach Gödelitz kam, entwickelte er das „Gödelitzer Modell der Biografiegespräche“. Dieses Projekt bringt Menschen zusammen, um sich ihre Lebensgeschichten zu erzählen und Toleranz zu entwickeln. Es hat sich international etabliert, von Polen bis Korea. Katrin Schmidt-Gürditz, die als Dorfschullehrerin nach Sachsen zog, betont, wie wichtig es ist, dass „Menschen mit Menschen reden, um sich kennenzulernen, um sich zu akzeptieren, um sich zu tolerieren“.

Die Erfahrungen im Ost-West-Forum zeigen jedoch auch die tiefen Gräben, die noch bestehen. Bei einer Veranstaltung, bei der Ost- und Westfrauen über ihre Erfahrungen des Mauerfalls sprachen, gerieten sie so heftig aneinander, dass die Organisatorin bemerkte, die Wunden würden „im Augenblick wieder schlimmer werden“.

Das Gut Gödelitz versteht sich als eine Verantwortung vor jährlich rund 3000 Menschen, die es als geistig-politisches Zentrum besuchen. Die Arbeit ist eine „Selbstausbeutung, aber für einen guten Zweck“.

Gegenrede und das Vermächtnis Egon Bahrs
Ein zentrales Thema in Gödelitz ist die Wichtigkeit der Gegenrede und des Perspektivwechsels. Egon Bahr, politischer Ziehvater von Axel Schmidt-Gödelitz, prägte die Überzeugung, dass Friedensfähigkeit die Fähigkeit voraussetzt, sich in die Schuhe des anderen zu versetzen, dessen Interessen zu erkennen und die Vorgeschichte von Konflikten zu verstehen.

Gabi Krone-Schmalz, eine der Autorinnen des Gorbatschow-Buches und ehemalige ARD-Korrespondentin in Moskau, wurde in Gödelitz empfangen, obwohl sie heute in den Medien als „Putin-Versteherin“ weitgehend ignoriert oder angegriffen wird. Sie kritisiert die Verengung der Diskussion und das Fehlen von Gegenrede in den Medien. Ihre Auftritte in Gödelitz waren sehr erfolgreich, und ihr Plädoyer für eine sachliche, faktenbasierte Analyse statt Ideologisierung oder Moralisierung findet großen Anklang. Die Schwester von Axel Schmidt-Gödelitz, die sich inhaltlich nicht mit Krone-Schmalz versteht, beschreibt den Austausch als zivilisiert und „nahezu liebevoll“, da man Argumente austauscht, ohne persönlich zu werden.

In Zeiten zunehmender Polarisierung bleibt Gut Gödelitz ein Leuchtturm des Dialogs, der das Erbe Gorbatschows und Bahrs weiterträgt: den unermüdlichen Kampf für Frieden, Verständigung und die Fähigkeit, die Perspektive des anderen einzunehmen.

Die „Modschützen“ der NVA: Pioniere im modernen Gefecht

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Die motorisierten Schützen, kurz „Modschützen“, der Nationalen Volksarmee (NVA) stellten eine Speerspitze der Landstreitkräfte dar. Ausgestattet mit modernsten Gefechtsfahrzeugen sowjetischer Konstruktion, verkörperten sie die Infanterie der sozialistischen Armeen und waren entscheidend für die Beweglichkeit und Feuerkraft im modernen Gefecht.

Die Bezeichnung „Modschützen“ mag heute ungewöhnlich klingen, doch sie stand für eine hochmoderne Truppengattung, die über Fahrzeuge verfügte, die Transport- und Kampfmittel zugleich waren. Die NVA setzte dabei auf bewährte sowjetische Technik wie den Schützenpanzerwagen (SPW) 60 PB, den SPW 70 sowie den Schützenpanzer (BMP). Diese Fahrzeuge, das „Endglied einer langen Entwicklungskette“, waren darauf ausgelegt, die Anforderungen des modernen Gefechts umfassend zu erfüllen.

Technische Überlegenheit und Feuerkraft
Die „Modschützen“ der NVA profitierten von der überlegenen technischen Ausstattung ihrer Gefechtsfahrzeuge. Der SPW 70, ein achtradgetriebener Schützenpanzerwagen, und der auf Gleisketten rollende BMP (die Abkürzung steht für „Boyevaya Mashina Pekhoty“, zu Deutsch „Gefechtsfahrzeug der Infanterie“) vereinten die Vorzüge eines mittleren Panzers und eines SPW in sich. Beide Fahrzeugtypen konnten im Gelände Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 40 km/h erreichen und so dem Angriffstempo mittlerer Panzer jederzeit folgen.

Besonders beeindruckend war die Bewaffnung. Während der SPW 70 und der SPW 60 PB über ein mittleres und ein schweres MG verfügten, war der BMP deutlich vielseitiger ausgestattet. Er besaß ein MG, konnte Panzerabwehrlenkraketen verschießen und verfügte über eine 73-mm-Kanone für panzerbrechende Geschosse. Diese automatisch geladene Kanone bot eine größere Reichweite als herkömmliche Modelle. Für spezielle Aufgaben wurde sogar eine Variante, der BMP-2, entwickelt, der äußerlich an einer vollstabilisierten 30-mm-Schnellfeuerkanone zu erkennen war. Diese war nicht nur weitreichender und treffsicherer als die des BMP-1, sondern auch effektiv gegen Luftziele.

Ein taktischer Vorteil gegenüber vergleichbaren NATO-Fahrzeugen wie dem deutschen Schützenpanzer Marder war die geringere Bauhöhe. Mit 2,7 Metern (BMP) bzw. 2,32 Metern (SPW) waren die Fahrzeuge der NVA fast einen Meter niedriger, ohne dabei an Leistung einzubüßen.

Mensch und Maschine – Das Herz der Kampfkraft
Trotz aller technischer Raffinesse war klar: Die modernste Gefechtstechnik entfaltet ihren vollen Kampfwert erst in den Händen des Menschen. Jedes Fahrzeug wurde von einer Dreimann-Besatzung – Kommandant, Fahrer und Richtschütze (bzw. Richtlenkschütze beim BMP) – beherrscht. Die Kommandanten und die Fahrer des BMP waren Unteroffiziere, da die „Kampfmaschine“, wie die sowjetischen Genossen den BMP nannten, nicht von heute auf morgen zu beherrschen war.

Besonders die Handhabung der Panzerabwehrlenkraketen erforderte höchste Präzision und intensives Training. Tausende von Trainingsstarts am Simulator waren notwendig, um die Perfektion für das Führen der Rakete zu erwerben und zu erhalten.

Die Modschützen saßen im SPW 70 und im BMP gefechtsgünstig. Über beheizbare Winkelspiegel konnten sie das Gelände beobachten und aus Kampfluken heraus Feuer auf den Gegner führen. Die Waffen wurden dabei in Kugelblenden geführt und die Pulvergase abgesaugt. Der Panzerbüchsenschütze konnte seine Ziele bekämpfen, ohne abzusitzen, besonders Geübte sogar während der Fahrt. Bei Sturmangriffen oder anderen Situationen, die Handlungen zu Fuß erforderten, bot der BMP beim Absitzen weitreichenden Schutz vor gegnerischem Feuer.

Unaufhaltsam im Gelände und im Wasser
Die Vielseitigkeit der SPW und BMP zeigte sich auch in ihrer Fähigkeit, unterschiedlichstes Gelände zu meistern. Ob beim Vordringen in die gegnerische Verteidigung oder bei überraschenden Schlägen – sie bewältigten Steigungen von 30 bis 32 Grad. Ein entscheidender Vorteil war auch die Schwimmfähigkeit aller SPW und SPZ der Streitkräfte des Warschauer Vertrages. Der BMP erreichte dabei bis zu 7 km/h, angetrieben durch seine Gleisketten. Der SPW 70, angetrieben von zwei kräftigen Wasserstrahlturbinen, schaffte sogar 10 km/h und bewährte sich besonders bei Seeanlandungen. Bei widrigem Gelände konnte zudem der Reifendruck gesenkt werden, um die greifende Reifenoberfläche zu vergrößern – eine weitere Überlegenheit gegenüber analoger NATO-Technik.

Zusätzlich konnte sich der BMP mit einer Nebelanlage gegnerischer Sicht entziehen, was seine Überlebensfähigkeit im Gefecht weiter erhöhte.

Die SPW 60 PB und 70 sowie die BMP waren Gefechtsfahrzeuge, die den Modschützen der NVA ihre volle Beweglichkeit unter allen Gefechtsbedingungen garantierten. Sie schützten die Soldaten weitgehend vor gegnerischen Einwirkungen und ermöglichten ihnen die umfassende Erfüllung ihrer Gefechtsaufgaben zusammen mit anderen Waffengattungen. Mit diesen Fahrzeugen waren die Modschützen wahrhaftig „motorisierte Schützen“, die den Anforderungen eines modernen Konflikts voll entsprachen.

Einmalige Fluchtgeschichte: Roland Schreier und die Rückkehr durch den Todesstreifen

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Harpke/Marienborn, 1. Juni 1988 – Es ist der 1. Juni 1988. Ein Mann kriecht in einen Tunnel, doch sein Ziel ist anders als das tausender anderer DDR-Flüchtlinge. Er will nicht von Ost nach West, sondern von West nach Ost. Unter dem Todesstreifen hindurch, um seine Familie nachzuholen. Dieser Mann ist Roland Schreier, und seine Geschichte ist eine einmalige Flucht durch die wohl am besten bewachte Grenze der Welt.

Kindheit im Sperrgebiet – Ein Leben voller Einschränkungen
Roland Schreier wurde 1956 geboren und wuchs in Harpke auf, einem kleinen Ort im Sperrgebiet an der deutsch-deutschen Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. Schon früh lernte er die strengen Einschränkungen kennen: Es gab ein Verbot, sich der Grenze zu nähern, und Freunde von außerhalb durften ihn nicht besuchen. Selbst für Geburtstagsfeiern mussten vier Wochen im Voraus Anträge bei der Polizei gestellt werden, die oft abgelehnt wurden. Trotz dieser repressiven Umgebung fand Roland in Monika seine große Liebe, doch das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, wuchs von Jahr zu Jahr.

Obwohl er seinen Grundwehrdienst als Aufklärer in einer Pioniereinheit ableisten konnte und nicht direkt an der Grenze diente, hörte Roland aus erster Hand von den Gräueln des Todesstreifens. Seine Mutter arbeitete im Ambulatorium und berichtete von Menschen, die bei Fluchtversuchen verletzt wurden, etwa durch Minen oder Selbstschussanlagen. Später arbeitete Roland als Elektriker am Grenzübergang Marienborn, dem größten und am besten kontrollierten Übergang Europas, wo er das Grenzsystem noch besser kennenlernte und die Unüberwindlichkeit des Grenzstreifens verstand.

Die Sehnsucht nach Freiheit und der riskante Plan
Die Geburt seiner Tochter Frauke machte das Glück scheinbar perfekt, doch die Familie sehnte sich nach Freiheit und der Möglichkeit zu reisen. Nach einem Umzug aus dem Sperrgebiet nach Zielitz bei Magdeburg beschlossen Roland und Monika 1981, die DDR zu verlassen. Die Ostpolitik Honeckers im September 1987 brachte Reiseerleichterungen, die den Schreiers die Möglichkeit gaben, einen Plan zu schmieden: Einer sollte im Westen bleiben, einen Ausreiseantrag für Familienzusammenführung stellen, während die anderen in der DDR zurückblieben.

Im Februar 1988 durfte Roland Schreier seine Verwandten im Westen besuchen. Der Abschied von Monika und Frauke war äußerst emotional; er wusste nicht, ob er sie jemals wiedersehen würde. Im Westen angekommen, informierte er seine Familie über seinen Entschluss, nicht zurückzukehren, und schrieb Monika einen Brief mit der Bitte, einen Ausreiseantrag zu stellen.

Druck der Stasi und eine Tochter im Kreuzfeuer
Monika sah sich daraufhin dem Druck der Stasi ausgesetzt. Sie wurde wöchentlich verhört und sollte ihren Mann zur Rückkehr bewegen oder sich scheiden lassen. Doch sie weigerte sich vehement: „Ich denke überhaupt nicht an Scheidung. Warum? Wir wollen als Familie zusammenkommen“. Auch Tochter Frauke litt unter der Situation. In der Schule wurde sie gemobbt, ihre Adidas-Aufkleber wurden abgerissen, und sie musste jeden Morgen die Frage „Frauke, wo ist dein Vater, warum kommt der nicht zurück?“ beantworten. Die Familie war durch Stacheldraht und Soldaten getrennt, und eine Wiedervereinigung schien aussichtslos.

Ein Bach als Weg zur Freiheit – Der Plan durch die Wirbke
Roland suchte verzweifelt nach einem Weg. Fluchthelfer waren zu teuer und über das Ausland war die Kommunikation zu schwierig. Dann erinnerte er sich an die Wirbke, einen Bach, der vom Osten in den Westen floss und den er aus Kindertagen kannte. Er vermutete, dass der Bach unter dem Todesstreifen hindurch durch eine Röhre führte. Diese Röhre sollte der Weg zur Freiheit für seine Familie werden.

Im April 1988 begann Roland, das Grenzgebiet von Niedersachsen aus zu erkunden. Ein Westverwandter überbrachte Monika den Plan: Roland würde die Familie durch den Tunnel holen. Monika, die unter Platzangst litt, war besorgt. Das Codewort für den entscheidenden Anruf war „Wanda“.

Der Probelauf – Ein Kampf ums Überleben unter der Grenze
Am 26. Mai 1988 wagte Roland einen Probelauf, um vom Westen in den Osten und wieder zurück zu gelangen. Er kroch in die Röhre und stieß auf Gitter, die er mit einer Eisensäge durchsägen musste. Nur anderthalb Meter über ihm fuhren Grenzer auf Motorrädern vorbei, ohne ihn in der Dunkelheit zu bemerken. Er sägte 15 Minuten lang, tauchte unter den Gitterstäben hindurch und musste eine kurze Strecke über der Erde zurücklegen, bevor er die nächste Röhre erreichte. Hier entdeckte er eine Selbstschussanlage, der er in letzter Sekunde ausweichen konnte.

In einer vierten Röhre kam es zum Ernstfall: Roland blieb beim Durchtauchen unter einem Gitter mit den Schultern hängen und bekam keine Luft. „Ich dachte schon, ich ersticke“, erinnert er sich. Mit eisernem Willen konnte er sich befreien. Nach fast 700 Metern und dem Überwinden mehrerer Hindernisse erreichte er die DDR-Seite, wo er das letzte Gitter unangetastet ließ, um keine Spuren zu hinterlassen. Auf dem Rückweg verwischte er sorgfältig alle Spuren.

Der Tag der Flucht – „Heute Abend hauen wir ab“
Die Übermittlung des genauen Fluchtdatums und der Uhrzeit an seine unter Beobachtung stehende Familie war kritisch. Beim siebten Versuch gelang es Roland schließlich, Monika telefonisch zu erreichen. Mit dem Codewort „Wanda wollte so gegen ein Uhr, ich wollte ihr dann mal das Grundstück zeigen“ wusste Monika: „Heute Nacht passiert die Sache“.

Am 1. Juni 1988, als Frauke gerade ihre Badesachen packte, teilte Monika ihrer Tochter mit: „Nee, stopp, Frauke, ich muss dir was ganz Wichtiges sagen. Du kannst jetzt nicht ins Freibad heute schwimmen, das geht nicht. Wir hauen heute Abend ab“. Frauke war begeistert: „Boah geil, endlich mal was los, scheiß aufs Freibad, heute Abend hauen wir ab“. Auch Rolands Vater wollte mit in den Westen.

Roland war derweil in Niedersachsen in die Röhre geklettert, Neoprenanzüge für seine Familie im Seesack. Die größte Angst war, dass die von ihm durchgesägten Gitter erneuert worden sein könnten. Doch er hatte Glück: Die Schnittstellen waren noch da, und niemand erwartete ihn. Nach nur einer Dreiviertelstunde erreichte er den Ausgang auf DDR-Seite und sägte das letzte Gitter durch.

Wiedersehen im Todesstreifen und die Flucht durch das Dunkel
Auf der DDR-Seite musste Roland warten. Monika hatte die Zeit falsch eingeschätzt und kam erst kurz vor zwei Uhr an der Röhre an, während Roland bereits um ein Uhr hineingegangen war. Dann sah er Schatten, machte leise Geräusche und wurde schließlich von seiner Tochter Frauke erkannt, die rief: „Papa, Papa, Papa!“. Nach sechs Monaten des Wartens war die Familie wieder vereint.

Sie hatten keine Zeit mehr, die Neoprenanzüge anzuziehen. So lautlos wie möglich kletterten alle in die dunkle Röhre, der Vater voraus. Monika hatte große Angst und krampfte sich vor Platzangst an Rolands Schuhen fest. Roland tauchte immer als Erster durch die Gitter und zog dann seine Tochter und seine Frau nach.

Ankunft in der Freiheit und das „Victory“-Zeichen
Nachdem der Grenzzaun hinter ihnen lag, mussten sie noch etwa 80 Meter auf DDR-Gebiet zurücklegen. Erschöpft und emotional blickten sie noch einmal in die DDR zurück. Kurz darauf trafen sie auf einen Westpolizisten, Ulf Schrader, der sich an die „absolute Ausnahmesituation“ erinnerte. „Wir haben uns alle gedrückt und haben uns beglückwünscht, dass wir das geschafft haben“, so Schrader. Die Familie, total verschlammt, erhielt Jogginganzüge und erlebte eine unglaubliche Freude und Erleichterung.

Die Flucht wurde zur Titelgeschichte in den Medien. Als Reporter Fotos an der Grenze machten, fotografierte die Stasi von der anderen Seite. Roland Schreier hob triumphierend den Arm – „Victory, ihr könnt mich mal“.

Anderthalb Jahre später, am 9. November 1989, fiel die Mauer. Die Schreiers besuchten ihre alte Heimat. Am Grenzübergang Marienborn sagte ein uniformierter Beamter zu Roland Schreier: „Herr Schreier, wir wünschen Ihnen alles Gute und Sie brauchen nicht wieder zurück durch die Röhre“. Eine Erleichterung, die das Ende einer Ära markierte.

Die Schreiers blieben auch nach der Wende im Westen. Fast 900 Menschen kamen beim Versuch, aus der DDR zu fliehen, ums Leben. Mit dem Fall der Mauer wurde diese tödliche Grenze endgültig Geschichte.

Zwischen Warnungen vor der schnellen Einheit und Visionen vom „Dritten Weg“

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Berlin, Frühjahr 1990 – In einer Zeit des Umbruchs, kurz vor der ersten freien Volkskammerwahl der DDR, äußerte sich Gregor Gysi, der Vorsitzende der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), der ehemaligen SED, ausführlich zu den drängendsten Fragen der deutschen Vereinigung und der Zukunft des Sozialismus. Als Kind von Emigranten und „Altkommunisten“ sowie Rechtsanwalt, der Regimekritiker und Oppositionsgruppen wie das Neue Forum verteidigt hatte, sah sich Gysi vor der Aufgabe, eine in Auflösung begriffene Partei neu zu positionieren und dabei auch persönlich viel Feindseligkeit entgegenzutreten.

Warnung vor übereilter Vereinigung und Souveränitätsverlust
Gysi warnte eindringlich vor einer übereilten Vereinigung und insbesondere vor einer zu schnellen Währungsunion. Er betonte, dass die DDR im völkerrechtlichen Sinne zwar noch auf eigenen Beinen stehe, wirtschaftlich und währungspolitisch jedoch wahrscheinlich nicht mehr vollständig.

Für ihn bedeutete der Verlust des eigenen Geldes den Verlust eines wesentlichen Teils der Souveränität. Statt einer sofortigen Währungsunion plädierte er für einen Währungsverbund, der die Souveränität der DDR nicht aufheben, aber wirtschaftlichen Druck mindern und die Effizienz steigern würde. Bürger könnten ihre Einkünfte in frei konvertierbare Währung, auch in D-Mark, tauschen, ohne dass es zu Konkursen oder einer „Amas“-Situation käme. Er schätzte die Erfolgsaussichten seiner Warnungen als unsicher ein und verwies auf die Entscheidung der Wähler am 18. März sowie der Experten.

Gysi sah die Menschen in der DDR nicht einheitlich repräsentiert: Es gebe Demonstranten für eine eigenständige DDR ebenso wie für die sofortige Vereinigung, aber die Mehrheit von 15 Millionen äußere sich kaum. Er vermutete, dass er als „Hindernis bei der sofortigen Annexion der DDR an die Bundesrepublik“ empfunden werde, was ihm Gegnerschaft oder Hass einbringe, womit er aber leben müsse, da er aus politischer Verantwortung handle. Er bezeichnete sich selbst als in die Politik „hineingeschossen“ und nicht „hineingeboren“, ohne Zeit, sich an diese Rolle zu gewöhnen, erhielt aber auch viel Sympathie.

Entmilitarisierung als Schlüssel zur Sicherheit
Ein zentraler Punkt in Gysis Vision für ein vereinigtes Deutschland war die vollständige Entmilitarisierung. Er stellte klar, dass dies nicht bedeuten müsse, sofort aus den jeweiligen Paktsystemen (NATO und Warschauer Pakt) auszutreten. Eine Entmilitarisierung könne auch innerhalb der Bündnisse erfolgen, was bedeuten würde, dass sowohl amerikanische als auch sowjetische Truppen abgezogen werden müssten und die Bundesrepublik wie die ehemalige DDR territorial entmilitarisiert werden müsse. Er hielt es für denkbar, dass zunächst beide Staaten in einer Konföderation Mitglieder ihrer Bündnisse bleiben könnten, aber bei einer späteren Vereinigung die Entmilitarisierung so weit fortgeschritten sein müsste, dass eine Zugehörigkeit zu Militärblöcken sinnlos würde. Er hoffte sogar auf eine Auflösung der Blöcke bis dahin, da der Ost-West-Widerspruch stark abgebaut sei.

Gysi korrigierte die Annahme, der sowjetische Staatspräsident Gorbatschow habe den „Genscher-Plan“ (NATO-Zugehörigkeit der alten Bundesrepublik, Neutralität der ehemaligen DDR) als unseriös bezeichnet. Er selbst habe diesen Plan bei seinem Moskau-Besuch Ende Januar als unseriös und unrealistisch kritisiert, da er zu Problemen der Wehrpflicht und Truppenstationierung in einem geeinten Deutschland führen würde. Er bezeichnete es als stutzig machend, wenn ein Politiker, der die deutsche Einheit wolle, zu keinerlei politischen oder militärischen Kompromissen bereit sei.

Sozialismus als „Dritter Weg“
Für Gysi war der demokratische Sozialismus der PDS ein „reformierter, ökologischer, sozialer Sozialismus“. Der entscheidende Unterschied zum Sozialdemokratismus liege in Eigentumsfragen und Strukturen, genauer gesagt in der Frage der Dominanz gesellschaftlichen Eigentums, also der Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Er betonte jedoch, dass dies nicht alleiniges Eigentum bedeute, sondern auch einen starken privaten Sektor, insbesondere in der Klein- und Mittelindustrie, sowie gemischte Eigentumsformen und Kapitalbeteiligungen in volkseigenen Betrieben.

Ziel sei eine wirkliche Vergesellschaftung im Sinne einer breiten Arbeiterdemokratie mit Mitbestimmung über Produktion, Verteilung und Gewinnbeteiligung, um ein dichtes soziales Netz zu gewährleisten und einen Interessenausgleich sowie Wettbewerb zwischen verschiedenen Eigentumsformen zu schaffen, der den globalen Menschheitsinteressen dient. Er lehnte Zwang zum Glück ab.

In der Frage nach der Priorität von sozialer Gerechtigkeit versus individuellen Freiheitsrechten differenzierte Gysi: Für die Mehrheit der Menschen weltweit sei die soziale Absicherung das Entscheidende, die Chance zum Überleben vor Hunger und Not. Für ihn persönlich, der nie sozial unsicher gelebt habe, spiele die individuelle Freiheit eine größere Rolle, dies sei aber egoistisch betrachtet. Er sah keine Notwendigkeit, Freiheitsrechte zu beschneiden, um den Hunger und die Armut in der Welt zu bekämpfen, solange Freiheit nicht als das Fehlen jeglicher Eingriffe in Vermögensverhältnisse verstanden werde.

Der Umgang mit der Geschichte und persönliche Herausforderungen
Gysi wies die populäre Darstellung der DDR-Geschichte als 40 Jahre der Lüge und des Betrugs entschieden zurück. Er sah darin ein „Unfähigkeitszeugnis“ und ein „Unfreiheitszeugnis“, das das Selbstbewusstsein der Menschen zerstöre. Er forderte eine differenzierte Betrachtung der 40-jährigen Geschichte, die weder komplett verurteilt noch bejubelt werden könne.

Die Rolle als Parteivorsitzender der PDS empfand Gysi als enorme Herausforderung. Er gab zu, die Aufgabe „restlos unterschätzt“ zu haben und in einen Zustand der „fristlosen Überforderung“ geraten zu sein, da er weder den Apparat kannte noch ihm völlig vertrauen konnte. Er überschätzte seine Fähigkeit, den Apparat zu leiten und seine Strukturen schnell zu verändern. Seine Motivation zur Übernahme des Amtes war nicht persönlicher Ehrgeiz, sondern das Gefühl der Solidarität mit einer schwach gewordenen Bewegung, nachdem er zuvor jahrelang Schwache gegen ein starkes System verteidigt hatte. Er hätte das Amt nur abgegeben, wenn er das Gefühl gehabt hätte, nicht mehr von den Erneuerern oder jungen Mitgliedern der Partei getragen zu werden, oder wenn die Partei eine Richtung eingeschlagen hätte, die nicht mehr seine eigene gewesen wäre.

Auf die Frage nach unterschwelligen antisemitischen Stimmungen gegen ihn aufgrund seiner teilweise jüdischen Herkunft und seiner Position als PDS-Vorsitzender („rote Ratte und die auch noch jüdisch“) in den Medien der Bundesrepublik antwortete Gysi, dass es derartige Andeutungen gab, aber persönlich aus der DDR bisher nicht.

Blick in die Zukunft: Der „Dritte Weg“ im Jahr 2000
Gysi blickte optimistisch in die Zukunft und prognostizierte, dass sich die Welt im Jahr 2000 bereits auf dem „Dritten Weg“ befinden werde. Er sah diesen Weg, den demokratischen Sozialismus, als die einzige Lösung für die globalen Menschheitsfragen, da es weder mit dem Kapitalismus noch mit dem stalinistischen Sozialismus so weitergehen könne. Für ihn war dies „die Chance für die Menschheit“.

Ein Vierteljahrhundert deutsch-deutsche Grenze in den 1980ern

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Im August 1986, kurz vor dem 25. Jahrestag des Mauerbaus, strahlte die ARD die WDR-Dokumentation „Entlang der Grenze“ von Heribert Schwan aus. Diese Reportage bot einen schonungslosen Blick auf die innerdeutsche Grenze und die Berliner Mauer – ein Zeitdokument voller Dramatik und historischer Tiefe, das die Realität des „Eisernen Vorhangs“ mitten in den 1980er Jahren in all seinen Facetten beleuchtete.

Die deutsch-deutsche Grenze war weit mehr als eine simple Demarkationslinie; sie war die Grenze zwischen Ost und West, zwischen NATO und Warschauer Pakt. In der Bundesrepublik wurde sie oft emotionalisiert, als eine Trennlinie zwischen Familien wahrgenommen, während ihre globale politische Dimension als Grenze zwischen zwei Weltsystemen oft in den Hintergrund trat. Sie zerschnitt über 30 Eisenbahnlinien, ebenso viele Bundesstraßen, rund 140 Landstraßen sowie Tausende von Gemeinde- und Wirtschaftswegen.

Die physische Realität der Trennung
Die innerdeutsche Grenze, die 1952 als Reaktion auf die sogenannten Westverträge der Bundesrepublik ausgebaut wurde, verschärfte sich kontinuierlich. Mit dem Mauerbau im August 1961 wurden die Grenzanlagen massiv verstärkt und militärähnlich ausgebaut. Das Ergebnis war ein ausgeklügeltes Überwachungs- und Sperrsystem, das an vielen Stellen einem Festungssystem glich.

Typische Grenzanlagen umfassten:

• Metallgitterzäune, oft mit Stacheldraht und Isolatoren als elektrische Signalträger.

• Einen etwa anderthalb Meter tiefen Kraftfahrzeugsperrgraben.

• Den sechs Meter breiten, geeggten Spurensicherungsstreifen, der mit Unkrautvernichtungsmitteln sauber gehalten wurde, um Fluchtspuren schnell zu entdecken.

• Betonierte Kolonnenwege für Grenzstreifen und Alarmgruppen.

• Wachtürme, besetzt mit Grenzsoldaten, und größere Grenzführungspunkte mit elektronischem Überwachungsgerät.

• Betonbunker mit Schießluken, Lichtsperren und Lampen.

Besonders heimtückisch waren die Selbstschussanlagen, die Anfang der 1970er Jahre installiert wurden, und Bodenminen, die bereits seit den 1950ern existierten. Diese Todesautomaten wurden jedoch Ende 1984 bzw. Ende 1985 im Rahmen von Versprechen Erich Honeckers an bundesdeutsche Politiker wieder abgebaut. Trotzdem blieb die Grenze undurchlässig, auch wenn sie „weniger blutig“ geworden war, dank eines fast lückenlosen Frühwarnsystems.

Die Elbe und Berlin: Brennpunkte der Teilung
Flüsse wie die Elbe und Werra waren ebenfalls Teil der Grenze, oft stark verschmutzt durch Industrieabfälle der DDR, was die Umweltverschmutzung als grenzüberschreitendes Problem verdeutlichte. Der genaue Grenzverlauf auf der Elbe war zwischen Ost- und West-Berlin umstritten. Fluchtversuche über Flüsse waren selten erfolgreich und endeten oft tragisch. Ein eindringliches Beispiel ist die Geschichte von Armin Gerbrandt, dessen 19-jähriger Bruder beim Versuch, die Elbe bei Hochwasser zu durchschwimmen, ertrank.

Die Berliner Mauer, 1961 errichtet, war das sichtbarste Zeichen der Trennung. Sie wurde von ihren Erbauern als „antifaschistischer Schutzwall“ bezeichnet, doch für viele war sie eine „schmutzige Schande“ und ein „hässliches Bauwerk“. Ihr Bau beendete die Abwanderung von Millionen Menschen aus der DDR. Die Mauer war praktisch unüberwindbar; seit 1961 wurden 184 Menschen registriert, die auf der Flucht in Berlin ihr Leben verloren.

Mut, Verzweiflung und der „Schießbefehl“
Trotz der brutalen Grenzsicherung gab es immer wieder verzweifelte Fluchtversuche. Die Dokumentation „Entlang der Grenze“ zeigte mehrere dieser dramatischen Ereignisse:

• Ein junger Elektromonteur floh am Checkpoint Charlie nach West-Berlin, indem er rennend einen Hauptmann der DDR-Grenztruppen überlistete, der ihn bis zur Demarkationslinie verfolgte.

• Ein Grenzsoldat entkam, indem er seinen Postenführer überlistete, der „geträumt hat“, und über den letzten Zaun kletterte.

• Ein weiterer Grenzsoldat nutzte die Zeit, die sein Kamerad brauchte, um vom Turm herunterzukommen und das Schloss zu lösen, um die Grenze zu überwinden.

Die DDR-Grenztruppen, die ursprünglich als Grenzpolizei gegründet und später in die Nationale Volksarmee (NVA) integriert wurden, hatten die Aufgabe, „Grenzverletzer zu spüren, festzunehmen oder zu vernichten“. Der „Schießbefehl“ galt weiterhin, auch wenn er im Grenzgesetz von 1982 formeller gefasst war. Flüchtlinge wurden als „Verbrecher“ und „Verräter“ dargestellt, und Grenzsoldaten erhielten Prämien wie Medaillen, Urlaube, Geldpreise (etwa 150 Mark) oder Kaffeemaschinen für Festnahmen. Ein ehemaliger Offizier der DDR-Grenztruppen, Ralf Molter, schilderte diese Praktiken detailliert.

Ein Leben im Schatten der Mauer
Die psychologische Wirkung der Grenze war tiefgreifend. Westdeutsche, die Transitreisen durch die DDR unternahmen, beschrieben ein „seltsames Gefühl“ der Verunsicherung und Angst. Manche fuhren „wie mit Scheuklappen“ schnell durch. Für viele Berliner war die Mauer ein „Riesenpunkt“ im Leben, ein „Faktum“, an das man sich zwar nicht gewöhnen konnte, das aber verinnerlicht wurde. Ein Reisender, der mit der Bahn durch die DDR fuhr, beschrieb trotz der Gewissheit der Sicherheit „wüste Magenschmerzen“ – die Mauer hatte sich „unserem ganzen Leben stark mitgeteilt“.

Prominente Stimmen wie Stefan Heym, Angelica Domröse, Wolf Biermann und Manfred Krug äußerten sich offen über die Teilung und ihre persönlichen Erfahrungen. Die Dokumentation wurde von Wolf Biermanns melancholischen Versen musikalisch untermalt, die die Tragik der deutsch-deutschen Teilung und die Sehnsucht nach Freiheit in bewegende Worte fassten.

Die Frage, ob man „für oder gegen die Mauer ist, oder für oder gegen die DDR“, zeigte die tiefe politische Spaltung. Viele hegten die Hoffnung, die Mauer eines Tages überwinden zu können, sei es aus ökonomischen, kulturellen oder einfach aus dem Wunsch heraus, die Welt zu sehen. Der Wunsch nach einer durchlässigeren, offeneren Grenze und der Rücknahme des Schießbefehls blieb bestehen.

Heribert Schwans „Entlang der Grenze“ dokumentierte ein Stück deutscher Zeitgeschichte, das verdeutlichte: Auch ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerbau war jeder Meter dieser Grenze – im wahrsten Sinne des Wortes – politisch vermint, doch die Sehnsucht nach Überwindung und Freiheit blieb ungebrochen.

Veronika Fischer: Eine Künstlerin zwischen Mauern, Musik und Meinungen

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Seit über 50 Jahren prägt Veronika Fischer die deutsche Musiklandschaft, eine Sängerin, die sowohl auf nationalen als auch internationalen Bühnen zu Hause ist und dabei Ost und West, Erfolg und Widerstände hautnah miterlebt hat. In einem aktuellen Gespräch blickt die Künstlerin auf ein bewegtes Leben zurück, das weit über die reinen Bühnenjahre hinausgeht.

Vom Kind zur Künstlerin: Die frühen Jahre
Veronika Fischers musikalische Reise begann lange vor ihrem offiziellen Bühnenjubiläum. Als dritte Tochter in einer Familie, in der Hausmusik großgeschrieben wurde, entdeckte sie früh ihre Liebe zur Musik – angeregt von ihrer Mutter. Schon mit neun Jahren sang sie bei Auftritten der „Geschwister Fischer“ und spielte zunächst kein Instrument, da sie die „kräftigste Stimme“ hatte. Ihre musikalische Ausbildung begann im Alter von 16 Jahren, als sie zur Aufnahmeprüfung an die Musikschule nach Dresden reiste. Mit 17 Jahren begann sie ihr Musikstudium und kam so auch mit der Klassik in Berührung.

Der kometenhafte Aufstieg und die Schattenseiten des DDR-Systems
Ein kometenhafter Aufstieg begann für Veronika Fischer im Jahr 1975, als ihre erste Platte über 500.000 Exemplare verkaufte – eine Zahl, die sich im Laufe der Jahre noch erhöhte. Auszeichnungen, ausverkaufte Konzerte und unzählige Tourneen prägten diese Zeit. Die Band spielte bis zu 250 Konzerte im Jahr, ein immenses Pensum, das als „sehr erschöpfend“ beschrieben wird.

Doch der Erfolg hatte seine Schattenseiten, besonders im Kontext der DDR. Die „Generaldirektion für Unterhaltungskunst“, Anfang der 70er Jahre gegründet, sollte Künstler politisch führen. Musiker hatten zwar keine Probleme mit Ost und West, da es nur um Können ging, doch das System versuchte, Einfluss zu nehmen. Angebote für politisch geprägte Songs wurden abgelehnt, was das Gefühl des „Eingesperrtseins“ verstärkte. Künstler wie Fischer wurden nicht an Plattenverkäufen beteiligt, obwohl ihre Promotion die Verkaufszahlen ankurbelte.

Ein einschneidendes Ereignis war der Weggang ihres Pianisten Franz Josef Teichmüller am 16. Juni 1980 in West-Berlin, bei einem Konzert, von dem „nicht alle wieder in die DDR zurückkamen“. Dies führte dazu, dass Veronika Fischers Repertoire in Frage gestellt und viele Songs auf den Index gesetzt wurden. Sie fühlte sich „arbeitslos“ und vermutet, dass man sie „loswerden wollte“. Das System der DDR nutzte zwar die „Unternehmen“ der Künstler gerne finanziell, verbot aber gleichzeitig „kapitalistische Methoden“.

Der Höhepunkt der Repression war ein sogenanntes Abschiedskonzert am 24. März 1981 im Ost-Berliner Kino Kosmos. Die Stasi erfuhr erst kurz vorher davon und versuchte, Provokationen zu verhindern, indem sie Hunderte von Menschen aus der Mongolischen Volksrepublik in den Saal setzte, während ein großer Teil ihres eigentlichen Publikums draußen bleiben musste. Nach diesem Erlebnis wurde die Situation für Veronika Fischer „unerträglich“, und sie verließ das Land.

Brücken bauen und neue Herausforderungen im Westen
Der Übergang in den Westen war nicht ohne Schwierigkeiten. Veronika Fischer unterschrieb einen Vertrag mit WEA, was ihr jedoch das Visum für den Westen nicht erlaubte und die Verbindungen zu den DDR-Kulturbehörden endgültig kappen musste. Im Westen fühlte sie sich oft als „zweite Garde“, da deutschsprachige Künstler hinter internationalen Stars wie Madonna zurückstehen mussten. Alben wie „Staunen“ entsprachen nicht ihrer „Herzenssache“, und sie hatte Probleme mit den kommerziell ausgerichteten Texten. Sie suchte bewusst die Zusammenarbeit mit „nicht angepassten“ Musikern wie Christian Kunert von Renft und Gerulf Pannach, die ihre Meinung sagten und „der Wahrheit näher waren“.

Der Mauerfall als Freiheitssymbol
Der Fall der Mauer am 9. November 1989 war ein „historischer Moment“ für Fischer. Kurz darauf kehrte sie nach Dresden zurück und erlebte eine emotionale Wiederbegegnung mit ihrem Publikum in der Semperoper. Minutenlange stehende Ovationen empfingen sie, die von vielen als „verlorene Tochter“ und „Freiheitssymbol“ wahrgenommen wurde – als erste Künstlerin, die nach ihrem Weggang wieder einreisen durfte.

Kritik an der modernen Musikindustrie und Gesellschaft
Veronika Fischer blickt kritisch auf die heutige Musikszene. Sie schaltet kaum noch Radio ein, weil der „Einheitsbrei“ ihr in den Ohren wehtut. Sie beklagt, dass Stars heute „künstlich erstellt“ und finanziert werden, und dass Qualität in den Medien kaum noch eine Rolle spielt. In Deutschland gebe es kaum noch Differenzierung, stattdessen nur eine „Schlagerwelt“. Auch die Corona-Pandemie war für die Kulturbranche ein „großer Bruch“, ein „Berufsverbot“ für Künstler, das viele an den Rand der Existenz oder sogar darüber hinaus trieb. Sie spricht von einer politischen Haltung, die besagt: „Kultur interessiert nicht“.

Persönliche Überzeugungen und Zukunftspläne
Veronika Fischer äußert sich auch zu persönlichen Überzeugungen, insbesondere zur Corona-Pandemie. Sie bezeichnet die Impfung als „Verbrechen“ und ist entsetzt über die Auswirkungen auf viele Menschen, die seither ständig krank seien. Diese Haltung führte auch zu „schmerzlichen Trennungen“ in ihrer Familie und im Freundeskreis.

In den letzten zehn Jahren hat sich Fischer nach eigener Aussage auch stark spirituell weiterentwickelt. Ihr jüngstes Album „Woher Wohin“ hat einen stark spirituellen Hintergrund, bei dem „nur die Liebe heilt“. Nach einer gesundheitlichen Krise fand sie durch geistiges Heilen und die Unterstützung ihres Partners Mario, der sich damit beschäftigt, wieder zu Kräften.

Obwohl sie sich langsam aus dem Rampenlicht zurückzieht und nicht mehr 25 bis 30 Lieder pro Konzert singen möchte, plant Veronika Fischer weiterhin aktiv zu bleiben. Sie möchte in kleineren Formaten, etwa mit Lesungen und Musik zusammen mit Andreas Bicking, nah an ihrem Publikum bleiben und weiterhin ihre Botschaften teilen. Ihr Leben ist ein Zeugnis von Anpassungsfähigkeit, Stärke und der unerschütterlichen Kraft der Musik.

Das tragische Schicksal von DDR-Größen nach der Wende

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Wenn wir heute auf die glänzende Leinwand des deutschen Films zurückblicken, sehen wir Gesichter, die einst Millionen Menschen bewegten, Namen, die in großen Lettern auf Plakaten prangten und Stars, die als Stolz einer Nation galten. Doch hinter dem Scheinwerferlicht lauerte oft ein Abgrund, den nur wenige wahrhaben wollten: Viele dieser einst geliebten und gefeierten Schauspieler, Musiker und Kulturschaffenden endeten in Armut, Krankheit oder Vergessenheit. Es ist ein bitterer Kontrast zwischen dem Ruhm der Jugend und der trostlosen Einsamkeit des Alters, der uns mahnt, genauer hinzuschauen. Die Wende, die Hoffnung versprach, wurde für viele zum Bruch – beruflich, seelisch, menschlich.

Einer dieser Namen ist Rolf Römer (1935-2000), einst einer der markantesten Köpfe des DEFA-Kinos und Symbolfigur des ostdeutschen Films, bekannt aus Klassikern wie „Die Söhne der Großen Bärin“. Nach seiner offenen Kritik an der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann wurde er systematisch aus dem Kulturbetrieb ausgeschlossen. Engagements blieben aus, seine Karriere kam abrupt zum Stillstand, und der einst gefeierte Schauspieler wurde zum Außenseiter. Rückzug und Frustration bestimmten seine letzten Jahre, bis er im Jahr 2000 unter tragischen Umständen bei einem Unfall mit Chemikalien in seinem Haus starb – ohne große Presse, ohne letztes Rampenlicht.

Auch Heinz Drewniok litt unter den Folgen der Wende. Als vielseitiger Künstler, Schauspieler, Regisseur, Drehbuchautor und Journalist galt er in der DDR als kreativer Kopf mit politischem Gespür. Doch mit der Wende kam der Bruch: Die Bühnen verschwanden, die Nachfrage erlosch. Drewniok suchte Zuflucht im Journalismus, schrieb für kleinere Zeitungen und kämpfte mit prekären Verhältnissen und der Unsicherheit eines Neuanfangs. Ruhm wich Unsichtbarkeit. Er verstarb 2011 nach einer Krebserkrankung zurückgezogen, fern von Kameras und Scheinwerfern, ohne mediale Aufmerksamkeit oder Nachrufe in den großen Zeitungen.

Ein Ausnahmetalent auf den Bühnen der DDR war Dieter Franke (1935-1982). Ob als Mephisto oder Adam Kowalski, er brillierte mit einer Präsenz, die Publikum wie Kritik gleichermaßen in ihren Bann zog. Doch Krankheit kennt kein Mitleid mit Ruhm. In seinen letzten Lebensjahren zog sich Franke geplagt von schwerer Krankheit und innerer Erschöpfung zunehmend in Isolation zurück. 1982 starb er allein, fernab der Bühnen, die er einst mit Leben füllte, ohne großes Gedenken.

Dean Reed (1938-1986) war eine schillernde Figur – ein Amerikaner, der freiwillig in die DDR zog und dort zum Popstar, Schauspieler und politischen Symbol wurde. Er sang Lieder über Frieden und wurde sowohl im Osten als auch im Westen bestaunt und misstraut. Doch hinter dem lächelnden Charmeur verbarg sich eine tief zerrissene Seele. Seine politischen Überzeugungen isolierten ihn, seine Ehe zerbrach, und sein Stern verblasste. Am 13. Juni 1986 wurde seine Leiche im Zeuthener See gefunden. Offiziell ein Unfall, doch viele sprachen von Suizid oder einem politischen Komplott. Dean Reed starb als gebrochene Figur zwischen den Fronten der Systeme, sein Mythos verschluckte ihn.

Holger Biege war mit gefühlvollen Liedern wie „Sagte mal ein Dichter“ die Stimme einer Generation und prägte die Musikkultur der DDR. Nach dem Fall der Mauer versuchte er im Westen Fuß zu fassen, doch die Musiklandschaft hatte sich gewandelt, die große Bühne blieb ihm verwehrt. Ein schwerer Schlaganfall raubte ihm seine Sprache und Ausdruckskraft, sein wichtigstes Instrument. Er lebte fortan körperlich eingeschränkt und auf Hilfe angewiesen. Am 25. April 2018 starb er beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit; sein Name verblasste, seine Musik wurde leiser.

Ähnlich erging es Thomas Lück (1943-2019), einem der populärsten Schlagersänger der DDR, dessen Stimme, Charisma und verschmitztes Lächeln ihn zum Liebling eines Millionenpublikums machten. Nach der Wende wurde es still um ihn; Engagements wurden seltener, das Interesse der Medien versiegte. Lück zog sich zurück, lebte bescheiden in Lebus. Als Hautkrebs diagnostiziert wurde, kämpfte er tapfer, doch die Krankheit ließ ihm wenig Raum. Am 22. Oktober 2019 verstarb Thomas Lück im Schatten der Erinnerung, sein Tod ging in der Öffentlichkeit nahezu unter.

Auch wenn Gert Poppe (1936-2025) kein Schauspieler im klassischen Sinn war, war seine Rolle im „Theater der deutschen Geschichte“ bedeutend. Als Bürgerrechtler und Politiker gehörte er zu den lautesten Stimmen gegen das SED-Regime, wurde überwacht, schikaniert und gesellschaftlich geächtet. Nach der Wende zog er für Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag ein, doch der Glanz politischer Anerkennung blieb ihm versagt. Er arbeitete weiter im Stillen für Menschenrechte, abseits der Öffentlichkeit. Als er verstarb, gab es zwar wohlwollende Nachrufe, doch sein jahrzehntelanger Einsatz war vielen längst entglitten.

Fred Delmare war das Gesicht zahlloser DEFA-Produktionen, mit über 200 Filmrollen einer der meistbeschäftigten Schauspieler der DDR, stets präsent und markant. Doch auch sein Ruhm verging schnell. Im Alter erkrankte er an Alzheimer, verlor nach und nach sein Gedächtnis und damit die Erinnerung an ein ganzes Künstlerleben. Seine letzten Jahre verbrachte er in einem Pflegeheim. Als er 2009 starb, war er längst vergessen von der Welt, der er einst so viele Gesichter geschenkt hatte – kein Aufschrei, kein großes Gedenken.

Eberhard Esche (1923-2006), ein Gigant des DDR-Theaters und Mitglied des legendären Berliner Ensembles, verkörperte Figuren mit einer Wucht und Intelligenz, die ihn zur moralischen Instanz seiner Zeit machten. Esche war unbequem, sprach unbequeme Wahrheiten aus. Doch mit dem Systemwechsel kam die Stille. Die neuen Bühnen interessierten sich wenig für alte Gesichter, seine Auftritte wurden seltener, seine Stimme leiser. Er zog sich zurück, lebte von Lesungen und kleinen Auftritten. Als er 2006 an Krebs starb, würdigten ihn nur wenige Medien. Der einst gefeierte Intellektuelle war in einem Land, das sich neu erfand, ohne Platz geblieben.

Schließlich Erwin Geschonneck (1906-2008), eine lebende Legende des ostdeutschen Films, der mit über 100 Filmrollen das DEFA-Kino über Jahrzehnte prägte. Seine Lebensgeschichte war geprägt von Widerstand, Verfolgung durch die Nazis, Exil und schließlich einer Karriere in der DDR. Doch das lange Leben trug auch das Gewicht des Vergessens. In den letzten Jahren zog sich Geschonneck aus der Öffentlichkeit zurück; sein Name verschwand aus den Schlagzeilen, seine Filme wurden selten gezeigt. Am 12. März 2008 starb er mit 101 Jahren fast unbemerkt von einer Gesellschaft, die sich längst anderen Helden zugewandt hatte.

Zehn Schicksale, zehn stille Abschiede. Diese Künstler prägten Generationen, doch starben im Schatten. Ruhm verflog, Rollen blieben aus, und am Ende blieb oft nur das Vergessen. Es ist ein stiller Nachruf und der Versuch, die Erinnerung wachzuhalten – nicht aus Nostalgie, sondern aus Respekt. Denn wer uns einst bewegte, verdient nicht, in Vergessenheit zu geraten.

Leipzig, 7. Oktober 1989: Der Tag, an dem die Stasi die Knüppel schwang

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Während sich die Staatsführung in Ostberlin am 7. Oktober 1989 in Feierlaune zum 40. Geburtstag der DDR präsentierte, bot sich in der Leipziger Innenstadt ein düsteres Bild. Was als angespannte Ansammlung von Menschen nach dem Friedensgebet begann, eskalierte schnell in eine bis dahin ungesehene Brutalität der Staatsorgane, die als verzweifeltes letztes Aufbäumen eines untergehenden Regimes in die Geschichte eingehen sollte.

Die Atmosphäre in Leipzig war bereits vor dem offiziellen Demonstrationsgeschehen aufgeladen. Menschen strömten zusammen, „die hinter der Nikolaikirche auf dem eingeengten Platz sich sammelten und eigentlich auch nicht richtig wussten, was sie dort machen sollen, außer da sein und sich angespannt fühlen“. Für die Volkspolizei und Stasi reichte jedoch schon die bloße Anwesenheit, um einzugreifen. Einzelne Personen wurden willkürlich aus der Menge gezogen und auf Polizeilastwagen verfrachtet. Familien mit Kindern gerieten in das Chaos, rannten um ihr Leben, wurden „über den Platz getrieben, auch geschlagen, fielen, stürzten, waren entsetzt“.

Die Brutalität erreichte ein noch nie dagewesenes Ausmaß für den „normalen DDR-Bürger“. Der originale Polizeifunk, teilweise erhalten geblieben, zeugt von der gnadenlosen Anweisung: „Schlagstock frei, nach unten alle Fallbrücken… setzen sie jetzt den langen Schlagstock ein. Die Vierbeiner dazu, das geht dann Leine lang hier“. Mit „Zeug“ meinte die Volkspolizei die Menschen auf der Straße, die in Laufschritt „in Richtung Dömaskirche“ geräumt werden sollten.

Selbst Frauen wurden zu Boden geschlagen. Martina Gruse erinnert sich, wie sie von der Polizei mit Gummiknüppeln und Schilden attackiert wurde, als sie sich nach Polizisten mit Hunden umdrehte. Nur durch das Eingreifen ihrer Tochter konnte sie gerettet werden, erlitt Schmerzen und musste krankgeschrieben werden.

Doch die Gewalt ging über das bloße Prügeln hinaus. Peter Römer, damals Wehrpflichtiger bei der Bereitschaftspolizei, weigerte sich, mit dem Knüppel zuzuschlagen. Er beschrieb, wie aus den Demonstranten herausgerissene Personen „zusammengeschlagen, an den Füßen gepackt und übers Pflaster gezerrt wurden und auf den LKW geworfen wurden“, wie „Mehlsäcke“. Die Stasi-Akten bestätigen diese Rohheit, dokumentieren einen gebrochenen Zeigefinger eines Demonstranten. Der Schriftsteller Michael Schameit, ebenfalls grundlos festgenommen, bezeugte in seiner Strafanzeige die brutalen Übergriffe im Volkspolizeikreis. Er sah einen blutüberströmten jungen Mann mit einer riesigen Beule am Schädel und einer stark blutenden Platzwunde. Später wurde ein weiterer Mann mit identischen Verletzungen und blutgetränkter Kleidung gesehen.

Die Festgenommenen, darunter auch Schameit, wurden über Nacht in die Pferdeställe der DDR-Landwirtschaftsmesse Agrar gesperrt. Frank Adler, ein weiterer Inhaftierter, schildert, wie sie von einem großen Lkw rückwärts an die Ställe gefahren und dann „hinuntergestoßen“ wurden, wobei „Tritte verteilt oder Ausschläge mit dem Gummiknüppel“ stattfanden. Die Anweisung lautete: „immer neun Stück in eine Box“. Die entmenschlichende Sprache, von „Stück“ statt von Personen zu sprechen, lässt tief blicken, was dort geschah.

Die Inhaftierten mussten die ganze Nacht „schlaflos und stehend auf dem kalten Beton“ verbringen, schlechter als ein Pferd, das zumindest Strom und einen Liegeplatz gehabt hätte. Kälte war ein großes Problem, da niemand auf diese Situation vorbereitet war und sich warm genug angezogen hatte, was bei Frank Adler später zu Nierenproblemen führte. Doch das Schlimmste waren oft nicht die körperlichen Misshandlungen.

Frank Adler erinnert sich an eine junge Frau in der Nachbarbox, die die ganze Nacht flehte, man möge ihr zuhören, sie habe ein kleines Baby zu Hause und sei willkürlich beim Einkaufen verhaftet worden. „Nicht einer dieser Polizisten hat sich dieser Frau erbarmt. Keiner fühlte sich verpflichtet, weder dienstlich noch moralisch noch menschlich. Nichts.“. Was aus ihr und ihrem Baby wurde, konnte bis heute nicht aufgeklärt werden.

Der Großteil der über 200 Eingesperrten wurde am nächsten Tag freigelassen. Doch die Bilder und Erfahrungen des 7. Oktobers hatten sich eingebrannt. Der Bundesbeauftragte Roland Jahn bewundert den Mut der Leipziger Demonstranten. Denn wo am 7. Oktober noch 7.000 Menschen auf der Straße waren, trotzten nur zwei Tage später, am 9. Oktober, bereits 70.000 Menschen der demonstrativen Brutalität der Staatsorgane. Der Einsatz in Leipzig war „das letzte Aufbäumen des DDR-Staatsapparates, hier die Menschen zu unterdrücken“.

Es wurde versucht, Angst zu erzeugen – der „Kitt der Diktatur“. Doch die Menschen ließen sich nicht einschüchtern. Dass sie trotzdem den Weg auf die Straße wagten, ist bis heute bewundernswert und „der Wegbereiter der deutschen Einheit gewesen“. Angesichts der zehnfachen Menschenmenge fehlte den Machthabern in der DDR dann doch die Skrupellosigkeit zu einem Massaker. Der 7. Oktober 1989 bleibt ein mahnendes Zeugnis der Brutalität eines Regimes und des unerschütterlichen Mutes der Menschen, die es zum Fall brachten.

Leipzig im Fokus des Sports: Das VI. Turn- und Sportfest der DDR 1977

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Leipzig, DDR. In der zweitgrößten Stadt der Deutschen Demokratischen Republik, die weltweit als Messestadt und Zentrum der sozialistischen Sportbewegung bekannt ist, fand im Jahr 1977 ein herausragendes Ereignis statt: Das VI. Deutsche Turn- und Sportfest, das gleichzeitig die VI. Kinder- und Jugendspartakiade der DDR umfasste. Eine Woche lang vereinte dieses Großereignis Zehntausende von Wettkämpfern und Hunderttausende von Gästen zu einer beeindruckenden Sport- und Leistungsshow, die als Höhepunkt der Verwirklichung des Sportprogramms des Deutschen Turn- und Sportbundes der DDR, der Gewerkschaften und des Sozialistischen Jugendverbandes galt.

Sport als Lebensgrundlage und politisches Bekenntnis
Das Fest unterstrich die tiefe Verankerung des Sports im Alltag der DDR-Bürger. Die sozialistische Verfassung garantierte das Recht auf Sport, auf regelmäßige Gesundheitsvorsorge und sinnvolle Freizeitgestaltung, was für viele Menschen zu einem echten Bedürfnis geworden war. Körperkultur und Sport genossen die volle, umfassende Förderung und Unterstützung durch die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) und die Regierung der DDR. Diese Veranstaltung demonstrierte eindrucksvoll, wie anerkannte Weltbestleistungen aus einer breiten sportlichen Massenbeteiligung im ganzen Land resultierten und wie sportliche Höchstleistungen zum Vorbild für die junge Generation werden konnten.

Von Vorschulkindern bis zur Nationalen Volksarmee: Vielfalt der Teilnehmer
Die Eröffnung des Sportreigens im Stadion der Hunderttausend war den Jüngsten gewidmet: Über 1105 fünf- bis sechsjährige Vorschulkinder, zumeist aus Leipziger Kindergärten, zeigten spielerisch ihre Freude an der Bewegung. Der tägliche Sport, schon in frühester Jugend, gehörte zu den sozialistischen Bildungs- und Erziehungszielen in der DDR. Mädchen und Jungen im Alter von sieben bis zehn Jahren präsentierten ihre im Sportunterricht erlernten Fähigkeiten unter dem olympischen Motto „Citius-Altius-Fortius“ (schneller, höher, stärker). Der Übungsverband der Jugend, bestehend aus zehn- bis sechzehnjährigen Sportlern, verwandelte das Stadion in einen Schauplatz großer Handball- und Volleyballturniere. Auch 2000 Mädchen und Frauen beteiligten sich unter dem Motto „treib alle Sport“, und Mitglieder der Sportvereinigung der Nationalen Volksarmee (NVA) demonstrierten ihre Bereitschaft zum Schutz des Friedens und zur Verteidigung der sozialistischen Heimat. Den krönenden Abschluss der Sportschau bildeten die Sportler der Sportvereinigung Dynamo, aus der viele der besten Athleten der DDR stammten.

Umfassende Vorbereitungen und beeindruckende Darbietungen
Den monatelangen Vorbereitungen für dieses Großereignis ging das Ausrollen eines riesigen Kunststoffteppichs im Stadion der Hunderttausend voraus. Tausende von Übungsstunden lagen hinter den zwölftausend Sportlern aus Leipzig und den umliegenden Orten, die mit farbigen Tüchern wechselnde Bilder, Symbole und Schriftzeichen auf den Tribünen erzeugten. Diese Sportshow, die in Leipzig Premiere hatte, war das Ergebnis einer gemeinsamen Idee, die in unzähligen Sportgruppen und Vereinigungen umgesetzt wurde.

Volkssport und Talentschmiede Spartakiade
Neben den beeindruckenden Darbietungen umfasste das Fest auch sportliche Wettbewerbe für jedermann. Die sogenannte Turnfestmeile, ein Ausdauerlauf, an dem nur teilnehmen durften, wer im vergangenen Jahr hundertmal oder öfter diese Strecke absolviert hatte, war nur ein Beispiel dafür. Volkssportturniere, denen Qualifizierungswettkämpfe in Stadt und Land vorausgingen, fanden ebenfalls statt, darunter die Finalwettbewerbe der tausend besten Tischtennisspieler der DDR und Kegelmeisterschaften. Auch im Volleyball traten Mannschaften aus Betrieben, Wohngebieten und ländlichen Gemeinden an, wobei auch nicht-organisierte Mitglieder zugelassen waren – entscheidend war die Teilnahme, um Gesundheit, Wohlergehen, Lebensfreude und Leistungsfähigkeit der Menschen zu fördern.

Ein zentraler Bestandteil des Festes war die Kinder- und Jugendspartakiade, die in fast sämtlichen olympischen Sportarten stattfand und 10.000 Teilnehmer vereinte. Wettbewerbe begannen in den Schulen und setzten sich in Kreisen und Bezirken fort, wobei Millionen von Schülern und Lehrlingen teilnahmen. Die besten von ihnen trafen sich in Leipzig, um Talente zu entfalten und zu entdecken. Viele international anerkannte DDR-Sportler und Medaillengewinner, wie zum Beispiel Cornelia Ender oder der Kugelstoß-Olympiasieger Udo Beyer, begannen ihre erfolgreiche Laufbahn bei solchen Spartakiaden.

Internationale Begegnungen und Solidarität
Die freundschaftliche Verbundenheit des DDR-Sports mit Sportorganisationen vieler Länder zeigte sich in Leipzig deutlich. Weltklassesportler aus Japan, wie der dreifache Weltmeister Shigeru Kazama, und aus der Sowjetunion, wie der mehrfache Olympiasieger Nikolai Andrejanov, zeigten ihr Können. Auch Sportlerinnen aus Kuba waren anwesend, und Leichtathletik-Wettkämpfe im abendlichen Stadion der Hunderttausend lockten mit starker internationaler Beteiligung. Besonders enge und brüderliche Beziehungen verbanden die DDR und die UdSSR, was sich in gemeinsamen Wettkämpfen und Begegnungen wie einem Fußballspiel beider Ländermannschaften zeigte. Sowjetische Sportler und Trainer hatten nach der Befreiung vom Faschismus als Erste ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit den Sportlern der DDR geteilt, deren Erfolge ohne diese enge Zusammenarbeit undenkbar gewesen wären.

Fast 500 Repräsentanten aus 53 Ländern, darunter elf Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees sowie zahlreiche Präsidenten von Weltföderationen und Sportminister, zählten zu den fachkundigsten Zuschauern. Sie besuchten auch die Hochschule für Körperkultur und Sport der DDR, um die gesellschaftspolitischen Zusammenhänge und die Struktur der sozialistischen Sportbewegung kennenzulernen. Schirmherr des Sportfestes war Erich Honecker, Generalsekretär des Zentralkomitees der SED und Vorsitzender des Staatsrates der DDR, der die Gäste zu einem Empfang lud. Dabei wurde betont, dass die Förderung von Körperkultur und Sport in der DDR zur „Hauptaufgabe“ gehörte: das Leben der Bürger sozial sicherer, reicher und schöner zu gestalten. Das Fest war auch ein Bekenntnis zur internationalen Solidarität, insbesondere mit denen, die die Folgen imperialistischer Aggressionen überwinden oder um nationale und soziale Befreiung kämpfen.

Kunst, Kultur und das Vermächtnis
Eine Ausstellung „Kunst und Sport“ vereinte Karikaturen, Grafiken, Plastiken und Gemälde und bestätigte das Wort von Coubertin, wonach der Sport als Hervorbringer und Gelegenheit für die Kunst gelten könne. Der Abschluss des Festes wurde durch einen Umzug von 60.000 Sportlern durch die Straßen Leipzigs und eine große Abschlussveranstaltung im Stadion mit einem künstlerisch-sportlichen Programm gestaltet. Hunderte von Musikern, Tänzern und Turnern, darunter Schüler und Studenten von Musik- und Ballettschulen sowie Turnerinnen und Turner des Deutschen Turn- und Sportbundes der DDR, zeigten ihr Können.

Das VI. Deutsche Turn- und Sportfest 1977 in Leipzig, das Fest der sozialistischen Körperkultur und des Sports, ging zu Ende. Doch die Begeisterung und die Bereitschaft von Millionen Menschen in der DDR, Sport und Körperkultur zu einem festen Bestandteil ihres Lebens zu machen, sollte bleiben. Es war eine eindrucksvolle Demonstration von Leistungsfähigkeit, Lebensfreude und dem untrennbaren Zusammenhang von Sport und der Friedenspolitik der Regierung der DDR und der sozialistischen Staatengemeinschaft.

Die Verborgenen Wahrheiten der DDR: Zwischen Glanz und Geheimnis

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BERLIN/ZITTAU/LEUNA – Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) präsentierte sich der Welt als „blühendes Land“, das „bessere Deutschland dank Sozialismus“. Doch hinter dieser glänzenden Fassade verbarg sich eine Realität, in der Anspruch und Wirklichkeit oft weit auseinanderklafften und viele Wahrheiten erst Jahre nach dem Mauerfall ans Licht kamen. Eine genaue Betrachtung der Geschichte dieses verschwundenen Landes offenbart eine Vielzahl von Geheimnissen, die die Menschen bis heute prägen.

Die Ikone und der Widerstand: Frieda Hockaufs verborgene Geschichte
Ein Paradebeispiel für die Diskrepanz zwischen Propaganda und Alltag ist die Weberin Frieda Hockauf aus Zittau. 1953 stieg sie zu einer Ikone der DDR auf, als es ihr gelang, in nur drei Monaten 45 Meter mehr Stoff zu weben als die Norm verlangte. Die SED ehrte sie als „Held der Arbeit“, machte sie zum Vorbild einer Aktivistenbewegung und nutzte sie, um die wirtschaftliche Überlegenheit der DDR zu demonstrieren und insbesondere Frauen zu höherer Produktivität anzuspornen. Frauen galten als die einzige Arbeitskräftereserve der DDR, ähnlich wie Gastarbeiter im Westen eingesetzt wurden.

Doch die wahre Geschichte Hockaufs wurde der Bevölkerung verschwiegen. Längst nicht alle Kolleginnen folgten ihrem Beispiel; im Gegenteil, sie wurde als „Normbrecherin“ und „Verräterin“ beschimpft. Eier und Steine flogen, ihr Mann musste sie abends von der Schicht abholen, und ihr Webstuhl wurde sabotiert. Menschen, die doppelt so viel in der gleichen Zeit schaffen, erregen oft Widerspruch. Als Hockauf schwer herzkrank wurde, konnte die Partei sie nicht länger auf das Podest stellen, denn wer nicht funktioniert, wird fallengelassen. Ihre Nachbarin fasste es treffend zusammen: „Arm geboren und arm gestorben“.

Wirtschaftliche Krisen und der Widerhall der Arbeiterwut
Die DDR-Wirtschaft kämpfte kontinuierlich mit Problemen. Trotz der Abschaffung von Lebensmittelkarten Ende der 50er Jahre blieb die Wirtschaftsleistung ein Drittel hinter der Bundesrepublik zurück. Die Verantwortlichen waren sich der suboptimalen Situation bewusst, sahen dies aber als „Kinderkrankheiten“. Eine folgenschwere Entscheidung war die Zwangskollektivierung der Kleinbauernhöfe im Jahr 1960, die statt Modernisierung zunächst eine Missernte zur Folge hatte und die Lebensmittelknappheit verschärfte. Investitionen flossen hauptsächlich in die Schwerindustrie, wo es ebenfalls an Mitteln und Arbeitskräften mangelte – ein „Teufelskreislauf“, der 1961 zum Mauerbau führte, um die Volkswirtschaft „planbar zu machen“.

Inmitten dieser Krise, Anfang der 1960er Jahre, kam es in der DDR zu Hunderten „Wilder Streikes“, insbesondere in den industriestarken Bezirken wie Halle, wo sich die Leunawerke befanden. Ein Vorfall im Mai 1962 in Leuna, bei dem ein Maler aus Leipzig wegen fehlenden Essens eine Verkäuferin über die Theke ziehen wollte und Arbeiter mit Streik drohten, ist symptomatisch für die angespannte Lage. Obwohl die DDR-Zeitungen über solche Streiks schwiegen, kursierten Gerüchte, die im Westen, etwa in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, aufgegriffen und teils dramatisiert wurden. Die vielen echten Streiks setzten die DDR-Führung unter Druck und führten kurzzeitig zu Überlegungen über Wirtschaftsreformen mit mehr Eigenständigkeit für Betriebe, die jedoch aus Angst vor Kontrollverlust wieder gestoppt wurden.

Die „Wochengrippenkinder“: Eine Kindheit im Heim und ihre Spätfolgen
Um die Frauen als Arbeitskräfte in die Berufstätigkeit zu integrieren, bot der Staat Kinderbetreuung an, insbesondere für Alleinstehende ohne familiäres Hinterland. Ab der sechsten Lebenswoche konnten Kinder in sogenannten „Wochengrippen“ untergebracht werden, wo sie die Eltern nur am Wochenende sahen. Obwohl als „gute Versorgung“ propagiert, waren diese Einrichtungen in der Realität eher Kinderheime.

Die Ärztin Eva Schmidtkolmer untersuchte Anfang der 1950er Jahre den Gesundheitszustand von Krippenkindern. Ihre dramatischen Befunde, die nur in Fachkreisen bekannt wurden, zeigten, dass Wochengrippenkinder in allen Bereichen hinter Altersgenossen zurückblieben und Zeichen von Hospitalismus aufwiesen: Ausdruckslosigkeit, Schaukeln des Oberkörpers, Kopfschütteln im Gitterbett, verzögerte Sprachentwicklung und auffälliges Verhalten. Trotz Warnungen vieler Kinderärzte wurden diese Erkenntnisse der Öffentlichkeit vorenthalten und Schmidtkolmer mundtot gemacht.

Heike Liebsch, die für ihre Doktorarbeit 60 ehemalige Wochengrippenkinder interviewte, berichtet von gestörten Elternbeziehungen, Partnerschaftsschwierigkeiten, Problemen mit den eigenen Kindern und immer wieder von Ängsten. Sie selbst erfuhr erst im Erwachsenenalter, dass sie vier Jahre lang fixiert worden war, was ihr geholfen hat, ihre eigenen Ängste zu verstehen. Die Studien über die negativen Auswirkungen der Wochengrippen wurden bis zum Ende der DDR behindert und erst 1992 veröffentlicht, da sie den Mythos einer sich steigernden Produktion ohne menschliche Kosten beschädigten.

Die „Waffenbrüderschaft“: Schutzmacht, Geheimnisse und menschliche Dramen
Ein zentraler Gründungsmythos der DDR war die Freundschaft mit der Sowjetunion, den „Befreiern vom Nationalsozialismus“. Doch auch hier herrschte ein Ungleichgewicht. Karl Wilhelm Wichmann, der 1946 Kritik an der sowjetischen Besatzungsmacht übte, etwa an der Bodenreform oder der Wegnahme von Radios, wurde vor ein sowjetisches Militärtribunal gestellt und zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt. Torgau und Sachsenhausen waren einige der zehn Speziallager, die die Sowjets betrieben und in denen ein Drittel der über 122.000 Insassen Hunger, Krankheiten und brutale Behandlung nicht überlebte – im Prinzip eine Übertragung des sowjetischen Gulag-Systems auf Deutschland. Wichmann wurde erst 1954 freigelassen und durfte über seine Haftzeit nicht sprechen.

Die in der DDR stationierten sowjetischen Truppen schotteten sich hermetisch ab. Was hinter den Sperrzonen geschah, war Staatsgeheimnis. Gerüchte kursierten, nicht zuletzt wegen Vorfällen wie dem Absturz eines sowjetischen Militärflugzeugs 1966 im sächsischen Vollbahn, bei dem die deutschen Behörden von der Löschung abgehalten wurden und das Ereignis vertuscht wurde. Das Sperrgebiet um den Militärflugplatz Großenhain bei Dresden, wo 6.000 Soldaten stationiert waren, beinhaltete ein Sonderwaffenlager namens „Granit“. Gerüchte über die Lagerung von Atomwaffen kursierten, die sich 1973 durch die Flucht eines russischen Flugzeugtechnikers mit einer Suchoi 7 BM und die Funde der westlichen Geheimdienste erhärteten. Historiker Matthias Ul fand 2020 in russischen Archiven Beweise dafür, dass Nuklearwaffen seit 1963 in Großenhain stationiert waren. Die DDR-Führung selbst wusste zwar von Nuklearwaffen auf ihrem Territorium, aber nicht, wo genau.

Die „Waffenbrüderschaft“ war kein Verhältnis auf Augenhöhe. Die Lebensverhältnisse der sowjetischen Soldaten waren ärmlich und von Gewalt geprägt, es gab keine Privatsphäre und ein brutales Regime unter den Generationen, das zu Verzweiflungstaten, Kriminalität und tausenden Desertationen führte. Die Schicksale von Deserteuren, die teils gewaltsam zu Tode kamen, wurden vor der DDR-Bevölkerung verborgen. Auch persönliche Beziehungen zwischen sowjetischen Soldaten und ostdeutschen Frauen waren meist untersagt, da Offiziere Geheimnisträger waren und die Frauen als Spione diffamiert wurden. Renate Walter, ein sogenanntes „Russenkind“, erfuhr erst als Rentnerin die tragische Geschichte ihres Vaters, eines sowjetischen Soldaten, der wegen seiner Beziehung unehrenhaft entlassen und schließlich an den Spätfolgen einer Schussverletzung starb.

Antifaschismus als Staatsdoktrin: Der Umgang mit der braunen Vergangenheit
Die Bekämpfung des Nationalsozialismus, von der DDR „Faschismus“ genannt, war der zentrale Gründungsmythos des Staates. Nach der offiziellen „Entnazifizierung“ 1950, mit Schnellverfahren gegen rund 3300 NS-Verdächtige, hieß es, Nazis gäbe es nur noch im Westen. Doch auch hier gab es dunkle Flecken. Ernst Grossmann, ein ehemaliger Angehöriger eines SS-Totenkopfverbandes und Wachmann im KZ Sachsenhausen, wurde als „Held der Arbeit“ und Musterbeispiel der Propaganda gefeiert. Obwohl die Stasi Hinweise auf seine Vergangenheit hatte, saß er jahrelang für die SED im Rat des Bezirkes Erfurt. Die DDR verfolgte zwar Nazi- und Kriegsverbrecher, lud aber die breite Mehrheit zur Integration ein, nach dem Motto: Wer sich für den demokratischen Aufbau einsetzt, muss nicht über seine Sünden der Vergangenheit sprechen.

Ein späterer Propagandaerfolg war der Prozess gegen den Kriegsverbrecher Heinz Barth 1983, der am Massaker von Oradour beteiligt war. Obwohl der Prozess weltweit Beachtung fand, wurden zwei weitere Mörder von Oradour, die ebenfalls beteiligt waren, nicht angeklagt. Barth wurde zu lebenslanger Haft verurteilt und knüpfte im Gefängnis Freundschaften mit jungen Neonazis, darunter Ingo Hasselbach. Barth vermittelte den Jugendlichen sein rechtsextremes Weltbild, ohne Reue oder Mitgefühl zu zeigen.

Der Aufstieg des Rechtsradikalismus: Eine unbequeme Wahrheit
Die rechten Jugendlichen wurden zu einem sichtbaren Problem in der DDR. Eine geheime Studie der Humboldt-Universität Berlin zeigte, dass junge Neonazis zu 80 Prozent aus „soliden“ Elternhäusern stammten und nicht aus gestörten Familienverhältnissen. Mit dem Autoritätsverlust der Elterngeneration und dem Fehlen neuer Autoritäten verfielen viele Jugendliche gewalttätigen rechtsradikalen Bewegungen.

Das Benutzen von Nazi-Symbolen und die Negierung des Antifaschismus waren die stärkste Provokation für den antifaschistischen Staat. Gleichzeitig verkörperten diese Strömungen Werte wie Ordnungs- und Sicherheitsdenken sowie eine gewisse Fremdheit gegenüber anderen Kulturen, die durchaus in der DDR-Gesellschaft verbreitet waren. So entstand eine „stillschweigende Übereinkunft“ zwischen den radikalen Szenen und größeren Teilen der Bevölkerung, die bis heute wirkt.

Die Geheimnisse, die die DDR vor ihren Bürgern verbarg – sei es über die wahre Lage der Wirtschaft, die Auswirkungen der Kinderbetreuung, die Realität der sowjetischen Präsenz oder den widersprüchlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit – trugen maßgeblich zum Autoritätsverlust der Führung bei. Als die Menschen 1989 die Mauer zu Fall brachten und 1990 die Stasi-Zentrale stürmten, wurde klar: Die DDR barg noch viele weitere Geheimnisse.