Der Aufbruch 1989 in Jena: Klaus-Peter Hertzsch zwischen Hoffnung und Ernüchterung

Klaus-Peter Hertzsch (1930–2015): Erinnerungen des Theologen und Ehrenbürgers

Im Jahr 1989, einem Jahr tiefgreifender Veränderungen, erinnert sich Klaus-Peter Hertzsch daran, wie sich sowohl sein eigenes Leben als auch das der Menschen in der DDR wandelte. Trotz der politischen Umwälzungen, die sich bereits ankündigten, begann das Jahr für ihn zunächst mit einer gewissen Normalität. Er setzte seine alltägliche Arbeit fort und nahm an verschiedenen beruflichen Verpflichtungen teil, auch wenn die Zeichen der kommenden Veränderungen nicht zu übersehen waren.

Ein prägendes Erlebnis in diesem Jahr war für ihn eine Reise in die Sowjetunion. Mehrfach wurde er von der orthodoxen Kirche eingeladen, die in der Sowjetunion zu dieser Zeit an Bedeutung gewann. Die Kirche hatte begonnen, eine größere Rolle im öffentlichen Leben zu spielen, und im Rahmen einer gesamteurpäischen Tagung unter dem Thema „Sprache des Friedens“ hielt Klaus-Peter Hertzsch einen Vortrag. Er war beeindruckt, dass die orthodoxe Kirche nun stolz darauf war, Gäste aus Ländern wie Frankreich und Großbritannien einladen zu können – eine deutliche Veränderung gegenüber den früheren Jahren.

Auch in der DDR bemerkte er, wie sich die Situation veränderte. Er erlebte zum ersten Mal, dass Studenten aus der DDR ohne größere Hindernisse ins westliche Ausland reisen konnten. Besonders eindrucksvoll war für ihn das Erlebnis eines Studenten, der von einem Besuch bei seiner Tante in Darmstadt berichtete. Der Student schilderte einerseits positive Begegnungen mit westdeutschen Jugendlichen, die ihm ähnlich erschienen, andererseits war er enttäuscht von der materialistischen Lebensweise, die ihm im Westen vorgeführt wurde. Diese Erlebnisse spiegelten die inneren Konflikte vieler Menschen wider, die in dieser Zeit versuchten, ihren Platz in einer sich verändernden Welt zu finden.

Für Klaus-Peter Hertzsch selbst war diese Zeit von einem tiefen Verantwortungsgefühl geprägt. Er erkannte, dass die Entscheidungen, die in dieser Phase getroffen wurden, weitreichende Auswirkungen auf die Zukunft haben würden – nicht nur für die unmittelbare Zeit, sondern auch für die kommenden Jahrzehnte. In seinen Reden und Gesprächen betonte er immer wieder, dass es nicht ausreiche, die Fehler der Vergangenheit anzuprangern. Vielmehr müssten klare Vorstellungen darüber entwickelt werden, wie eine bessere Zukunft gestaltet werden könne.

In einer seiner Reden stellte er vier zentrale Punkte heraus, die für ihn von großer Bedeutung waren. Erstens sprach er sich dafür aus, dass der Führungsanspruch der SED enden müsse, ohne jedoch neue Feindbilder zu schaffen. Die DDR sei lange von Feindbildern geprägt gewesen, und es sei nun wichtig, diese zu überwinden. Zweitens forderte er eine Verbesserung der Wirtschaft, warnte jedoch davor, die Macht der Funktionäre durch die Herrschaft von Millionären zu ersetzen. Es ging ihm darum, eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen, in der auch die Schwächeren eine Stimme hatten.

Drittens betonte er die Verantwortung gegenüber der Dritten Welt. Trotz aller Probleme habe die DDR im Vergleich zu vielen Ländern relativ komfortabel gelebt. Klaus-Peter Hertzsch sah es als seine Pflicht, den ärmeren Ländern zu helfen, da diese eines Tages genauso wie die DDR-Bürger ihr Recht einfordern würden. Viertens sprach er von der Verantwortung für zukünftige Generationen. Es sei entscheidend, die Welt für die Menschen, die in 300 Jahren leben würden, zu bewahren und nicht durch kurzfristige Interessen zu zerstören.

Seine Worte fanden großen Anklang, aber gleichzeitig stellte sich bei ihm eine gewisse Ernüchterung ein. Er hatte gehofft, dass es möglich sei, in einer Massengesellschaft wie der DDR eine echte Demokratie zu etablieren, in der Millionen Menschen gemeinsam politische Entscheidungen treffen könnten. Doch im Herbst 1989 sah er, dass das gesamte Land in Bewegung geriet. Menschen diskutierten, hatten Visionen und Träume von einer besseren Zukunft.

Besonders in den Kirchen fanden unzählige Gesprächsrunden statt, in denen Menschen, die zuvor nicht politisch aktiv gewesen waren, ihre Ideen und Wünsche äußerten. Klaus-Peter Hertzsch hatte das Gefühl, dass in dieser Phase tatsächlich eine breite Beteiligung an der politischen Gestaltung möglich war. Doch im Laufe des Winters 1989/90 stellte sich zunehmend Ernüchterung ein. Die politische Landschaft begann, sich in die altbekannten Bahnen der Bundesrepublik zu bewegen. Die Bewegungen und Ideen, die in den aufregenden Monaten zuvor entstanden waren, wurden in die Strukturen der etablierten Parteien wie CDU, SPD und FDP eingebunden.

Für Klaus-Peter Hertzsch war dies enttäuschend. Die große Vision, dass die Menschen in der DDR eine neue, gerechtere Gesellschaft aufbauen könnten, schien im Strudel der politischen Realität zu verblassen. Was einst als aufregende Phase des Aufbruchs erschien, wurde mehr und mehr von den bestehenden politischen Systemen der Bundesrepublik eingeholt.

Dennoch bleibt für ihn die Erinnerung an diese Zeit eine von Hoffnung und tiefem Engagement. Trotz der Enttäuschungen ist er stolz darauf, dass er und viele andere aktiv versucht hatten, die Welt zu verändern. Auch wenn nicht alle Träume und Visionen in Erfüllung gingen, bleibt das Wissen, dass es zumindest der Versuch war, der zählt.

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