Havanna, Kuba – Rostige Oldtimer aus den 1950er Jahren, zerfallene Ruinen und tägliche Stromausfälle prägen das Bild Kubas, einer Insel, auf der die Zeit seit 60 Jahren fast völlig stillzustehen scheint. Zwischen Traumstränden und lebensfrohen Menschen entfaltet sich hier eine Realität, in der der staatliche Monatslohn von etwa 15 Euro kaum für Grundnahrungsmittel reicht und Ladenregale oft leer bleiben. Kuba gilt als eine der letzten großen Bühnen des real existierenden Sozialismus, regiert von der Kommunistischen Partei als einziger zugelassener Partei, die fast alle Lebensbereiche kontrolliert.
Ein Alltag voller Mangel und Improvisation
Die 10 Millionen Einwohner der größten Karibikinsel, mit der Hauptstadt Havanna, leben in einer Umgebung, die wie aus einem anderen Jahrhundert wirkt. Häuserfassaden sind verbarrikadiert, Gebäude sind Ruinen, in denen noch Menschen wohnen, und abgebrochene Gebäudeteile werden kreativerweise als Balkone genutzt. Die Kunst des Improvisierens ist tief in der kubanischen Mentalität verankert, erkennbar an fehlenden Autoteilen, Tauschhandel mit Lebensmitteln oder selbstgebauten Lampen aus Autobatterien.
Der Großteil der Autos sind Oldtimer – sowohl amerikanische als auch sowjetische Marken wie Lada oder Moskvich – die oft mit platten Reifen und offenen Fenstern am Straßenrand stehen. Moderne Autos sind eine Seltenheit und können sich nur die Allerreichsten leisten. Tanken ist extrem kompliziert: Für die breite Masse gibt es Benzin nur nach Terminreservierung, während an „Reichentankstellen“ in US-Dollar bezahlt wird und der Liter Benzin drei- bis viermal so viel kostet. Viele Autos bleiben mitten auf Kreuzungen liegen, weil der Tank leer ist oder es andere Probleme gibt.
Wirtschaftliche Herausforderungen und Schwarzmärkte
Ein Großteil der Kubaner arbeitet für den Staat, wobei der durchschnittliche Monatslohn im Jahr 2024 bei etwa 5800 Pesos lag, umgerechnet knapp 15 Euro. Dieser Lohn reichte früher zum Leben, heute kaum noch für ein paar Kilo Fleisch. Viele suchen sich daher Nebenverdienste im Tourismus; so verdient ein Taxifahrer mit einer einzigen Fahrt vom Flughafen in die Stadt mehr als ein Arzt im Monat. Überleben sichern auch Geldsendungen von ausgewanderten Kubanern.
Der offizielle Wechselkurs zwischen US-Dollar und kubanischem Peso wird künstlich stabil gehalten und ist nahezu wertlos. Auf dem Schwarzmarkt hingegen erhält man fast das Vierfache des offiziellen Kurses, weshalb fast jeder sein Geld dort wechselt, oft bei Taxifahrern oder Hotelpersonal.
Die Ladenregale stehen leer, und die Schlangen vor Apotheken, Banken und Tankstellen sind endlos. Das US-Embargo, das seit über 60 Jahren besteht, lähmt Kubas Wirtschaft massiv und trägt maßgeblich zu den leeren Apothekenregalen bei. Viele Medikamente sind nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich.
Auch der Kauf von Lebensmitteln ist schwierig. Die staatlichen „Bodegas“ geben Essen zu symbolischen Preisen aus, wie Reis für 6 Pesos, während er auf dem Schwarzmarkt 300 Pesos kostet – das Fünfzigfache. Jeder Bewohner hat ein „Libreta“ (Heftchen) mit festgelegten monatlichen Mengen zum Abholen, doch diese reichen kaum zum Überleben. Viele weichen auf teure Importshops oder kleine private Läden aus. Sogar Coca-Cola wird aufgrund des Embargos offiziell nicht verkauft; stattdessen gibt es die kubanische Eigenmarke „TuKola“.
Infrastruktur und Information im Wandel
Die Stromausfälle passieren täglich, oft ohne Vorwarnung. Viele Kraftwerke sind alt und unzuverlässig, Öl und Ersatzteile fehlen. Im März 2025 kam es zu einem landesweiten Totalblackout, der Fabriken stilllegte, Wasserpumpen, Ampeln und Tankstellen ausfallen ließ, Krankenhäuser auf Notstrom reduzierte und Medikamente verderben ließ.
Mobiles Internet wurde erst 2018 eingeführt. Zuvor war der Zugang zum Internet über „El Paquete“ möglich: USB-Sticks, wöchentlich auf dem Schwarzmarkt mit neuesten Filmen, Nachrichten und YouTube-Videos gefüllt, die offline landesweit von Boten verteilt wurden – ein „Internet ohne Internet“, das vom Staat stillschweigend toleriert wurde. Einer der ersten WLAN-Hotspots für die breite Bevölkerung wurde erst 2015 in einem Park eröffnet.
Armut und menschlicher Zusammenhalt
In vielen Ecken der Städte sieht man viel Müll auf den Straßen, und Pfützen sind grün. Ein Großteil Kubas lebt in extremer Armut; 2024 gaben nur 15% der Kubaner an, regelmäßig drei Mahlzeiten am Tag essen zu können. Viele Menschen betreiben „Buseo“, das spanische Wort für „tauchen“, was bedeutet, dass sie den Müll nach Essensresten oder verkaufbaren Gegenständen durchsuchen.
Trotz der schwierigen Lebenssituation sind die Menschen oft super offen, haben eine gute Energie und suchen den Kontakt. Die Fähigkeit zur Improvisation ist eine Notwendigkeit: So bauen Manuel und seine Freunde Sperrfischpistolen mit einfachsten Mitteln, um Fische zu fangen. Ein Beispiel für die prekären Wohnverhältnisse zeigt sich in Havanna, wo in einer riesigen Hausruine über 40 Familien leben, während auf der anderen Seite des Gebäudes bereits Böden durchgebrochen und Schutt liegt.
Historische Wurzeln der Gegenwart
Die Ursachen für die heutige Situation liegen tief in der Geschichte des Landes. Nach der Kolonialisierung durch Spanien ab 1492 und der Auslöschung der indigenen Bevölkerung wurden afrikanische Sklaven zur Zucker- und Tabakproduktion nach Kuba verschleppt. Nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898 wurde Kuba zwar offiziell unabhängig, die USA diktierten jedoch die Regeln, amerikanische Konzerne kontrollierten die Zuckerexporte und US-Mafiosi den Tourismus, was zu extremer Ungleichheit führte.
Diese Ungleichheit eskalierte in den 1950er Jahren unter Diktator Batista, bis Fidel Castro und Che Guevara mit ihren Guerillatruppen 1959 das Regime stürzten. Castro übernahm die Macht und läutete 1961 die sozialistische Ära ein: Unternehmen wurden verstaatlicht, Großgrundbesitzer enteignet, Bildung und Gesundheitsversorgung kostenlos, während Reisen ins Ausland kaum mehr möglich und die Medien staatlich kontrolliert waren.
Kuba wurde Partner der sozialistischen Sowjetunion und damit Gegner der USA. Dies führte 1962 zur Kubakrise, bei der sowjetische Atomraketen nur 150 km vor Florida stationiert wurden und die Welt am Rande eines globalen Atomkriegs stand.
Der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 war ein harter Schlag für Kuba, da der Hauptsponsor mit jährlichen Milliardenhilfen wegfiel. Fabriken standen still, Stromausfälle und Hungerkrisen wurden Alltag, was die heutige Situation maßgeblich prägt.
Inmitten dieses Alltags voller Mangel und Stillstand sind es die Menschen, die ihr Lachen nicht verlieren. Wann die Uhr in ihrem Land wieder richtig anfängt zu ticken, kann nur die Zukunft zeigen.