Alltag in Berlin-Friedrichshagen 1987: Ein Blick in das Leben im Osten der Stadt

Berlin-Friedrichshagen im Jahr 1987 – ein Stadtteil im Osten der geteilten Stadt, geprägt von sozialistischem Alltag, kleinen Geschäften und historischer Architektur. Ein Video des Westfernsehens gewährt einen seltenen Einblick in das Leben der Menschen und die wirtschaftlichen Strukturen dieses besonderen Viertels.

Die Kaufhalle – Versorgungszentrum des Stadtteils
Das Zentrum des täglichen Bedarfs in Friedrichshagen war die Kaufhalle. Hier deckten täglich tausende Kunden ihre Grundbedürfnisse an Lebensmitteln und Haushaltswaren. Mit einem standardisierten Sortiment bot sie alles für den Alltag – von Brot und Milch bis hin zu Obst und Gemüse, das oft aus den Gärten der Anwohner stammte. Während Grundnahrungsmittel preiswert waren, fiel das allgemeine Preisniveau für viele überraschend hoch aus. So kosteten 100 Gramm Wurst eine Mark, ein Dutzend Eier 3,48 Mark und eine Flasche Schnaps zwischen 15 und 20 Mark. An den Kassen arbeiteten meist junge Frauen, die mit FDJ-Emblemen ihre Zugehörigkeit zur sozialistischen Jugendorganisation zeigten.

Die Bölschestraße – Das Herz von Friedrichshagen
Die Bölschestraße, die zentrale Hauptstraße Friedrichshagens, war und ist ein lebendiger Ort des sozialen und wirtschaftlichen Lebens. Kleine Geschäfte prägten das Straßenbild und versorgten die Anwohner mit allem Notwendigen. Besonders beliebt waren private An- und Verkaufsläden, die gebrauchte Waren anboten – eine in der DDR weit verbreitete Handelsform. Die Straßenbahn verband den S-Bahnhof mit Erholungsgebieten am Wasser und war seit ihrer Elektrifizierung im Jahr 1906 eine zentrale Verkehrsader.

Historisch betrachtet, war Friedrichshagen einst ein Refugium für Künstler, Sozialreformer und Philosophen. Noch heute zeugen die alten Fassaden, Villen und Straßencafés von der Vergangenheit als Luftkurort. Während viele Stadtteile Ost-Berlins von grauen Plattenbauten dominiert wurden, bewahrte die Bölschestraße ihren kleinstädtischen Charme.

Handwerk und Brautradition – Das wirtschaftliche Rückgrat
Neben dem Einzelhandel spielten Handwerk und traditionelle Betriebe eine wichtige Rolle. Eine Spezialnäherei in Köpenick, geführt von Ruth Fröhlich, war eine Institution in der Region. Seit 1939 kürzte, nähte und reparierte sie Kleidung – eine Dienstleistung, die auch in den späten 1980er Jahren gefragt war. „Ich werde noch gebraucht“, sagte die damals über 70-jährige Schneiderin stolz.

Ein weiteres Wahrzeichen des Stadtteils war die Brauerei Berliner Bürgerbräu. Gegründet 1869, war sie tief in der Geschichte Friedrichshagens verwurzelt. In alter Tradition wurde das Bier zu Festtagen mit Pferdewagen ausgeliefert – ein nostalgischer Kontrast zur ansonsten sozialistischen Realität.

Friedrichshagen – Ein Ort mit Lebensqualität
Trotz aller Herausforderungen der DDR-Wirtschaft bot Friedrichshagen seinen Bewohnern eine hohe Lebensqualität. Die Nähe zum Wasser, grüne Gärten hinter den Häusern und eine gewachsene Infrastruktur machten den Stadtteil zu einem beliebten Wohnort. Viele Friedrichshagener blieben ihrer Heimat treu – nicht zuletzt wegen der besonderen Atmosphäre der Bölschestraße, die bis heute als das Herz von Friedrichshagen gilt.

Inmitten des sozialistischen Alltags war Friedrichshagen ein Stadtteil mit Geschichte, Eigenständigkeit und einer Mischung aus Tradition und Moderne. Das Video des Westfernsehens hielt diesen besonderen Moment in der Geschichte fest – einen Alltag, der heute nur noch in Erinnerungen und Archivaufnahmen existiert.

Autor/Redakteur/IT-Chronist: Arne Petrich
Kontakt per Mail: coolisono@gmail.com

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