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NVA-Aufklärung im Kalten Krieg: Das Leben von Karl-Heinz Kries

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Berlin/Dresden/Strausberg. Der Kalte Krieg, eine Ära der ideologischen Konfrontation und militärischen Wachsamkeit, prägte auch das Leben von Karl-Heinz Kries, einem Offizier der Nationalen Volksarmee (NVA), der tief in die militärische Aufklärung der DDR eingebunden war. Seine Laufbahn bietet einen seltenen Einblick in die komplexen Mechanismen der Informationsbeschaffung und -analyse auf ostdeutscher Seite.

Vom jungen Offizier zur Militärakademie
Karl-Heinz Kries schlug eine Offizierslaufbahn ein, nachdem ihm aufgrund seiner Leistungen die Möglichkeit geboten wurde, ohne den Besuch einer Offiziersschule zum Offizier ernannt zu werden. Mit 23 Jahren, am 30. November 1963, wurde er am Tag seiner Hochzeit, die feierlich in der Kaserne stattfand, zum Unterleutnant ernannt. Der nächste große Schritt war die Zulassung zur Militärakademie in Dresden. Voraussetzung hierfür war das Abitur, das Kries an einer NVA-eigenen Schule in Naumburg in Fächern wie Deutsch, Physik, Chemie, Russisch und Mathematik nachholte.

Der Studienalltag an der Akademie war intensiv: Täglich von 8 Uhr bis mittags fand Unterricht statt, gefolgt von einer Mittagspause und organisiertem Selbststudium bis 17 Uhr im Klassenraum. Auch abends und am Wochenende, bis samstags mittags, wurde in der Unterkunft weiterstudiert, um die zahlreichen Lernaufgaben zu bewältigen. Die Zeit für die Familie, die zu Hause in Potsdam auf Kries wartete und bereits zwei Kinder umfasste, war auf anderthalb Tage am Wochenende begrenzt. Obwohl das Studium im Vordergrund stand, gab es abends auch die Möglichkeit, Dresden zu erkunden und sich in Gaststätten zu amüsieren.

Spezialisierung auf West-Berlin und NATO-Armeen
Bereits im letzten Studienjahr an der Militärakademie wurde die zukünftige Verwendung der Offiziere organisiert. Karl-Heinz Kries, der sich während seiner Ausbildung intensiv mit den ausländischen NATO-Armeen und deren Strukturen beschäftigt hatte, wurde gefragt, ob er ins Ministerium oder zur Verwaltung Aufklärung gehen wolle. Aufgrund seiner Kenntnisse in diesem Bereich kam er im Alter von 34 oder 35 Jahren zur militärischen Aufklärung nach Strausberg bei Berlin.

Seine Hauptaufgabe in diesem Bereich war die Aufklärung der militärischen Aktivitäten in West-Berlin. Dazu gehörte die Überwachung der dort stationierten Truppen – Amerikaner, Engländer und Franzosen – deren Bewegungen, Aktivitäten und Ausbildungen. Wöchentlich erstellte Kries Berichte über diese Beobachtungen, die an das Ministerium, also den Minister, geschickt wurden.

Die Arbeitsbedingungen umfassten das tägliche Lesen und Analysieren westberliner Zeitungen wie dem „Tagesspiegel“ und der „Morgenpost“, um Hinweise auf alliierte Aktivitäten zu finden. Zusätzlich wurden Informationen von in West-Berlin tätigen Beobachtern und Informanten eingeholt. Ein konkretes Beispiel für die Arbeit war der Bau eines detaillierten Modells von West-Berlin über mehrere Quadratmeter, das zur Schulung von Kommandeuren diente. Diese sollten darauf lernen, wie sie im Falle eines Krieges ihre Truppen am besten einsetzen und die Gegebenheiten der Gegend kennenlernen könnten. Die militärische Aufklärung, der Kries angehörte, konzentrierte sich dabei ausschließlich auf militärische Aktivitäten europaweit, was einen klaren Unterschied zur Arbeit der Staatssicherheit darstellte. Die Konfrontation mit westlichen Informationen verunsicherte die Mitarbeiter nicht, sondern wurde professionell verarbeitet.

Das Aufklärungszentrum: Lagebilder im Schichtdienst
Nach Abschluss seiner Tätigkeit im Bereich West-Berlin wechselte Kries in das Aufklärungszentrum zur täglichen Lageaufklärung. Dort arbeitete er als Schichtleiter im 24-Stunden-Schichtdienst mit mehreren Mitarbeitern. Ihre Aufgabe war die Bearbeitung von Meldungen, die sowohl von „befreundeten Armeen“ als auch von eigenen Aufklärern stammten. Aus diesen Informationen erstellten sie ein tägliches Lagebild. Dafür standen große Räume mit Europakarten, BRD-Karten und Weltkarten zur Verfügung, auf denen die relevanten Aktivitäten eingezeichnet wurden.

Jeden Morgen zwischen 4 und 6 Uhr musste ein umfassender Bericht fertiggestellt sein, der alle verarbeiteten Informationen enthielt. Dazu gehörte auch eine tägliche Pressemeldung, die aus den wichtigsten Artikeln westlicher Zeitungen wie der „Frankfurter Rundschau“, „Süddeutschen Zeitung“, „Tagesspiegel“ und „Die Welt“ zusammengestellt wurde. Ergänzt wurde dies durch einen Fernsehbericht, der aus zusammengeschnittenen Filmen und begleitendem Text die Lage, militärische Übungen, Aktivitäten und Besonderheiten des Tages darstellte. Diese detaillierten Berichte wurden täglich an den Minister weitergeleitet.

Das Verständnis des Kalten Krieges
Für Kries und seine Kollegen war der Kalte Krieg ein integraler Bestandteil ihres militärischen Lebens. Sie waren der festen Überzeugung, „wir stehen auf der richtigen Seite“ und das, was sie taten, sei richtig und notwendig. Diese Haltung prägte ihr berufliches Handeln und ihre Einschätzung der politischen und militärischen Lage jener Zeit.

Ein Appell für eine echte Wiedervereinigung jenseits von Siegern und Verlierern

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Berlin/Hamburg – Die Geschichte wird bekanntlich von den Siegern geschrieben, und in Deutschland nach 1990 waren die Sieger „immer die anderen“. Doch was passiert, wenn die vermeintlich Besiegten beginnen, ihre eigene Geschichte zu erzählen? Genau diesen Versuch wagt Katrin McClean, Autorin und Kursleiterin für kreatives Schreiben, mit ihrem Buch „Aufgewachsen in Ost und West – 64 Geschichten für eine wirkliche Wiedervereinigung“. Das Buch versammelt die persönlichen Erzählungen von 40 Autoren – je 20 aus Ost und West – und bietet eine einzigartige Perspektive auf die Wendezeit und das Leben in den beiden ehemaligen deutschen Staaten.

Die Wende als Ende der Identität
Für Katrin McClean selbst, die in der DDR aufwuchs, war das Ende der DDR „nicht als Befreiung erlebt, sondern als das Ende meiner Identität“. Sie engagierte sich in den letzten Jahren der DDR in der sogenannten Oppositionsbewegung, kämpfte für mehr Offenheit und demokratischere Verhältnisse, zweifelte jedoch nicht am Staat oder am Sozialismus als solchem, sondern an den „zu alten“ Funktionären. Als die Mauer fiel, war ihr sofort klar, dass all ihre Reformideen und Kämpfe bedeutungslos werden würden. Sie beschreibt die Geschehnisse als „wirtschaftliche Eroberung dieses Marktes“, die durch die Rufe der DDR-Bürger nach „Helmut Kohl und Bananen“ mit ermöglicht wurde.

McClean kritisiert das gängige Narrativ, das die DDR als eine homogene „Stasi-Diktatur“ darstellt. Sie erinnert an ein grundlegend anderes Sozialisationsprinzip: In der DDR wurde vermittelt, dass „jeder wichtig für die Gesellschaft“ sei und seinen Beitrag leiste, was ein starkes Gemeinschaftsgefühl hervorbrachte. Dieses Gefühl wurde durch gemeinsame Arbeit und Freizeitaktivitäten gelebt. Die spätere Zerschlagung von Betrieben durch die Treuhand empfand sie nicht nur als Schließung von Produktionsstätten, sondern als Zerstörung eines „gesamten Netzwerks“ mit allen daran gekoppelten sozialen Einrichtungen wie Polikliniken und Kindergärten. Proteste dagegen, die den Gemeinschaftsgeist zeigten, fänden heute kaum Beachtung.

Bildung, Offenheit und das Erbe des Nationalsozialismus
Ein zentraler Punkt von McCleans Ausführungen ist die radikal andere Sozialisation in Ost und West. Das Bildungssystem der DDR wurde nach 1945 entwickelt, um den Faschismus und kapitalistische Ideologien zu überwinden. Es legte Wert auf „Gemeinschaftserziehung“, „Friedenserziehung“ und persönliche Verantwortung für die Gesellschaft. Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus war in der Schule „Hauptthema“ und sehr „umfangreich“, im Gegensatz zur BRD, wo es eher ein privates Tabu war. McClean betont, dass es in der DDR ein juristisches Gewaltverbot in Schulen gab, was in der BRD nicht existierte. Klassenlehrer besuchten die Familien zweimal im Jahr, um die häusliche Situation der Schüler zu verstehen und zu unterstützen.

Auch das Klischee der mangelnden Offenheit in der DDR stellt McClean infrage. Sie erinnert sich an die DDR als einen „riesigen Debattierklub“, in dem ständig über alles geredet wurde, von Pionierversammlungen bis zu Betriebsversammlungen. Wer seine Meinung nicht äußerte, dem war es selbst überlassen. Sie selbst wurde für ihre Gedanken nicht verfolgt.

Der deutsche Literaturbetrieb und die Suche nach Authentizität
Das Buch „Aufgewachsen in Ost und West“ ist auch ein Plädoyer für eine „Basiskultur“ und die Anerkennung individueller Geschichten. Katrin McClean, die seit 1996 Romane, Kurzgeschichten und Hörspiele schreibt und Kurse für kreatives Schreiben anbietet, ist überzeugt, dass jeder Mensch eine „Schreibstimme“ hat, die dem Herzen näher ist als dem Verstand. Die dort entstehenden „Geschichten von unten“ seien oft reicher und berührender als die „offizielle Literatur“.

Die Suche nach einem Verlag für „Aufgewachsen in Ost und West“ war schwierig; es wurde letztlich über einen Self-Publishing-Dienst veröffentlicht und vom Rubikon-Verlag vertrieben. McClean kritisiert den deutschen Literaturbetrieb als „eng ideologischen Korridor“, der zwar kritische Texte über ausländische Diktaturen oder das Leiden unter Erdogan akzeptiert, aber „Nestbeschmutzer“ und kritische Auseinandersetzungen mit der eigenen deutschen Geschichte, insbesondere von ostdeutschen Autoren, kaum zulässt.

Parallelen zur Corona-Pandemie
Katrin McClean zieht bemerkenswerte Parallelen zwischen der Wendezeit und der aktuellen Corona-Pandemie. Sie sieht zwei Phasen, ähnlich wie in der Wende, und eine „Zahlenmystik“ und „Zahlentrickseri“, die damals zum „Bankrott“ der DDR beigeredet wurde, um die D-Mark-Einführung zu rechtfertigen. Heute führe dies zu einer „massiven Umwandlung der Gesellschaft“ und einer Transformation in eine „digitale Selbstverständlichkeit“, die sie als „digitale Treuhand“ des Großkapitals bezeichnet. Sie vermisst das „Aufbegehren“ bei vielen Westdeutschen, die in der Vergangenheit kritisiert hatten, dass Ostdeutsche nicht genug Widerstand geleistet hätten.

Gemeinsam Brücken bauen
Trotz der tiefgreifenden Unterschiede in der Sozialisation und den teils verletzenden Erfahrungen plädiert McClean für eine „echte Wiedervereinigung“, die Vergangenheit ruhen lässt, verzeiht und akzeptiert, anstatt neue Gräben zu ziehen. Das Buch selbst ist ein Versuch, dies zu ermöglichen, indem es individuelle Geschichten über Erlebtes bietet, ohne zu argumentieren oder zu beweisen. Westdeutsche Autoren schrieben darin häufig über ihre Kindheit, während Ostdeutsche ihre Wende-Erfahrungen schilderten.

Katrin McClean ist überzeugt, dass der „Widerstandsgeist“ des DDR-Bürgers, der Manipulationen im Westen erkennt, zusammen mit der Kenntnis der Rechtsstrukturen im Westen zu einer gegenseitigen Ergänzung führen kann. Sie sieht in den aktuellen Demonstrationen und der wachsenden Skepsis gegenüber den Mainstream-Medien im Internet die Chance, dass immer mehr Menschen „langsam durchschaut haben“ und sich selbst informieren.

Das Buch „Aufgewachsen in Ost und West“ ist somit mehr als eine Sammlung von Erzählungen; es ist ein Aufruf zur Selbstreflexion und zum Dialog, um über die Kluft zwischen Ost und West hinweg ein tieferes Verständnis füreinander zu entwickeln und „unsere eigene Geschichte zurückzuerobern“.

Die unorthodoxe Karriere des DDR-Discjockeys Wolfgang „Wolle“ Förster

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Wolfgang „Wolle“ Förster, geboren 1954, ist mehr als nur ein Name; er ist ein Zeitzeuge einer Ära, in der Musik und Jugendkultur oft auf Kollisionskurs mit den staatlichen Vorgaben der Deutschen Demokratischen Republik gerieten. Seine Geschichte ist eine Erzählung von unbeabsichtigter Rebellion, kreativer Anpassung und dem steinigen Weg eines mobilen Discjockeys in einem System, das westliche Einflüsse argwöhnisch beäugte.

Das Ende eines Traums: Vom Elektroniker zum „politisch Untragbaren“
Försters ursprünglicher Plan war ein ganz anderer: Nach Abschluss seiner Elektronikerlehre und kurz vor dem Abitur plante er ein Studium der Elektronik an der TU Dresden. Doch ein spontanes Quiz in einem Klubhaus des Rudi Arndt sollte sein Leben grundlegend ändern. Eine der von ihm gestellten Fragen lautete: „Was ist die FDJ? A: Ein Gammeltrupp, B: Ein Negerstamm, C: Vereinigung der sozialistischen Jugend“. Obwohl Förster bei der Auswertung klarstellte, dass die richtige Antwort C sei, wurde ihm unterstellt, er hätte alle belohnt, die „Gammeltrupp“ angekreuzt hatten.

Dieser Vorfall wurde zum Politikum hochgespielt, was zur Suspendierung Försters von der Schule führte – nur zehn Tage vor seinem Abitur. Er durfte die letzten beiden mündlichen Prüfungen nicht mehr ablegen, sein Studienvertrag für Elektronik platzte. Ein Konkurrent aus einem weniger erfolgreichen Jugendklub hatte diese „Dinge ganz massiv zur Anzeige gebracht“ und damit Försters berufliche Ausbildung sabotiert. Die Konsequenzen empfand Förster als völlig unangemessen. Hinzu kam die Anfertigung von Jugendclub-Ausweisen, die westliche Artikel wie Schokoriegel und Models abbildeten, was angeblich der „Untergrabung der Moral der Jugend“ diente und nicht in das sozialistische Bild passte. Diese Vorfälle machten ihn in den Augen der Behörden „politisch untragbar“.

Die Geburt eines Discjockeys: Zwischen 60/40-Regel und Platten aus dem Westen
Trotz des jähen Endes seiner akademischen Laufbahn fand Wolfgang Förster einen neuen Weg: 1975 begann er seine Karriere als Discjockey. Dies war jedoch kein einfacher Beruf in der DDR. Man musste sich einer Einstufungskommission stellen, die die Arbeit mit dem Publikum, den Musikeinsatz und insbesondere die Verwendung von DDR-Musik beurteilte.

Eine der größten Herausforderungen war die sogenannte „60/40-Regel“: DJs waren verpflichtet, 60% DDR-Titel und 40% Westmusik zu spielen. Förster erklärt jedoch, dass dies kaum möglich war, da es „nicht genügend DDR-Titel gab, die man hätte einsetzen können“. Um die Vorschriften zu erfüllen, füllten die DJs Listen mit Titeln aus, die sie teilweise gar nicht kannten. Besonders in den ersten zwei Stunden, wenn die Jury anwesend war, versuchte man die 60/40-Regel einzuhalten, was schwierig war, da viele gute DDR-Titel langsam waren und eine langsame Tanzrunde die Jury nicht beeindruckte.

Westliche Platten waren begehrt und wurden oft im Intershop erworben oder aus dem Westen besorgt, wo sie dann in den Jugendklubs „rumgegangen“ und verteilt wurden. Dies weckte Bedürfnisse bei Jugendlichen, die das System nicht erfüllen konnte, was als „schwer verwerflich“ galt. Trotz dieser Widrigkeiten durchlief Förster das Einstufungssystem als Schallplattenunterhalter, arbeitete sich von der Stufe C hoch und erhielt 1984 die Einstufung zum Berufs-Diskjockey.

Ingenieurskunst aus dem VEB: „Volkseigentum“ für die Diskoanlage
Ein weiteres markantes Merkmal seiner Tätigkeit war die Beschaffung der technischen Anlage. Förster, der bei Elektromat arbeitete, hatte das Glück, sich dort viel Material besorgen zu können, wie Lichtmasten und Gehäuse. Er berichtet, dass es üblich war, dass 40% aller Arbeiten in VEB-Betrieben private Arbeiten waren. Dieses „Nacharbeiten“ war weit verbreitet, insbesondere in einfachen Abteilungen wie der Halle 219 bei Elektromat, wo gekantet, gepresst und geschweißt wurde. Man nutzte die Maschinen des „Volkseigentums“ nach Feierabend für eigene Zwecke, ohne sich dabei schlecht vorzukommen, denn es war ja „ein Betrieb des Volkes und wir haben uns unseren Teil genommen“. Nur wer es übertrieb und ganze Produkte entwendete, bekam Ärger und konnte seinen Job verlieren. Die gesamte Metallkonstruktion seiner Diskoanlage, von den großen Ständen bis zu den Schildern, entstand so im Elektromat und war die einzige Möglichkeit, sich solche Geräte selbst zusammenzubauen.

Diese Umstände führten zu einer besonderen Flexibilität und Kreativität der Ostdeutschen (Ossis) im Vergleich zu Westdeutschen (Wessis). Förster betont, dass sie oft improvisieren mussten, beispielsweise eine Brücke aus Kupferdraht bauten, wenn ein Stecker kaputt war – eine Fähigkeit, die sie bei Veranstaltungen bis heute als wertvoll erweist.

Politische Gratwanderung und eine späte Erkenntnis
Obwohl DJs stets unter Beobachtung standen und die Behörden genau wussten, wer seine „Machtstellung am Mikrofon“ für politische Zwecke missbrauchte, war die direkte politische Propaganda in der Regel nicht Försters Aufgabe bei FDJ-Veranstaltungen. Anders verhielt es sich bei Auslandsreisen, etwa nach Rumänien. Hier wurde erwartet, dass man „sein Land und Leute anpreist und sagt ‚Uns geht es gut'“.

Förster selbst hatte damals keinen Grund, die DDR schlecht zu sehen. Er erinnert sich an ausgelassene Feiern in Ferienlagern und daran, dass die Menschen nicht wussten, was sie alles verpassten. Die Einschränkung des Westfernsehens und das Verbot des Rundfunks (z.B. Rias) trugen dazu bei, dass man „zufrieden“ war, wenn man „andere Dinge nicht kennst“. Die Erkenntnis, wie eingeengt man tatsächlich war und wie schlecht es der Wirtschaft ging, kam erst im Laufe der Zeit. Reisen nach Rumänien waren damals eine „große Sache“ und man kam nicht auf den Gedanken, dass andere nicht reisen durften. Erst aus heutiger Sicht wird ihm bewusst, was den Menschen vorenthalten wurde, wie auch seinem reiselustigen Vater.

Trotz dieser Herausforderungen und der politischen Kontrolle gab es auch Momente, die Försters Karriere fast beendet hätten, wie der Song „Sonderzug von Pankow“ von Udo Lindenberg, der ihm „fast das Genick gebrochen“ hätte, obwohl er selbst kaum etwas dazu gesagt hatte.

Die Geschichte von Wolfgang „Wolle“ Förster ist ein faszinierendes Zeugnis der Kultur- und Alltagswelt in der DDR, geprägt von Vorschriften, Improvisation und einer einzigartigen Perspektive auf eine abgeschlossene Ära.

Glanz und Schatten: Das vergessene Erbe der DDR-Stars nach der Wende

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Einst prägten ihre Gesichter und Stimmen die Bühnen und Bildschirme der DDR. Sie bewegten Millionen, brachten zum Lachen und zum Weinen, waren gefeierte Persönlichkeiten und kulturelle Ikonen. Doch mit dem Fall der Mauer und dem Ende der DDR verschwanden viele dieser Künstler aus dem öffentlichen Bewusstsein. Ihr Ruhm verblasste im Schatten der Geschichte, und glanzvolle Karrieren zerbröckelten. Dieses Phänomen wirft eine bedrückende Frage auf: Hätte die Gesellschaft es besser machen können, um diejenigen zu bewahren, die einst Millionen Menschen Freude, Kultur und Orientierung gaben, bevor sie in Armut, Einsamkeit und Vergessenheit endeten?

Die Geschichten der folgenden zehn Persönlichkeiten zeichnen ein bewegendes Bild dieses tiefen Bruchs, den der politische Umbruch nach 1989 mit sich brachte.

Hans-Peter Reineke (1941-2005): Das stille Verklingen eines Talents Als prägende Figur des DDR-Theaters und gefeiertes Mitglied des Berliner Ensembles stand Hans-Peter Reineke mit über 59 Inszenierungen sinnbildlich für die kulturelle Stärke der DDR. Nach der Wende änderte sich jedoch alles. Der einst gefragte Schauspieler erhielt kaum noch Rollen, sein Name verschwand zunehmend aus den Feuilletons. Er lebte zurückgezogen in Berlin, geplagt von gesundheitlichen Problemen, und verstarb 2005 kaum beachtet von der Öffentlichkeit.

Peter Dommisch (1934-1991): Die verstummte Stimme Peter Dommisch war eine feste Größe im DDR-Kulturbetrieb, bekannt als charismatischer Schauspieler und begnadeter Synchronsprecher, dessen Stimme unzähligen internationalen Filmfiguren, besonders in Kindersendungen, vertraut war. Sein vielschichtiges Talent umfasste Bühne, Fernsehen und Mikrofon. Doch gesundheitliche Probleme durchkreuzten seinen Lebensweg abrupt und nahmen ihm die Möglichkeit zur Weiterarbeit. Er erlag 1991 seiner schweren Krankheit, sein Tod löste nur leises Bedauern aus.

Rudolf Ulrich (1922-1997): Der stille Star im Abseits Mit über 140 Film- und Fernsehproduktionen gehörte Rudolf Ulrich zu den meistbeschäftigten Schauspielern der DDR. Sein Talent lag in seiner Wandlungsfähigkeit, doch seine kritische Haltung gegenüber ideologischer Vereinnahmung brachte ihn immer wieder mit der DDR-Kulturpolitik in Konflikt. Nach der Wiedervereinigung war er kaum noch aktiv und verstarb 1997 fast vergessen, ohne öffentliche Würdigung.

Kurt Böwe (1929-2000): Die Ikone, die zu leise wurde Kurt Böwe, eine Ikone des ostdeutschen Fernsehens mit markanter Stimme und ernstem Blick, war durch seine tiefgründigen, oft melancholischen Rollen immer präsent und respektiert. Doch die neue Medienlandschaft nach dem Umbruch hatte wenig Platz für die alten Stars aus dem Osten. Er zog sich zunehmend ins Private zurück und starb 2000 an Krebs, sein Abschied ebenso leise verlaufend wie sein Leben nach der Wende.

Rolf Römer (1935-2000): Ein kreativer Geist, der im Stillen starb Rolf Römer war mehr als ein Schauspieler; er glänzte auch als Regisseur und Drehbuchautor. Bekannt durch Filme wie „Die Söhne der Großen Bärin“, äußerte er sich früh kritisch zur Kulturpolitik, was zu seiner zunehmenden Isolation führte. Seine Drehbücher fanden keine Abnehmer mehr. Tragisch verunglückte er 2000 tödlich durch einen Unfall mit Chemikalien, die Umstände blieben unklar.

Peter Borgelt (1927-1994): Der vergessene Hauptmann Als Kriminalhauptmann Peter Fuchs in der Kultserie „Polizeiruf“ verkörperte Peter Borgelt jahrelang das Bild des aufrechten Ermittlers und stand für Sicherheit und Ordnung im Fernsehen. Nach der Wiedervereinigung wurde es still um ihn. In den 1990er Jahren zog er sich gesundheitlich geschwächt zurück und erlag 1994 seiner Krankheit, sein Tod fand kaum mediale Beachtung.

Dieter Mann (1941-2022): Anpassung mit Würde, doch das Vergessen holt ein Dieter Mann, geboren in Berlin, prägte als präziser, intensiver und intellektueller Mann der Bühne jahrzehntelang das deutsche Theater, nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Intendant. Er meisterte die Wendezeit anders als viele Kollegen mit Würde und Anpassungsfähigkeit und wurde auch im wiedervereinten Deutschland geschätzt. Doch je älter er wurde, desto seltener sah man ihn im Rampenlicht. Er starb 2022 nach langer Krankheit; sein Tod wurde von vielen nur mit einem kurzen Schulterzucken registriert.

Peter Sodan (1936-2024): Der streitbare Geist im Kampf ums kulturelle Gedächtnis Peter Sodan war weit mehr als nur ein Schauspieler, bekannt als „Tatort“-Kommissar Bruno Ehrlicher. Er war auch politisch aktiv, unbequem und meinungsstark. Nach der Wende gründete er eine Bibliothek zur Bewahrung der DDR-Kultur, kämpfte oft gegen den Strom um das kulturelle Gedächtnis und blieb sich trotz Belächelung und Angriffen treu. Er starb im April 2024; sein Tod markierte das Ende eines Mannes, der sich nie beugen ließ und dafür in der Erinnerung nur bedingt einen Platz fand.

Jan Spitzer (geb. 1941): Die unsichtbare, allgegenwärtige Stimme Jan Spitzer war eine unsichtbare, aber allgegenwärtige Stimme im deutschen Fernsehen, die als Synchronsprecher Figuren wie die von Gary Oldman, James Woods oder Samuel L. Jackson Leben einhauchte. Auch als Theaterschauspieler war er aktiv. Trotz seiner beeindruckenden Karriere blieb er im Schatten. Nach der Wende hielt er sich mit Synchronarbeiten über Wasser, doch gesundheitliche Probleme nahmen zu. 2022 starb er im Alter von etwa 75 Jahren, sein Nachruf kam spät, die Anerkennung blieb leise.

Eva-Maria Hagen (1934-2022): Zwischen Ruhm, Rebellion und Rückzug Einst als „Brigitte Bardot des Ostens“ gefeiert, zählte Eva-Maria Hagen in den 1950er und 60er Jahren zu den Stars der DDR. Ihr Karriereknick kam hart und politisch, als sie sich offen gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns aussprach, was zu Berufsverboten führte. Sie verließ die DDR und begann ein neues Leben im Westen, doch ein großes Comeback blieb aus. Eva-Maria Hagen starb 2022 im Alter von 87 Jahren, ihr Wirken blieb für viele eine Randnotiz.

Ein Vermächtnis, das es zu bewahren gilt Diese Schicksale spiegeln den tiefen Bruch wider, den der politische Umbruch nach 1989 mit sich brachte. Die einstigen Helden und Heldinnen eines Landes verloren ihre Bühne, das Fundament ihres Lebens wurde entzogen, und sie wurden in eine bittere Realität aus Armut, Einsamkeit und Vergessenheit gestürzt. Die Frage bleibt, ob die Gesellschaft dies hätte verhindern können.

Ihr Vermächtnis lebt jedoch weiter, wenn wir uns erinnern, ihr Werk neu lesen, neu spielen und neu würdigen. Diese Menschen waren mehr als nur Teil eines Systems; sie waren Teil unserer Geschichte.

Ein NVA Offizier über persönliche Erfahrungen und die Verteidigung des Sozialismus

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Ein seltenes Zeitzeugnis gewährt tiefe Einblicke in die Motivation und die prägenden Erfahrungen eines Offiziers der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR. In einem Interview auf dem YouTube-Kanal „Studio Klarheit Interviews“ berichtet der Mann, dessen Name nicht genannt wird, von der „hässlichen Fratze“ der Nachkriegszeit und seinem persönlichen Weg in die militärische Laufbahn, die er als logische Konsequenz der gesellschaftlichen Entwicklungen sah.

Die Kindheit und Jugend des späteren Offiziers waren vom Zweiten Weltkrieg und seinen unmittelbaren Folgen geprägt. Er erlebte den Krieg in seiner „hässliche[n] Fratze der Nachkriegszeit“. Besonders eindringlich schildert er das Elend und die Gewalt jener Jahre, in denen er leider miterleben musste, wie der ein oder andere vor seinen Augen erschossen wurde. Auch der „Dreck“ und die Strapazen des Transports von kleineren Orten in größere Städte sind ihm in Erinnerung geblieben, wobei Menschen, die physisch nicht mehr konnten, mit dem „Gewehrkolben bearbeitet“ wurden. Es war eine „schlimme Zeit“, wie er betont.

Der Weg in die Armee: Schutz der Errungenschaften
Nach diesen traumatischen Erlebnissen sah er jedoch in den Jahren nach 1949, besonders während seiner Lehrzeit, ein „Vorwärtsgehen in der Gesellschaft“. Diese Entwicklung fand in einer Zeit statt, in der die DDR als „Widerpart auf der anderen Seite“ stand und dort, gemeint ist die Bundesrepublik und der Westen, die „Aufrüstung in Richtung neuen Krieg vorangetrieben wurde“. Diese Beobachtungen, die er bereits als junger Mensch machte, führten ihn zu einer klaren Schlussfolgerung: „Für mich war es demzufolge auch logisch, dass auch wir auf unserer Seite unsere Errungenschaften schützen müssen auch militärisch“.

Er war davon überzeugt, dass die „sozialistische Entwicklung“ militärischen Schutz brauche, und traf seine Entscheidung, sich zu engagieren, ohne dabei an „große Hintergründe zu denken“. Es war für ihn eine pragmatische Entscheidung, Teil des Kollektivs junger Soldaten zu werden und sich den dortigen Anforderungen zu stellen.

Harte Grundausbildung und der Weg zum Offizier
Die Anforderungen waren „ziemlich hart“, wie er sich erinnert. Die Grundausbildung umfasste alles von „Stramm stehen los bis zum rennen und Liegestütze und sonst was bis zu Übungen im Gelände mit allem Drum und Dran“. Doch er bemühte sich, „dort gut zu sein, nicht der beste aber vielleicht gut zu sein“.

Dieser Einsatz und sein Bemühen trugen schließlich dazu bei, dass er angesprochen wurde, „zum Beispiel einmal Unteroffizier zu werden oder auch in der Perspektive… in der Perspektive mal in die Offizierslaufbahn einzugehen“. Er bewertete diese Möglichkeit als eine Chance für seine persönliche Entwicklung und als Anerkennung seiner Leistungen, die er als positive Seite wahrnahm.

Das Zeitzeugnis eines NVA-Offiziers beleuchtet somit nicht nur die Härte des Lebens in der Nachkriegszeit, sondern auch die persönliche Motivation, die viele junge Menschen dazu brachte, die neuen Strukturen der DDR, einschließlich ihrer militärischen Verteidigung, als notwendig und richtig zu erachten.

NVA-Panzer rollen durchs Wasser: Hightech-Training für das Gefecht in Mitteleuropa

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Potsdam, 1985 – Ein Ausbildungsfilm des Filmstudios der Nationalen Volksarmee (NVA) gewährt tiefe Einblicke in die hochkomplexe Ausbildung zum Überwinden von Wasserhindernissen mit Schützenpanzern (SPz). Unter dem Titel „Wasserfahrt mit SPz – Ausbildungsfilm der NVA“ wird die akribische Vorbereitung und Durchführung dieser Manöver gezeigt, die für die geografischen Gegebenheiten Mitteleuropas als entscheidend für die militärische Meisterschaft galten.

Der Film, der die Ausbildung einer Kompanie bei der Überwindung von Wasserhindernissen in Kolonnenform dokumentiert, verdeutlicht die Ernsthaftigkeit und Präzision, mit der die NVA ihre Besatzungen schulte. Das Ziel: Jedes Besatzungsmitglied sollte seine Kenntnisse der Vorbereitungsarbeiten an Land vertiefen, im kollektiven Handeln die erforderlichen Fertigkeiten erwerben und Erfahrungen sammeln. Jede Arbeit musste exakt durchgeführt werden, denn diese Ausbildung war eine direkte Vorbereitung auf das Gefecht.

Der Weg zum Wasser: Akribische Planung und Vorbereitung
Der Ausbildungsprozess begann lange vor dem eigentlichen Eintauchen ins Wasser. Pioniere klärten im Vorfeld die Strömungsgeschwindigkeit auf, und die Strecke wurde in mehrere Abschnitte unterteilt:

Vorbereitungsraum: Dieser musste so weit vom Wasserhindernis entfernt liegen, dass Schutz vor gegnerischer Sicht und Waffenwirkung gewährleistet war. Hier wurde auch das gesamte Material (z.B. Ballast) bereitgestellt.

Ablauflinie und Kontrolldurchlassstelle: Auch dieser Bereich durfte vom Wasserhindernis nicht einsehbar sein.

Kontrollstelle: Direkt vor oder unmittelbar am Wasserhindernis eingerichtet.

Übersetzstelle: Der eigentliche Punkt der Wasserüberquerung.

Die Vorbereitung war in zwei Etappen gegliedert. Die erste umfasste die Arbeiten im Vorbereitungsraum und die Überprüfung in der Kontrolldurchlassstelle. Die zweite Etappe beinhaltete abschließende Vorbereitungen und die Endkontrolle unmittelbar vor der Wasserfahrt. Der Stellvertreter des Kompaniechefs für Technik und Bewaffnung war verantwortlich für die Einweisung der Besatzungen und die Vorbereitung der Fahrzeuge.

Perfektion bis ins Detail: Die Aufgaben der Besatzung
Die Verantwortung für die sachgemäße und exakte Vorbereitung der Kampftechnik lag bei jedem Besatzungsmitglied, wobei der Kommandant die Gesamtverantwortung trug. Die Checks waren umfassend:

Flüssigkeitskontrolle: Der Fahrer prüfte Ölstände im Motor und Getriebe sowie die Kraftstoff-, Schmier- und Kühlanlage.

Dichtheitsprüfung: Der Kommandant kontrollierte die Luftzufuhr- und Auspuffanlage auf Undichtigkeiten bei der Hauptnutzungsdrehzahl von 2000 bis 2600 Umdrehungen pro Minute. Besonders kritisch war der feste Sitz aller Lukendeckel und Verschlüsse im Wannenboden, wie des Lukendeckels unter dem Motor, der Vorwärmerluke und der Ablassschraube für den Kraftstoff. Undichte Stellen hätten den sofortigen Ausfall des Fahrzeugs bedeutet.

Sicherungen: Abschleppseile mussten korrekt ausgelegt und mit speziellen Bolzen gesichert sein, um eine schnelle Bergung im Havariefall zu garantieren. Holzkeile dienten als zusätzliche Sicherung gegen das unbeabsichtigte Lösen der Seile am Abschlepphaken.

Funktionstests: Die Funktion der Motorschutzventile, die das Eindringen von Wasser bei Motorstillstand verhindern, wurde ebenso geprüft wie die Dichtungen der Hecktüren und das ordnungsgemäße Verschließen von Kampf- und Paradeluken. Ein funktionstüchtiger Wellenabweiser und das ausgefahrene Luftansaugrohr waren essenziell, um ein Überspülen oder Ansaugen von Wasser durch den Motor zu verhindern. Wichtige Ventile, wie zum Wasserablassen aus dem Ejektor und die Lenzpumpenventile, wurden auf Sauberkeit und Gängigkeit überprüft.

Rettungsvorkehrungen: Im Havariefall musste eine Boje aufschwimmen, um Rettungskräften den Ort eines gesunkenen Fahrzeugs anzuzeigen. Auch die Einsatzbereitschaft der Lenzpumpen und des Gebläses war von großer Bedeutung, um geringe Wassermengen im Fahrzeug zu beherrschen.
Während der Ausbildung wurde zur Simulation des Gefechtsgewichts Ballast in Form von Sandsäcken geladen, da im Ernstfall die Mot-Schützen an Bord säßen.

Probebergungen und Dichtproben: Garant für Sicherheit
Vor jeder Wasserfahrausbildung war eine Probebergung obligatorisch, bei der Rettungs- und Bergungskräfte ihre Einsatzbereitschaft und ihr Können unter Beweis stellten. Dies sollte den Besatzungen die Sicherheit geben, dass für ihre Sicherheit gesorgt war.

Ein weiterer entscheidender Sicherheitsaspekt war die Dichtprobe, die in der Ausbildung bei jedem Fahrzeug durchgeführt wurde. Sie erfolgte in zwei Phasen: Zuerst bei Grundberührung und laufendem Motor, dann in der Schwimmlage. Ein Schützenpanzer galt als ausreichend dicht, wenn in zwölf Minuten nicht mehr als 20 Liter Wasser eindrangen. Im Gefecht hingegen entfiel diese Dichtprobe – hier lag es allein an der Besatzung, durch exakteste Arbeit vermeidbare Havarien zu verhindern.

Die Wasserfahrt: Fahren mit Gefühl und Technik
Beim eigentlichen Überwinden des Wasserhindernisses kam es darauf an, theoretisches Wissen mit der Praxis zu vereinen. Der Stellvertreter des Kompaniechefs für Technik und Bewaffnung leitete die Kontrolle in der Kontrolldurchlassstelle, während das Überwinden selbst vom Kommandanten der Übersetzstelle geführt wurde. Zu dessen Sicherungseinrichtungen gehörten Rettungs- und Sicherungsboot, Bergefahrzeug, Panzerzugmaschine und ein Sanitätsfahrzeug.

Die Fahrtechnik war genau festgelegt: Mit dem zweiten Gang und leicht schrägem Anstellwinkel sowie einer Motordrehzahl zwischen 1000 und 1200 Umdrehungen pro Minute wurde ins Wasser gefahren. In der Mitte des Flusses musste das Fahrzeug entgegen der Stromrichtung positioniert werden, um eine gerade Ausfahrt zu ermöglichen. Auf dem Wasser erfolgte die Fahrt im dritten Gang bei etwa 2400 Umdrehungen pro Minute, wobei sich der Fahrer am linken Winkelspiegel und einem Orientierungspunkt am jenseitigen Ufer orientierte.

Besondere Aufmerksamkeit galt den Wasserleiteinrichtungen. Bei intakten Einrichtungen waren die Strömungsverhältnisse über den Ketten normal, was gutes Manövrieren und eine Geschwindigkeit von etwa 7 km/h gewährleistete. Ohne diese Einrichtungen reduzierte sich die Geschwindigkeit auf nur 3 km/h und die Lenkbarkeit war stark eingeschränkt.

Nach dem Passieren des Wasserhindernisses wurden der Wellenabweiser gesenkt und der Luftansaugstützen eingefahren, bevor beschleunigt und hochgeschaltet wurde.

Gefechtsmäßiges Überwinden: Schnelligkeit und Überraschung
Das ultimative Ziel dieser Ausbildung war das schnelle und für den Gegner überraschende Forcieren eines Wasserhindernisses im Gefecht. Auch hier wurde ein Vorbereitungsraum bezogen. War ausreichend Zeit vorhanden, konnte eine Überdruckdichtprobe durchgeführt werden: Am hermetisierten Fahrzeug wurde ein U-Rohr-Manometer angeschlossen, und das Gebläse eingeschaltet. Ein Überdruck von etwa 30 mm Wassersäule zeigte an, dass der Schützenpanzer ausreichend dicht war.

Die Kontrolldurchlassstelle wurde auch im Gefecht analog zur Fahrübung eingerichtet und schnell, aber besonders gründlich kontrolliert. Ein nochmaliger Halt entfiel jedoch, da es später keine Möglichkeit gab, Versäumtes nachzuholen. Beim Forcieren führte der Kompaniechef seine Kompanie über das Wasserhindernis, wobei die Besatzungen die unmittelbaren Vorbereitungen in eigener Verantwortung durchführten.

Die Ausbildung der NVA verdeutlichte, dass von der Einsatzbereitschaft und der Exaktheit jedes Einzelnen – selbst bei den kleinsten Handgriffen – der Sieg im Gefecht abhing. Es war ein umfassendes Training, das die Bedeutung von Präzision, Teamarbeit und technischem Verständnis im Umgang mit anspruchsvollen geografischen Herausforderungen betonte.

Cottbus im Frühjahr 1945: Eine Stadt im Bombenhagel und die Ankunft der Roten Armee

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Cottbus, die über 1000 Jahre alte Stadt in der Niederlausitz, erlebte in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs eine tragische Zerstörung und stand im Fokus militärischer Operationen. Ein verheerender Luftangriff im Februar 1945 und die darauffolgende Einnahme durch die Rote Armee prägten die Schicksalstage einer Stadt, deren Geschichte im Schatten von Propaganda und historischen Ungenauigkeiten lange Zeit verblieb.

Die heute rund 100.000 Einwohner zählende Stadt, die 1156 erstmals urkundlich erwähnt wurde, hatte bereits vor 1945 eine wechselvolle Geschichte hinter sich, geprägt von Bränden (1600, 1671, 1857) und der Entwicklung zu einem wichtigen Zentrum der Textilindustrie und ab dem 19. Jahrhundert zu einem Eisenbahnknotenpunkt und Garnisonsstandort. Im Zweiten Weltkrieg wurde Cottbus zu einem wichtigen Produktionsstandort für Kampfflugzeuge, darunter die Focke-Wulf 190 und die viermotorige Focke-Wulf 200, wofür Teile der Textilindustrie weichen mussten. Diese Rüstungsproduktion machte die Stadt zu einem Ziel alliierter Luftangriffe.

Der verheerende 15. Februar 1945: Ein Bombenhagel trifft Cottbus
Obwohl Cottbus bereits 1940 und 1944 Ziel amerikanischer Luftangriffe war, die vor allem die Focke-Wulf-Werke trafen, ereignete sich der verheerendste Angriff am 15. Februar 1945. Ein amerikanischer Bomberpulk von 459 schweren B17 Bombern hatte sich über der Nordsee versammelt, um ursprünglich Hydrierwerke bei Magdeburg, Böhlen und Ruh Schwarzheide anzugreifen. Da das Hydrierwerk Ruh Schwarzheide jedoch unter einer dichten Wolkendecke lag, flogen die Bomber ihr Ausweichziel Cottbus an.

Um 11:51 Uhr trafen die ersten Maschinen über Cottbus ein. Die sogenannten „Pfadfinder“ hatten den Bahnhof jedoch zu kurz anvisiert, wodurch der insgesamt 1000 Tonnen schwere Bombenteppich hauptsächlich auf den Bahnhof sowie in die östlichen und südlichen Stadtgebiete fiel. Zunächst brannten Häuser am Lutherplatz und die Lutherkirche, Minuten später der Industriehof, die Kaffeefabrik und die Möbelfabrik Örtling. Wohnhäuser in der Rechnerstraße, Leipzigerstraße und Finsterwalderstraße wurden von Volltreffern getroffen. Besonders tragisch: Im Operationssaal eines Krankenhauses starben alle Ärzte und Krankenschwestern, und im Frauenzuchthaus in der Bautzener Straße kamen 39 inhaftierte Frauen ums Leben. Eine gewaltige Detonation eines auf dem Bahnhof abgestellten Munitionszuges tötete um 12:08 Uhr zudem zahlreiche Menschen, darunter Verwundete in Lazarett- und Flüchtlingszügen.

Nach nur 29 Minuten, um 12:25 Uhr, war der Angriff beendet, doch Blindgänger und Munition detonierten noch Stunden später. Die Bilanz war erschütternd: Mindestens 1000 Menschen kamen ums Leben, darunter Cottbuser und Flüchtlinge aus Schlesien, angeblich auch 400 Kinder. Mehr als 2500 Menschen wurden verletzt, und über 13.000 Einwohner wurden in den rund 3600 zerstörten oder beschädigten Häusern und Wohnungen obdachlos. Cottbus war zu 60% zerstört.

Die Festung Cottbus und der Vormarsch der Roten Armee
Nachdem die Ostfront im März 1945 die Neisse erreicht hatte, wurde Cottbus strategisch noch wichtiger. Der Flugplatz wurde erneut von der sowjetischen Luftwaffe bombardiert, die längst die Lufthoheit erlangt hatte. Vom 16. bis 28. April 1945 folgte die sowjetische Cottbus-Potsdamer Operation, ein Teil der Berliner Operation zur Einnahme der Reichshauptstadt.

Cottbus war im Februar 1945 zur Festung erklärt worden. Als Kommandant wurde der 65-jährige Generalleutnant Rolf Sodan ernannt, der ohne jegliche Kampferfahrung an der Ostfront war und im November 1943 aus der Wehrmacht verabschiedet worden war. Die deutschen Verteidigungsstellungen entlang der Neisse, des Dransitzfließes und der Spree waren jedoch nur schwach besetzt, hauptsächlich von völlig kampfunerfahrenen und schlecht ausgerüsteten Volkssturm-Bataillonen, darunter zahlreiche Jugendliche der Hitlerjugend, Verwundete und alte Männer. Sogar Sodan selbst hatte am 19. April eine Meldung an das V. Armeekorps abgesetzt, dass eine Verteidigung der Stadt ohne aktive Kampftruppen unmöglich sei, ließ aber vorsorglich alle Spreebrücken sprengen.

Die Einnahme der Stadt: Wenig Gegenwehr
Der Umfassungsangriff auf Cottbus begann am Nachmittag des 19. April durch Brigaden der Dritten Gardepanzerarmee, unterstützt von Schlachtfliegerverbänden. Die schlecht ausgebildeten Volkssturmkompanien ergaben sich häufig ohne große Gegenwehr, wodurch die Rote Armee Ortschaft um Ortschaft einnehmen konnte. Am 20. April wurde der Kessel um Cottbus und den Spreewald geschlossen.

Am 21. April konnte das 120. Schützenkorps der Dritten Gardearmee den ostwärtigen Teil von Cottbus einnehmen. In den frühen Morgenstunden des 22. April ging das hauptsächlich aus mongolischen Soldaten bestehende 21. Schützenkorps von Süden her gegen das so gut wie nicht verteidigte Cottbus vor. Um 13:00 Uhr stand Cottbus unter der Kontrolle der sowjetischen Armee, wobei nur am Flugplatz und im Norden noch einzelne Gefechte mit sich absetzenden deutschen Truppen stattfanden.

Nachkriegswirren und historische Herausforderungen
Die ersten Besatzungswochen waren für die geschlagenen Deutschen traumatisch. Berichte über Vergewaltigungen und Plünderungen durch sowjetische Soldaten kursierten, deren Erwähnung in der sowjetisch besetzten Zone und später in der DDR jedoch tabu war.
Die historische Aufarbeitung der Ereignisse ist komplex und von Propaganda und Ungenauigkeiten geprägt. Sowjetische Nachkriegsliteratur schilderte die Dinge oft aus propagandistischer Sicht, und es gab widersprüchliche Darstellungen der Marschälle Schukow und Konjew, die beide die entscheidende Rolle bei der Eroberung Berlins für sich beanspruchten. Auch Berichte von „dreitägigen verlustreichen Kämpfen“ um Cottbus sind Übertreibungen, da in der zur Festung erklärten Stadt selbst kaum gekämpft wurde. Der ehemalige Ordonnanzoffizier von Sodan, Klaus-Jürgen Meisner, erinnerte sich Jahre später, dass die Stadt bis auf wenige Ausnahmen nicht verteidigt wurde. Sogar ein 1985 im Spiegel erschienener Artikel des Redakteurs Jörg Mettke enthielt übertriebene Opferzahlen (3000 bis 7000 statt der tatsächlichen ca. 1000 Toten) und falsche Behauptungen.

Die einzigen gesicherten Fakten sind die Einnahme der Stadt am 22. April und der Suizid des Kampfkommandanten Generalleutnant Sodan am 23. April. Auch der für die Eroberung von Cottbus verantwortliche Oberbefehlshaber der Dritten Panzerarmee, Generalleutnant Wassili Gordow, überlebte den Krieg nicht lange: Er wurde 1950 wegen versuchten Terroranschlags gegen Stalin zum Tode verurteilt und hingerichtet, aber 1956 rehabilitiert.

Nach dem Krieg wurde Cottbus Teil der sowjetischen Besatzungszone, ab 1949 der DDR, und 1952 zur Hauptstadt des neu gegründeten Bezirks Cottbus. Nach der Wiedervereinigung entwickelte sich die Stadt an der mittleren Spree zu einem wichtigen Dienstleistungs-, Wissenschafts- und Verwaltungszentrum, das nach dem Ende des Braunkohleabbaus mit dem Bau des Cottbuser Ostsees (Deutschlands größtem künstlichen See) eine neue Ära einläutete. Die Schicksalstage von 1945 bleiben jedoch ein mahnendes Kapitel in der langen Geschichte der Stadt.

Als die Mauer fiel – Herleshausen im November ’89

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Herleshausen, November 1989 – Die kleine Grenzgemeinde, die sich in diesen historischen Tagen „wie eine Stadt gebärdet“, wurde nach einer bewegenden ökumenischen Kundgebung in Fulda zum emotionalen Epizentrum des wiedervereinigten Deutschlands. Hunderte von Trabanten und Wartburgs quälten sich mühsam durch die engen Gassen, gefüllt mit DDR-Bürgern, die zwischen ungläubigem Staunen über eine Welt voller Waren und der überwältigenden Freude langerwarteter Wiedersehen pendelten.

Das Bild, das sich den Bundesbürgern in Herleshausen bot, war in seiner Form paradox: Lange Warteschlangen vor den Geschäften – ein Anblick, den Westdeutsche bislang nur aus der DDR kannten, dort allerdings als Zeichen der Mangelwirtschaft. Hier jedoch standen die Menschen Schlange, um Einlass in die kleinen Verkaufsräume zu erhalten, die dem riesigen Ansturm kaum gewachsen waren. Die lokalen Händler, die sich auf den großen Zustrom vorbereitet hatten, erlebten einen wahren Hochkonjunktur und freuten sich über die zahlreichen Besucher aus dem Osten.

Das „Warenwunder“ – Eine Flut der Sinne
Für viele DDR-Bürger war die Konfrontation mit dem Warenangebot eine überwältigende Erfahrung. Eine Besucherin aus Dresden beschrieb es als „etwas ohne Worte“. Besonders Obstlieferungen wie Weintrauben, die 40 Jahre lang im Osten nicht zu sehen waren, lösten Staunen aus. „Dies haben wir nicht eine Weintraue zu sehen gekriegt. Keine keine fürs nichts. Es ist ja traurig 40 Jahre nach dem Quiek“, klagte ein anderer Besucher, dessen Worte die tiefe Verbitterung über die wirtschaftliche Situation in der DDR spürbar machten. Er kritisierte, dass die Mächtigen alles beiseite geschafft hätten, während die Bevölkerung „nur gearbeitet für die DDR“ habe, ohne dass der Staat etwas für sie getan habe.

In den Geschäften selbst herrschte nach dem Staunen oft Verwirrung. „Im Moment geht alles so durcheinander. Wir wissen ja gar nicht, was wir kaufen sollen“, gestand die Besucherin aus Dresden. Trotz der lang ersehnten Möglichkeit, Waren aus nächster Nähe zu sehen und anzufassen, von denen viele bisher nur aus dem Westfernsehen wussten, verließ so mancher Besucher die Geschäfte in Herleshausen ohne etwas gekauft zu haben. Dennoch stimmte die Kasse für den örtlichen Einzelhandel, der angesichts der bisherigen Randlage des Ortes nicht gerade auf Rosen gebettet war.

Tränen der Freude: Das Ende einer erzwungenen Trennung
Doch Herleshausen war mehr als nur ein Shopping-Erlebnis. Auf den Straßen spielten sich unzählige Szenen der Wiedersehensfreude ab. Umarmungen waren allgegenwärtig, wenn sich Freunde und Verwandte aus Ost und West nach langer Zeit wieder in die Arme schließen konnten. Eine Mutter aus Eisenach traf zufällig ihren Sohn, den sie über ein Jahr nicht gesehen hatte, auf der Straße wieder. „Ich freue mich sehr, dass ich wiedersehe heute“, sagte sie sichtlich bewegt. Das Gefühl sei „gar nicht zu beschreiben“, betonten beide. „Wir haben so lange auf den Tag gewartet“, fügte der Sohn hinzu.

Die Freundlichkeit der Westdeutschen wurde von den Besuchern aus der DDR besonders hervorgehoben. „Die Menschen sind Freunde. Alles hat uns begrüßt trotz Nebel heute früh. Alles hat gewinkt. Keiner kannte uns und war freundlich zu uns“, erzählte die Dresdnerin.

Das „Begrüßungsgeld“: Ein erster Schritt zur Freiheit
Ein zentraler Anlaufpunkt waren die langen Warteschlangen vor der Gemeindeverwaltung, der Sparkasse und der Post. Hier erhielten die Besucher das sogenannte Begrüßungsgeld – 100 D-Mark aus Bundesmitteln, die jedem DDR-Bürger zustanden. Auch wenn das Geld zeitweise nicht ausreichte, wartete die Menge geduldig auf Nachschub. Für viele war dies die erste Möglichkeit, Dinge zu kaufen, die lange Zeit unerreichbar waren.

Das Geschenk des Weststaates war zwar bescheiden, doch es symbolisierte einen Neuanfang. Viele äußerten den Wunsch, beim nächsten Besuch am liebsten mit „eigenem Geld“ wiederzukommen. Herleshausen wurde so zu einem Mikrokosmos des Wandels – einem Ort, an dem sich die Sehnsüchte nach Konsum und Freiheit, die Wut über das Vergangene und die überwältigende Freude über die wiedergewonnene menschliche Nähe auf eindringliche Weise mischten.

Sahra Wagenknecht: Die unbequeme Stimme – Eine Dissidentin im Wandel der deutschen Politik

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Sahra Wagenknecht, geboren 1969 in Jena (damals DDR), ist seit Langem eine der umstrittensten Figuren in der deutschen Politik. Als führendes Mitglied der Kommunistischen Plattform innerhalb der PDS (heute Die Linke) und mit einer intellektuellen Schärfe, die sie von vielen ihrer Kollegen abhebt, hat sie sich immer wieder als Stimme des Widerspruchs positioniert. In einem tiefgehenden Interview mit Günter Gaus aus dem Jahr 2004 gewährte sie Einblicke in ihre politische Philosophie, ihre Kritik an der Gesellschaft und ihre persönliche Rolle als „Dissidentin“.

Wagenknecht, die im Frühjahr 1989 in die SED eintrat und später in den Vorstand der PDS gewählt wurde, wurde oft als „Dissidentin“ innerhalb ihrer eigenen Partei und der breiteren deutschen Politiklandschaft beschrieben. Ein Attribut, mit dem sie leben kann, da sie das Gefühl hat, nicht nur eine winzige Minderheit zu repräsentieren. „Ich habe sowohl von dem was ich an Post bekomme als auch an ganz direkten Reaktionen tagsüber in der S-Bahn […] das Gefühl, dass eigentlich gar nicht so wenige Leute ähnlich denken“, so Wagenknecht. Besonders in den letzten Jahren vor dem Interview, so beobachtete sie, habe sich die Resonanz verstärkt, insbesondere von jungen Leuten und Schülern. Diese jungen Menschen suchten nicht nach kleinen Steuerkorrekturen, sondern nach „grundsätzlich andere[n] Visionen, andere[n] Alternativen, andere[n] Gesellschaftsvorstellungen“. Ein ungewöhnliches Terrain für die PDS, wie ihre Einladung an ein katholisches Mädchengymnasium in Hessen zeigte, wo sie trotz anfänglicher Skepsis eine gemeinsame Basis im Gefühl fand, „dass es so wie es jetzt läuft nicht weitergeht“.

Die Notwendigkeit des Widerspruchs und die Lehren der Geschichte
Für Wagenknecht nimmt eine Gesellschaft Schaden, wenn sie zu wenig Dissidenten hat. Während die Wirtschaftselite und Lobbys zufrieden sein mögen, dass sie wenig Widerspruch erfahren, so Maaz, leide die große Mehrheit materiell und geistig. „Wenn ich mir die gängigen politischen Diskussionen angucke, es ist ja nicht nur, dass ich die Ansicht nicht teile, sondern es ist ja einfach auch vom Niveau unsäglich“, beklagt sie und sieht darin eine „Leere“ und „Ödnis“.

Sie selbst sieht sich nicht als „geborene Dissidentin“, wünscht sich sogar, in einer Gesellschaft zu leben, in der sie keine sein müsste. Doch betont sie: „ich würde mich nie verbiegen“. Ihre Einschätzung der DDR-Geschichte ist nuanciert. Sie sieht den Prager Frühling als Versuch einer ökonomischen Reform innerhalb eines sozialistischen Rahmens. Sie kritisiert die DDR, da sie mit Kritikern nicht umgehen konnte, was sie als „Zeichen von Schwäche“ und „Angst, nicht mehr argumentieren zu können“ deutet. Im Gegensatz zu vielen sieht sie den DDR-Staatschef Walter Ulbricht als den weitaus bedeutenderen Anführer im Vergleich zu Erich Honecker. Ulbricht habe frühzeitig die Notwendigkeit von Veränderungen im Wirtschaftssystem erkannt, etwa durch das Neue Ökonomische System und die Einbeziehung der Menschen, was später leider abgewürgt wurde.

Jenseits des Profits: Ein anderes Menschenbild und Wirtschaftsmodell
Wagenknecht glaubt nicht an einen „neuen Menschen“, sondern daran, dass der Mensch „immer sehr sehr unterschiedlich [war], je nachdem auch wie Verhältnisse waren“. Die heutige Gesellschaft fördere durch ihre Struktur das Egoistische und Ignorante im Menschen, weil der Einzelne ums Überleben kämpfen müsse. Sie lehnt die Vorstellung ab, dass Profit der einzige oder wichtigste Motor für Motivation sei, kritisiert den Shareholder Value, der zu kurzfristiger Renditemaximierung und Entlassungen führt. Ein sozialistisches Wirtschaftssystem müsse Anreize schaffen, um Menschen zu belohnen, die sich engagieren, ohne sie den „Wolfsgesetzen“ eines entfesselten Kapitalismus auszusetzen, der viele Menschen „kaputt macht“.

Ein ungelöstes Problem der sozialistischen Idee war für Gaus die Kontrolle und Ablösung von Macht. Wagenknecht entgegnet, Macht müsse so strukturiert sein, dass sie „immer von Basisbewegung von von direkten demokratischen Institutionen kontrollierbar bleibt“. Sie verweist auf Venezuela, wo starke basisdemokratische Elemente neben dem Parlament die alte Oligarchie erfolgreich ausgebremst hätten. Sie stimmt Rudi Dutschke zu, dass es langfristig um die Schwächung der Parteiapparate zugunsten von Basisdemokratie gehen müsse und Parteien selbst demokratischer kontrollierbar sein müssen.

Die PDS in der Zerreißprobe und die Zukunft der Gesellschaft
Für Wagenknecht ist die wesentliche Funktion der PDS „Fundamentalopposition“, die in den sozialen Auseinandersetzungen auf der richtigen Seite steht und eine Perspektive jenseits des Kapitalismus vertritt. Kompromissfähigkeit gehöre zur Politik, doch müsse man in den Grundsätzen erkennbar bleiben. Die Beteiligung der PDS an der Berliner Regierungskoalition mit der SPD sieht sie kritisch. Sie war nicht überzeugt, dass die SPD wirklich eine sozialere Politik umsetzen wollte, sondern eher, „eine Partei die im Ostteil Berlins fast 50% hatte dadurch dass man sie in die Regierung hineinnimmt im Grunde als Opposition als Protest Partei als auch mobilisierungsfaktor von Protest auszuschalten“. Dies habe der PDS in ihrer Glaubwürdigkeit zutiefst geschadet.

Die deutsche Gesellschaft stehe an einem Scheideweg, so ihre Prognose. Es gäbe zwei Wege: Entweder ein „viel stärker repressives System“, ein „amerikanisierter entfesselter Kapitalismus“, der Demokratie abbaut und rechte Populisten fördert. Oder, die von ihr erhoffte Variante, in der „starke Gegenbewegungen entwickeln auf der linken“, soziale Rechte erkämpft werden durch Straßenproteste, kämpfende Gewerkschaften und europaweite Bewegungen. Sie glaubt, dass linke Parteien hier eine entscheidende Rolle spielen müssen, und die PDS müsse sich entscheiden, ob sie beides sein wolle: in außerparlamentarischen Bewegungen aktiv und gleichzeitig in einer Regierung, die ihre Glaubwürdigkeit beschädigt.

Trotz aller politischen Kämpfe findet Sahra Wagenknecht Entspannung und Abstand beim Wandern und Lesen. Sie liebt es, Shakespeare oder Goethe zu lesen, da dies hilft, „mit all dem gelassener um[zugehen], weil man weiß natürlich auch, dass es nicht so ganz neu, solche Auseinandersetzung zu führen“. Eine Haltung, die vielleicht auch ihre Fähigkeit erklärt, über Jahrzehnte hinweg eine der lautesten und intellektuell schärfsten Kritikerinnen der herrschenden Verhältnisse in Deutschland zu bleiben.

Pastor Uwe Holmer: Glaube, Widerstand und die Kraft der Vergebung in der DDR

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Ein bewegendes Interview mit dem 96-jährigen Pastor Uwe Holmer auf dem YouTube-Kanal „Markus Ermert“ gewährt tiefe Einblicke in das Leben eines Pfarrers in der DDR, den Kampf um Glaubensfreiheit und die außergewöhnliche Entscheidung, Erich und Margot Honecker nach der Wende Obdach zu gewähren. Holmer, der seine Arbeit trotz staatlicher Repressionen als frei empfand, teilt seine Perspektive auf Freiheit, Vergebung und die befreiende Wirkung christlicher Werte.

Markus Ermert, der Interviewer, betont zu Beginn, dass Uwe Holmer mit 96 Jahren fast doppelt so alt ist wie er selbst und erinnert an die lange Zeit Holmers als Pastor in der DDR. Die Kirchenarbeit unter dem SED-Staat war bekanntermaßen nicht einfach, doch Holmer erzählt von einer besonderen Situation: Die Kirche erhielt aufgrund ihrer Geschichte als „Bekennende Kirche“ das Recht, in allen vier Sektoren zu arbeiten und ihr Eigentum zu behalten.

Der Kampf um den öffentlichen Raum und freie Glaubensausübung
Dennoch gab es ständige Auseinandersetzungen mit den Behörden, die der Kirche vorschrieben, ihre Arbeit auf den Kirchenraum zu beschränken. Holmer und seine Gemeinden ließen sich davon nicht beirren: „Wir wollten natürlich gerade raus“, erinnert er sich. So stellten sie missionarische Schaukästen an Bushaltestellen auf, verteilten Autogramme in Gärten und führten Hausbesuche sowie Bibelwochen durch. Als die Räumlichkeiten für Bibelwochen zu klein wurden und der Konsum die Nutzung verweigerte, weil „Kirche nicht rein darf“, nutzten sie einfach Scheunen von Bauern.

Holmer betont, dass sie ihre Arbeit als Pfarrer im Großen und Ganzen frei ausüben konnten, da ihr Fokus nicht auf Politik, sondern auf der Verkündigung des Evangeliums lag. Dieses Evangelium, so seine Überzeugung, verändere Menschen zum Guten und sei somit eine Form von „Politik“, die dem Staat dienlich war, indem sie „Ordnung schaffte“. Gleichzeitig gab es Spannungen, wo der Staat „atheistische Dinge“ verhängte, etwa bei der Jugendweihe, einem atheistisch geprägten Übergangsritus für Jugendliche.

Persönliche Opfer und Bildungshürden
Diese Spannungen hatten auch konkrete Auswirkungen auf Holmers zehn Kinder. Trotz guter und sehr guter Schulleistungen wurde keinem seiner Kinder der Besuch der oberen Schulstufe (Abitur) gestattet, weil sie nicht an der Jugendweihe teilgenommen hatten. „Das wollte die SED und zur Jugendweihe nicht zur Kooperation“, erklärt Holmer. Dies schränkte die freie Berufswahl erheblich ein. Holmers Kinder besuchten stattdessen eine Bibelschule, wo sie Sprachen wie Griechisch und Hebräisch lernen konnten. Zwei Jahre dieser Bibelschule wurden später von der Kirchlichen Hochschule in Leipzig für das Theologiestudium anerkannt.

Holmer beschreibt die Atmosphäre in der DDR als eine Mischung aus Vorsicht – man legte zum Beispiel Telefone in den Schrank, um Gespräche nicht abhören zu lassen – und der normalen Ausführung der eigenen Arbeit. Reisebeschränkungen waren eine Realität, doch Holmer und seine Familie blieben oft zu Hause und lernten, „dass man auch in der eigenen Schönheit leben kann“.

Die Aufnahme der Honeckers: Ein Akt der Vergebung
Nach dem Fall der Mauer leitete Holmer die Bodelschwinghschen Anstalten in Lobetal, eine Einrichtung für Obdachlose und Menschen in Not. Eine Anfrage aus Berlin im Januar 1990 sollte sein Leben und das seiner Einrichtung auf eine außergewöhnliche Probe stellen: Die Kirchenleitung fragte, ob er Erich und Margot Honecker aufnehmen könne.

Die Anfrage war eine Überraschung, zumal die Honeckers nach der Auflösung ihrer Funktionärssiedlung in Wandlitz keine andere Unterkunft fanden, da Erich Honecker fürchtete, seine Wohnung könnte von „aufgebrachten Bürgern gestürmt“ werden. Die Idee, die Honeckers in einer christlichen Siedlung mit Altenheimen unterzubringen, schien als Schutz vor dem öffentlichen Hass sinnvoll.

Holmer diskutierte drei Stunden lang mit seinen Mitarbeitern. Es gab Bedenken wegen der fragilen Bewohner (Kranke, geistig Behinderte, psychisch Schwache) und der erwarteten Proteste. Doch dann erinnerte sich das Team an das sonntägliche Gebet: „Vergeben uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern“. Diese Frage – können wir das weiterhin beten, wenn wir es nicht tun? – überzeugte schließlich alle neun Direktionsmitglieder. Trotz Raummangels – es gab 60 Vorausanmeldungen für Altenheimplätze – fand Holmers Frau eine Lösung, indem sie zwei Zimmer im eigenen Haus freimachten.

Die Kinder Holmers, die selbst unter dem Regime gelitten hatten, reagierten erstaunlich. Statt Rebellion herrschte in der Familie eine „Grundstimmung der Dankbarkeit“ und Freude über die Wende und den Mauerfall, was die Vergebung erleichterte. Holmer selbst empfand keinen inneren Groll.

Die befreiende Kraft der Vergebung
Holmer erläutert seine Motivation zur Vergebung: „Wer selbst aus Gottes Vergebung gelebt hat, der kann vergeben und der muss vergeben“. Diese Überzeugung teilte er auch einem Fernsehteam mit. Daraufhin stürmte ein Mann voller Wut auf ihn zu und behauptete, Holmer habe kein Recht zur Vergebung, da er selbst nichts durchgemacht habe. Der Mann, der in Bautzen, einem der schlimmsten DDR-Gefängnisse, inhaftiert gewesen war, war zutiefst verbittert.

Holmer konfrontierte ihn mit seinen eigenen Erfahrungen: die verwehrte Oberschulausbildung seiner Kinder, Behinderungen im Kirchendienst und sogar Gefängnisandrohungen. Doch seine wichtigste Botschaft war: „Wenn Sie nicht vergeben, frisst Ihre Bitterkeit Sie auf“. Die Verbitterung würde ihn innerlich zerstören und ihm den Schlaf rauben. Diese Worte ließen den Mann nachdenken, bis er schließlich sagte: „Sie haben Recht, ich muss vergeben und ich will vergeben“.

Für Holmer ist dies der Kern der „Freiheit eines Christenmenschen“: die eigene Schuld zu erkennen und zu vergeben sowie anderen zu vergeben. Er praktiziert dies auch in seiner Ehe, indem er Ärger nicht über Nacht stehen lässt, sondern Konflikte „gleich vor der Sonne“ klärt, um das Herz nicht zu verhärten.

Erich Honecker selbst zeigte keine Dankbarkeit oder eine innere Wandlung. Er blieb ein überzeugter Marxist. Margot Honecker hingegen war überrascht und vielleicht auch nachdenklich, als Holmers Frau erwähnte, dass ihre Kinder wegen der Jugendweihe nicht auf die Oberschule durften – eine Anordnung, die Margot Honecker selbst zu verantworten hatte. Holmer betont, dass sie ihre Entscheidung zur Aufnahme der Honeckers nicht aus politischer oder geistlicher Übereinstimmung, sondern aus dem Willen zur Vergebung trafen.

Die bewusste Entscheidung „Ich vergebe“ ist laut Holmer eine Tat, die befreit. Vergebung ist nicht nur ein Wunsch, sondern ein aktiver Akt des Loslassens, der das eigene Herz von Bitterkeit befreit und zu wahrer Freiheit führt.