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Die NVA-Truppentransporte der Deutschen Reichsbahn im Kalten Krieg

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Während des Kalten Krieges war die Deutsche Reichsbahn nicht nur das Rückgrat des zivilen Verkehrs in der DDR, sondern auch ein unverzichtbarer, wenn auch geheimer, Partner der Nationalen Volksarmee (NVA). Unter dem Schleier der Dunkelheit und strengster Geheimhaltung fanden in dieser Zeit militärische Truppentransporte statt, die ein Höchstmaß an Präzision und Koordination erforderten, um der gegnerischen Satellitenaufklärung zu entgehen.

Nachtoperationen und Perfekte Choreografie Diese Manöver, oft in der Nacht durchgeführt, verlangten ein nahtloses Zusammenspiel zwischen den Mitarbeitern der Reichsbahn und den Kräften der NVA. Von der Bereitstellung der Truppen in Warteräumen über die Verladung, die Zugfahrt und Zwischenhalte bis hin zum Ent- und Umsetzen der Technik – jeder Schritt war minutiös geplant und taktisch ausgerichtet. Die schnellen Be- und Entladevorgänge waren dabei essenziell, um die Verborgenheit der Operationen zu gewährleisten.

Die Truppentransporte mit der Eisenbahn dienten dazu, Einheiten der NVA samt ihrer Bewaffnung und Ausrüstung zu festgelegten Entladeräumen zu befördern. Der Transportleiter, ein Unteroffizier, war dabei der Vorgesetzte aller Armeeangehörigen und verantwortlich für die Einhaltung strenger Sicherheitsbestimmungen.

Gefahren auf Schienen: Elektrifizierte Strecken und KCB-Lage Die Fahrt selbst barg zahlreiche Herausforderungen. Auf elektrifizierten Strecken, deren Stromversorgungsanlagen in der Regel unter 15.000 Volt Hochspannung standen, war ein Sicherheitsabstand von 1,50 Metern zu wahren. Disziplin und Ordnung waren hier, wie in allen Phasen des Transports, von größter Bedeutung für die Sicherheit der Armeeangehörigen und die Gefechtsbereitschaft des Transportes. Permanent mussten die Aufgaben der Gefechtssicherung wahrgenommen werden – von Posten entlang des Zuges bis zur Bereitschaft der Luftabwehr.

Besondere Vorkehrungen galten auch für die Sicherung der verladenen Technik: Die Befestigung von Fahrzeugen, die richtige Verkeilung und feste Verdrahtung sowie die Verschnürung der Fahrzeugplanen wurden akribisch überprüft. Lebensgefährliche Klettereien auf verladene Technik waren strengstens untersagt, und Beobachtungsposten mussten selbst bei widrigem Wetter und langen Fahrten ihre Aufmerksamkeit aufrechterhalten.
Eine ernste Bedrohung stellte die sogenannte KCB-Lage dar – die Gefahr durch Kernstrahlung, chemische oder bakteriologische Kontamination.

Erhielt der Transportleiter rechtzeitig Informationen über einen „aktivierten Abschnitt“, wurden umgehend Sicherheitsmaßnahmen eingeleitet, um die Strahlenbelastung der Soldaten zu minimieren. Gepanzerte und hermetisierbare Fahrzeuge boten den besten Schutz, während das übrige Personal persönliche Schutzausrüstung anlegen und Ritzen sowie undichte Stellen an Mannschaftswagen provisorisch abdichten musste. Wasser- und Verpflegungsvorräte wurden sorgfältig abgedeckt. Solche Abschnitte wurden ohne Halt mit erhöhter Geschwindigkeit durchfahren.

Entaktivierung und Entladung: Der Letzte Akt Nach dem Passieren eines kontaminierten Bereichs kam eine mobile Waschanlage, die EEG, der Deutschen Reichsbahn zum Einsatz. Diese konnte zur Entgiftung, Entseuchung und Entaktivierung eines Militärzuges genutzt werden.

Armeeangehörige, die sich in Mannschaftswagen oder als Sicherungsposten auf Flachwagen befanden, durchliefen Duschrahmen der Waschanlage, während Soldaten in Gefechtsfahrzeugen mit Kernwaffenschutzanlage bis zum Abschluss der Entaktivierung in ihren Fahrzeugen blieben. Der Zug selbst wurde entaktiviert, wobei besonders stark aktivierte Stellen markiert wurden, bis die Kernstrahlungskontrolle einen Wert von weniger als 20 Milliröntgen pro Stunde ergab.

Am Zielbahnhof erfolgte die Entladung häufig über eine zerlegbare Laderampe (ZLR60-1), die in einem Güterwagen bereitgestellt wurde. Diese Rampe, die für Räder- und Kettenfahrzeuge bis zu 60 Tonnen geeignet ist, kam zum Einsatz, wenn ortsfeste Verladerampen nicht vorhanden oder zerstört waren. Der Aufbau der ZLR60-1 dauerte unter den gezeigten Bedingungen 20 Minuten und erforderte präzises und umsichtiges Arbeiten, immer mit Stahlhelm und Schutzhandschuhen. Fahrbahnträger von 110 kg Masse wurden mit Trageeisen transportiert, wobei auf Quetschungen durch die Klauen geachtet werden musste.

Nach der Entladung rückten die Truppen ohne Zeitverlust zu Wartepunkten ab, wo die volle Gefechtsbereitschaft von Bewaffnung und Ausrüstung wiederhergestellt wurde, bevor sie sich zu Sammelräumen begaben. Größere Konzentrationen von Kräften und Mitteln an Ver- und Entladestellen sollten im Gefecht vermieden werden. Der Zug wurde nach Abschluss der Entladung in einwandfreiem Zustand an die Deutsche Reichsbahn zurückübergeben.

Die geheimen NVA-Truppentransporte mit der Deutschen Reichsbahn waren somit komplexe logistische Meisterleistungen, die im Schatten des Kalten Krieges eine entscheidende Rolle für die Einsatzbereitschaft der NVA spielten und das enge, wenn auch verborgene, Zusammenwirken zwischen Militär und ziviler Infrastruktur unterstrichen.

Wie die NVA ihre Truppen unter dem Mantel der Nacht verlegte

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Der Kalte Krieg war eine Zeit der ständigen Alarmbereitschaft, und im Herzen Europas spielte sich ein oft verborgenes Schauspiel ab: Die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR verlegte ihre Truppen und schweres Gerät mit der Deutschen Reichsbahn. Doch diese Transporte waren weit mehr als gewöhnliche Logistik; sie waren geheime Operationen, die größtenteils in der Nacht stattfanden, um der neugierigen Beobachtung gegnerischer Satellitenaufklärung zu entgehen.

Die schnelle Be- und Entladung der Züge sowie ein perfektes Zusammenspiel von Reichsbahn-Mitarbeitern und NVA-Kräften waren dabei absolute Grundvoraussetzung für jede erfolgreiche Truppenverlegung. Ziel war es, die Kampfkraft und Gefechtsbereitschaft zu gewährleisten, während gleichzeitig Motorstunden, Treib- und Schmierstoffe eingespart und ein ausgeruhtes Personal sichergestellt wurde. Besonders für Verlegungen über größere Entfernungen oder für Truppen mit Kettenfahrzeugen und Spezialtechnik war die Eisenbahn das bevorzugte Transportmittel.

Vorbereitung im Verborgenen
Jeder Transport begann lange vor der eigentlichen Verladung. Die unmittelbare Vorbereitung der Truppen erfolgte in einem Warteraum, der mindestens 10 Kilometer von der Verladestelle entfernt lag. Dieser Raum bot einen gedeckten und dezentralisierten Aufenthalt, wo Waffen und Ausrüstung transportbereit gemacht wurden. Währenddessen war eine ununterbrochene Gefechtssicherstellung gewährleistet, und taktische sowie polizeiliche Kennzeichen wurden auf Befehl abgedeckt.

Ein Vorkommando traf rechtzeitig vor Verladebeginn an der Verladestelle ein, um die Gefechtssicherstellung zu gewährleisten und die Verladung vorzubereiten. Verladestellen konnten sich an Bahnhöfen, in Anschlussbahnen oder sogar auf freier Strecke befinden, wobei eine Vielzahl von Rampenarten – von kombinierten Kopf- und Seitenrampen bis hin zu behelfsmäßigen Konstruktionen – zum Einsatz kam.

Disziplin und Sicherheit auf den Gleisen
Auf der Verladestelle herrschte zwingend strenge militärische Disziplin und Ordnung, um Unfälle zu vermeiden. Besonders die Nachbargleise stellten eine Gefahr dar, und Armeeangehörigen war es strengstens verboten, sich in die Gleise zu begeben oder diese ohne Anweisung zu überschreiten. Der Transportleiter arbeitete eng mit dem Verantwortlichen für Militärtransporte der Deutschen Reichsbahn zusammen, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten.

Der Marsch vom Abrufpunkt, der sich 0,5 bis 2 Kilometer von der Verladestelle entfernt befand, erfolgte kolonnenweise, um die Konzentration von Kräften und Mitteln an der Rampe zeitlich zu begrenzen. Fahrzeuge wurden hier in die Transportlage gebracht – Panzertürme verzurrt, Teile demontiert, Ketten gespannt – um unnötige Stillstandszeiten an der Verladestelle zu vermeiden.

Millimeterarbeit bei der Verladung
Die eigentliche Verladung erforderte höchste Präzision. Von der eindeutigen Zeichengebung des Einweisers und der schnellen Reaktion des Fahrers hing es ab, dass die Technik mittig zur Ladeachse des Wagens fuhr. Ein Einweiser hielt dabei stets einen Sicherheitsabstand von mindestens einer Fahrzeuglänge ein.

Die sichere Befestigung der Fahrzeuge war von entscheidender Bedeutung, um Transportschäden zu verhindern. Dies erfolgte durch Standardverladekeile, die fest am Fahrzeug anliegen und deren Dornen in den Wagenboden gedrückt wurden. Zusätzlich wurden Handbremsen angezogen und niedrige Gänge eingelegt. Bei einachsigen Anhängefahrzeugen wurden die Räder mit zwei Standardkeilen oder drei Holzkeilen gesichert und die Fahrzeuge zusätzlich mit Draht verspannt. Falls keine Standardverladekeile vorhanden waren, improvisierte man mit Holzkeilen, Nägeln, Draht, Holzbalken und Bauklammern.

Nach der sorgfältigen Verladung und Befestigung aller Fahrzeuge, einschließlich der Verzerrung von Turm und Kanone sowie dem Abbau von Waffen wie dem Fliegerabwehr-MG, wurden die Stirn- und Seitenwände der Güterwagen hochgeklappt und verriegelt.

Abfahrtbereit: Das Ergebnis disziplinierter Arbeit
Erst wenn die Gefechtssicherstellung gewährleistet war und alle Mängel beseitigt waren, gab der Transportleiter die Zustimmung zum Rangieren. Eine Fernsprechverbindung zwischen Transportleiter, Diensten und Gefechtssicherstellung war etabliert, und Mannschaftswagen durften nur auf Befehl bezogen werden.

Die gute und rechtzeitige Organisation, ein hohes Niveau der Transportausbildung und diszipliniertes Handeln aller Armeeangehörigen waren die Voraussetzungen dafür, dass die Verladung des Truppentransportes zeitgerecht und ohne besondere Vorkommnisse erfolgen konnte und die geplante Abfahrtszeit eingehalten wurde. Diese „Geheimen NVA Truppentransporte der Reichsbahn“ waren ein faszinierendes Beispiel für militärische Logistik unter den besonderen Bedingungen des Kalten Krieges.

NVA-Truppenübung unter Extrembedingungen: Von Minusgraden zur Bestnote

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Die Nationale Volksarmee (NVA) stellte sich einer anspruchsvollen taktischen Übung mit Gefechtsschießen, bei der nicht nur militärisches Können, sondern auch eiserne Entschlossenheit unter widrigsten Wetterbedingungen auf die Probe gestellt wurde. Die Übung, die im Zeichen des sozialistischen Wettbewerbs stand, hatte zum Ziel, Höchstleistungen zu Ehren des Parteitages der SED zu erbringen.

Anspruchsvolle Mission bei jedem Wetter
Die teilnehmenden Kräfte wurden dazu aufgerufen, ihre Aufgaben „im Interesse des Guten mit besten Ergebnissen“ zu erfüllen und dabei die angestrebte Note 1 zu erreichen. Die Mission umfasste „taktische Übungen mit Gefechtsschießen“. Leutnant Schulze, dessen Aufgabe es war, seine Schützen zu führen und die Feuerzuweisung zu geben, betonte die Entschlossenheit: „Wir freuen uns, die Übung in allen Phasen der Handlung zum Erfolg zu führen, das heißt, dass wir alle Aufgaben mit besten Ergebnissen dafür also vorgenommen“. Auch die Aufrechterhaltung der Funkverbindung zwischen Vorgesetzten und Unterstellten war eine zentrale Anforderung, wie Unterfeldwebel Viebig und Gefreiter Straßburg bestätigten.

Kampf gegen Kälte und Technikmängel
Die Soldaten wurden von den Elementen hart geprüft. Über 50 Stunden verbrachten sie im Graben, während das Thermometer von plus 10 auf minus 7 Grad Celsius fiel. Dauerregen ging in der Nacht in Schneetreiben über. Trotzdem blieb die Forderung des Aufrufs „höchste Einsatzbereitschaft“ bestehen, und es hieß: „Vorwärts […] Kilometer um Kilometer am Tag und in der Nacht“.

Zusätzlich zu den Wetterextremen galt es, weitere Hürden zu meistern. Eine hohe Strömungsgeschwindigkeit und der Wasserstand bei Flussüberquerungen verlangten fachliches Können. Die Pflege der Technik war dabei entscheidend, damit die Aufgabe erfüllt werden konnte. Die größte Herausforderung war die ständige Erhaltung der Gefechtsbereitschaft unter den extremen Witterungsbedingungen. „Der Schnee hat uns doch unsere Bewaffnung ziemlich zugesetzt“, berichtete ein Teilnehmer, was dazu führte, dass die Instandhaltung der Waffen höchste Priorität hatte. Für den Kompaniefunker war es besonders wichtig, den Kontakt aufrechtzuerhalten, da die Kälte Kabelbrüche und Funkausfälle verursachte.

Persönlicher Einsatz und Erfolg
Am dritten Tag zeigten die Fahrer ihr Können und trugen maßgeblich zur Realisierung der gestellten Aufgabe bei. Die individuelle Einsatzbereitschaft und das Vorbild der Vorgesetzten waren dabei von großer Bedeutung. Leutnant Schulze und Unterfeldwebel Viebig sahen es als ihre Aufgabe an, als Vorbilder voranzugehen.

Trotz aller Widrigkeiten – darunter der Kampf gegen 120 Ziele im Angriff – konnten die Soldaten einen klaren Erfolg verbuchen. „Wir haben diese Übung den Aufruf zur Schlichtung dort bestätigt und haben die Gesamteinschätzung Note sehr gut erhalten“, bilanzierte ein Teilnehmer. Das Regiment erhielt die Note „gut“, und die Kompanie konnte ihre Aufgabe somit erfüllen. Diese Übung demonstrierte die hohe Einsatzbereitschaft und das fachliche Können der NVA-Soldaten unter extremen Bedingungen.

Gödelitz: Ein Erbe des Friedens – Wie Gorbatschows Geist in Sachsen weiterlebt

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In der idyllischen Landschaft Sachsens, nur 9 Kilometer von Döbeln entfernt, liegt Gut Gödelitz – ein Ort, der sich nicht nur als kulturelles Zentrum, sondern auch als geistig-politisches Forum für den Dialog zwischen Ost und West, für Frieden und Verständigung etabliert hat. Die Geschichte des Gutes und der Familie, die es wieder aufbaute, ist eng mit den Idealen und dem Vermächtnis des ehemaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow verwoben, dem kürzlich eine Veranstaltung zu seinen Ehren gewidmet wurde.

Gorbatschows Prägung und sein Kampf für den Frieden
Michail Gorbatschows entschiedene Ablehnung des Krieges wurde tief durch persönliche Erfahrungen geprägt. Als Teenager erlebte er die deutsche Besatzung, Hunger und Demütigung in seinem Dorf. Die Fahrt durch das verwüstete Stalingrad nach dem Krieg, auf dem Weg zum Studium an der Lomonossow-Universität in Moskau, hinterließ bei ihm grauenhafte Bilder der Zerstörung, die sich in sein Gedächtnis einbrannten. Mitte der 1950er-Jahre, als er bereits der Führung des Komsomol in Stawropol angehörte, sah er eine geheime Dokumentation über die Folgen einer Atomexplosion, die ihn zutiefst verstörte. Der Gedanke, „So etwas darf niemals Realität werden“, wurde zu seiner Lebensmaxime. Er war überzeugt: „Wir, ich, wir alle, müssen für den Frieden kämpfen, ernsthaft und mit vollem Einsatz“.

Diese Überzeugung führte ihn später dazu, als Generalsekretär der KPdSU einen Kurs der Perestroika (Umgestaltung) und Glasnost (Offenheit) einzuschlagen. Sein Ziel war die Realisierung politischer Freiheit, Dezentralisierung und, am bedeutsamsten, die Entwicklung des „neuen Denkens“ mit dem Primat der allgemeinmenschlichen Werte. Er strebte die vollständige Vernichtung aller Atomwaffen bis zum Jahr 2000 an und befreite die Welt vor der akuten Atomkriegsgefahr. Für ihn ging es Russland immer um einen angemessenen Platz in einer neuen Sicherheitsarchitektur, nicht um die Wiederherstellung eines sowjetischen Imperiums, eine Behauptung, die er als „dummes Zeug“ abtat.

Herausforderungen im Umgang mit Gorbatschow
Gorbatschows Vision stieß jedoch nicht immer auf uneingeschränkte Unterstützung. So wurde Bundeskanzler Kohl für seine Äußerung in einem US-Magazin, Gorbatschow betreibe nur PR und sei mit Goebbels vergleichbar, kritisiert. Dies empfand Gorbatschow als Beleidigung für sich und sein Land. Die bilateralen Beziehungen auf höchster Ebene wurden daraufhin eingefroren. Hans-Dietrich Genscher spielte eine Schlüsselrolle dabei, die Beziehungen wieder aufzutauen, indem er dafür plädierte, Gorbatschows Perestroika ernst zu nehmen. Genscher wurde dafür mit Kritik überzogen; es entstand sogar der Begriff „Genscherismus“, der Wachsamkeitsverlust angesichts eines „tückischen Gegners“ bedeutete.

Auch Franz Josef Strauß, ursprünglich skeptisch gegenüber Gorbatschow, entwickelte sich nach mehreren Interviews zu einem „Gorbatschow-Fan“. Der Besuch Gorbatschows in Deutschland im Juni 1989 war ein Schlüsselerlebnis für ihn, da er tief beeindruckt von der Infrastruktur und der warmen Aufnahme durch die Bevölkerung war. Dies trug dazu bei, dass Gorbatschow Deutschland als wichtigsten Partner für seine Reformen ansah.

Das persönliche Vertrauen spielte eine große Rolle. So erinnerte sich Lothar de Maizière, der erste und letzte frei gewählte Ministerpräsident der DDR, an sein erstes Treffen mit Gorbatschow im Kreml. De Maizière überreichte ihm ein Stück Berliner Mauer als Dank für Gorbatschows Worte „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“. Gorbatschow nahm es und fragte: „Sind wir nicht alle zu spät gekommen?“. De Maizière widersprach Gorbatschow auch energisch, als dieser ihn „voll dröhnte“, mit dem Hinweis, die Zeit des „Befehlsempfangs“ sei vorbei, was Gorbatschow anscheinend beeindruckte.

Das Erbe Gorbatschows: Anerkennung und Enttäuschung
Trotz seiner enormen Leistungen, wie der friedlichen Beendigung des Kalten Krieges und der Freilassung ganzer Staaten, erfuhr Gorbatschow besonders in seinen letzten Lebensjahren wenig Anerkennung in Russland. Dort sah man ihn oft als jemanden, der dem Land mehr genommen als gegeben hatte. Auch die deutsche Regierung und Würdenträger zeigten laut einigen Zeitzeugen ein „Armutszeugnis“ im Umgang mit ihm, beispielsweise indem er zu einer Feier zur Deutschen Einheit zunächst eingeladen und dann wieder ausgeladen wurde. Die Chronologie der westlichen Politik, so die Einschätzung, habe maßgeblich den heutigen Putin geschaffen, da man die Jahrhundertgelegenheit einer konstruktiven Einbettung Russlands verpasste.

Gorbatschows persönliche Seite, seine innige Verbindung zu seiner Frau Raisa und seine Fähigkeit, Menschen ernst zu nehmen, selbst ein neunjähriges Mädchen wie Sonja Eichwede, machten ihn zu einer außergewöhnlichen Persönlichkeit. Er setzte sich kämpferisch für den deutsch-russischen Jugendaustausch ein, da er glaubte, dass sich junge Leute durch persönliches Kennenlernen gegen „dummes Geschwätz“ immunisieren können – ein essenzieller Bestandteil der Friedenspolitik.

Gut Gödelitz: Ein Ort des Dialogs und der Verantwortung
Die Familie Schmidt-Gödelitz, deren Vorfahren 1945 aus Gödelitz fliehen mussten, kehrte nach der Wende zurück und erwarb das Gut. Die Mutter krempelte die Ärmel hoch, während der Vater den Verlust des Gutes nie überwand. Der Wiederaufbau, in den die gesamte Familie ihr Erspartes steckte, war eine große Anstrengung.

Axel Schmidt-Gödelitz gründete 1999 das Ost-West-Forum. Zusammen mit seiner Frau Katrin, die nach der Wende ihren leiblichen algerischen Vater fand und später durch die Heirat nach Gödelitz kam, entwickelte er das „Gödelitzer Modell der Biografiegespräche“. Dieses Projekt bringt Menschen zusammen, um sich ihre Lebensgeschichten zu erzählen und Toleranz zu entwickeln. Es hat sich international etabliert, von Polen bis Korea. Katrin Schmidt-Gürditz, die als Dorfschullehrerin nach Sachsen zog, betont, wie wichtig es ist, dass „Menschen mit Menschen reden, um sich kennenzulernen, um sich zu akzeptieren, um sich zu tolerieren“.

Die Erfahrungen im Ost-West-Forum zeigen jedoch auch die tiefen Gräben, die noch bestehen. Bei einer Veranstaltung, bei der Ost- und Westfrauen über ihre Erfahrungen des Mauerfalls sprachen, gerieten sie so heftig aneinander, dass die Organisatorin bemerkte, die Wunden würden „im Augenblick wieder schlimmer werden“.

Das Gut Gödelitz versteht sich als eine Verantwortung vor jährlich rund 3000 Menschen, die es als geistig-politisches Zentrum besuchen. Die Arbeit ist eine „Selbstausbeutung, aber für einen guten Zweck“.

Gegenrede und das Vermächtnis Egon Bahrs
Ein zentrales Thema in Gödelitz ist die Wichtigkeit der Gegenrede und des Perspektivwechsels. Egon Bahr, politischer Ziehvater von Axel Schmidt-Gödelitz, prägte die Überzeugung, dass Friedensfähigkeit die Fähigkeit voraussetzt, sich in die Schuhe des anderen zu versetzen, dessen Interessen zu erkennen und die Vorgeschichte von Konflikten zu verstehen.

Gabi Krone-Schmalz, eine der Autorinnen des Gorbatschow-Buches und ehemalige ARD-Korrespondentin in Moskau, wurde in Gödelitz empfangen, obwohl sie heute in den Medien als „Putin-Versteherin“ weitgehend ignoriert oder angegriffen wird. Sie kritisiert die Verengung der Diskussion und das Fehlen von Gegenrede in den Medien. Ihre Auftritte in Gödelitz waren sehr erfolgreich, und ihr Plädoyer für eine sachliche, faktenbasierte Analyse statt Ideologisierung oder Moralisierung findet großen Anklang. Die Schwester von Axel Schmidt-Gödelitz, die sich inhaltlich nicht mit Krone-Schmalz versteht, beschreibt den Austausch als zivilisiert und „nahezu liebevoll“, da man Argumente austauscht, ohne persönlich zu werden.

In Zeiten zunehmender Polarisierung bleibt Gut Gödelitz ein Leuchtturm des Dialogs, der das Erbe Gorbatschows und Bahrs weiterträgt: den unermüdlichen Kampf für Frieden, Verständigung und die Fähigkeit, die Perspektive des anderen einzunehmen.

Die „Modschützen“ der NVA: Pioniere im modernen Gefecht

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Die motorisierten Schützen, kurz „Modschützen“, der Nationalen Volksarmee (NVA) stellten eine Speerspitze der Landstreitkräfte dar. Ausgestattet mit modernsten Gefechtsfahrzeugen sowjetischer Konstruktion, verkörperten sie die Infanterie der sozialistischen Armeen und waren entscheidend für die Beweglichkeit und Feuerkraft im modernen Gefecht.

Die Bezeichnung „Modschützen“ mag heute ungewöhnlich klingen, doch sie stand für eine hochmoderne Truppengattung, die über Fahrzeuge verfügte, die Transport- und Kampfmittel zugleich waren. Die NVA setzte dabei auf bewährte sowjetische Technik wie den Schützenpanzerwagen (SPW) 60 PB, den SPW 70 sowie den Schützenpanzer (BMP). Diese Fahrzeuge, das „Endglied einer langen Entwicklungskette“, waren darauf ausgelegt, die Anforderungen des modernen Gefechts umfassend zu erfüllen.

Technische Überlegenheit und Feuerkraft
Die „Modschützen“ der NVA profitierten von der überlegenen technischen Ausstattung ihrer Gefechtsfahrzeuge. Der SPW 70, ein achtradgetriebener Schützenpanzerwagen, und der auf Gleisketten rollende BMP (die Abkürzung steht für „Boyevaya Mashina Pekhoty“, zu Deutsch „Gefechtsfahrzeug der Infanterie“) vereinten die Vorzüge eines mittleren Panzers und eines SPW in sich. Beide Fahrzeugtypen konnten im Gelände Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 40 km/h erreichen und so dem Angriffstempo mittlerer Panzer jederzeit folgen.

Besonders beeindruckend war die Bewaffnung. Während der SPW 70 und der SPW 60 PB über ein mittleres und ein schweres MG verfügten, war der BMP deutlich vielseitiger ausgestattet. Er besaß ein MG, konnte Panzerabwehrlenkraketen verschießen und verfügte über eine 73-mm-Kanone für panzerbrechende Geschosse. Diese automatisch geladene Kanone bot eine größere Reichweite als herkömmliche Modelle. Für spezielle Aufgaben wurde sogar eine Variante, der BMP-2, entwickelt, der äußerlich an einer vollstabilisierten 30-mm-Schnellfeuerkanone zu erkennen war. Diese war nicht nur weitreichender und treffsicherer als die des BMP-1, sondern auch effektiv gegen Luftziele.

Ein taktischer Vorteil gegenüber vergleichbaren NATO-Fahrzeugen wie dem deutschen Schützenpanzer Marder war die geringere Bauhöhe. Mit 2,7 Metern (BMP) bzw. 2,32 Metern (SPW) waren die Fahrzeuge der NVA fast einen Meter niedriger, ohne dabei an Leistung einzubüßen.

Mensch und Maschine – Das Herz der Kampfkraft
Trotz aller technischer Raffinesse war klar: Die modernste Gefechtstechnik entfaltet ihren vollen Kampfwert erst in den Händen des Menschen. Jedes Fahrzeug wurde von einer Dreimann-Besatzung – Kommandant, Fahrer und Richtschütze (bzw. Richtlenkschütze beim BMP) – beherrscht. Die Kommandanten und die Fahrer des BMP waren Unteroffiziere, da die „Kampfmaschine“, wie die sowjetischen Genossen den BMP nannten, nicht von heute auf morgen zu beherrschen war.

Besonders die Handhabung der Panzerabwehrlenkraketen erforderte höchste Präzision und intensives Training. Tausende von Trainingsstarts am Simulator waren notwendig, um die Perfektion für das Führen der Rakete zu erwerben und zu erhalten.

Die Modschützen saßen im SPW 70 und im BMP gefechtsgünstig. Über beheizbare Winkelspiegel konnten sie das Gelände beobachten und aus Kampfluken heraus Feuer auf den Gegner führen. Die Waffen wurden dabei in Kugelblenden geführt und die Pulvergase abgesaugt. Der Panzerbüchsenschütze konnte seine Ziele bekämpfen, ohne abzusitzen, besonders Geübte sogar während der Fahrt. Bei Sturmangriffen oder anderen Situationen, die Handlungen zu Fuß erforderten, bot der BMP beim Absitzen weitreichenden Schutz vor gegnerischem Feuer.

Unaufhaltsam im Gelände und im Wasser
Die Vielseitigkeit der SPW und BMP zeigte sich auch in ihrer Fähigkeit, unterschiedlichstes Gelände zu meistern. Ob beim Vordringen in die gegnerische Verteidigung oder bei überraschenden Schlägen – sie bewältigten Steigungen von 30 bis 32 Grad. Ein entscheidender Vorteil war auch die Schwimmfähigkeit aller SPW und SPZ der Streitkräfte des Warschauer Vertrages. Der BMP erreichte dabei bis zu 7 km/h, angetrieben durch seine Gleisketten. Der SPW 70, angetrieben von zwei kräftigen Wasserstrahlturbinen, schaffte sogar 10 km/h und bewährte sich besonders bei Seeanlandungen. Bei widrigem Gelände konnte zudem der Reifendruck gesenkt werden, um die greifende Reifenoberfläche zu vergrößern – eine weitere Überlegenheit gegenüber analoger NATO-Technik.

Zusätzlich konnte sich der BMP mit einer Nebelanlage gegnerischer Sicht entziehen, was seine Überlebensfähigkeit im Gefecht weiter erhöhte.

Die SPW 60 PB und 70 sowie die BMP waren Gefechtsfahrzeuge, die den Modschützen der NVA ihre volle Beweglichkeit unter allen Gefechtsbedingungen garantierten. Sie schützten die Soldaten weitgehend vor gegnerischen Einwirkungen und ermöglichten ihnen die umfassende Erfüllung ihrer Gefechtsaufgaben zusammen mit anderen Waffengattungen. Mit diesen Fahrzeugen waren die Modschützen wahrhaftig „motorisierte Schützen“, die den Anforderungen eines modernen Konflikts voll entsprachen.

Einmalige Fluchtgeschichte: Roland Schreier und die Rückkehr durch den Todesstreifen

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Harpke/Marienborn, 1. Juni 1988 – Es ist der 1. Juni 1988. Ein Mann kriecht in einen Tunnel, doch sein Ziel ist anders als das tausender anderer DDR-Flüchtlinge. Er will nicht von Ost nach West, sondern von West nach Ost. Unter dem Todesstreifen hindurch, um seine Familie nachzuholen. Dieser Mann ist Roland Schreier, und seine Geschichte ist eine einmalige Flucht durch die wohl am besten bewachte Grenze der Welt.

Kindheit im Sperrgebiet – Ein Leben voller Einschränkungen
Roland Schreier wurde 1956 geboren und wuchs in Harpke auf, einem kleinen Ort im Sperrgebiet an der deutsch-deutschen Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. Schon früh lernte er die strengen Einschränkungen kennen: Es gab ein Verbot, sich der Grenze zu nähern, und Freunde von außerhalb durften ihn nicht besuchen. Selbst für Geburtstagsfeiern mussten vier Wochen im Voraus Anträge bei der Polizei gestellt werden, die oft abgelehnt wurden. Trotz dieser repressiven Umgebung fand Roland in Monika seine große Liebe, doch das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, wuchs von Jahr zu Jahr.

Obwohl er seinen Grundwehrdienst als Aufklärer in einer Pioniereinheit ableisten konnte und nicht direkt an der Grenze diente, hörte Roland aus erster Hand von den Gräueln des Todesstreifens. Seine Mutter arbeitete im Ambulatorium und berichtete von Menschen, die bei Fluchtversuchen verletzt wurden, etwa durch Minen oder Selbstschussanlagen. Später arbeitete Roland als Elektriker am Grenzübergang Marienborn, dem größten und am besten kontrollierten Übergang Europas, wo er das Grenzsystem noch besser kennenlernte und die Unüberwindlichkeit des Grenzstreifens verstand.

Die Sehnsucht nach Freiheit und der riskante Plan
Die Geburt seiner Tochter Frauke machte das Glück scheinbar perfekt, doch die Familie sehnte sich nach Freiheit und der Möglichkeit zu reisen. Nach einem Umzug aus dem Sperrgebiet nach Zielitz bei Magdeburg beschlossen Roland und Monika 1981, die DDR zu verlassen. Die Ostpolitik Honeckers im September 1987 brachte Reiseerleichterungen, die den Schreiers die Möglichkeit gaben, einen Plan zu schmieden: Einer sollte im Westen bleiben, einen Ausreiseantrag für Familienzusammenführung stellen, während die anderen in der DDR zurückblieben.

Im Februar 1988 durfte Roland Schreier seine Verwandten im Westen besuchen. Der Abschied von Monika und Frauke war äußerst emotional; er wusste nicht, ob er sie jemals wiedersehen würde. Im Westen angekommen, informierte er seine Familie über seinen Entschluss, nicht zurückzukehren, und schrieb Monika einen Brief mit der Bitte, einen Ausreiseantrag zu stellen.

Druck der Stasi und eine Tochter im Kreuzfeuer
Monika sah sich daraufhin dem Druck der Stasi ausgesetzt. Sie wurde wöchentlich verhört und sollte ihren Mann zur Rückkehr bewegen oder sich scheiden lassen. Doch sie weigerte sich vehement: „Ich denke überhaupt nicht an Scheidung. Warum? Wir wollen als Familie zusammenkommen“. Auch Tochter Frauke litt unter der Situation. In der Schule wurde sie gemobbt, ihre Adidas-Aufkleber wurden abgerissen, und sie musste jeden Morgen die Frage „Frauke, wo ist dein Vater, warum kommt der nicht zurück?“ beantworten. Die Familie war durch Stacheldraht und Soldaten getrennt, und eine Wiedervereinigung schien aussichtslos.

Ein Bach als Weg zur Freiheit – Der Plan durch die Wirbke
Roland suchte verzweifelt nach einem Weg. Fluchthelfer waren zu teuer und über das Ausland war die Kommunikation zu schwierig. Dann erinnerte er sich an die Wirbke, einen Bach, der vom Osten in den Westen floss und den er aus Kindertagen kannte. Er vermutete, dass der Bach unter dem Todesstreifen hindurch durch eine Röhre führte. Diese Röhre sollte der Weg zur Freiheit für seine Familie werden.

Im April 1988 begann Roland, das Grenzgebiet von Niedersachsen aus zu erkunden. Ein Westverwandter überbrachte Monika den Plan: Roland würde die Familie durch den Tunnel holen. Monika, die unter Platzangst litt, war besorgt. Das Codewort für den entscheidenden Anruf war „Wanda“.

Der Probelauf – Ein Kampf ums Überleben unter der Grenze
Am 26. Mai 1988 wagte Roland einen Probelauf, um vom Westen in den Osten und wieder zurück zu gelangen. Er kroch in die Röhre und stieß auf Gitter, die er mit einer Eisensäge durchsägen musste. Nur anderthalb Meter über ihm fuhren Grenzer auf Motorrädern vorbei, ohne ihn in der Dunkelheit zu bemerken. Er sägte 15 Minuten lang, tauchte unter den Gitterstäben hindurch und musste eine kurze Strecke über der Erde zurücklegen, bevor er die nächste Röhre erreichte. Hier entdeckte er eine Selbstschussanlage, der er in letzter Sekunde ausweichen konnte.

In einer vierten Röhre kam es zum Ernstfall: Roland blieb beim Durchtauchen unter einem Gitter mit den Schultern hängen und bekam keine Luft. „Ich dachte schon, ich ersticke“, erinnert er sich. Mit eisernem Willen konnte er sich befreien. Nach fast 700 Metern und dem Überwinden mehrerer Hindernisse erreichte er die DDR-Seite, wo er das letzte Gitter unangetastet ließ, um keine Spuren zu hinterlassen. Auf dem Rückweg verwischte er sorgfältig alle Spuren.

Der Tag der Flucht – „Heute Abend hauen wir ab“
Die Übermittlung des genauen Fluchtdatums und der Uhrzeit an seine unter Beobachtung stehende Familie war kritisch. Beim siebten Versuch gelang es Roland schließlich, Monika telefonisch zu erreichen. Mit dem Codewort „Wanda wollte so gegen ein Uhr, ich wollte ihr dann mal das Grundstück zeigen“ wusste Monika: „Heute Nacht passiert die Sache“.

Am 1. Juni 1988, als Frauke gerade ihre Badesachen packte, teilte Monika ihrer Tochter mit: „Nee, stopp, Frauke, ich muss dir was ganz Wichtiges sagen. Du kannst jetzt nicht ins Freibad heute schwimmen, das geht nicht. Wir hauen heute Abend ab“. Frauke war begeistert: „Boah geil, endlich mal was los, scheiß aufs Freibad, heute Abend hauen wir ab“. Auch Rolands Vater wollte mit in den Westen.

Roland war derweil in Niedersachsen in die Röhre geklettert, Neoprenanzüge für seine Familie im Seesack. Die größte Angst war, dass die von ihm durchgesägten Gitter erneuert worden sein könnten. Doch er hatte Glück: Die Schnittstellen waren noch da, und niemand erwartete ihn. Nach nur einer Dreiviertelstunde erreichte er den Ausgang auf DDR-Seite und sägte das letzte Gitter durch.

Wiedersehen im Todesstreifen und die Flucht durch das Dunkel
Auf der DDR-Seite musste Roland warten. Monika hatte die Zeit falsch eingeschätzt und kam erst kurz vor zwei Uhr an der Röhre an, während Roland bereits um ein Uhr hineingegangen war. Dann sah er Schatten, machte leise Geräusche und wurde schließlich von seiner Tochter Frauke erkannt, die rief: „Papa, Papa, Papa!“. Nach sechs Monaten des Wartens war die Familie wieder vereint.

Sie hatten keine Zeit mehr, die Neoprenanzüge anzuziehen. So lautlos wie möglich kletterten alle in die dunkle Röhre, der Vater voraus. Monika hatte große Angst und krampfte sich vor Platzangst an Rolands Schuhen fest. Roland tauchte immer als Erster durch die Gitter und zog dann seine Tochter und seine Frau nach.

Ankunft in der Freiheit und das „Victory“-Zeichen
Nachdem der Grenzzaun hinter ihnen lag, mussten sie noch etwa 80 Meter auf DDR-Gebiet zurücklegen. Erschöpft und emotional blickten sie noch einmal in die DDR zurück. Kurz darauf trafen sie auf einen Westpolizisten, Ulf Schrader, der sich an die „absolute Ausnahmesituation“ erinnerte. „Wir haben uns alle gedrückt und haben uns beglückwünscht, dass wir das geschafft haben“, so Schrader. Die Familie, total verschlammt, erhielt Jogginganzüge und erlebte eine unglaubliche Freude und Erleichterung.

Die Flucht wurde zur Titelgeschichte in den Medien. Als Reporter Fotos an der Grenze machten, fotografierte die Stasi von der anderen Seite. Roland Schreier hob triumphierend den Arm – „Victory, ihr könnt mich mal“.

Anderthalb Jahre später, am 9. November 1989, fiel die Mauer. Die Schreiers besuchten ihre alte Heimat. Am Grenzübergang Marienborn sagte ein uniformierter Beamter zu Roland Schreier: „Herr Schreier, wir wünschen Ihnen alles Gute und Sie brauchen nicht wieder zurück durch die Röhre“. Eine Erleichterung, die das Ende einer Ära markierte.

Die Schreiers blieben auch nach der Wende im Westen. Fast 900 Menschen kamen beim Versuch, aus der DDR zu fliehen, ums Leben. Mit dem Fall der Mauer wurde diese tödliche Grenze endgültig Geschichte.

Zwischen Warnungen vor der schnellen Einheit und Visionen vom „Dritten Weg“

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Berlin, Frühjahr 1990 – In einer Zeit des Umbruchs, kurz vor der ersten freien Volkskammerwahl der DDR, äußerte sich Gregor Gysi, der Vorsitzende der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), der ehemaligen SED, ausführlich zu den drängendsten Fragen der deutschen Vereinigung und der Zukunft des Sozialismus. Als Kind von Emigranten und „Altkommunisten“ sowie Rechtsanwalt, der Regimekritiker und Oppositionsgruppen wie das Neue Forum verteidigt hatte, sah sich Gysi vor der Aufgabe, eine in Auflösung begriffene Partei neu zu positionieren und dabei auch persönlich viel Feindseligkeit entgegenzutreten.

Warnung vor übereilter Vereinigung und Souveränitätsverlust
Gysi warnte eindringlich vor einer übereilten Vereinigung und insbesondere vor einer zu schnellen Währungsunion. Er betonte, dass die DDR im völkerrechtlichen Sinne zwar noch auf eigenen Beinen stehe, wirtschaftlich und währungspolitisch jedoch wahrscheinlich nicht mehr vollständig.

Für ihn bedeutete der Verlust des eigenen Geldes den Verlust eines wesentlichen Teils der Souveränität. Statt einer sofortigen Währungsunion plädierte er für einen Währungsverbund, der die Souveränität der DDR nicht aufheben, aber wirtschaftlichen Druck mindern und die Effizienz steigern würde. Bürger könnten ihre Einkünfte in frei konvertierbare Währung, auch in D-Mark, tauschen, ohne dass es zu Konkursen oder einer „Amas“-Situation käme. Er schätzte die Erfolgsaussichten seiner Warnungen als unsicher ein und verwies auf die Entscheidung der Wähler am 18. März sowie der Experten.

Gysi sah die Menschen in der DDR nicht einheitlich repräsentiert: Es gebe Demonstranten für eine eigenständige DDR ebenso wie für die sofortige Vereinigung, aber die Mehrheit von 15 Millionen äußere sich kaum. Er vermutete, dass er als „Hindernis bei der sofortigen Annexion der DDR an die Bundesrepublik“ empfunden werde, was ihm Gegnerschaft oder Hass einbringe, womit er aber leben müsse, da er aus politischer Verantwortung handle. Er bezeichnete sich selbst als in die Politik „hineingeschossen“ und nicht „hineingeboren“, ohne Zeit, sich an diese Rolle zu gewöhnen, erhielt aber auch viel Sympathie.

Entmilitarisierung als Schlüssel zur Sicherheit
Ein zentraler Punkt in Gysis Vision für ein vereinigtes Deutschland war die vollständige Entmilitarisierung. Er stellte klar, dass dies nicht bedeuten müsse, sofort aus den jeweiligen Paktsystemen (NATO und Warschauer Pakt) auszutreten. Eine Entmilitarisierung könne auch innerhalb der Bündnisse erfolgen, was bedeuten würde, dass sowohl amerikanische als auch sowjetische Truppen abgezogen werden müssten und die Bundesrepublik wie die ehemalige DDR territorial entmilitarisiert werden müsse. Er hielt es für denkbar, dass zunächst beide Staaten in einer Konföderation Mitglieder ihrer Bündnisse bleiben könnten, aber bei einer späteren Vereinigung die Entmilitarisierung so weit fortgeschritten sein müsste, dass eine Zugehörigkeit zu Militärblöcken sinnlos würde. Er hoffte sogar auf eine Auflösung der Blöcke bis dahin, da der Ost-West-Widerspruch stark abgebaut sei.

Gysi korrigierte die Annahme, der sowjetische Staatspräsident Gorbatschow habe den „Genscher-Plan“ (NATO-Zugehörigkeit der alten Bundesrepublik, Neutralität der ehemaligen DDR) als unseriös bezeichnet. Er selbst habe diesen Plan bei seinem Moskau-Besuch Ende Januar als unseriös und unrealistisch kritisiert, da er zu Problemen der Wehrpflicht und Truppenstationierung in einem geeinten Deutschland führen würde. Er bezeichnete es als stutzig machend, wenn ein Politiker, der die deutsche Einheit wolle, zu keinerlei politischen oder militärischen Kompromissen bereit sei.

Sozialismus als „Dritter Weg“
Für Gysi war der demokratische Sozialismus der PDS ein „reformierter, ökologischer, sozialer Sozialismus“. Der entscheidende Unterschied zum Sozialdemokratismus liege in Eigentumsfragen und Strukturen, genauer gesagt in der Frage der Dominanz gesellschaftlichen Eigentums, also der Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Er betonte jedoch, dass dies nicht alleiniges Eigentum bedeute, sondern auch einen starken privaten Sektor, insbesondere in der Klein- und Mittelindustrie, sowie gemischte Eigentumsformen und Kapitalbeteiligungen in volkseigenen Betrieben.

Ziel sei eine wirkliche Vergesellschaftung im Sinne einer breiten Arbeiterdemokratie mit Mitbestimmung über Produktion, Verteilung und Gewinnbeteiligung, um ein dichtes soziales Netz zu gewährleisten und einen Interessenausgleich sowie Wettbewerb zwischen verschiedenen Eigentumsformen zu schaffen, der den globalen Menschheitsinteressen dient. Er lehnte Zwang zum Glück ab.

In der Frage nach der Priorität von sozialer Gerechtigkeit versus individuellen Freiheitsrechten differenzierte Gysi: Für die Mehrheit der Menschen weltweit sei die soziale Absicherung das Entscheidende, die Chance zum Überleben vor Hunger und Not. Für ihn persönlich, der nie sozial unsicher gelebt habe, spiele die individuelle Freiheit eine größere Rolle, dies sei aber egoistisch betrachtet. Er sah keine Notwendigkeit, Freiheitsrechte zu beschneiden, um den Hunger und die Armut in der Welt zu bekämpfen, solange Freiheit nicht als das Fehlen jeglicher Eingriffe in Vermögensverhältnisse verstanden werde.

Der Umgang mit der Geschichte und persönliche Herausforderungen
Gysi wies die populäre Darstellung der DDR-Geschichte als 40 Jahre der Lüge und des Betrugs entschieden zurück. Er sah darin ein „Unfähigkeitszeugnis“ und ein „Unfreiheitszeugnis“, das das Selbstbewusstsein der Menschen zerstöre. Er forderte eine differenzierte Betrachtung der 40-jährigen Geschichte, die weder komplett verurteilt noch bejubelt werden könne.

Die Rolle als Parteivorsitzender der PDS empfand Gysi als enorme Herausforderung. Er gab zu, die Aufgabe „restlos unterschätzt“ zu haben und in einen Zustand der „fristlosen Überforderung“ geraten zu sein, da er weder den Apparat kannte noch ihm völlig vertrauen konnte. Er überschätzte seine Fähigkeit, den Apparat zu leiten und seine Strukturen schnell zu verändern. Seine Motivation zur Übernahme des Amtes war nicht persönlicher Ehrgeiz, sondern das Gefühl der Solidarität mit einer schwach gewordenen Bewegung, nachdem er zuvor jahrelang Schwache gegen ein starkes System verteidigt hatte. Er hätte das Amt nur abgegeben, wenn er das Gefühl gehabt hätte, nicht mehr von den Erneuerern oder jungen Mitgliedern der Partei getragen zu werden, oder wenn die Partei eine Richtung eingeschlagen hätte, die nicht mehr seine eigene gewesen wäre.

Auf die Frage nach unterschwelligen antisemitischen Stimmungen gegen ihn aufgrund seiner teilweise jüdischen Herkunft und seiner Position als PDS-Vorsitzender („rote Ratte und die auch noch jüdisch“) in den Medien der Bundesrepublik antwortete Gysi, dass es derartige Andeutungen gab, aber persönlich aus der DDR bisher nicht.

Blick in die Zukunft: Der „Dritte Weg“ im Jahr 2000
Gysi blickte optimistisch in die Zukunft und prognostizierte, dass sich die Welt im Jahr 2000 bereits auf dem „Dritten Weg“ befinden werde. Er sah diesen Weg, den demokratischen Sozialismus, als die einzige Lösung für die globalen Menschheitsfragen, da es weder mit dem Kapitalismus noch mit dem stalinistischen Sozialismus so weitergehen könne. Für ihn war dies „die Chance für die Menschheit“.

Ein Vierteljahrhundert deutsch-deutsche Grenze in den 1980ern

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Im August 1986, kurz vor dem 25. Jahrestag des Mauerbaus, strahlte die ARD die WDR-Dokumentation „Entlang der Grenze“ von Heribert Schwan aus. Diese Reportage bot einen schonungslosen Blick auf die innerdeutsche Grenze und die Berliner Mauer – ein Zeitdokument voller Dramatik und historischer Tiefe, das die Realität des „Eisernen Vorhangs“ mitten in den 1980er Jahren in all seinen Facetten beleuchtete.

Die deutsch-deutsche Grenze war weit mehr als eine simple Demarkationslinie; sie war die Grenze zwischen Ost und West, zwischen NATO und Warschauer Pakt. In der Bundesrepublik wurde sie oft emotionalisiert, als eine Trennlinie zwischen Familien wahrgenommen, während ihre globale politische Dimension als Grenze zwischen zwei Weltsystemen oft in den Hintergrund trat. Sie zerschnitt über 30 Eisenbahnlinien, ebenso viele Bundesstraßen, rund 140 Landstraßen sowie Tausende von Gemeinde- und Wirtschaftswegen.

Die physische Realität der Trennung
Die innerdeutsche Grenze, die 1952 als Reaktion auf die sogenannten Westverträge der Bundesrepublik ausgebaut wurde, verschärfte sich kontinuierlich. Mit dem Mauerbau im August 1961 wurden die Grenzanlagen massiv verstärkt und militärähnlich ausgebaut. Das Ergebnis war ein ausgeklügeltes Überwachungs- und Sperrsystem, das an vielen Stellen einem Festungssystem glich.

Typische Grenzanlagen umfassten:

• Metallgitterzäune, oft mit Stacheldraht und Isolatoren als elektrische Signalträger.

• Einen etwa anderthalb Meter tiefen Kraftfahrzeugsperrgraben.

• Den sechs Meter breiten, geeggten Spurensicherungsstreifen, der mit Unkrautvernichtungsmitteln sauber gehalten wurde, um Fluchtspuren schnell zu entdecken.

• Betonierte Kolonnenwege für Grenzstreifen und Alarmgruppen.

• Wachtürme, besetzt mit Grenzsoldaten, und größere Grenzführungspunkte mit elektronischem Überwachungsgerät.

• Betonbunker mit Schießluken, Lichtsperren und Lampen.

Besonders heimtückisch waren die Selbstschussanlagen, die Anfang der 1970er Jahre installiert wurden, und Bodenminen, die bereits seit den 1950ern existierten. Diese Todesautomaten wurden jedoch Ende 1984 bzw. Ende 1985 im Rahmen von Versprechen Erich Honeckers an bundesdeutsche Politiker wieder abgebaut. Trotzdem blieb die Grenze undurchlässig, auch wenn sie „weniger blutig“ geworden war, dank eines fast lückenlosen Frühwarnsystems.

Die Elbe und Berlin: Brennpunkte der Teilung
Flüsse wie die Elbe und Werra waren ebenfalls Teil der Grenze, oft stark verschmutzt durch Industrieabfälle der DDR, was die Umweltverschmutzung als grenzüberschreitendes Problem verdeutlichte. Der genaue Grenzverlauf auf der Elbe war zwischen Ost- und West-Berlin umstritten. Fluchtversuche über Flüsse waren selten erfolgreich und endeten oft tragisch. Ein eindringliches Beispiel ist die Geschichte von Armin Gerbrandt, dessen 19-jähriger Bruder beim Versuch, die Elbe bei Hochwasser zu durchschwimmen, ertrank.

Die Berliner Mauer, 1961 errichtet, war das sichtbarste Zeichen der Trennung. Sie wurde von ihren Erbauern als „antifaschistischer Schutzwall“ bezeichnet, doch für viele war sie eine „schmutzige Schande“ und ein „hässliches Bauwerk“. Ihr Bau beendete die Abwanderung von Millionen Menschen aus der DDR. Die Mauer war praktisch unüberwindbar; seit 1961 wurden 184 Menschen registriert, die auf der Flucht in Berlin ihr Leben verloren.

Mut, Verzweiflung und der „Schießbefehl“
Trotz der brutalen Grenzsicherung gab es immer wieder verzweifelte Fluchtversuche. Die Dokumentation „Entlang der Grenze“ zeigte mehrere dieser dramatischen Ereignisse:

• Ein junger Elektromonteur floh am Checkpoint Charlie nach West-Berlin, indem er rennend einen Hauptmann der DDR-Grenztruppen überlistete, der ihn bis zur Demarkationslinie verfolgte.

• Ein Grenzsoldat entkam, indem er seinen Postenführer überlistete, der „geträumt hat“, und über den letzten Zaun kletterte.

• Ein weiterer Grenzsoldat nutzte die Zeit, die sein Kamerad brauchte, um vom Turm herunterzukommen und das Schloss zu lösen, um die Grenze zu überwinden.

Die DDR-Grenztruppen, die ursprünglich als Grenzpolizei gegründet und später in die Nationale Volksarmee (NVA) integriert wurden, hatten die Aufgabe, „Grenzverletzer zu spüren, festzunehmen oder zu vernichten“. Der „Schießbefehl“ galt weiterhin, auch wenn er im Grenzgesetz von 1982 formeller gefasst war. Flüchtlinge wurden als „Verbrecher“ und „Verräter“ dargestellt, und Grenzsoldaten erhielten Prämien wie Medaillen, Urlaube, Geldpreise (etwa 150 Mark) oder Kaffeemaschinen für Festnahmen. Ein ehemaliger Offizier der DDR-Grenztruppen, Ralf Molter, schilderte diese Praktiken detailliert.

Ein Leben im Schatten der Mauer
Die psychologische Wirkung der Grenze war tiefgreifend. Westdeutsche, die Transitreisen durch die DDR unternahmen, beschrieben ein „seltsames Gefühl“ der Verunsicherung und Angst. Manche fuhren „wie mit Scheuklappen“ schnell durch. Für viele Berliner war die Mauer ein „Riesenpunkt“ im Leben, ein „Faktum“, an das man sich zwar nicht gewöhnen konnte, das aber verinnerlicht wurde. Ein Reisender, der mit der Bahn durch die DDR fuhr, beschrieb trotz der Gewissheit der Sicherheit „wüste Magenschmerzen“ – die Mauer hatte sich „unserem ganzen Leben stark mitgeteilt“.

Prominente Stimmen wie Stefan Heym, Angelica Domröse, Wolf Biermann und Manfred Krug äußerten sich offen über die Teilung und ihre persönlichen Erfahrungen. Die Dokumentation wurde von Wolf Biermanns melancholischen Versen musikalisch untermalt, die die Tragik der deutsch-deutschen Teilung und die Sehnsucht nach Freiheit in bewegende Worte fassten.

Die Frage, ob man „für oder gegen die Mauer ist, oder für oder gegen die DDR“, zeigte die tiefe politische Spaltung. Viele hegten die Hoffnung, die Mauer eines Tages überwinden zu können, sei es aus ökonomischen, kulturellen oder einfach aus dem Wunsch heraus, die Welt zu sehen. Der Wunsch nach einer durchlässigeren, offeneren Grenze und der Rücknahme des Schießbefehls blieb bestehen.

Heribert Schwans „Entlang der Grenze“ dokumentierte ein Stück deutscher Zeitgeschichte, das verdeutlichte: Auch ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerbau war jeder Meter dieser Grenze – im wahrsten Sinne des Wortes – politisch vermint, doch die Sehnsucht nach Überwindung und Freiheit blieb ungebrochen.

Veronika Fischer: Eine Künstlerin zwischen Mauern, Musik und Meinungen

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Seit über 50 Jahren prägt Veronika Fischer die deutsche Musiklandschaft, eine Sängerin, die sowohl auf nationalen als auch internationalen Bühnen zu Hause ist und dabei Ost und West, Erfolg und Widerstände hautnah miterlebt hat. In einem aktuellen Gespräch blickt die Künstlerin auf ein bewegtes Leben zurück, das weit über die reinen Bühnenjahre hinausgeht.

Vom Kind zur Künstlerin: Die frühen Jahre
Veronika Fischers musikalische Reise begann lange vor ihrem offiziellen Bühnenjubiläum. Als dritte Tochter in einer Familie, in der Hausmusik großgeschrieben wurde, entdeckte sie früh ihre Liebe zur Musik – angeregt von ihrer Mutter. Schon mit neun Jahren sang sie bei Auftritten der „Geschwister Fischer“ und spielte zunächst kein Instrument, da sie die „kräftigste Stimme“ hatte. Ihre musikalische Ausbildung begann im Alter von 16 Jahren, als sie zur Aufnahmeprüfung an die Musikschule nach Dresden reiste. Mit 17 Jahren begann sie ihr Musikstudium und kam so auch mit der Klassik in Berührung.

Der kometenhafte Aufstieg und die Schattenseiten des DDR-Systems
Ein kometenhafter Aufstieg begann für Veronika Fischer im Jahr 1975, als ihre erste Platte über 500.000 Exemplare verkaufte – eine Zahl, die sich im Laufe der Jahre noch erhöhte. Auszeichnungen, ausverkaufte Konzerte und unzählige Tourneen prägten diese Zeit. Die Band spielte bis zu 250 Konzerte im Jahr, ein immenses Pensum, das als „sehr erschöpfend“ beschrieben wird.

Doch der Erfolg hatte seine Schattenseiten, besonders im Kontext der DDR. Die „Generaldirektion für Unterhaltungskunst“, Anfang der 70er Jahre gegründet, sollte Künstler politisch führen. Musiker hatten zwar keine Probleme mit Ost und West, da es nur um Können ging, doch das System versuchte, Einfluss zu nehmen. Angebote für politisch geprägte Songs wurden abgelehnt, was das Gefühl des „Eingesperrtseins“ verstärkte. Künstler wie Fischer wurden nicht an Plattenverkäufen beteiligt, obwohl ihre Promotion die Verkaufszahlen ankurbelte.

Ein einschneidendes Ereignis war der Weggang ihres Pianisten Franz Josef Teichmüller am 16. Juni 1980 in West-Berlin, bei einem Konzert, von dem „nicht alle wieder in die DDR zurückkamen“. Dies führte dazu, dass Veronika Fischers Repertoire in Frage gestellt und viele Songs auf den Index gesetzt wurden. Sie fühlte sich „arbeitslos“ und vermutet, dass man sie „loswerden wollte“. Das System der DDR nutzte zwar die „Unternehmen“ der Künstler gerne finanziell, verbot aber gleichzeitig „kapitalistische Methoden“.

Der Höhepunkt der Repression war ein sogenanntes Abschiedskonzert am 24. März 1981 im Ost-Berliner Kino Kosmos. Die Stasi erfuhr erst kurz vorher davon und versuchte, Provokationen zu verhindern, indem sie Hunderte von Menschen aus der Mongolischen Volksrepublik in den Saal setzte, während ein großer Teil ihres eigentlichen Publikums draußen bleiben musste. Nach diesem Erlebnis wurde die Situation für Veronika Fischer „unerträglich“, und sie verließ das Land.

Brücken bauen und neue Herausforderungen im Westen
Der Übergang in den Westen war nicht ohne Schwierigkeiten. Veronika Fischer unterschrieb einen Vertrag mit WEA, was ihr jedoch das Visum für den Westen nicht erlaubte und die Verbindungen zu den DDR-Kulturbehörden endgültig kappen musste. Im Westen fühlte sie sich oft als „zweite Garde“, da deutschsprachige Künstler hinter internationalen Stars wie Madonna zurückstehen mussten. Alben wie „Staunen“ entsprachen nicht ihrer „Herzenssache“, und sie hatte Probleme mit den kommerziell ausgerichteten Texten. Sie suchte bewusst die Zusammenarbeit mit „nicht angepassten“ Musikern wie Christian Kunert von Renft und Gerulf Pannach, die ihre Meinung sagten und „der Wahrheit näher waren“.

Der Mauerfall als Freiheitssymbol
Der Fall der Mauer am 9. November 1989 war ein „historischer Moment“ für Fischer. Kurz darauf kehrte sie nach Dresden zurück und erlebte eine emotionale Wiederbegegnung mit ihrem Publikum in der Semperoper. Minutenlange stehende Ovationen empfingen sie, die von vielen als „verlorene Tochter“ und „Freiheitssymbol“ wahrgenommen wurde – als erste Künstlerin, die nach ihrem Weggang wieder einreisen durfte.

Kritik an der modernen Musikindustrie und Gesellschaft
Veronika Fischer blickt kritisch auf die heutige Musikszene. Sie schaltet kaum noch Radio ein, weil der „Einheitsbrei“ ihr in den Ohren wehtut. Sie beklagt, dass Stars heute „künstlich erstellt“ und finanziert werden, und dass Qualität in den Medien kaum noch eine Rolle spielt. In Deutschland gebe es kaum noch Differenzierung, stattdessen nur eine „Schlagerwelt“. Auch die Corona-Pandemie war für die Kulturbranche ein „großer Bruch“, ein „Berufsverbot“ für Künstler, das viele an den Rand der Existenz oder sogar darüber hinaus trieb. Sie spricht von einer politischen Haltung, die besagt: „Kultur interessiert nicht“.

Persönliche Überzeugungen und Zukunftspläne
Veronika Fischer äußert sich auch zu persönlichen Überzeugungen, insbesondere zur Corona-Pandemie. Sie bezeichnet die Impfung als „Verbrechen“ und ist entsetzt über die Auswirkungen auf viele Menschen, die seither ständig krank seien. Diese Haltung führte auch zu „schmerzlichen Trennungen“ in ihrer Familie und im Freundeskreis.

In den letzten zehn Jahren hat sich Fischer nach eigener Aussage auch stark spirituell weiterentwickelt. Ihr jüngstes Album „Woher Wohin“ hat einen stark spirituellen Hintergrund, bei dem „nur die Liebe heilt“. Nach einer gesundheitlichen Krise fand sie durch geistiges Heilen und die Unterstützung ihres Partners Mario, der sich damit beschäftigt, wieder zu Kräften.

Obwohl sie sich langsam aus dem Rampenlicht zurückzieht und nicht mehr 25 bis 30 Lieder pro Konzert singen möchte, plant Veronika Fischer weiterhin aktiv zu bleiben. Sie möchte in kleineren Formaten, etwa mit Lesungen und Musik zusammen mit Andreas Bicking, nah an ihrem Publikum bleiben und weiterhin ihre Botschaften teilen. Ihr Leben ist ein Zeugnis von Anpassungsfähigkeit, Stärke und der unerschütterlichen Kraft der Musik.

Das tragische Schicksal von DDR-Größen nach der Wende

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Wenn wir heute auf die glänzende Leinwand des deutschen Films zurückblicken, sehen wir Gesichter, die einst Millionen Menschen bewegten, Namen, die in großen Lettern auf Plakaten prangten und Stars, die als Stolz einer Nation galten. Doch hinter dem Scheinwerferlicht lauerte oft ein Abgrund, den nur wenige wahrhaben wollten: Viele dieser einst geliebten und gefeierten Schauspieler, Musiker und Kulturschaffenden endeten in Armut, Krankheit oder Vergessenheit. Es ist ein bitterer Kontrast zwischen dem Ruhm der Jugend und der trostlosen Einsamkeit des Alters, der uns mahnt, genauer hinzuschauen. Die Wende, die Hoffnung versprach, wurde für viele zum Bruch – beruflich, seelisch, menschlich.

Einer dieser Namen ist Rolf Römer (1935-2000), einst einer der markantesten Köpfe des DEFA-Kinos und Symbolfigur des ostdeutschen Films, bekannt aus Klassikern wie „Die Söhne der Großen Bärin“. Nach seiner offenen Kritik an der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann wurde er systematisch aus dem Kulturbetrieb ausgeschlossen. Engagements blieben aus, seine Karriere kam abrupt zum Stillstand, und der einst gefeierte Schauspieler wurde zum Außenseiter. Rückzug und Frustration bestimmten seine letzten Jahre, bis er im Jahr 2000 unter tragischen Umständen bei einem Unfall mit Chemikalien in seinem Haus starb – ohne große Presse, ohne letztes Rampenlicht.

Auch Heinz Drewniok litt unter den Folgen der Wende. Als vielseitiger Künstler, Schauspieler, Regisseur, Drehbuchautor und Journalist galt er in der DDR als kreativer Kopf mit politischem Gespür. Doch mit der Wende kam der Bruch: Die Bühnen verschwanden, die Nachfrage erlosch. Drewniok suchte Zuflucht im Journalismus, schrieb für kleinere Zeitungen und kämpfte mit prekären Verhältnissen und der Unsicherheit eines Neuanfangs. Ruhm wich Unsichtbarkeit. Er verstarb 2011 nach einer Krebserkrankung zurückgezogen, fern von Kameras und Scheinwerfern, ohne mediale Aufmerksamkeit oder Nachrufe in den großen Zeitungen.

Ein Ausnahmetalent auf den Bühnen der DDR war Dieter Franke (1935-1982). Ob als Mephisto oder Adam Kowalski, er brillierte mit einer Präsenz, die Publikum wie Kritik gleichermaßen in ihren Bann zog. Doch Krankheit kennt kein Mitleid mit Ruhm. In seinen letzten Lebensjahren zog sich Franke geplagt von schwerer Krankheit und innerer Erschöpfung zunehmend in Isolation zurück. 1982 starb er allein, fernab der Bühnen, die er einst mit Leben füllte, ohne großes Gedenken.

Dean Reed (1938-1986) war eine schillernde Figur – ein Amerikaner, der freiwillig in die DDR zog und dort zum Popstar, Schauspieler und politischen Symbol wurde. Er sang Lieder über Frieden und wurde sowohl im Osten als auch im Westen bestaunt und misstraut. Doch hinter dem lächelnden Charmeur verbarg sich eine tief zerrissene Seele. Seine politischen Überzeugungen isolierten ihn, seine Ehe zerbrach, und sein Stern verblasste. Am 13. Juni 1986 wurde seine Leiche im Zeuthener See gefunden. Offiziell ein Unfall, doch viele sprachen von Suizid oder einem politischen Komplott. Dean Reed starb als gebrochene Figur zwischen den Fronten der Systeme, sein Mythos verschluckte ihn.

Holger Biege war mit gefühlvollen Liedern wie „Sagte mal ein Dichter“ die Stimme einer Generation und prägte die Musikkultur der DDR. Nach dem Fall der Mauer versuchte er im Westen Fuß zu fassen, doch die Musiklandschaft hatte sich gewandelt, die große Bühne blieb ihm verwehrt. Ein schwerer Schlaganfall raubte ihm seine Sprache und Ausdruckskraft, sein wichtigstes Instrument. Er lebte fortan körperlich eingeschränkt und auf Hilfe angewiesen. Am 25. April 2018 starb er beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit; sein Name verblasste, seine Musik wurde leiser.

Ähnlich erging es Thomas Lück (1943-2019), einem der populärsten Schlagersänger der DDR, dessen Stimme, Charisma und verschmitztes Lächeln ihn zum Liebling eines Millionenpublikums machten. Nach der Wende wurde es still um ihn; Engagements wurden seltener, das Interesse der Medien versiegte. Lück zog sich zurück, lebte bescheiden in Lebus. Als Hautkrebs diagnostiziert wurde, kämpfte er tapfer, doch die Krankheit ließ ihm wenig Raum. Am 22. Oktober 2019 verstarb Thomas Lück im Schatten der Erinnerung, sein Tod ging in der Öffentlichkeit nahezu unter.

Auch wenn Gert Poppe (1936-2025) kein Schauspieler im klassischen Sinn war, war seine Rolle im „Theater der deutschen Geschichte“ bedeutend. Als Bürgerrechtler und Politiker gehörte er zu den lautesten Stimmen gegen das SED-Regime, wurde überwacht, schikaniert und gesellschaftlich geächtet. Nach der Wende zog er für Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag ein, doch der Glanz politischer Anerkennung blieb ihm versagt. Er arbeitete weiter im Stillen für Menschenrechte, abseits der Öffentlichkeit. Als er verstarb, gab es zwar wohlwollende Nachrufe, doch sein jahrzehntelanger Einsatz war vielen längst entglitten.

Fred Delmare war das Gesicht zahlloser DEFA-Produktionen, mit über 200 Filmrollen einer der meistbeschäftigten Schauspieler der DDR, stets präsent und markant. Doch auch sein Ruhm verging schnell. Im Alter erkrankte er an Alzheimer, verlor nach und nach sein Gedächtnis und damit die Erinnerung an ein ganzes Künstlerleben. Seine letzten Jahre verbrachte er in einem Pflegeheim. Als er 2009 starb, war er längst vergessen von der Welt, der er einst so viele Gesichter geschenkt hatte – kein Aufschrei, kein großes Gedenken.

Eberhard Esche (1923-2006), ein Gigant des DDR-Theaters und Mitglied des legendären Berliner Ensembles, verkörperte Figuren mit einer Wucht und Intelligenz, die ihn zur moralischen Instanz seiner Zeit machten. Esche war unbequem, sprach unbequeme Wahrheiten aus. Doch mit dem Systemwechsel kam die Stille. Die neuen Bühnen interessierten sich wenig für alte Gesichter, seine Auftritte wurden seltener, seine Stimme leiser. Er zog sich zurück, lebte von Lesungen und kleinen Auftritten. Als er 2006 an Krebs starb, würdigten ihn nur wenige Medien. Der einst gefeierte Intellektuelle war in einem Land, das sich neu erfand, ohne Platz geblieben.

Schließlich Erwin Geschonneck (1906-2008), eine lebende Legende des ostdeutschen Films, der mit über 100 Filmrollen das DEFA-Kino über Jahrzehnte prägte. Seine Lebensgeschichte war geprägt von Widerstand, Verfolgung durch die Nazis, Exil und schließlich einer Karriere in der DDR. Doch das lange Leben trug auch das Gewicht des Vergessens. In den letzten Jahren zog sich Geschonneck aus der Öffentlichkeit zurück; sein Name verschwand aus den Schlagzeilen, seine Filme wurden selten gezeigt. Am 12. März 2008 starb er mit 101 Jahren fast unbemerkt von einer Gesellschaft, die sich längst anderen Helden zugewandt hatte.

Zehn Schicksale, zehn stille Abschiede. Diese Künstler prägten Generationen, doch starben im Schatten. Ruhm verflog, Rollen blieben aus, und am Ende blieb oft nur das Vergessen. Es ist ein stiller Nachruf und der Versuch, die Erinnerung wachzuhalten – nicht aus Nostalgie, sondern aus Respekt. Denn wer uns einst bewegte, verdient nicht, in Vergessenheit zu geraten.