Berlin/Dresden/Strausberg. Der Kalte Krieg, eine Ära der ideologischen Konfrontation und militärischen Wachsamkeit, prägte auch das Leben von Karl-Heinz Kries, einem Offizier der Nationalen Volksarmee (NVA), der tief in die militärische Aufklärung der DDR eingebunden war. Seine Laufbahn bietet einen seltenen Einblick in die komplexen Mechanismen der Informationsbeschaffung und -analyse auf ostdeutscher Seite.
Vom jungen Offizier zur Militärakademie
Karl-Heinz Kries schlug eine Offizierslaufbahn ein, nachdem ihm aufgrund seiner Leistungen die Möglichkeit geboten wurde, ohne den Besuch einer Offiziersschule zum Offizier ernannt zu werden. Mit 23 Jahren, am 30. November 1963, wurde er am Tag seiner Hochzeit, die feierlich in der Kaserne stattfand, zum Unterleutnant ernannt. Der nächste große Schritt war die Zulassung zur Militärakademie in Dresden. Voraussetzung hierfür war das Abitur, das Kries an einer NVA-eigenen Schule in Naumburg in Fächern wie Deutsch, Physik, Chemie, Russisch und Mathematik nachholte.
Der Studienalltag an der Akademie war intensiv: Täglich von 8 Uhr bis mittags fand Unterricht statt, gefolgt von einer Mittagspause und organisiertem Selbststudium bis 17 Uhr im Klassenraum. Auch abends und am Wochenende, bis samstags mittags, wurde in der Unterkunft weiterstudiert, um die zahlreichen Lernaufgaben zu bewältigen. Die Zeit für die Familie, die zu Hause in Potsdam auf Kries wartete und bereits zwei Kinder umfasste, war auf anderthalb Tage am Wochenende begrenzt. Obwohl das Studium im Vordergrund stand, gab es abends auch die Möglichkeit, Dresden zu erkunden und sich in Gaststätten zu amüsieren.
Spezialisierung auf West-Berlin und NATO-Armeen
Bereits im letzten Studienjahr an der Militärakademie wurde die zukünftige Verwendung der Offiziere organisiert. Karl-Heinz Kries, der sich während seiner Ausbildung intensiv mit den ausländischen NATO-Armeen und deren Strukturen beschäftigt hatte, wurde gefragt, ob er ins Ministerium oder zur Verwaltung Aufklärung gehen wolle. Aufgrund seiner Kenntnisse in diesem Bereich kam er im Alter von 34 oder 35 Jahren zur militärischen Aufklärung nach Strausberg bei Berlin.
Seine Hauptaufgabe in diesem Bereich war die Aufklärung der militärischen Aktivitäten in West-Berlin. Dazu gehörte die Überwachung der dort stationierten Truppen – Amerikaner, Engländer und Franzosen – deren Bewegungen, Aktivitäten und Ausbildungen. Wöchentlich erstellte Kries Berichte über diese Beobachtungen, die an das Ministerium, also den Minister, geschickt wurden.
Die Arbeitsbedingungen umfassten das tägliche Lesen und Analysieren westberliner Zeitungen wie dem „Tagesspiegel“ und der „Morgenpost“, um Hinweise auf alliierte Aktivitäten zu finden. Zusätzlich wurden Informationen von in West-Berlin tätigen Beobachtern und Informanten eingeholt. Ein konkretes Beispiel für die Arbeit war der Bau eines detaillierten Modells von West-Berlin über mehrere Quadratmeter, das zur Schulung von Kommandeuren diente. Diese sollten darauf lernen, wie sie im Falle eines Krieges ihre Truppen am besten einsetzen und die Gegebenheiten der Gegend kennenlernen könnten. Die militärische Aufklärung, der Kries angehörte, konzentrierte sich dabei ausschließlich auf militärische Aktivitäten europaweit, was einen klaren Unterschied zur Arbeit der Staatssicherheit darstellte. Die Konfrontation mit westlichen Informationen verunsicherte die Mitarbeiter nicht, sondern wurde professionell verarbeitet.
Das Aufklärungszentrum: Lagebilder im Schichtdienst
Nach Abschluss seiner Tätigkeit im Bereich West-Berlin wechselte Kries in das Aufklärungszentrum zur täglichen Lageaufklärung. Dort arbeitete er als Schichtleiter im 24-Stunden-Schichtdienst mit mehreren Mitarbeitern. Ihre Aufgabe war die Bearbeitung von Meldungen, die sowohl von „befreundeten Armeen“ als auch von eigenen Aufklärern stammten. Aus diesen Informationen erstellten sie ein tägliches Lagebild. Dafür standen große Räume mit Europakarten, BRD-Karten und Weltkarten zur Verfügung, auf denen die relevanten Aktivitäten eingezeichnet wurden.
Jeden Morgen zwischen 4 und 6 Uhr musste ein umfassender Bericht fertiggestellt sein, der alle verarbeiteten Informationen enthielt. Dazu gehörte auch eine tägliche Pressemeldung, die aus den wichtigsten Artikeln westlicher Zeitungen wie der „Frankfurter Rundschau“, „Süddeutschen Zeitung“, „Tagesspiegel“ und „Die Welt“ zusammengestellt wurde. Ergänzt wurde dies durch einen Fernsehbericht, der aus zusammengeschnittenen Filmen und begleitendem Text die Lage, militärische Übungen, Aktivitäten und Besonderheiten des Tages darstellte. Diese detaillierten Berichte wurden täglich an den Minister weitergeleitet.
Das Verständnis des Kalten Krieges
Für Kries und seine Kollegen war der Kalte Krieg ein integraler Bestandteil ihres militärischen Lebens. Sie waren der festen Überzeugung, „wir stehen auf der richtigen Seite“ und das, was sie taten, sei richtig und notwendig. Diese Haltung prägte ihr berufliches Handeln und ihre Einschätzung der politischen und militärischen Lage jener Zeit.