In bescheidenen Verhältnissen wird Walter Ulbricht, Sohn eines Schneiders, geboren. Niemand ahnt, dass dieser junge Mann, der Tischler lernt und sich schon früh als engagierter Sozialist engagiert, einmal als Gründervater der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) Geschichte schreiben wird – und für einen Satz, der zur Ikone des Kalten Krieges werden sollte: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“. Er baute sie doch, um seinen Staat zu retten, nur um am Ende von seinen eigenen Genossen gestürzt zu werden.
Frühe Radikalisierung und Moskauer Orientierung
Ulbrichts politischer Weg begann in einer Zeit des Umbruchs. Den Krieg von 1914 lehnte er ab und desertierte, als nach der deutschen Niederlage der Kaiser abdanken musste. Er sympathisierte mit dem ultralinken Flügel der Sozialdemokraten, der Ende 1918/Anfang 1919 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) gründete. Ulbricht unterstützte die Forderung nach einer sozialistischen Revolution nach russischem Vorbild und wurde in Leipzig Mitglied der Arbeiter- und Soldatenräte. Schon bald wurde er zum Berufsrevolutionär und tauchte unter, nachdem ein Haftbefehl wegen Verbreitung kommunistischer Flugblätter gegen ihn ergangen war. Seine Entscheidung für den Kommunismus und die Orientierung an Moskau waren prägend; es war eine Position, die Millionen von Arbeitern teilten.
Sein Privatleben litt unter dieser radikalen Hingabe. 1920 heiratete er Martha Schmellinsky, und ihre Tochter Dora wurde geboren, doch Ulbricht hatte kaum Zeit für die Familie. Er kämpfte für die Weltrevolution, hatte jahrelang kein festes Einkommen und war „ein total ungeeigneter Familienvater“.
Der Draht nach Moskau und das Überleben im Terror
1924 wurde Ulbricht nach Moskau gerufen, dem Zentrum der kommunistischen Weltrevolution unter Stalin. Seine vollständige Unterordnung unter Stalin und sein „guter Draht nach Moskau“ wurden zum Fundament seines Aufstiegs in der KPD. Er entschied sich stets für den Moskauer Weg und gewann damit die innerparteilichen Auseinandersetzungen der 1920er Jahre. In Moskau fand er in Rosa Michel eine neue Partnerin, mit der er zehn Jahre lang in einer sogenannten „Kameradschaftsehe“ zusammenlebte und eine Tochter bekam, ohne sich von seiner ersten Frau scheiden zu lassen.
1929 wurde Ulbricht KPD-Chef in Berlin und gehörte zur ersten Führungsebene der Partei. Obwohl er kein großer Redner war – er sächselte stark und hatte eine Fistelstimme –, schreckte er im Kampf um die Berliner Arbeiter nicht zurück. 1931 maß er sich sogar mit Joseph Goebbels in einer öffentlichen Rede, was als außerordentlich mutig galt und von der Parteizeitung als Sieg gefeiert wurde.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 floh Ulbricht in die Tschechoslowakei, später nach Paris, Prag und vor allem nach Moskau. Dort erlebte er Stalins Terrorkampagnen, in denen Tausende KPD-Mitglieder verfolgt und getötet wurden. Dieses Trauma lehrte Ulbricht, dass Freundschaften im Kampf ums Überleben hinderlich waren. Um selbst zu überleben, musste man bereit sein, die Hand zu heben, wenn der eigene Freund erschossen wurde – oder man wurde miterschossen. Ulbricht hielt Stalin trotz des Terrors die Treue. Eine neue Frau trat in sein Leben: Lotte Kühn, eine deutsche Kommunistin, die er 1935 im Hotel Lux kennenlernte und mit der er bis zu seinem Tod zusammenblieb. Sie wurde als „herrisch, starrsinnig“ und als jemand beschrieben, der wusste, wie man mit Ulbricht umgehen musste.
Der Architekt der DDR und der Aufstand von 1953
Nach Hitlers Tod kehrte Ulbricht 1945 im Auftrag Stalins nach Deutschland zurück, um in der sowjetischen Besatzungszone eine kommunistische Herrschaft aufzubauen. Er begegnete den in Deutschland verbliebenen Kommunisten sehr reserviert und trat von Anfang an als „Funktionär, der Apparatschik“ auf. Bei der Gründung der DDR 1949 überließ er zwar anderen die offiziellen Titel – Otto Grotewohl wurde Regierungschef, Wilhelm Pieck Staatspräsident –, die eigentliche Macht aber lag bei Walter Ulbricht als Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Er war ein „effizienter Apparatschik und ein, in der Folge eben ein kaltblütiger Diktator“, der ein Faible für Planungen und Taktik hatte und wusste, wie man Leute „zum Funktionieren kriegte“.
Ulbricht forcierte den Aufbau einer sozialistischen Planwirtschaft nach sowjetischem Modell, was zu Verstaatlichungen und der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft führte. Das Leben in der DDR war von Mangel geprägt, und Hunderttausende flohen auf der Suche nach Freiheit und Wohlstand in den Westen.
1953, nach Stalins Tod, geriet Ulbrichts Macht ins Wanken. Am 17. Juni 1953 demonstrierten Bauarbeiter in Ost-Berlin gegen erhöhte Arbeitsnormen, und der Protest weitete sich auf über 500 Orte aus. Nur das Eingreifen sowjetischer Panzer rettete Ulbricht und sein Regime vor dem Sturz. Paradoxerweise spielte ihm der Aufstand in die Karten: Moskau hielt an ihm fest, da er als „eiserne Hand“ die größte Erfahrung besaß und man keine „personellen Experimente“ wagen wollte. Ulbricht konnte seine Macht stabilisieren und bezog mit Lotte ein Haus in Wandlitz. Er adoptierte eine Tochter, Beate, und demonstrierte damit das Bild der stabilen Familie als „Keimzelle der Gesellschaft“. Auch sein Auftreten bei Sportfesten, bei denen er Volleyball spielte und sich sportlichen Betätigungen hingab, sollte ihn menschlicher wirken lassen.
Die Mauer und Ulbrichts späte Wandlung
Die Fluchtwelle in den Westen hielt jedoch an; bis 1961 verließen rund 2,8 Millionen Menschen die DDR, vor allem über Berlin. Dies bedrohte den Aufbau der DDR-Wirtschaft. Ulbricht bat den sowjetischen Führer Chruschtschow um Erlaubnis, die Grenze nach West-Berlin zu schließen.
Am 15. Juni 1961 sprach Ulbricht jene berühmten Worte auf einer Pressekonferenz: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“. Er wusste zu diesem Zeitpunkt bereits, was kommen würde, und wollte die Öffentlichkeit in die Irre führen. In der Nacht zum 13. August 1961 ließ Ulbricht die Grenzen innerhalb Berlins schließen. Die Sperranlage, von Ulbricht als „antifaschistischer Schutzwall“ bezeichnet, stabilisierte die DDR, da die Menschen nicht mehr abwandern konnten und sich viele mit dem System arrangierten.
In den Jahren nach dem Mauerbau machte Ulbricht eine erstaunliche Wandlung durch: Vom strengen Stalinisten entwickelte er sich zu einem selbstständiger denkenden Revolutionär, der in vielen Bereichen mehr Freiheiten zuließ und Rat bei jungen Wirtschaftsexperten und einer „technokratischen Elite“ suchte. Doch diese reformistische Haltung missfiel Leonid Breschnew, dem neuen starken Mann in Moskau, der keinen Sinn für einen „eigenen ostdeutschen Weg“ hatte.
Der Sturz und das Erbe
Breschnew verstand sich besser mit Ulbrichts Ziehsohn Erich Honecker. Unzufriedene Genossen nutzten dies aus, und Honecker forderte mit der Unterstützung des Politbüros und dem „grünen Licht“ aus Moskau Ulbrichts Ablösung. Im Mai 1971 musste Ulbricht seinen Rücktritt erklären, angeblich aus Altersgründen. Dies war ein ungewöhnlicher Abgang für einen kommunistischen Diktator, die normalerweise im Amt sterben oder exekutiert werden. Es war „für jeden sofort sichtbar“, dass dies eine Entmachtung war.
Ulbricht sollte seinen Sturz nie überwinden und starb zwei Jahre später. 1989 fiel die von ihm errichtete Mauer, und ein Jahr später war die DDR, sein Lebenswerk, Geschichte.