Die Liveübertragung der Kundgebung am 8. November 1989 vor dem Gebäude des ZK der SED in Ostberlin verdeutlicht die dramatischen Spannungen in den letzten Tagen der DDR. Die Veranstaltung war ein emotionaler Spiegel der Umbruchsstimmung, die das Land erfasst hatte.
Die dreitägige ZK-Sitzung, die an diesem Tag begann, wurde mit dem Rücktritt des Politbüros der SED eingeleitet – ein symbolträchtiger Schritt, der die politische Krise im Land unterstrich. Doch die Demonstranten, die sich vor dem ZK-Gebäude versammelten, waren nicht mit kosmetischen Reformen zufrieden. Sie forderten eine tiefgreifende Erneuerung, insbesondere einen Parteitag zur Neuausrichtung der SED und auch, wenn noch selten, freie Wahlen.
Die Kundgebung war durchzogen von Spannungen und widersprüchlichen Forderungen. Während Redner wie Gerhard Groß die sozialistischen Ideale verteidigten, zeigten sich andere, wie der Biologielehrer Georg Glitsche, kritisch gegenüber der bisherigen Politik der SED. Glitsches Worte spiegelten die Unzufriedenheit vieler wider, die die Parteiführung als abgehoben und volksfern wahrnahmen. Seine Aussage, dass die Partei ihrem eigenen Volk hinterherlaufe, erntete Zuspruch – ein Zeichen für die Distanz zwischen Basis und Funktionären.
Die mangelnde Präsenz von Arbeitern unter den Rednern war ein weiterer Beleg für die Krise der SED als „Arbeiterpartei“. Die späte Anmoderation von Jörg Kretschmar vom VEB Kabelwerk Adlershof wirkte beinahe symbolisch: eine nachträgliche Bemühung, die Identität der Partei mit den Werktätigen zu wahren.
Besonders bezeichnend war die aufgeheizte Stimmung der Teilnehmer. Das Skandieren von „Aufhören, aufhören!“ gegen missliebige Redner zeigte den wachsenden Unmut und die Ungeduld. Die Menschen hatten genug von leeren Phrasen und verlangten konkrete Antworten auf ihre Fragen zur Zukunft der DDR.
Diese Kundgebung ist ein eindrucksvolles Zeitzeugnis der Umbruchszeit im November 1989. Sie spiegelt den schmalen Grat zwischen Reformhoffnungen und revolutionärem Druck wider, der die politischen Ereignisse in der DDR zu dieser Zeit bestimmte. Sie steht exemplarisch für das letzte Aufbäumen der SED und zugleich für das Aufbrechen der Sprachlosigkeit, die das Land jahrzehntelang geprägt hatte.