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Helmut Jankes erschütternde Erinnerungen an das sowjetische Speziallager Mühlberg

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Helmut Janke, der 2019 verstarb, wurde wegen angeblicher Mitgliedschaft in der nationalsozialistischen Organisation „Werwolf“ ohne Verurteilung im November 1945 in das sowjetische Speziallager Mühlberg/Elbe gebracht und dort bis August 1948 interniert. Seine Berichte geben einen tiefen und erschütternden Einblick in die unmenschlichen Zustände und das tägliche Leid in diesem Lager.

Die Ankunft und der Kampf gegen die Kälte
Die Reise nach Mühlberg erfolgte in einem kleinen Transporter, über die Elbe bei Torgau, bereits bei eisiger Kälte mit Treibeis auf dem Fluss. Bei der Ankunft wurde Janke registriert, und seine wenigen Habseligkeiten – ein Federkopfkissen, ein Wintermantel, Strümpfe und Brot – wurden erfasst. Das Federkopfkissen, das seine Mutter ihm mitgegeben hatte, wurde ihm mit der Begründung abgenommen, es werde für Kranke benötigt.

Die Bedingungen in den Baracken waren verheerend. In der ersten Baracke gab es keinen Ofen, keine Wärme, und die Fensterscheiben waren teilweise kaputt. Man sah die Dachhaut direkt über sich, da es keine Zwischendecke gab. Die extreme Kälte war allgegenwärtig, und die Gefangenen wussten nicht, wie sie sich schützen sollten, da sie nur eine Decke besaßen und auf einfachen Brettern schlafen mussten. Es gab keine Zwischenwände; man lag in Reih und Glied. Später wurde Janke in eine andere Baracke verlegt, die zumindest Zwischendecken hatte.

Tod als täglicher Begleiter
Das Lagerleben war von Entbehrungen und dem ständigen Angesicht des Todes geprägt. Jeden Tag wurde gezählt, was bedeutete, dass die Gefangenen dafür hinaus mussten. Der Hunger war immens, und das Brot, das Janke bei der Ankunft hatte, verteilte er sofort. Mit 10.000 bis 12.000 Insassen war der Bedarf an Nahrung groß.

Ein besonders erschütterndes Detail ist die hohe Sterblichkeitsrate: „An manchem Tag sind doch 30, 40 verstorben. Du hast das schon-, da hat doch garantiert neben dir gelegen einer.“ Die Toten wurden früh am Morgen, noch bevor es hell wurde, gemeldet und aus den Baracken getragen.

Sie wurden auf der Lagerstraße aufgestellt, noch im Dunkeln, und dann in Gruppen – etwa 30 Stück – durch das Hauptlagertor zum Gräberfeld gebracht. Janke selbst wusste zu der Zeit nicht, wohin die Verstorbenen gebracht wurden. Später, bei der Errichtung eines großen Kreuzes mit Betonsockel, wurden bei Ausschachtungsarbeiten 24 Tote gefunden.

Ein kleiner Lichtblick: Arbeit in der Bäckerei
Trotz der allgegenwärtigen Hoffnungslosigkeit versuchten viele Insassen, irgendeine Arbeit zu bekommen. Helmut Janke hatte Glück: Er konnte in der Bäckerei arbeiten und war dort mit dem Mehlfahrer unterwegs, eine Tätigkeit, die nur wenige Stunden am Tag in Anspruch nahm.

Helmut Jankes Zeugnis ist ein bewegendes Dokument der Grausamkeit der Speziallager und des Überlebenskampfes der Internierten, die oft, wie er selbst, ohne jegliche Verurteilung inhaftiert wurden.

Zeithain: Das „Campo di Morte“ – Eine Gedenkstätte gegen das Vergessen mitten in Deutschland

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Zeithain, Sachsen – Inmitten der malerischen Elbauen, nordöstlich von Riesa, liegt Zeithain – eine Gemeinde, die heute als die größte sowjetische Kriegsgräberstätte in Deutschland gilt. Doch hinter dieser Funktion verbirgt sich eine düstere Geschichte, die während des Zweiten Weltkriegs hier ihren Ursprung nahm: Das Kriegsgefangenenlager Zeithain, ein Ort unfassbarer Verbrechen der deutschen Wehrmacht, wo vorsätzlich gegen die Menschenwürde verstoßen und das Kriegsvölkerrecht außer Kraft gesetzt wurde.

Ein Lager des Grauens: Geplante Vernichtung durch Entbehrung
Im April 1941 befahl die Wehrmacht die Errichtung dieses Kriegsgefangenenlagers auf einem Truppenübungsplatz. Das ursprüngliche Ziel war die Registrierung und Verteilung sowjetischer Kriegsgefangener auf Arbeitskommandos in Mitteldeutschland und Bayern. Was folgte, war jedoch ein systematisch geplantes Sterben. Zehntausende Gefangene erlagen den unmenschlichen Bedingungen: Fehlende Unterkünfte, verschmutzte Brunnen und Latrinen sowie mangelnde Waschplätze führten zu katastrophalen hygienischen Verhältnissen. Geschwächt durch Mangelernährung, starben sie an Typhus und Unterernährung. Diese Grausamkeiten geschahen nicht zufällig, sondern waren vorsätzlicher Teil des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion. Neben Sowjets wurden auch Menschen anderer Nationalitäten, vor allem Italiener und Polen, in Zeithain gefangen gehalten. Für sowjetische und italienische Gefangene wurde das Lager zu einem Ort massenhaften Sterbens. Das Aushungern war ein bewusster Bestandteil der Politik der deutschen Wehrmacht, die dabei sogar ihre eigenen Prinzipien einer ritterlichen Kriegsführung missachtete.

Die Gefangenen waren der Willkür ihrer Bewacher ausgesetzt. Die privaten Aufzeichnungen von Leutnant K., einem Leipziger Lehrer und Reserveoffizier in Zeithain, dokumentieren das Ausmaß des Leidens auf schockierende Weise: „Es waren wieder furchtbare Eindrücke. Ein Massensterben jetzt bei Nässe und Kälte. Täglich über 100. Man gewöhnt sich an das Entsetzliche. Hier sind Menschen wie Dreck“. Seine Notizen vom November 1941 beschreiben meterlange Reihen von Toten im Schlamm vor den Baracken und eine Baracke voller Halbtoter, Sterbender und Röchelnder. Nikolai Gutyria, ein Leutnant der Roten Armee und Mitglied einer Widerstandsgruppe im Lager, berichtete erst 1961 über seine ersten Tage: „Es wurde uns befohlen, uns unter freiem Himmel auf dem vom Regen noch feuchten Boden zu legen. Jeder wählte für sich eine kleine Grube, in der er versuchte, seinen ausgemergelten Körper zu wärmen. Es gab kein Leben und keinen Tod“.

Die Transformation vom Lager zur Gedenkstätte
Zwischen 1941 und 1945 kamen rund 274.000 Kriegsgefangene am Bahnhof Jacobstal an, von dem heute nur noch das Gebäude erhalten ist. Nach der Befreiung wurde das Lager ab Januar 1946 demontiert, die Baracken für deutsche Flüchtlinge wiederverwendet. Bis 1992 diente das Gelände intensiv als militärischer Übungsplatz der sowjetischen Streitkräfte.

Die Opfer von Zeithain wurden auf mehreren Friedhöfen bestattet. Sowjetische Gefangene fanden ihre letzte Ruhe in Massengräbern, während Italiener, Polen und Serben in Einzelgräbern auf einem weiteren Friedhof beigesetzt wurden. Für ehemalige italienische Gefangene ist Zeithain als „Campo di Morte“, das „Lager des Todes“, in Erinnerung geblieben.

Nach 1946 gestaltete die sowjetische Militärregierung die Friedhöfe um: Der Ehrenhain Zeithain, ein Obelisk und ein Portal aus rotem Granit, versehen mit den Machtsymbolen der Sowjetunion, wurden errichtet. Die Namen der Opfer wurden anonymisiert; der Gedenkort sollte den Sieg der Sowjetunion über Nazi-Deutschland symbolisieren. Einziger Hinweis auf die Toten war die Inschrift „Ruhm und Ehre den Kämpfern gegen den Faschismus“. Diese Anonymisierung war Teil einer bewussten Politik, die Verwandte bis zum Ende der Sowjetunion nicht über das Schicksal der Kriegsopfer informierte, da diese in ihrer Heimat als Verräter galten.

Würde zurückgeben und erinnern
Erst 2013 wurden auf den Grabfeldern Tafeln mit Namen, Geburts- und Sterbedaten der hier gestorbenen Rotarmisten aufgestellt, um den Opfern ihre Würde zurückzugeben und Angehörigen die Möglichkeit zu geben, ihre Toten zu betrauern.

Heute gehört das Areal zum Naturschutzgebiet Gohrisch Heide. Die Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain hat sich der Aufgabe verschrieben, den historischen Ort des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers wieder sichtbar zu machen. Das Dokumentenhaus und eine Lagerbaracke erinnern an die Geschichte, eine Dauerausstellung zeigt Zeitdokumente, Objekte, Fotos und historisches Filmmaterial. Regelmäßige Führungen und Ausgrabungen legen Fundamente frei und zeigen Hinterlassenschaften auf.

Die Gedenkstätte Zeithain ist nicht nur eine lebendige Informationsstätte über die Verbrechen der deutschen Wehrmacht und ein international anerkannter Gedenkort, sondern auch eine Begegnungsstätte für die Umsetzung internationaler Jugendprojekte. Sie ist ein wichtiger Partner für wechselnde Veranstaltungen zur Zeitgeschichte in der Region und bietet Angehörigen die Möglichkeit, nach dem Schicksal ihrer Verwandten zu forschen. Zeithain steht heute als Mahnmal gegen das Vergessen, das die Schrecken der Vergangenheit bewahrt und gleichzeitig einen Beitrag zur Versöhnung und Aufklärung leistet.

Riesa vor 1990: Als Dreck und Wärme Hand in Hand gingen

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Bevor 1990 die politischen und wirtschaftlichen Landschaften grundlegend verändert wurden, war Riesa eine Stadt, in der die Präsenz der Industrie ein fester, oft erdrückender Bestandteil des täglichen Lebens war. Anwohner erinnern sich an eine Zeit, die manchmal unerträglich war, insbesondere wenn der Wind aus Osten kam. Schon von Weitem war ein „Industrieballon“ am Horizont erkennbar, der von der gewaltigen Industrie der Stadt zeugte.

Ein Leben im Schatten der Emissionen
Das Jahr 1961 markierte einen Wendepunkt für Riesa, als ein neues Wohngebiet für über 10.000 Menschen entstand. Die zentrale Wärmeversorgung für diese Bewohner wurde durch zwei mit Rohbraunkohle gefeuerte Heizhäuser sichergestellt. Was als komfortable Lösung gedacht war, hatte jedoch massive ökologische Konsequenzen.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Über 30.000 Tonnen Rohbraunkohle lagerten unter freiem Himmel, nur einen Katzensprung vom Wohngebiet entfernt. Jährlich wurden über 50.000 Tonnen dieser Rohbraunkohle verfeuert. Die Auswirkungen waren fatal: Stündlich entstanden bis zu 150.000 Kubikmeter Rauchgase und 8.000 Tonnen schwefelhaltige Asche. Das besonders bemerkenswerte und erschreckende Detail: Fast 30 Jahre lang gelangten diese Rauchgase ungefiltert aus den Schornsteinen. Begründungen für das Ausbleiben von Investitionen gab es viele, oft hieß es, es handele sich bei den Heizhäusern lediglich um „Provisoren“.

Die alltäglichen Folgen für die Bewohner waren drastisch: Überall lag Dreck, die Hausfrauen mussten manchmal dreimal am Tag die Wäsche waschen, weil alles schwarz war. Die Frage des Umweltschutzes spielte dabei offensichtlich keine Rolle; „hat sich ja keiner drum geschert“, so die Erinnerung eines Anwohners.

Der „Segen und Fluch“ der Fernwärme
Trotz dieser extremen Umweltbelastung gab es eine Annehmlichkeit, die viele nicht missen wollten: die Fernwärme. Sie wurde als „Segen und Fluch zugleich“ empfunden. Auf der einen Seite bedeutete sie für die Bewohner, keine Kohlen mehr schleppen zu müssen und stattdessen eine warme Wohnung und warmes Wasser zu haben. Dies stellte eine deutliche Komfortverbesserung dar.

Doch dieser Komfort hatte seinen Preis in Form von Schmutz und Dreck, den man in Kauf nehmen musste. Die Logistik der Kohleversorgung war allgegenwärtig: Straßen und Wege, insbesondere die B330, waren ständig von LKWs frequentiert, die Kohle vom Hafen oder von Kohlehändlern zu den Heizhäusern brachten. Dort wurden die Waggons entladen und die Kohle auf LKWs umgeladen, die dann Tag und Nacht fuhren. Riesige Behälter im Heizhaus wurden über Förderbänder mit Kohle befüllt, die zu riesigen Bergen aufgeschüttet wurde – ein ständiges Schauspiel aus Staub und Bewegung.

Die Heizleistung war enorm. Es war immer warm, manchmal sogar zu warm. Der Versuch, die Verschmutzung durch Reduzierung der Heizleistung zu mindern, scheiterte an der Priorität der Wärmeversorgung. Auf die Frage, ob man nicht weniger verbrennen könne, kam die Antwort, dass „früheren will hier keiner“, und die Kessel „die Leistung immer gebracht“ und „alles raus geblasen“ hätten.

Diese Erinnerungen und Fakten zeichnen das Bild eines Riesa vor 1990, das von einer komplexen Mischung aus industrieller Macht, gravierender Umweltbelastung und gleichzeitig hohem Wohnkomfort geprägt war, bei dem die Wärme des Hauses oft den Preis von Schmutz, Staub und ungefilterten Emissionen forderte.

Zeithain im Wendeherbst: Als Häftlinge für ihre Freiheit kämpften

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Zeithain, Dezember 1989 – Während die Berliner Mauer bereits gefallen war und die DDR im Umbruch begriffen war, saßen zahlreiche Häftlinge in der Justizvollzugsanstalt Zeithain weiterhin fest. Ihre Geschichten werfen ein Schlaglicht auf die widersprüchliche Realität in den letzten Tagen der DDR, geprägt von verzweifelter Arbeit, Missständen und einem mutigen Aufbegehren.

Viele der Inhaftierten waren wegen „Republikflucht“ nach §213 des DDR-Strafgesetzbuches verurteilt worden – ein Delikt, das angesichts der Öffnung der Grenzen seine Grundlage verloren hatte. Besonders erschütternd war die Situation für jene, die eigentlich am 4. Dezember 1989 entlassen werden sollten, aber immer noch in Haft saßen. Der Grund: Einige ihrer Anwälte hatten sich nach dem Mauerfall ins „kapitalistische Ausland“ abgesetzt, was ihre Entlassung blockierte. Dieser Umstand wurde sogar von Oberstleutnant Günther Hoffmann, der kurz vor seiner Pensionierung stand und erstmals einen Blick hinter die Kulissen seiner eigenen Anstalt – aus der Sicht der Gefangenen – erhielt, als „beschämend“ bezeichnet.

Missstände hinter Gittern und gefährliche Zwangsarbeit
Die internen Zustände im Gefängnis waren katastrophal. Berichte sprachen von körperlicher Misshandlung durch Wachpersonal. Ein Beispiel ist der Fall eines Gefangenen, der geistig beeinträchtigt war und laut Aussagen der Häftlinge gar nicht erst in ein Strafzug gehört hätte. Er wurde von einem Obermeister geschlagen, weil er Anweisungen nicht verstand. Ein weiterer Vorfall betraf Obermeister M., der einen Gefangenen schlug und ihm dabei die Lippe einriss – eine Tat, für die die Häftlinge forderten, dass der Obermeister wegen Körperverletzung eingesperrt werde. Solche Vorfälle zeigten das Ausmaß der Gewalt und die fehlende Rechenschaftspflicht.

Ein zentraler Aspekt des Gefängnislebens war die Zwangsarbeit. Nur unweit des politischen Knastes lag das Rohr- und Stahlkombinat Riesa, in dem 215 der 950 Arbeiter aus der Haftanstalt stammten. Die Häftlinge mussten im Dreischichtsystem, einschließlich Samstag und Sonntag, in dem „hoffnungslos veralteten Werk“ arbeiten. Die Maschinen stammten teilweise aus dem Jahr 1945, und es gab keine Investitionsmittel für Modernisierungen. Dies führte zu extrem gefährlichen Arbeitsbedingungen, die in den Quellen wiederholt als Ursache für schwere Unfälle genannt werden, darunter Verbrennungen, Quetschungen und Knochenbrüche. Ein besonders tragischer Vorfall war ein tödlicher Unfall, der sich vier Jahre zuvor ereignet hatte und den niemand im Strafzug kannte. Ironischerweise wurde der dort produzierte Stahl fast ausschließlich für den Export in die BRD verwendet – jenes Land, in das die meisten der politischen Gefangenen wollten. Für diese harte und gefährliche Arbeit erhielten die Häftlinge lediglich 7 Mark Ost pro Tag.

Der Streik: Häftlinge fordern ihre Rechte
Die Gefangenen hatten sich seit Langem über mangelnde Sicherheitsbestimmungen und die Arbeitsbedingungen beschwert. Am 4. Dezember 1989 eskalierte die Situation: Oberstleutnant Hoffmann gab nach einigen Minuten dem Druck nach, und die Häftlinge organisierten einen Streik. Mit der Unterstützung eines Fernsehteams und dem neuen amtierenden Generaldirektor des Werks, der „verschiedene Fragen unbedingt neu und unangemeldet“ überprüfen wollte, setzten sie die Besichtigung der Werkshallen durch. Gefangenenvertreter erhielten sogar die Erlaubnis, die Führung zu übernehmen.

Bei der Besichtigung konnten die Häftlinge ihre Forderungen direkt an den Werksleiter richten. Sie beschwerten sich über die altersschwache Richtmaschine Baujahr 1945 und die mangelnden Sicherheitsstandards. Obwohl der Werksleiter Besserung versprach, setzten die Häftlinge ihren Streik fort. Gegen 14 Uhr, nachdem alle Forderungen vorgebracht worden waren, wurde auf Beschluss des Häftlingsrates eine Erklärung über Lautsprecher verlesen. Das Wachpersonal stellte die technischen Einrichtungen bereit, stellte jedoch eine Bedingung: Das Streikkomitee sollte alle Strafgefangenen zur Ruhe und Besonnenheit ermahnen und vor allem keine Gewalt gegen Angehörige der Sicherheitsorgane und Vorgesetzte anwenden. Eine Ordnungsgruppe wurde gebildet, um dies zu gewährleisten.

Amnestie und Ruhe nach dem Sturm
An diesem Tag veränderten die Gefangenen ihren Knast nachhaltig. Nach dem Streik kehrte Ruhe in Zeithain ein. Wenige Stunden später kam die ersehnte Amnestie. Die Ereignisse in Zeithain sind ein eindringliches Beispiel dafür, wie selbst in den letzten Atemzügen eines untergehenden Systems Menschen mutig für ihre Rechte und ihre Würde kämpften und damit ihren eigenen Beitrag zur historischen Wende leisteten.

Döbeln 1989: Als eine Kleinstadt im Schatten der Wende ihre Stimme fand

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Döbeln, Herbst 1989. Während in den großen Städten der DDR der Ruf nach Freiheit und Veränderung immer lauter wurde, erwachte auch im sächsischen Döbeln ein neues Bewusstsein. Eine Stadt, die lange unter einer sichtbaren „Dreckschicht oder Rußschicht oder Staubschicht“ litt und deren Bewohner sich in „grauenhaften“ Wohnungen dem Gefühl der Stagnation ausgeliefert sahen, fand langsam den Mut, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Zeitzeugen blicken zurück auf jene aufwühlenden Monate, die den Grundstein für ein geeintes Deutschland legten.

Die ersten Zeichen des Umbruchs Schon am 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der DDR, herrschte eine festliche, doch zugleich angespannte Stimmung in der Hauptstadt. Dr. Bechstein, ein Döbelner Arzt, war an diesem Tag in Berlin und traf die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley. Er erhielt von ihr verbotenes Material zum „Neuen Forum“ und war „sehr zuversichtlich, dass dieses diese alte diese alte machst nicht mehr lange bestehen würde“. Die Hoffnung war groß, dass diese Bewegung „durch das ganze Land erfasst“ würde, auch kleine Städte wie Döbeln.

Der Druck auf das Regime wuchs stetig. Ausreisewillige und Gruppen, die Forderungen nach „mehr Demokratie nach Reisefreiheit nach Mitbestimmung“ artikulierten, sorgten für eine spürbare Anspannung. Obwohl in Döbeln am 7. Oktober noch „Ängste und Befürchtungen“ vor möglichen Ereignissen herrschten und die Stadt ruhig blieb, war doch jedem klar: „In Leipzig und Dresden demonstrieren die Menschen für Freiheit und Dialog“.

Der mutige 9. Oktober und das „Neue Forum“ Nur zwei Tage später, am 9. Oktober, dem Tag der entscheidenden Leipziger Montagsdemonstration, zeigten die Pfarrer Tannhäuser und Landgraf in Döbeln Mut. Sie öffneten ihre Kirche für einen Fürbitten-Gottesdienst für die Demonstranten in Leipzig. Trotz massiver Versuche der Stadtverwaltung, den Gottesdienst im Rathaus zu überreden und abzusagen, hielten die Pfarrer stand: „das war aber kein Diskussionsgegenstand für uns, wir haben diesen Gottesdienst gehalten“.

Nach dem Gottesdienst ging Dr. Bechstein, inspiriert von den Erfolgen in Leipzig, „als erster auf die Straße“ und begrüßte eine Polizistin, was sie handlungsunfähig machte. Später warben Begeisterte des „Neuen Forums“ bei einem weiteren Fürbitten-Gottesdienst in Döbeln erfolgreich für ihre Sache. Auf selbstgebastelten Plakaten im A3-Format wurden die Ziele verlesen und zahlreiche Unterschriften gesammelt. Das „Neue Forum“ wurde als „die einzige nicht gebundene nicht parteilich gebundene freie Bewegung“ zum Anziehungspunkt.

Der Fall der Mauer und Döbelns erste Schritte zur Demokratie Der 9. November, der Tag des Mauerfalls, traf Döbeln in einem Moment hitziger lokaler Debatten. In der Stadtverordnetenversammlung wurde noch über den „Erhalt der gewohnten DDR-Strukturen“ oder „politische Öffnung“ diskutiert, und Neuwahlen wurden abgelehnt. Eine Bürgerin erfuhr erst beim Nachhausekommen von ihrem Mann von der unglaublichen Nachricht: „Die Mauer ist auf. Die Menschen… ströme aus Ostberlin alle in den Westteil der Stadt die haben die Mauer geöffnet“. Fünf Minuten saß sie fassungslos da: „Das kann nicht wahr sein, das gibt es nicht“. Es war ein „umwerfendes“, „wie ein Wunder“ empfundenes Ereignis, das „Glück, Glücksgefühl, Sprachlosigkeit, Bewunderung“ hervorrief. Auch wenn viele die Nachricht erst am nächsten Morgen aus dem Radio erhielten, war der Wunsch nach Veränderung nun unüberhörbar.

Ein von Dr. Bechstein verfasster Brief an die SED Kreisleitung, in der Kirche verlesen, mündete in der ersten kleinen Demonstration in Döbeln, als die Menschen gemeinsam zum Rathaus zogen. Doch die Angst war noch groß; viele Döbelner fuhren weiterhin nach Leipzig, um dort zu demonstrieren, aus Furcht, in ihrer Heimatstadt erkannt zu werden.

Der Sturm auf die Stasi und neue Forderungen Der Mut der Döbelner wuchs jedoch. Es folgten Montagsdemos, und ein Bürgerkomitee wurde gegründet. Die Demonstrationsrouten führten durch die Innenstadt, mit Hauptforderungen nach „Ausreise, […] Reisefreiheit, […] Freiheit der Medien, […] Versammlungsfreiheit, Redefreiheit“ – Ideale, die an die Französische Revolution erinnerten, doch noch immer innerhalb der DDR gefordert wurden.

Am 5. Dezember handelte das Bürgerkomitee entschlossen. Gerüchte von „qualmenden Schornsteinen“ in der Stasi-Zentrale in der Reichensteinstraße, die auf die Verbrennung von Akten hindeuteten, alarmierten die Aktivisten. Mit Hilfe von Staatsanwalt Stefaniak aus Altenburg stürmten sie die Stasi-Zentrale, schickten Mitarbeiter nach Hause und versiegelten die Räume. Die Entdeckung einer Waffenkammer im Gebäude verdeutlichte das explosive Potenzial der Situation. Um die Öffentlichkeit zu mobilisieren, führte eine Demonstration am 11. Dezember direkt zur Stasi-Zentrale, eine „emotionale“ Aktion, bei der die Gefahr einer Eskalation, etwa durch das Stürmen der Waffenkammer, allgegenwärtig war. Das Bürgerkomitee löste das Kreisamt für nationale Sicherheit in den folgenden Wochen vollständig auf.

Wahlen, Parteien und eine „Revolution ohne Gewalt“ Anfang 1990 setzten sich die Demonstrationen fort, nun mit den Kernthemen „Einheit Deutschlands und freie Wahlen“. Bei einer Demo vor dem Rathaus forderten die Döbelner Rechenschaft von ihren alten Ratsmitgliedern und erlebten eine überraschende Reaktion: Statt Ablehnung gab es „Bravo“-Rufe und Applaus.

Die politische Landschaft begann sich zu formen. Andreas Porstmann gründete mit weiteren Döbelnern einen SDP-Kreisverband, der 1990 in die SPD einging und er selbst später für den Stadtrat kandidierte. Auch wenn das „Neue Forum“ einen enormen Zulauf hatte, zeigten sich bald die Herausforderungen der Demokratie: „was unsere Leute überhaupt nicht konnten war Demokratie. Denn Demokratie heißt ja auch Achtung der Meinung des anderen“. Dr. Zetzsche wurde als Mitglied des Neuen Forums in den Stadtrat gewählt, während Dr. Bechstein das Forum verließ und für die CDU Mitglied der letzten Volkskammer der DDR wurde. Um dem „Schwindeln“ der SED entgegenzuwirken, entstand am 18. Januar 1990 die Initiative zur Gründung einer eigenen Zeitung, die logistische und finanzielle Unterstützung erhielt.

Die Zeit der Wende war für Döbeln und seine Bewohner „unwahrscheinlich intensiv“. Es war das Gefühl, dass sich „endlich das was wir die ganze Zeit wollten ist passiert es bewegt sich etwas außerhalb von uns es bewegt sich etwas in uns“. Zeitzeugen beschreiben es als ein „Weltgeschichtliches Ereignis“, eine „Revolution ohne Gewalt“ – vergleichbar, wenn auch in bescheidenerer Form, mit Gandhis Befreiung Indiens.

Die Erkenntnis, dass „der weg unter Resignation in die Hoffnung führen kann“, prägte viele. Die Veränderungen im Land und in den Städten wie Döbeln sind bis heute spürbar und „zu unseren Gunsten“. Die Erzählungen aus Döbeln sind ein berührendes Zeugnis des Mutes und der Entschlossenheit der Menschen, die den Wandel in Deutschland friedlich mitgestaltet haben.

NVA-Aufklärung im Kalten Krieg: Das Leben von Karl-Heinz Kries

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Berlin/Dresden/Strausberg. Der Kalte Krieg, eine Ära der ideologischen Konfrontation und militärischen Wachsamkeit, prägte auch das Leben von Karl-Heinz Kries, einem Offizier der Nationalen Volksarmee (NVA), der tief in die militärische Aufklärung der DDR eingebunden war. Seine Laufbahn bietet einen seltenen Einblick in die komplexen Mechanismen der Informationsbeschaffung und -analyse auf ostdeutscher Seite.

Vom jungen Offizier zur Militärakademie
Karl-Heinz Kries schlug eine Offizierslaufbahn ein, nachdem ihm aufgrund seiner Leistungen die Möglichkeit geboten wurde, ohne den Besuch einer Offiziersschule zum Offizier ernannt zu werden. Mit 23 Jahren, am 30. November 1963, wurde er am Tag seiner Hochzeit, die feierlich in der Kaserne stattfand, zum Unterleutnant ernannt. Der nächste große Schritt war die Zulassung zur Militärakademie in Dresden. Voraussetzung hierfür war das Abitur, das Kries an einer NVA-eigenen Schule in Naumburg in Fächern wie Deutsch, Physik, Chemie, Russisch und Mathematik nachholte.

Der Studienalltag an der Akademie war intensiv: Täglich von 8 Uhr bis mittags fand Unterricht statt, gefolgt von einer Mittagspause und organisiertem Selbststudium bis 17 Uhr im Klassenraum. Auch abends und am Wochenende, bis samstags mittags, wurde in der Unterkunft weiterstudiert, um die zahlreichen Lernaufgaben zu bewältigen. Die Zeit für die Familie, die zu Hause in Potsdam auf Kries wartete und bereits zwei Kinder umfasste, war auf anderthalb Tage am Wochenende begrenzt. Obwohl das Studium im Vordergrund stand, gab es abends auch die Möglichkeit, Dresden zu erkunden und sich in Gaststätten zu amüsieren.

Spezialisierung auf West-Berlin und NATO-Armeen
Bereits im letzten Studienjahr an der Militärakademie wurde die zukünftige Verwendung der Offiziere organisiert. Karl-Heinz Kries, der sich während seiner Ausbildung intensiv mit den ausländischen NATO-Armeen und deren Strukturen beschäftigt hatte, wurde gefragt, ob er ins Ministerium oder zur Verwaltung Aufklärung gehen wolle. Aufgrund seiner Kenntnisse in diesem Bereich kam er im Alter von 34 oder 35 Jahren zur militärischen Aufklärung nach Strausberg bei Berlin.

Seine Hauptaufgabe in diesem Bereich war die Aufklärung der militärischen Aktivitäten in West-Berlin. Dazu gehörte die Überwachung der dort stationierten Truppen – Amerikaner, Engländer und Franzosen – deren Bewegungen, Aktivitäten und Ausbildungen. Wöchentlich erstellte Kries Berichte über diese Beobachtungen, die an das Ministerium, also den Minister, geschickt wurden.

Die Arbeitsbedingungen umfassten das tägliche Lesen und Analysieren westberliner Zeitungen wie dem „Tagesspiegel“ und der „Morgenpost“, um Hinweise auf alliierte Aktivitäten zu finden. Zusätzlich wurden Informationen von in West-Berlin tätigen Beobachtern und Informanten eingeholt. Ein konkretes Beispiel für die Arbeit war der Bau eines detaillierten Modells von West-Berlin über mehrere Quadratmeter, das zur Schulung von Kommandeuren diente. Diese sollten darauf lernen, wie sie im Falle eines Krieges ihre Truppen am besten einsetzen und die Gegebenheiten der Gegend kennenlernen könnten. Die militärische Aufklärung, der Kries angehörte, konzentrierte sich dabei ausschließlich auf militärische Aktivitäten europaweit, was einen klaren Unterschied zur Arbeit der Staatssicherheit darstellte. Die Konfrontation mit westlichen Informationen verunsicherte die Mitarbeiter nicht, sondern wurde professionell verarbeitet.

Das Aufklärungszentrum: Lagebilder im Schichtdienst
Nach Abschluss seiner Tätigkeit im Bereich West-Berlin wechselte Kries in das Aufklärungszentrum zur täglichen Lageaufklärung. Dort arbeitete er als Schichtleiter im 24-Stunden-Schichtdienst mit mehreren Mitarbeitern. Ihre Aufgabe war die Bearbeitung von Meldungen, die sowohl von „befreundeten Armeen“ als auch von eigenen Aufklärern stammten. Aus diesen Informationen erstellten sie ein tägliches Lagebild. Dafür standen große Räume mit Europakarten, BRD-Karten und Weltkarten zur Verfügung, auf denen die relevanten Aktivitäten eingezeichnet wurden.

Jeden Morgen zwischen 4 und 6 Uhr musste ein umfassender Bericht fertiggestellt sein, der alle verarbeiteten Informationen enthielt. Dazu gehörte auch eine tägliche Pressemeldung, die aus den wichtigsten Artikeln westlicher Zeitungen wie der „Frankfurter Rundschau“, „Süddeutschen Zeitung“, „Tagesspiegel“ und „Die Welt“ zusammengestellt wurde. Ergänzt wurde dies durch einen Fernsehbericht, der aus zusammengeschnittenen Filmen und begleitendem Text die Lage, militärische Übungen, Aktivitäten und Besonderheiten des Tages darstellte. Diese detaillierten Berichte wurden täglich an den Minister weitergeleitet.

Das Verständnis des Kalten Krieges
Für Kries und seine Kollegen war der Kalte Krieg ein integraler Bestandteil ihres militärischen Lebens. Sie waren der festen Überzeugung, „wir stehen auf der richtigen Seite“ und das, was sie taten, sei richtig und notwendig. Diese Haltung prägte ihr berufliches Handeln und ihre Einschätzung der politischen und militärischen Lage jener Zeit.

Ein Appell für eine echte Wiedervereinigung jenseits von Siegern und Verlierern

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Berlin/Hamburg – Die Geschichte wird bekanntlich von den Siegern geschrieben, und in Deutschland nach 1990 waren die Sieger „immer die anderen“. Doch was passiert, wenn die vermeintlich Besiegten beginnen, ihre eigene Geschichte zu erzählen? Genau diesen Versuch wagt Katrin McClean, Autorin und Kursleiterin für kreatives Schreiben, mit ihrem Buch „Aufgewachsen in Ost und West – 64 Geschichten für eine wirkliche Wiedervereinigung“. Das Buch versammelt die persönlichen Erzählungen von 40 Autoren – je 20 aus Ost und West – und bietet eine einzigartige Perspektive auf die Wendezeit und das Leben in den beiden ehemaligen deutschen Staaten.

Die Wende als Ende der Identität
Für Katrin McClean selbst, die in der DDR aufwuchs, war das Ende der DDR „nicht als Befreiung erlebt, sondern als das Ende meiner Identität“. Sie engagierte sich in den letzten Jahren der DDR in der sogenannten Oppositionsbewegung, kämpfte für mehr Offenheit und demokratischere Verhältnisse, zweifelte jedoch nicht am Staat oder am Sozialismus als solchem, sondern an den „zu alten“ Funktionären. Als die Mauer fiel, war ihr sofort klar, dass all ihre Reformideen und Kämpfe bedeutungslos werden würden. Sie beschreibt die Geschehnisse als „wirtschaftliche Eroberung dieses Marktes“, die durch die Rufe der DDR-Bürger nach „Helmut Kohl und Bananen“ mit ermöglicht wurde.

McClean kritisiert das gängige Narrativ, das die DDR als eine homogene „Stasi-Diktatur“ darstellt. Sie erinnert an ein grundlegend anderes Sozialisationsprinzip: In der DDR wurde vermittelt, dass „jeder wichtig für die Gesellschaft“ sei und seinen Beitrag leiste, was ein starkes Gemeinschaftsgefühl hervorbrachte. Dieses Gefühl wurde durch gemeinsame Arbeit und Freizeitaktivitäten gelebt. Die spätere Zerschlagung von Betrieben durch die Treuhand empfand sie nicht nur als Schließung von Produktionsstätten, sondern als Zerstörung eines „gesamten Netzwerks“ mit allen daran gekoppelten sozialen Einrichtungen wie Polikliniken und Kindergärten. Proteste dagegen, die den Gemeinschaftsgeist zeigten, fänden heute kaum Beachtung.

Bildung, Offenheit und das Erbe des Nationalsozialismus
Ein zentraler Punkt von McCleans Ausführungen ist die radikal andere Sozialisation in Ost und West. Das Bildungssystem der DDR wurde nach 1945 entwickelt, um den Faschismus und kapitalistische Ideologien zu überwinden. Es legte Wert auf „Gemeinschaftserziehung“, „Friedenserziehung“ und persönliche Verantwortung für die Gesellschaft. Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus war in der Schule „Hauptthema“ und sehr „umfangreich“, im Gegensatz zur BRD, wo es eher ein privates Tabu war. McClean betont, dass es in der DDR ein juristisches Gewaltverbot in Schulen gab, was in der BRD nicht existierte. Klassenlehrer besuchten die Familien zweimal im Jahr, um die häusliche Situation der Schüler zu verstehen und zu unterstützen.

Auch das Klischee der mangelnden Offenheit in der DDR stellt McClean infrage. Sie erinnert sich an die DDR als einen „riesigen Debattierklub“, in dem ständig über alles geredet wurde, von Pionierversammlungen bis zu Betriebsversammlungen. Wer seine Meinung nicht äußerte, dem war es selbst überlassen. Sie selbst wurde für ihre Gedanken nicht verfolgt.

Der deutsche Literaturbetrieb und die Suche nach Authentizität
Das Buch „Aufgewachsen in Ost und West“ ist auch ein Plädoyer für eine „Basiskultur“ und die Anerkennung individueller Geschichten. Katrin McClean, die seit 1996 Romane, Kurzgeschichten und Hörspiele schreibt und Kurse für kreatives Schreiben anbietet, ist überzeugt, dass jeder Mensch eine „Schreibstimme“ hat, die dem Herzen näher ist als dem Verstand. Die dort entstehenden „Geschichten von unten“ seien oft reicher und berührender als die „offizielle Literatur“.

Die Suche nach einem Verlag für „Aufgewachsen in Ost und West“ war schwierig; es wurde letztlich über einen Self-Publishing-Dienst veröffentlicht und vom Rubikon-Verlag vertrieben. McClean kritisiert den deutschen Literaturbetrieb als „eng ideologischen Korridor“, der zwar kritische Texte über ausländische Diktaturen oder das Leiden unter Erdogan akzeptiert, aber „Nestbeschmutzer“ und kritische Auseinandersetzungen mit der eigenen deutschen Geschichte, insbesondere von ostdeutschen Autoren, kaum zulässt.

Parallelen zur Corona-Pandemie
Katrin McClean zieht bemerkenswerte Parallelen zwischen der Wendezeit und der aktuellen Corona-Pandemie. Sie sieht zwei Phasen, ähnlich wie in der Wende, und eine „Zahlenmystik“ und „Zahlentrickseri“, die damals zum „Bankrott“ der DDR beigeredet wurde, um die D-Mark-Einführung zu rechtfertigen. Heute führe dies zu einer „massiven Umwandlung der Gesellschaft“ und einer Transformation in eine „digitale Selbstverständlichkeit“, die sie als „digitale Treuhand“ des Großkapitals bezeichnet. Sie vermisst das „Aufbegehren“ bei vielen Westdeutschen, die in der Vergangenheit kritisiert hatten, dass Ostdeutsche nicht genug Widerstand geleistet hätten.

Gemeinsam Brücken bauen
Trotz der tiefgreifenden Unterschiede in der Sozialisation und den teils verletzenden Erfahrungen plädiert McClean für eine „echte Wiedervereinigung“, die Vergangenheit ruhen lässt, verzeiht und akzeptiert, anstatt neue Gräben zu ziehen. Das Buch selbst ist ein Versuch, dies zu ermöglichen, indem es individuelle Geschichten über Erlebtes bietet, ohne zu argumentieren oder zu beweisen. Westdeutsche Autoren schrieben darin häufig über ihre Kindheit, während Ostdeutsche ihre Wende-Erfahrungen schilderten.

Katrin McClean ist überzeugt, dass der „Widerstandsgeist“ des DDR-Bürgers, der Manipulationen im Westen erkennt, zusammen mit der Kenntnis der Rechtsstrukturen im Westen zu einer gegenseitigen Ergänzung führen kann. Sie sieht in den aktuellen Demonstrationen und der wachsenden Skepsis gegenüber den Mainstream-Medien im Internet die Chance, dass immer mehr Menschen „langsam durchschaut haben“ und sich selbst informieren.

Das Buch „Aufgewachsen in Ost und West“ ist somit mehr als eine Sammlung von Erzählungen; es ist ein Aufruf zur Selbstreflexion und zum Dialog, um über die Kluft zwischen Ost und West hinweg ein tieferes Verständnis füreinander zu entwickeln und „unsere eigene Geschichte zurückzuerobern“.

Die unorthodoxe Karriere des DDR-Discjockeys Wolfgang „Wolle“ Förster

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Wolfgang „Wolle“ Förster, geboren 1954, ist mehr als nur ein Name; er ist ein Zeitzeuge einer Ära, in der Musik und Jugendkultur oft auf Kollisionskurs mit den staatlichen Vorgaben der Deutschen Demokratischen Republik gerieten. Seine Geschichte ist eine Erzählung von unbeabsichtigter Rebellion, kreativer Anpassung und dem steinigen Weg eines mobilen Discjockeys in einem System, das westliche Einflüsse argwöhnisch beäugte.

Das Ende eines Traums: Vom Elektroniker zum „politisch Untragbaren“
Försters ursprünglicher Plan war ein ganz anderer: Nach Abschluss seiner Elektronikerlehre und kurz vor dem Abitur plante er ein Studium der Elektronik an der TU Dresden. Doch ein spontanes Quiz in einem Klubhaus des Rudi Arndt sollte sein Leben grundlegend ändern. Eine der von ihm gestellten Fragen lautete: „Was ist die FDJ? A: Ein Gammeltrupp, B: Ein Negerstamm, C: Vereinigung der sozialistischen Jugend“. Obwohl Förster bei der Auswertung klarstellte, dass die richtige Antwort C sei, wurde ihm unterstellt, er hätte alle belohnt, die „Gammeltrupp“ angekreuzt hatten.

Dieser Vorfall wurde zum Politikum hochgespielt, was zur Suspendierung Försters von der Schule führte – nur zehn Tage vor seinem Abitur. Er durfte die letzten beiden mündlichen Prüfungen nicht mehr ablegen, sein Studienvertrag für Elektronik platzte. Ein Konkurrent aus einem weniger erfolgreichen Jugendklub hatte diese „Dinge ganz massiv zur Anzeige gebracht“ und damit Försters berufliche Ausbildung sabotiert. Die Konsequenzen empfand Förster als völlig unangemessen. Hinzu kam die Anfertigung von Jugendclub-Ausweisen, die westliche Artikel wie Schokoriegel und Models abbildeten, was angeblich der „Untergrabung der Moral der Jugend“ diente und nicht in das sozialistische Bild passte. Diese Vorfälle machten ihn in den Augen der Behörden „politisch untragbar“.

Die Geburt eines Discjockeys: Zwischen 60/40-Regel und Platten aus dem Westen
Trotz des jähen Endes seiner akademischen Laufbahn fand Wolfgang Förster einen neuen Weg: 1975 begann er seine Karriere als Discjockey. Dies war jedoch kein einfacher Beruf in der DDR. Man musste sich einer Einstufungskommission stellen, die die Arbeit mit dem Publikum, den Musikeinsatz und insbesondere die Verwendung von DDR-Musik beurteilte.

Eine der größten Herausforderungen war die sogenannte „60/40-Regel“: DJs waren verpflichtet, 60% DDR-Titel und 40% Westmusik zu spielen. Förster erklärt jedoch, dass dies kaum möglich war, da es „nicht genügend DDR-Titel gab, die man hätte einsetzen können“. Um die Vorschriften zu erfüllen, füllten die DJs Listen mit Titeln aus, die sie teilweise gar nicht kannten. Besonders in den ersten zwei Stunden, wenn die Jury anwesend war, versuchte man die 60/40-Regel einzuhalten, was schwierig war, da viele gute DDR-Titel langsam waren und eine langsame Tanzrunde die Jury nicht beeindruckte.

Westliche Platten waren begehrt und wurden oft im Intershop erworben oder aus dem Westen besorgt, wo sie dann in den Jugendklubs „rumgegangen“ und verteilt wurden. Dies weckte Bedürfnisse bei Jugendlichen, die das System nicht erfüllen konnte, was als „schwer verwerflich“ galt. Trotz dieser Widrigkeiten durchlief Förster das Einstufungssystem als Schallplattenunterhalter, arbeitete sich von der Stufe C hoch und erhielt 1984 die Einstufung zum Berufs-Diskjockey.

Ingenieurskunst aus dem VEB: „Volkseigentum“ für die Diskoanlage
Ein weiteres markantes Merkmal seiner Tätigkeit war die Beschaffung der technischen Anlage. Förster, der bei Elektromat arbeitete, hatte das Glück, sich dort viel Material besorgen zu können, wie Lichtmasten und Gehäuse. Er berichtet, dass es üblich war, dass 40% aller Arbeiten in VEB-Betrieben private Arbeiten waren. Dieses „Nacharbeiten“ war weit verbreitet, insbesondere in einfachen Abteilungen wie der Halle 219 bei Elektromat, wo gekantet, gepresst und geschweißt wurde. Man nutzte die Maschinen des „Volkseigentums“ nach Feierabend für eigene Zwecke, ohne sich dabei schlecht vorzukommen, denn es war ja „ein Betrieb des Volkes und wir haben uns unseren Teil genommen“. Nur wer es übertrieb und ganze Produkte entwendete, bekam Ärger und konnte seinen Job verlieren. Die gesamte Metallkonstruktion seiner Diskoanlage, von den großen Ständen bis zu den Schildern, entstand so im Elektromat und war die einzige Möglichkeit, sich solche Geräte selbst zusammenzubauen.

Diese Umstände führten zu einer besonderen Flexibilität und Kreativität der Ostdeutschen (Ossis) im Vergleich zu Westdeutschen (Wessis). Förster betont, dass sie oft improvisieren mussten, beispielsweise eine Brücke aus Kupferdraht bauten, wenn ein Stecker kaputt war – eine Fähigkeit, die sie bei Veranstaltungen bis heute als wertvoll erweist.

Politische Gratwanderung und eine späte Erkenntnis
Obwohl DJs stets unter Beobachtung standen und die Behörden genau wussten, wer seine „Machtstellung am Mikrofon“ für politische Zwecke missbrauchte, war die direkte politische Propaganda in der Regel nicht Försters Aufgabe bei FDJ-Veranstaltungen. Anders verhielt es sich bei Auslandsreisen, etwa nach Rumänien. Hier wurde erwartet, dass man „sein Land und Leute anpreist und sagt ‚Uns geht es gut'“.

Förster selbst hatte damals keinen Grund, die DDR schlecht zu sehen. Er erinnert sich an ausgelassene Feiern in Ferienlagern und daran, dass die Menschen nicht wussten, was sie alles verpassten. Die Einschränkung des Westfernsehens und das Verbot des Rundfunks (z.B. Rias) trugen dazu bei, dass man „zufrieden“ war, wenn man „andere Dinge nicht kennst“. Die Erkenntnis, wie eingeengt man tatsächlich war und wie schlecht es der Wirtschaft ging, kam erst im Laufe der Zeit. Reisen nach Rumänien waren damals eine „große Sache“ und man kam nicht auf den Gedanken, dass andere nicht reisen durften. Erst aus heutiger Sicht wird ihm bewusst, was den Menschen vorenthalten wurde, wie auch seinem reiselustigen Vater.

Trotz dieser Herausforderungen und der politischen Kontrolle gab es auch Momente, die Försters Karriere fast beendet hätten, wie der Song „Sonderzug von Pankow“ von Udo Lindenberg, der ihm „fast das Genick gebrochen“ hätte, obwohl er selbst kaum etwas dazu gesagt hatte.

Die Geschichte von Wolfgang „Wolle“ Förster ist ein faszinierendes Zeugnis der Kultur- und Alltagswelt in der DDR, geprägt von Vorschriften, Improvisation und einer einzigartigen Perspektive auf eine abgeschlossene Ära.

Glanz und Schatten: Das vergessene Erbe der DDR-Stars nach der Wende

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Einst prägten ihre Gesichter und Stimmen die Bühnen und Bildschirme der DDR. Sie bewegten Millionen, brachten zum Lachen und zum Weinen, waren gefeierte Persönlichkeiten und kulturelle Ikonen. Doch mit dem Fall der Mauer und dem Ende der DDR verschwanden viele dieser Künstler aus dem öffentlichen Bewusstsein. Ihr Ruhm verblasste im Schatten der Geschichte, und glanzvolle Karrieren zerbröckelten. Dieses Phänomen wirft eine bedrückende Frage auf: Hätte die Gesellschaft es besser machen können, um diejenigen zu bewahren, die einst Millionen Menschen Freude, Kultur und Orientierung gaben, bevor sie in Armut, Einsamkeit und Vergessenheit endeten?

Die Geschichten der folgenden zehn Persönlichkeiten zeichnen ein bewegendes Bild dieses tiefen Bruchs, den der politische Umbruch nach 1989 mit sich brachte.

Hans-Peter Reineke (1941-2005): Das stille Verklingen eines Talents Als prägende Figur des DDR-Theaters und gefeiertes Mitglied des Berliner Ensembles stand Hans-Peter Reineke mit über 59 Inszenierungen sinnbildlich für die kulturelle Stärke der DDR. Nach der Wende änderte sich jedoch alles. Der einst gefragte Schauspieler erhielt kaum noch Rollen, sein Name verschwand zunehmend aus den Feuilletons. Er lebte zurückgezogen in Berlin, geplagt von gesundheitlichen Problemen, und verstarb 2005 kaum beachtet von der Öffentlichkeit.

Peter Dommisch (1934-1991): Die verstummte Stimme Peter Dommisch war eine feste Größe im DDR-Kulturbetrieb, bekannt als charismatischer Schauspieler und begnadeter Synchronsprecher, dessen Stimme unzähligen internationalen Filmfiguren, besonders in Kindersendungen, vertraut war. Sein vielschichtiges Talent umfasste Bühne, Fernsehen und Mikrofon. Doch gesundheitliche Probleme durchkreuzten seinen Lebensweg abrupt und nahmen ihm die Möglichkeit zur Weiterarbeit. Er erlag 1991 seiner schweren Krankheit, sein Tod löste nur leises Bedauern aus.

Rudolf Ulrich (1922-1997): Der stille Star im Abseits Mit über 140 Film- und Fernsehproduktionen gehörte Rudolf Ulrich zu den meistbeschäftigten Schauspielern der DDR. Sein Talent lag in seiner Wandlungsfähigkeit, doch seine kritische Haltung gegenüber ideologischer Vereinnahmung brachte ihn immer wieder mit der DDR-Kulturpolitik in Konflikt. Nach der Wiedervereinigung war er kaum noch aktiv und verstarb 1997 fast vergessen, ohne öffentliche Würdigung.

Kurt Böwe (1929-2000): Die Ikone, die zu leise wurde Kurt Böwe, eine Ikone des ostdeutschen Fernsehens mit markanter Stimme und ernstem Blick, war durch seine tiefgründigen, oft melancholischen Rollen immer präsent und respektiert. Doch die neue Medienlandschaft nach dem Umbruch hatte wenig Platz für die alten Stars aus dem Osten. Er zog sich zunehmend ins Private zurück und starb 2000 an Krebs, sein Abschied ebenso leise verlaufend wie sein Leben nach der Wende.

Rolf Römer (1935-2000): Ein kreativer Geist, der im Stillen starb Rolf Römer war mehr als ein Schauspieler; er glänzte auch als Regisseur und Drehbuchautor. Bekannt durch Filme wie „Die Söhne der Großen Bärin“, äußerte er sich früh kritisch zur Kulturpolitik, was zu seiner zunehmenden Isolation führte. Seine Drehbücher fanden keine Abnehmer mehr. Tragisch verunglückte er 2000 tödlich durch einen Unfall mit Chemikalien, die Umstände blieben unklar.

Peter Borgelt (1927-1994): Der vergessene Hauptmann Als Kriminalhauptmann Peter Fuchs in der Kultserie „Polizeiruf“ verkörperte Peter Borgelt jahrelang das Bild des aufrechten Ermittlers und stand für Sicherheit und Ordnung im Fernsehen. Nach der Wiedervereinigung wurde es still um ihn. In den 1990er Jahren zog er sich gesundheitlich geschwächt zurück und erlag 1994 seiner Krankheit, sein Tod fand kaum mediale Beachtung.

Dieter Mann (1941-2022): Anpassung mit Würde, doch das Vergessen holt ein Dieter Mann, geboren in Berlin, prägte als präziser, intensiver und intellektueller Mann der Bühne jahrzehntelang das deutsche Theater, nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Intendant. Er meisterte die Wendezeit anders als viele Kollegen mit Würde und Anpassungsfähigkeit und wurde auch im wiedervereinten Deutschland geschätzt. Doch je älter er wurde, desto seltener sah man ihn im Rampenlicht. Er starb 2022 nach langer Krankheit; sein Tod wurde von vielen nur mit einem kurzen Schulterzucken registriert.

Peter Sodan (1936-2024): Der streitbare Geist im Kampf ums kulturelle Gedächtnis Peter Sodan war weit mehr als nur ein Schauspieler, bekannt als „Tatort“-Kommissar Bruno Ehrlicher. Er war auch politisch aktiv, unbequem und meinungsstark. Nach der Wende gründete er eine Bibliothek zur Bewahrung der DDR-Kultur, kämpfte oft gegen den Strom um das kulturelle Gedächtnis und blieb sich trotz Belächelung und Angriffen treu. Er starb im April 2024; sein Tod markierte das Ende eines Mannes, der sich nie beugen ließ und dafür in der Erinnerung nur bedingt einen Platz fand.

Jan Spitzer (geb. 1941): Die unsichtbare, allgegenwärtige Stimme Jan Spitzer war eine unsichtbare, aber allgegenwärtige Stimme im deutschen Fernsehen, die als Synchronsprecher Figuren wie die von Gary Oldman, James Woods oder Samuel L. Jackson Leben einhauchte. Auch als Theaterschauspieler war er aktiv. Trotz seiner beeindruckenden Karriere blieb er im Schatten. Nach der Wende hielt er sich mit Synchronarbeiten über Wasser, doch gesundheitliche Probleme nahmen zu. 2022 starb er im Alter von etwa 75 Jahren, sein Nachruf kam spät, die Anerkennung blieb leise.

Eva-Maria Hagen (1934-2022): Zwischen Ruhm, Rebellion und Rückzug Einst als „Brigitte Bardot des Ostens“ gefeiert, zählte Eva-Maria Hagen in den 1950er und 60er Jahren zu den Stars der DDR. Ihr Karriereknick kam hart und politisch, als sie sich offen gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns aussprach, was zu Berufsverboten führte. Sie verließ die DDR und begann ein neues Leben im Westen, doch ein großes Comeback blieb aus. Eva-Maria Hagen starb 2022 im Alter von 87 Jahren, ihr Wirken blieb für viele eine Randnotiz.

Ein Vermächtnis, das es zu bewahren gilt Diese Schicksale spiegeln den tiefen Bruch wider, den der politische Umbruch nach 1989 mit sich brachte. Die einstigen Helden und Heldinnen eines Landes verloren ihre Bühne, das Fundament ihres Lebens wurde entzogen, und sie wurden in eine bittere Realität aus Armut, Einsamkeit und Vergessenheit gestürzt. Die Frage bleibt, ob die Gesellschaft dies hätte verhindern können.

Ihr Vermächtnis lebt jedoch weiter, wenn wir uns erinnern, ihr Werk neu lesen, neu spielen und neu würdigen. Diese Menschen waren mehr als nur Teil eines Systems; sie waren Teil unserer Geschichte.

Ein NVA Offizier über persönliche Erfahrungen und die Verteidigung des Sozialismus

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Ein seltenes Zeitzeugnis gewährt tiefe Einblicke in die Motivation und die prägenden Erfahrungen eines Offiziers der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR. In einem Interview auf dem YouTube-Kanal „Studio Klarheit Interviews“ berichtet der Mann, dessen Name nicht genannt wird, von der „hässlichen Fratze“ der Nachkriegszeit und seinem persönlichen Weg in die militärische Laufbahn, die er als logische Konsequenz der gesellschaftlichen Entwicklungen sah.

Die Kindheit und Jugend des späteren Offiziers waren vom Zweiten Weltkrieg und seinen unmittelbaren Folgen geprägt. Er erlebte den Krieg in seiner „hässliche[n] Fratze der Nachkriegszeit“. Besonders eindringlich schildert er das Elend und die Gewalt jener Jahre, in denen er leider miterleben musste, wie der ein oder andere vor seinen Augen erschossen wurde. Auch der „Dreck“ und die Strapazen des Transports von kleineren Orten in größere Städte sind ihm in Erinnerung geblieben, wobei Menschen, die physisch nicht mehr konnten, mit dem „Gewehrkolben bearbeitet“ wurden. Es war eine „schlimme Zeit“, wie er betont.

Der Weg in die Armee: Schutz der Errungenschaften
Nach diesen traumatischen Erlebnissen sah er jedoch in den Jahren nach 1949, besonders während seiner Lehrzeit, ein „Vorwärtsgehen in der Gesellschaft“. Diese Entwicklung fand in einer Zeit statt, in der die DDR als „Widerpart auf der anderen Seite“ stand und dort, gemeint ist die Bundesrepublik und der Westen, die „Aufrüstung in Richtung neuen Krieg vorangetrieben wurde“. Diese Beobachtungen, die er bereits als junger Mensch machte, führten ihn zu einer klaren Schlussfolgerung: „Für mich war es demzufolge auch logisch, dass auch wir auf unserer Seite unsere Errungenschaften schützen müssen auch militärisch“.

Er war davon überzeugt, dass die „sozialistische Entwicklung“ militärischen Schutz brauche, und traf seine Entscheidung, sich zu engagieren, ohne dabei an „große Hintergründe zu denken“. Es war für ihn eine pragmatische Entscheidung, Teil des Kollektivs junger Soldaten zu werden und sich den dortigen Anforderungen zu stellen.

Harte Grundausbildung und der Weg zum Offizier
Die Anforderungen waren „ziemlich hart“, wie er sich erinnert. Die Grundausbildung umfasste alles von „Stramm stehen los bis zum rennen und Liegestütze und sonst was bis zu Übungen im Gelände mit allem Drum und Dran“. Doch er bemühte sich, „dort gut zu sein, nicht der beste aber vielleicht gut zu sein“.

Dieser Einsatz und sein Bemühen trugen schließlich dazu bei, dass er angesprochen wurde, „zum Beispiel einmal Unteroffizier zu werden oder auch in der Perspektive… in der Perspektive mal in die Offizierslaufbahn einzugehen“. Er bewertete diese Möglichkeit als eine Chance für seine persönliche Entwicklung und als Anerkennung seiner Leistungen, die er als positive Seite wahrnahm.

Das Zeitzeugnis eines NVA-Offiziers beleuchtet somit nicht nur die Härte des Lebens in der Nachkriegszeit, sondern auch die persönliche Motivation, die viele junge Menschen dazu brachte, die neuen Strukturen der DDR, einschließlich ihrer militärischen Verteidigung, als notwendig und richtig zu erachten.