Jenaer Verkehrsverbände gegen politisierten Mobilitätsbeirat

Die geplante Umwandlung der fachbezogenen Verkehrsbeiräte in Jena in einen zentralen Mobilitätsbeirat sorgt derzeit für erhebliche Diskussionen. Die Umwelt- und Verkehrsverbände der Stadt – ADFC, BUND und VCD – stehen den Plänen kritisch gegenüber und sehen in der angestrebten Neustrukturierung eine Gefahr für die bisher geleistete, auf spezifische Verkehrsträger fokussierte Arbeit. Sie befürchten, dass durch die Zusammenlegung die spezialisierte Expertise der Beiräte und deren Arbeit im Sinne eines umweltfreundlichen Verkehrsmanagements verloren gehen könnten.

Die Stimmen der Kritik: Erhalt einer bewährten Struktur
Stefan Jakobs vom BUND Jena äußerte sich kritisch zur Auflösung des Radverkehrsbeirates, der seit Jahren eine verlässliche Anlaufstelle für Themen rund um den Radverkehr in Jena darstellt. „Ohne Not wird eine Struktur zerschlagen, die sich bewährt hat,“ so Jakobs. Der Radverkehrsbeirat bietet eine Plattform, auf der sich engagierte Ehrenamtliche mit Verwaltung und Politik zu allen Belangen des Radverkehrs austauschen und zur Verbesserung beitragen. Besonders in der Erarbeitung und Umsetzung des im März vom Stadtrat verabschiedeten Radverkehrsplans hat dieser Beirat eine wichtige Rolle gespielt, die, laut Jakobs, nun bedroht ist.

Michael Böhringer vom ADFC ergänzt, dass die geplante Einordnung der bisher selbstständigen Verkehrsbeiräte unter einen allgemeinen Mobilitätsbeirat die Kontinuität und fachliche Tiefe der bisherigen Arbeit erheblich beeinträchtigen könnte. Als Arbeitsgruppe unter einem Mobilitätsbeirat wäre die Expertise des Radverkehrsbeirates beschnitten und in ihrer Wirkung eingeschränkt. Böhringer warnt davor, dass die bewährte Kontinuität und Kompetenz in einem zeitlich und personell begrenzten Gremium kaum aufrechterhalten werden kann.

Jennifer Schubert vom VCD Jena zeigt sich besonders besorgt hinsichtlich der Klimaziele der Stadt: „Die politisch Verantwortlichen haben sich mit mehreren Beschlüssen ehrgeizige Ziele gesetzt.“ Bis 2035 soll nach dem Klimaaktionsplan der Anteil des motorisierten Individualverkehrs von 35 % auf 20 % reduziert werden. Dies erfordert eine konsequente Stärkung der Verkehrsträger des Umweltverbunds wie Nahverkehr, Fuß- und Radverkehr. Schubert betont, dass diese Priorisierung sich auch in der Struktur der Gremien widerspiegeln müsse. Ein Mobilitätsbeirat ohne klare Vertretung der Radfahrer und Fußgänger würde diesem Ziel jedoch nicht gerecht werden.

Stadtratsentscheidungen und die Rolle des neuen Mobilitätsbeirates
Die vorgeschlagene Umstrukturierung soll laut Verwaltung dazu beitragen, die Effizienz der städtischen Verkehrsplanung zu steigern und die Arbeit im Stadtentwicklungsausschuss zu entlasten. Die neue Struktur sieht vor, dass spezifische Themen wie Rad- und Kfz-Verkehr nicht mehr separat besprochen, sondern in einem allgemeinen Mobilitätsbeirat zusammengeführt werden, der auch Anliegen des Fuß- und Nahverkehrs berücksichtigen soll.

Allerdings wirft diese Änderung Fragen auf. Im Vergleich zum etablierten Radverkehrsbeirat fehlen bisher Strukturen für andere Verkehrsträger. Besonders der Kfz-Verkehrsbeirat hat sich als wenig funktional erwiesen: Mehrfach konnte er aufgrund mangelnder Anwesenheit der Mitglieder nicht beschlussfähig tagen. Ein möglicher Hinweis darauf, dass das Thema Kfz-Verkehr unter Ehrenamtlichen und politischen Vertretern weniger Interesse erfährt als der Radverkehr.

Ein weiterer Punkt der Kritik bezieht sich auf die Vertretung im Stadtentwicklungsausschuss. Während der Radverkehrsbeirat bisher mit Rede- und Antragsrecht vertreten war, würde ein Vertreter des neuen Mobilitätsbeirates dieses Privileg nicht mehr haben. Somit könnten spezifische Anliegen weniger Gehör finden. Auch die Interessen der Fußgänger, die bisher über den Seniorenbeirat und den Beirat für Menschen mit Behinderung eingebracht werden, könnten dadurch verwässert werden.

Die fachliche Arbeit der Beiräte – ausgelagert und vereinfacht?
Um die spezifische Expertise dennoch zu erhalten, sollen Fachthemen in neu zu gründende Arbeitsgruppen ausgelagert werden, die allerdings nur noch indirekt durch ihre Vorsitzenden im Mobilitätsbeirat repräsentiert wären. Die Verwaltung verspricht sich davon eine Entlastung, und die Stadtratsmehrheit hofft auf abgestimmte Kompromisse zwischen den verschiedenen Verkehrsteilnehmern.

Für Kritiker wie Heidrun Jänchen, Piratin in der Fraktion Die Linke, ist dies jedoch der falsche Ansatz. Sie sieht in der geplanten Umstrukturierung einen Rückschritt in der Qualität der Verkehrspolitik: „Hier versucht man, sich vor politischen Entscheidungen zu drücken, indem man sie anderen zuschiebt.“ Nach Ansicht Jänchens könnte die fachliche Qualität durch politische Mehrheitsentscheidungen in einem zentralisierten Gremium leiden. Der bisherige Radverkehrsbeirat habe gezeigt, dass eine unabhängige, fachkundige Beratung zu besseren Ergebnissen für die Stadt führe, da die Ehrenamtlichen im Detail mit den Herausforderungen des Radverkehrs vertraut seien und so konkrete Verbesserungen anstoßen konnten.

Im Stadtentwicklungsausschuss hatten sich Jänchen und ihr Fraktionskollege Jens Thomas als Einzige gegen die Umstrukturierung ausgesprochen und sich auf die Seite des Radverkehrsbeirates gestellt. Sie argumentierten, dass eine zentrale Struktur die langjährige Erfahrung und Fachkenntnis der bestehenden Beiräte in Jena gefährden würde.

Alternative Vorschläge der Verkehrsverbände
Die Verkehrsverbände betonen, dass sie den Wunsch nach einem verkehrsträgerübergreifenden Austausch grundsätzlich unterstützen. Sie plädieren jedoch dafür, diesen Austausch in einer satzungsmäßig verankerten, übergreifenden Arbeitsgruppe zu organisieren, die im Bedarfsfall zusammenkommt und Vertreter aller Beiräte einschließt. Eine solche Arbeitsgruppe könnte gezielt die Interessen der verschiedenen Verkehrsträger berücksichtigen und auch der Stadtverwaltung und dem Stadtrat als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, ohne die spezialisierte Arbeit der bestehenden Beiräte zu gefährden.

Eine weitere Option wäre die Schaffung eines Ausschusses für Mobilität und Verkehrsfragen, der die Arbeit des Stadtentwicklungsausschusses ergänzen und entlasten könnte. Dieser Ausschuss könnte die übergreifenden Fragen der Mobilität in Jena behandeln und dabei die Perspektiven der verschiedenen Beiräte einfließen lassen, ohne deren fachliche Unabhängigkeit zu beschneiden.

Expertenwissen und Bürgerengagement als Grundlage der Verkehrspolitik
Die Diskussion um die geplante Umstrukturierung der Verkehrsbeiräte zeigt, dass es in der Verkehrspolitik Jenas nicht nur um Effizienz, sondern auch um die Sicherung von Fachwissen und Bürgerengagement geht. Die jahrzehntelange Erfahrung des Radverkehrsbeirates und seine detaillierten Einblicke in die Herausforderungen und Chancen des Radverkehrs in Jena haben die Stadtentwicklung in diesem Bereich erheblich geprägt.

Ein zentraler Mobilitätsbeirat könnte dazu führen, dass wertvolles Fachwissen verloren geht und die angestrebten Klimaziele nicht in der gewünschten Weise erreicht werden. Die Vertreter von ADFC, BUND und VCD mahnen daher zur Vorsicht und empfehlen alternative Strukturen, die sowohl den Austausch fördern als auch die spezialisierte Arbeit der einzelnen Verkehrsträger stärken. Jenas Verkehrspolitik steht vor der Herausforderung, eine Struktur zu finden, die beides ermöglicht: Effizienz in der Entscheidungsfindung und den Erhalt der fachlichen Qualität, die die bisherigen Beiräte hervorgebracht haben.

Redakteur/Blogger/Journalist: Arne Petrich

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