Chemnitzer Friedenstag: Ein Gedenken an die Zerstörung der Stadt

Der 5. März 1945 markiert einen der tragischsten Tage in der Geschichte der Stadt Chemnitz. An diesem Tag, in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs, wurde die Stadt von einem verheerenden Luftangriff der Alliierten heimgesucht, der fast das gesamte Stadtbild zerstörte und mehr als 2.000 Menschen das Leben kostete. Doch weit über die nackten Zahlen hinaus trugen die Menschen von Chemnitz die Erinnerungen an diesen Tag in sich – Erinnerungen an ein Inferno, das ihre Stadt, ihre Leben und ihre Seelen für immer veränderte.

Jeder, der diesen Tag überlebte, hatte seine eigene Geschichte zu erzählen. Es waren Geschichten von Angst, von Verlust und von Überlebenswillen, die über Jahre hinweg im Verborgenen lagen, bis die Stadt Chemnitz im Januar 2018 dazu aufrief, diese persönlichen Erlebnisse zu teilen. Ziel war es, die Erinnerungen an das Geschehene lebendig zu halten, damit die tragischen Ereignisse nicht in Vergessenheit geraten und zukünftige Generationen verstehen, was Krieg wirklich bedeutet. Auf diesen Aufruf reagierten 45 Zeitzeugen, die ihre Erinnerungen an jenen schicksalhaften Tag in eindrucksvollen Berichten niederschrieben. Ihre Erlebnisse sind in all ihrer Grausamkeit und Dramatik nicht nur Zeugnisse eines zerstörten Lebens, sondern auch Mahnmale des Friedens.

Die Erinnerungen dieser Zeitzeugen wurden in einem Film verarbeitet, der zum Chemnitzer Friedenstag 2019 Premiere feierte. In diesem Film erzählen acht von ihnen – alle damals Kinder oder Jugendliche – von ihren Erlebnissen und ihren Versuchen, das Unvorstellbare zu begreifen und zu überleben. Die filmische Darstellung vermittelt den Zuschauern eine eindrucksvolle Vorstellung davon, wie der 5. März 1945 für die Menschen von Chemnitz war. Doch nicht nur der Angriff selbst wird thematisiert, sondern auch die Jahre danach, die von Verlust, Not und dem ständigen Versuch geprägt waren, wieder Hoffnung und Leben in die Trümmer zu bringen.

Erinnerungen an eine schneebedeckte Stadt

Frau Sch., damals zehn Jahre alt, erinnert sich an den 5. März 1945 als an einen kalten, verschneiten Tag. „Den ganzen Tag hatte es geschneit, und die Stadt war in eine weiße Decke gehüllt“, sagt sie. Es war ein friedlicher Moment, ein scheinbar harmloser Tag, der von der Unwissenheit über das drohende Unheil geprägt war. „Ich fand es so schön, alles war so ruhig und friedlich. Wir hatten keine Ahnung, dass das der letzte Tag unseres alten Lebens sein würde.“ Doch der Friedensmoment war nur von kurzer Dauer. Ab 22 Uhr, als die Sirenen heulten, verwandelte sich die Stadt in einen Ort des Schreckens.

Der Luftschutzbunker als letzte Zuflucht

Die Sirenen gellten durch die Straßen, und der Voralarm wandelte sich schnell in den Hauptalarm. Innerhalb von Minuten suchten die Menschen Schutz in Kellern, Bunkern und improvisierten Luftschutzräumen. Für Frau Sch. und ihre Mutter bedeutete das, dass sie sich in den Felsenkeller begaben, der sich in der Nähe des Falkenplatzes befand. Es war ein alter Bierkeller, der in einen Luftschutzraum umgebaut worden war. „Es war stickig, und der Geruch nach Moder und Angst hing in der Luft“, erinnert sich Herr K., der damals sieben Jahre alt war. Auch er war mit seiner Familie in einem Bunker untergebracht. „Wir saßen eng aneinandergekuschelt, während über uns die Bomben detonierten. Man konnte die Vibrationen spüren, die durch die Wände gingen.“ Es war eine Atmosphäre der Angst und des Schreckens, die den Atem der Menschen erstickte.

„Christbäume“ waren die Leuchtmarkierungen, die von den alliierten Flugzeugen abgeworfen wurden, um die Zielgebiete zu markieren. Diese Lichter waren eine Vorahnung des Schreckens, der sich bald entfalten sollte. „Es sah fast schön aus, diese bunten Lichter am Himmel“, sagt Frau W., eine der Zeitzeuginnen. „Aber wir wussten, dass sie den Tod brachten.“ Diese Lichter markierten die Zielgebiete der Bomben, und es war nur eine Frage der Zeit, bis der Feuersturm über Chemnitz hereinbrach.

Die Schreie der Verschütteten und die Panik im Bunker

Einer der erschütterndsten Momente für Herrn T. war der Nachmittag des 5. März. „Am Nachmittag hatte es bereits einen kleinen Angriff gegeben. Eine Bombe traf ein Haus gegenüber von uns. Als Kinder liefen wir hinüber, neugierig, obwohl man uns schnell zurücktrieb.“ Doch was sie dort fanden, war ein Bild des Schreckens: Verschüttete, die unter den Trümmern begraben waren. „Ich höre noch heute die Schreie der Verschütteten“, sagt Herr T. „In der Nacht hatte ich Angst, dass es uns genauso ergehen würde.“ Der Verlust und das Leid der Menschen, die in den Trümmern verschüttet waren, hinterließen tiefe Spuren in den Seelen der Überlebenden. Die Erinnerung an diese Schreie ist noch Jahrzehnte später lebendig.

Die Bunker waren überfüllt, und die Luft wurde knapp. „Es gab keinen Platz, um sich zu setzen“, berichtet Frau P., die sich mit ihrer Familie in einem der Kellerräume aufhielt. „Die Luft wurde knapp, und einige gerieten in Panik. Ein Mann versuchte, die Menge zu beruhigen, doch die Angst war greifbar.“ Besonders traumatisch war der Moment, als ein Nachbarkeller verschüttet wurde. „27 Menschen starben dort – erstickt, weil die Luftzufuhr abgeschnitten war“, sagt Herr K. mit brüchiger Stimme. Dieser Vorfall war nur ein Vorgeschmack auf das, was später passieren sollte.

Der Feuersturm und die Zerstörung

Als der Hauptangriff begann, verwandelte sich die Nacht in ein Inferno. „Die Einschläge waren ohrenbetäubend“, beschreibt Frau Sch. „Die Hauswände zitterten, Putz fiel von den Decken, und wir dachten, jede Sekunde könnte unsere letzte sein.“ Der Feuersturm, der durch die Brandbomben entfacht wurde, verschlang ganz Chemnitz. „Der Himmel war blutrot“, sagt Frau W. „Es war, als würde die ganze Welt brennen.“ Der Feuersturm ließ keine Straßen, keine Häuser, keine Hoffnungen unversehrt. Es war ein vernichtender Angriff, der nicht nur die Stadt zerstörte, sondern auch die Seelen ihrer Bewohner.

Doch auch in diesem Chaos gab es Menschen, die halfen. „Ein Mann rettete mich, als ich unter einer herabgestürzten Wand begraben wurde“, erinnert sich Frau Sch. „Er war wie ein Engel. Er zog mich heraus, legte eine nasse Decke über mich und trug mich nach oben.“ Als sie schließlich aus dem Keller kam, war die Welt ein anderer Ort. „Überall war Chaos“, sagt sie. „Es war, als ob nichts mehr übrig war.“

Das Morgen nach der Zerstörung

Der Morgen nach dem Angriff brachte das volle Ausmaß der Zerstörung ans Licht. „Unser Haus war weg“, sagt Herr T. „Nur eine Wand stand noch, die Möbel lagen zertrümmert in den Trümmern. Mein Vater sagte nur: ‚Wir haben kein Zuhause mehr.‘“ Viele der Überlebenden mussten an zerfetzten Körpern vorbeigehen, als sie versuchten, sich aus den Trümmern das Nötigste zu retten. „Ich werde nie die Bilder von den Stücken von Menschenfleisch vergessen, die auf der Straße lagen“, erinnert sich Frau W. „Und die Schreie derer, die in brennenden Häusern gefangen waren.“ Das Bild der zerstörten Stadt und der Menschen, die unter den Trümmern lagen, blieb in den Köpfen der Überlebenden haften. Doch trotz der grausamen Bilder und der unvorstellbaren Verluste versuchten sie, sich wieder aufzurichten.

Die Menschen suchten nach ihren Habseligkeiten, so gut es ging. „Ich sehe noch die Leute unter der Eisenbahnbrücke stehen, mit ihren Habseligkeiten – Tische, Stühle, was sie eben tragen konnten“, sagt Herr K. „Wir hatten nur, was wir am Körper trugen.“ Es war der Beginn eines langen Weges der Not und des Wiederaufbaus. Doch die Erinnerungen an diesen Tag sollten nie verblassen.

Ein Leben mit der Erinnerung

„Ich habe oft von dieser Nacht geträumt“, sagt Frau Sch. „Die Angst, das Chaos, das Gefühl von Hilflosigkeit – das verlässt einen nie.“ Heute, Jahrzehnte nach dem Angriff, bleiben die Erinnerungen an den 5. März 1945 unauslöschlich. „Es ist wichtig, dass die Menschen wissen, was Krieg bedeutet“, sagt Herr T. „Damit so etwas nie wieder passiert.“ Die Zeitzeugen, die über ihre Erlebnisse sprechen, tun dies nicht nur aus persönlichem Bedürfnis, sondern auch, um den zukünftigen Generationen zu zeigen, wie fragil der Frieden ist. Die Geschichten der letzten Zeugen sind ein Mahnmal für uns alle, die wir in einer Welt leben, die nicht vergessen darf, was Krieg anrichtet.

So bleibt der 5. März 1945 für die Stadt Chemnitz nicht nur ein Datum der Zerstörung, sondern auch ein Tag des Gedenkens. Der Chemnitzer Friedenstag erinnert jedes Jahr an die Opfer des Krieges und mahnt uns, den Frieden zu bewahren und die Geschichten der Überlebenden weiterzuerzählen, damit ihre Erfahrungen uns leiten und schützen mögen.

Autor/Redakteur: Arne Petrich
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