Am 7. Oktober 1989 feierte Erich Honecker, umgeben von einem Fackelzug der FDJ, den 40. Geburtstag der Deutschen Demokratischen Republik. Es war ein „Staatsschauspiel mit herbeibefohlenen Darstellern unter Bewachung“. Doch hinter der glänzenden Fassade brodelte es gewaltig: „Hochmut vor dem Fall“ – die DDR war in Aufruhr, und selbst viele der Gratulanten jubelten nicht Honecker zu, sondern ihrem Hoffnungsträger Gorbatschow. Die Menschen sehnten sich nach „Reisen, Freiheit, raus aus [den] Grenzen“. Dies war das Ende einer Geschichte, die genau 40 Jahre zuvor begonnen hatte.
Vom FDJ-Chef zum Architekten der Mauer
Erich Honecker, Sohn eines Bergarbeiters aus dem Saarland, war ein eifriger Funktionär und der Organisator des Fackelzugs zur Gründung der DDR. Als Ziehsohn Walter Ulbrichts machte er unaufhaltsam Karriere und wurde 1958 zum Sekretär für Sicherheitsfragen ernannt, zuständig für Militär, Polizei und Stasi. Praktisch war er „faktisch der zweite Mann in der Partei“.
Seine „Feuerprobe“ kam im Sommer 1961, als täglich Hunderte den Ostteil Berlins verließen und die DDR „ausblutete“. Unter höchster Konspiration beauftragte Ulbricht seinen Sicherheitssekretär Honecker heimlich mit den Vorbereitungen zur Sperrung der Sektorengrenze in Berlin. Am Abend des 12. August 1961 wurde bekannt, dass ein Stab unter Erich Honeckers Leitung die Grenzschließung um Mitternacht vollziehen würde. Die DDR-Staatsmacht marschierte auf. Für Bürger wie Doris Mondstein, die kurz zuvor noch aus dem Osten zurückgekehrt war, war nichts Ungewöhnliches zu bemerken. Doch die Kampfgruppen der Arbeiterklasse wurden mobilisiert, um die Schließung der Grenze gemeinsam mit der Polizei durchzuführen.
Die Mauer war Honeckers „Gesellenstück“. Sie wurde „praktisch gebaut für die Ewigkeit“ und markierte für viele Jahre die Trennung von Familien. Doris Mondstein konnte ihre Mutter und Schwester nur aus der Ferne sehen, ein kurzer Blick, oft unter Tränen und mit Angst vor der Polizei.
Honeckers Reich und die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“
Ab 1971 war die DDR „Honeckers Reich“, nachdem er seinen Ziehvater Ulbricht beiseitegeschoben hatte. Er galt als Politiker „erheblichen Kalibers“, der im kleinen Kreis die Zügel fest in der Hand hatte. In den 70er Jahren startete er eine Charmeoffensive im Westen, die zur internationalen Anerkennung der DDR führte. Er glaubte, Politik für das arbeitende Volk zu machen: eine sichere Wohnung, Arbeit, Kleidung und Essen – das war für ihn Sozialismus. Sein Credo war die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“: Wohltaten für das arbeitende Volk, vor allem neue Wohnungen, die bis 1990 das „drückende Wohnungsproblem“ lösen sollten. Der Slogan lautete: „Ich leiste was, ich leiste mir was“.
Doch diese scheinbare Öffnung und der „Hauch von Freiheit“ waren nur ein „schöner Schein von Liberalität“, der keine wirkliche demokratische Öffnung zuließ.
Widerstand und Repression
Trotz der Wohltaten stießen viele Bürger an die Grenzen des Staates. In Jena entstand in den 70ern ein Freundeskreis unter dem Dach der Kirche, der ein freies Leben wollte und sich dem „Gängelband der Staatsführung“ entzog. Roland Jahn, der wegen seiner Meinung von der Universität geflogen war, begann mit politischen Aktionen. Das Regime reagierte mit „massiven Zugriffen der Polizei“ und Stasi-Überwachungen.
Ein tragisches Beispiel war der Freund Jahns, Matthias Domaschk, der 1981 unter ungeklärten Umständen in Stasi-Haft ums Leben kam. Angeblich war es Selbstmord durch Erhängen, aber für seine Freunde war es ein Schock, der zeigte, dass es um „Leben oder Tod“ ging. Jahn selbst wurde zum Staatsfeind und 1983 gewaltsam aus seiner Heimat vertrieben.
Die Grenze zur BRD blieb ein tödliches Risiko. Silvio Proksch, ein Ost-Berliner, wagte 1983 die Flucht und wurde von sieben Schüssen in den Unterleib getroffen. Seine Familie wurde verhört und belogen; erst nach der Wende erfuhren sie von seinem Tod. Der Tod Silvios war ein Trauma, das seine Mutter und seinen Bruder Carlo nie verkrafteten. Die deutsch-deutsche Grenze forderte fast 1.000 Opfer.
Die Krise verschärft sich
Honeckers Sozialpolitik war zu teuer. Mieten waren extrem niedrig, Südfrüchte wurden gegen Devisen eingeführt, und Brot war so billig, dass es als Tierfutter genutzt wurde. Die Bausubstanz verfiel, da die Mieten die Kosten nicht deckten. Trotzdem hielt Honecker an seinem Kurs fest. Kritiker wie Planungschef Gerhard Schürer, die die Überforderung der Wirtschaft anmahnten, wurden bedroht und zum Schweigen gebracht. Honecker glaubte an den Sieg des Sozialismus und an eine endlose Kreditaufnahme: „Schulden, Schulden, Schulden… das Kapital finanziert mit seinen Anleihen unser Wirtschafts- und Sozialpolitik“.
1983 half ausgerechnet der antikommunistische bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß der DDR mit einem Milliardenkredit aus der Bredouille. Im Gegenzug wurden die Selbstschussanlagen an der Mauer abmontiert, doch Honeckers Befehl, rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, blieb in Kraft.
Die letzten Zuckungen des Regimes
Im Jahr 1987, während Honeckers offiziellem Besuch in der Bundesrepublik, erließ er eine Amnestie für politische Häftlinge, um „gutes Wetter zu machen“. Gleichzeitig wurde in Dresden der „Olof-Palme-Friedensmarsch“ von Bürgerrechtlern genutzt, um unter staatlicher Duldung Forderungen nach Freiheit zu stellen. Doch die Staatssicherheit nutzte diese Ereignisse, um einen „Enthauptungsschlag“ gegen die Bürgerrechtsbewegung zu planen.
Im November 1987 überfiel die Stasi die Umweltbibliothek in der Zionskirche, ein „Nest mit ungeahntem Zuspruch“, in dem sonst geheime Umweltdaten verbreitet wurden. Doch im Gegensatz zu ihren Erwartungen führte die Verhaftung zu Mahnwachen und internationaler Aufmerksamkeit, auch dank der Unterstützung von Roland Jahn aus West-Berlin, der Bücher, Druckmaschinen und Kameras in den Osten schickte, um die Opposition zu unterstützen und sie in den westlichen Medien sichtbar zu machen. Die Staatsmacht musste nach wenigen Tagen einlenken und die Verhafteten freilassen.
Die katastrophale Umweltsituation, etwa in Espenhain bei Leipzig, wo die Lebenserwartung deutlich unter dem Durchschnitt lag und Kinder krank waren, zeigte den Verfall des Landes. Doch Honecker verschloss die Augen vor der Realität, auch als sich in Moskau unter Gorbatschow der Wind drehte. Für Honecker war die DDR sein Lebenswerk, und er lehnte Gorbatschows Reformen ab.
Der Damm bricht
Im Sommer 1989 öffnete Ungarn seine Grenzen und ließ DDR-Bürger ziehen, der „Damm [war] gebrochen“. Tausende flüchteten in die bundesdeutsche Botschaft in Prag. Honeckers Entscheidung, die Züge mit den Flüchtlingen durch die DDR nach Westen fahren zu lassen, verschärfte die Lage dramatisch. Am 4. Oktober 1989 kam es zu dramatischen Szenen am Dresdner Hauptbahnhof, wo Tausende ausreisen wollten. Die Polizei ging rücksichtslos vor, und viele Demonstranten verschwanden in Polizeikasernen und Gefängnissen. Ein Zeuge berichtete, wie er in ein Spalier von Wachorganen laufen und von allen Seiten geschlagen wurde.
Doch die Bewegung ließ sich nicht aufhalten. Am 9. Oktober 1989 war in Leipzig wieder eine Montagsdemonstration angekündigt. Die Stadt war voll von Militär und Polizei, die Angst vor einem Blutbad war allgegenwärtig. Siegbert Schefke, der mit seiner Kamera vor Ort war, betete, dass keine Schüsse fallen würden. 70.000 Leipziger gingen auf die Straße – und die Staatsmacht schoss nicht. Dieser Moment, diese „gespenstische Ruhe“, war ein Wendepunkt. Die geplante „große Abrechnung des Staates mit seinen Bürgern“ blieb aus. Die Bilder aus Leipzig gingen um die Welt.
Nur eine Woche später drängten Honeckers eigene Genossen ihn zum Rücktritt. „Er hat die Realität verleugnet, hat nicht begriffen, dass die Zeichen der Zeit anders stehen“, so ein Beobachter.
Die Mauer überdauerte seine Herrschaft nur um wenige Tage. Als sie fiel, war es eine „Euphorie“, ein „Befreiungsschlag“, ein „Taumel“, ein Gefühl, das „einfach wunderbar“ war.